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'''Annemarie Renger''' (geb. Wildung), geb. 7.10.1919 in Leipzig, gest. 3.3.2008 nach langer schwerer Krankheit in Remagen; aus sozialdemokratischem Elternhaus, Verlagskauffrau
{{Person
|Vorname = Annemarie
|Nachname = Renger
|Titel = Dr. h. c.
|geboren = 19191007
|Geburtsort = Leipzig
|gestorben = 20080303
|Sterbeort = Remagen
|Geschlecht = Frau
|Foto = Autogramm Annemarie Renger Bundestagspräsidentin 1976.jpg
|Landesvorsitz = 0
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}}
Dr. h. c. '''Annemarie Renger''' (geb. Wildung, verh. Lonkarevic), * [[7. Oktober]] [[1919]] in Leipzig, † [[3. März]] [[2008]] in Oberwinter (heute Remagen); Verlagsbuchhändlerin. Mitglied der SPD seit [[1945]].


Am 15. Oktober 1945 nimmt Annemarie Renger ihre Tätigkeit als Privatsekretärin beim SPD-Bundesvorsitzenden Kurt Schumacher auf und bleibt bis zu dessen Tod am 20. August 1952 seine engste Mitarbeiterin und Lebensgefährtin. Daneben leitet sie ab 1946 das Büro des SPD-Parteivorstandes.
== Werdegang ==
Annemarