Allgemeiner Konsumverein Kiel: Unterschied zwischen den Versionen

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:"Der Konsumverein Kiel hatte über hundert 'Lebensmittelverteilungsstellen', außerdem eine eigene Bäckerei und eine eigene Fleischfabrik in der Heischstraße. Die Preise waren überall gleich. Die nördlichste Verteilungsstelle war in Karby. [Ein Dorf kurz vor Kappeln.] Der Konsum war preisbestimmend in einem Ort. Als Folge der Wirtschaftskrise wurde [[1930]] die Verteilungsstelle in Karby geschlossen. Man rechnete pro 3.000 Mark Umsatz eine Verkaufskraft, und Karby war unter 3.000 Mark. Die kleinen Höker haben sofort die Preise alle erhöht!"<ref>Susanne Kalweit: ''"Ich hab mich niemals arm gefühlt!" Die Kielerin Rosa Wallbaum berichtet aus ihrem Leben'' (Hamburg/Berlin 2010), S. 56 ff. ISBN 978-3-86850-644-0</ref>
:"Der Konsumverein Kiel hatte über hundert 'Lebensmittelverteilungsstellen', außerdem eine eigene Bäckerei und eine eigene Fleischfabrik in der Heischstraße. Die Preise waren überall gleich. Die nördlichste Verteilungsstelle war in Karby. [Ein Dorf kurz vor Kappeln.] Der Konsum war preisbestimmend in einem Ort. Als Folge der Wirtschaftskrise wurde [[1930]] die Verteilungsstelle in Karby geschlossen. Man rechnete pro 3.000 Mark Umsatz eine Verkaufskraft, und Karby war unter 3.000 Mark. Die kleinen Höker haben sofort die Preise alle erhöht!"<ref>Susanne Kalweit: ''"Ich hab mich niemals arm gefühlt!" Die Kielerin Rosa Wallbaum berichtet aus ihrem Leben'' (Hamburg/Berlin 2010), S. 56 ff. ISBN 978-3-86850-644-0</ref>


Im Verwaltungsgebäude in der Segeberger Straße gab es auch ein [[SAJ Jugendheime, Kiel|Heim der Sozialistischen Arbeiterjugend]], in dem sich die Jugendlichen treffen und fortbilden konnten.
Im Verwaltungsgebäude in der Segeberger Straße gab es auch ein [[SAJ Jugendheime, Kiel|Heim der Sozialistischen Arbeiterjugend]], in dem sich die Jugendlichen treffen und fortbilden konnten. In der oben erwähnten Broschüre zum [[Parteitag 1927]] in Kiel heißt es über das "Bollwerk der Gemeinwirtschaft":
 
:"Im südlichen Teil Gaarden, in nächster Nähe des Kleinbahnhofs, liegt ein 20000 qm großes Gelände, welches von der Segeberger, Bielenberg-, Heisch- und Sörensenstraße begrenzt wird. Dieses Gelände ist Eigentum ds Allgemeinen Konsum-Vereins und dient mit der dort errichteten stattlichen Anzahl von Gebäuden als Betriebszentrale. Inmitten des Geländekomplexes befindet sich das Zentrallagergebäude, welches mit der Großbächerei des Vereins verbunden ist. Die letztere ist neben allen moderenen Bächereimachinen mit 10 Doppelauszugöfen ausgestattet. Auf den beiden Geländeecken nach der Bielenbergstraße zu stehen sich gegenüber die Fleischwarenfabrik und die neue Konditorei. Auch diese beiden neuen Produktionsbetriebe sind mit den technisch vollkommensten Maschinen ausgerüstet und können beide Fabrikanlagen als Musterbetriebe bezeichnet werden. Im Lagergebäude ist die die Anlage für Selter- und Brausefabrikation sowie die Großrösterei für Kaffee untergebracht. In einem oberen Stockwerke der Bäckerei wird eine Schrotmaschine zur Herstellung von Futtersachen benutzt. In allen fabrikgebäuden sind elektrische Fahrstühle eingebaut und werden außerdem elektrische Winden an dem Lager- und Bäckereigebäude zur Ausladung der Waggons benutzt. Ferner sind auf der Zentrale die Garagen für 10 Lastautos und Lieferwagen errichtet, und besitzt der Verein noch 22 Pferde und die entsprechende Wagenzahl zur Beförderung seiner Waren. Zwei Gleisanschlüsse verbinden die Zentrale des Allgemeinen Konsum-Vereins mit dem Eisenbahnnetz. Ecke Sörensenstraße- und Segeberger Straße befindet sich das Verwaltungsgebäude, welches in den oberen Stockwerken mit Wohnungen versehen ist. Neun Wohngebäude, die der Genossenschaft gehören, begrenzen von der Heisch- und Segebergerstraße her die Betriebsanlagen der Genossenschaft."


== Unter dem Nationalsozialismus ==
== Unter dem Nationalsozialismus ==

Version vom 7. Dezember 2014, 22:56 Uhr

Am 26. Oktober 1899 gründeten 42 Arbeiter den Allgemeinen Konsumverein für Kiel und Umgegend (AKVK). Der Name existiert nicht mehr. Der Geist und die genossenschaftliche Organisationsform leben aber bis heute weiter in der coop Schleswig-Holstein eG, seit 2006 coop eG, die in ganz Norddeutschland die Supermarktketten "sky" und "plaza" betreibt, in kleineren Orten auch die "topkauf"-Kette, und der größte private Arbeitgeber Schleswig-Holsteins ist.[1]

Vorgeschichte

Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Arbeiterfamilien in der schnell wachsenden Industriestadt Kiel wie in allen vergleichbaren Städten mit erheblichen Versorgungsproblemen zu kämpfen. Die schwere Arbeit und die langen Arbeitszeiten machten die Eigenversorgung durch Landwirtschaft unmöglich. Man war auf Einzelhändler angewiesen, die ihre Produkte oft mit illegalen und gesundheitsschädlichen Mitteln streckten, nicht reell abwogen und zu überhöhten Preisen verkauften. Bei großen Firmen kam es vor, dass sie eigene Läden eröffneten und ihre Arbeiter - etwa durch Bezahlung in spezieller Währung - zwangen, dort die minderwertigen und überteuerten Waren zu kaufen. Das "Anschreiben" - Verkauf auf Kredit, wenn etwa Ende des Monats das Geld zur Neige ging - schuf weitere Abhängigkeiten. Die entstehenden Konsumvereine stellten eine Gegenwehr gegen diese Verhältnisse dar.

Der erste deutsche Konsumverein entstand 1850 in Eilenburg/Sachsen. Bereits 1861 wurde auch in Kiel der - erfolglose - Versuch einer solchen Gründung unternommen; 1889 wurde die Vereinsbäckerei gegründet, die Keimzelle des späteren Konsum. Die privaten Einzelhändler wehrten sich entschieden, da sie ihre Geschäfte zu Recht bedroht sahen. Auch der preußische Staat zeigte Misstrauen, wie gegen alle Bestrebungen der Arbeiter, ihre Lebensumstände und ihren Status zu verbessern.

Auf Druck der Einzelhändler boykottierten viele Großhändler und Fabrikanten die Konsumvereine. Deshalb gründete sich 1894 in Hamburg die Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Consumvereine mbH (GEG). Sie importierte selbst und baute ein Netz eigener Fabriken auf, darunter eine Seifen-, eine Schokoladen- und eine Fischfabrik sowie eine Kaffeerösterei. Ihre Produkte wurden unter der Marke »GEG« verkauft und erfreuten sich bald großer Beliebtheit.[2]

Der "Konsum"

1899 wurde der Kieler "Konsum", wie er bei den Mitgliedern hieß, gegründet. Dass dies nicht früher geschah, hatte seinen Grund auch darin, dass Kiels führender Sozialdemokrat Stephan Heinzel dem Gedankengut von Ferdinand Lassalle verpflichtet war. Er lehnte Konsumvereine ab, da durch sie "der Klassenkampfcharakter der Partei großen Schaden erleiden würde"[3]. Bereits 1889 wandte er sich vehement, wenn auch vergeblich, gegen die Gründung einer ersten Genossenschaft, der "Vereinsbäckerei". In einer Broschüre zum Parteitag 1927 in Kiel heißt es:

"Beider Gründung von Konsum- sowie Produktivgenossenschaften waren in den eigenen Reihen meist recht harte Widerstände zu überwinden. Diese waren Ende der achtziger Jahre bei der Gründung der 'Vereinsbäckerei' besonders stark. War es doch in erster Linie inser langjähriger, bewährter Vertrauensmann Stephan Heinzel, der mit seinem lebhaften, südländischen Temperament die Gründung der Genossenschaft aus prinzipiellen und taktischen Gründen mit seiner ganzen Kraft bekämpfte. In Volks- und Parteiversammlungen sowie in Freundeskreisen, überall warnte er die Genossen aufs energischste vor dem Beitritt zu dieser Genossenschaft. Ka, als die Bäckerinnungsmeister ind der 'Alhambra' in Gaarden zusammenkamen, um über die Mittel und Wegen zu beraten., die der gehaßten Genossenschaft, von der sie mit Recht eine scharfe Konkurrenz befürchteten, das Lebenslicht so schnell wie möglich wieder ausblasen sollte, da erschien auch in dieser Versammlung unser ärgster Gegner, der Genosse Heinzel (er war von den Innungsmeistern besonders eingeladen worden) und hielt eine Rede gegen die Genossenschaftsidee im allgemeinen und insbesondere gegen die zur Debatte stehende Bäckerei-Genossenschaft. Er prophezeite derselben ein rasches Ende. Da unser Genosse Heinzel innerhalb der Arbeiterschaft außerordentlich beliebt war, und auch infolge seines lauteren Charakters in weiten Kreisen des Bürgertums hoch geschätzt wurde, war sein Kampf gegen die junge Genossenschaft für diese besonders schmerzhaft."[4]

"Vertraue Deiner eigenen Kraft, gestützt auf die Genossenschaft!“, lautete die Losung der Konsumvereine.[5] Das Ziel war, durch gemeinsamen Einkauf bei vertrauenswürdigen Lieferanten den Mitgliedern gute Ware zu reellen Preisen anbieten zu können und den Reingewinn wieder an sie auszuschütten. Im Frühsommer 1900 wurde (vermutlich in der VZ) gemeldet:

"Der neu gegründete Allgemeine Consum=Verein für Kiel und Umgegend, dessen Mitgliederzahl bereits über 300 beträgt, eröffnet am Donnerstag den 5. Juli seine erste Verkaufstelle Holtenauerstraße 46. Der Verein hat sich die Aufgabe gestellt, seinen Mitgliedern gute Waaren zum Tagespreise zu liefern und den erzielten Reingewinn am Schlusse des Geschäftsjahres an die Mitglieder zurückzuzahlen."

Später hießen die Läden "Verteilungsstellen" und wurden von "Lagerhaltern" geführt, waren oft auch keine Läden im heutigen Sinne. Da sie nur an Mitglieder abgaben, benötigten sie weder Werbung noch Schaufenster; das hielt die Kosten niedrig. Die Verteilungsstellen des Kieler Konsum waren weit über die Stadtgrenzen hinaus verbreitet. Den Effekt beschreibt Rosa Wallbaum, die 1930-1933 beim Konsum eine Ausbildung machte, in ihren Erinnerungen:

"Der Konsumverein Kiel hatte über hundert 'Lebensmittelverteilungsstellen', außerdem eine eigene Bäckerei und eine eigene Fleischfabrik in der Heischstraße. Die Preise waren überall gleich. Die nördlichste Verteilungsstelle war in Karby. [Ein Dorf kurz vor Kappeln.] Der Konsum war preisbestimmend in einem Ort. Als Folge der Wirtschaftskrise wurde 1930 die Verteilungsstelle in Karby geschlossen. Man rechnete pro 3.000 Mark Umsatz eine Verkaufskraft, und Karby war unter 3.000 Mark. Die kleinen Höker haben sofort die Preise alle erhöht!"[6]

Im Verwaltungsgebäude in der Segeberger Straße gab es auch ein Heim der Sozialistischen Arbeiterjugend, in dem sich die Jugendlichen treffen und fortbilden konnten. In der oben erwähnten Broschüre zum Parteitag 1927 in Kiel heißt es über das "Bollwerk der Gemeinwirtschaft":

"Im südlichen Teil Gaarden, in nächster Nähe des Kleinbahnhofs, liegt ein 20000 qm großes Gelände, welches von der Segeberger, Bielenberg-, Heisch- und Sörensenstraße begrenzt wird. Dieses Gelände ist Eigentum ds Allgemeinen Konsum-Vereins und dient mit der dort errichteten stattlichen Anzahl von Gebäuden als Betriebszentrale. Inmitten des Geländekomplexes befindet sich das Zentrallagergebäude, welches mit der Großbächerei des Vereins verbunden ist. Die letztere ist neben allen moderenen Bächereimachinen mit 10 Doppelauszugöfen ausgestattet. Auf den beiden Geländeecken nach der Bielenbergstraße zu stehen sich gegenüber die Fleischwarenfabrik und die neue Konditorei. Auch diese beiden neuen Produktionsbetriebe sind mit den technisch vollkommensten Maschinen ausgerüstet und können beide Fabrikanlagen als Musterbetriebe bezeichnet werden. Im Lagergebäude ist die die Anlage für Selter- und Brausefabrikation sowie die Großrösterei für Kaffee untergebracht. In einem oberen Stockwerke der Bäckerei wird eine Schrotmaschine zur Herstellung von Futtersachen benutzt. In allen fabrikgebäuden sind elektrische Fahrstühle eingebaut und werden außerdem elektrische Winden an dem Lager- und Bäckereigebäude zur Ausladung der Waggons benutzt. Ferner sind auf der Zentrale die Garagen für 10 Lastautos und Lieferwagen errichtet, und besitzt der Verein noch 22 Pferde und die entsprechende Wagenzahl zur Beförderung seiner Waren. Zwei Gleisanschlüsse verbinden die Zentrale des Allgemeinen Konsum-Vereins mit dem Eisenbahnnetz. Ecke Sörensenstraße- und Segeberger Straße befindet sich das Verwaltungsgebäude, welches in den oberen Stockwerken mit Wohnungen versehen ist. Neun Wohngebäude, die der Genossenschaft gehören, begrenzen von der Heisch- und Segebergerstraße her die Betriebsanlagen der Genossenschaft."

Unter dem Nationalsozialismus

Mit der Übergabe der Macht an Hitler 1933 geriet auch der AKVK unter Druck. Genossenschaften entsprachen nicht der Vorstellung der Nationalsozialisten von der "Volksgemeinschaft", da sie den Mitgliedern gehörten, nicht dem (ausschließlich durch die NSdAP vertretenen) Volk.

So wurde die GEG als Dachorganisation bereits am 14. August 1933 umfirmiert in den "Reichsbund der deutschen Verbrauchergenossenschaften GmbH (GEG)". Hier waren nun die genossenschaftlichen Zentralorganisationen zusammengefasst. 1935 liquidierten die Nationalsozialisten den AKVK und übernahmen sein erhebliches Vermögen, das nicht zuletzt in Immobilien bestand.

Neubeginn und moderne Entwicklung

1946 wurde der Kieler Konsumverein wiedergegründet, wie auch zehn weitere in Schleswig-Holstein. Sein Vorkriegsvermögen erhielt er nicht zurück. Ende 1971 gab es "nach langjährigem, gezieltem Konzentrationsprozeß"[7] noch zwei co-op-Unternehmen im Lande - in Kiel und Lübeck.

Zum 1. Januar 1972 schlossen sich diese beiden zur coop Schleswig-Holstein eG zusammen. Gemeinsam erreichten sie eine Bilanzsumme von 80 Millionen DM und hatten 3000 Beschäftigte, davon 180 Auszubildende. Damit war das neue Unternehmen die fünftgrößte coop in Deutschland. Es verfügte über zwei Großschlachtereien in Lübeck und Kiel (am Traditionsstandort Sörensenstraße), strebte an, sein Marktnetz auf 120 Standorte zu erweitern, und gründete für die Beschäftigten eine Rentenzuschusskasse. Vorstandsvorsitzender wurde Arnold Krain, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Kieler Kurt Neumann.[8]

In den 1980er Jahren gehörten die Schleswig-Holsteiner zu den wenigen Genossenschaften, die sich gegen einen Zusammenschluss mit der deutschlandweiten co op AG in Frankfurt wehrten und an ihrer Rechtsform festhielten. Diese Eigenständigkeit machte sich bezahlt, als Ende der 80er Jahre die aufgeblähte co op AG in einem riesigen Finanzskandal unterging.[9] Die coop-Märkte wurden wegen der Verwechslungsgefahr umbenannt in "sky", die Genossenschaft entwickelte sich erfolgreich weiter und expandierte im ganzen norddeutschen Raum, nach der Wende etwa nach Mecklenburg-Vorpommern.

Quellen

  1. Vom Konsumverein zur coop, Kieler Nachrichten, 23.02.2009
  2. coop eG, Gründungsjahre
  3. Rolf Fischer: "Der Bahn, der kühnen, folgen wir …" Stephan Heinzel und der Aufstieg der Kieler SPD (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie, Band I: 1863 – 1900) (Malente 2010), S. 11
  4. "Sozialdemokratischer Parteitag Kiel 1927", o.O.u.J
  5. Vom Konsumverein zur coop, Kieler Nachrichten, 23.02.2009
  6. Susanne Kalweit: "Ich hab mich niemals arm gefühlt!" Die Kielerin Rosa Wallbaum berichtet aus ihrem Leben (Hamburg/Berlin 2010), S. 56 ff. ISBN 978-3-86850-644-0
  7. Eine halbe Milliarde DM Umsatz für 1975, Kieler Nachrichten, 3.3.1972
  8. Eine halbe Milliarde DM Umsatz für 1975, Kieler Nachrichten, 3.3.1972
  9. Vom Konsumverein zur coop, Kieler Nachrichten,23.02.2009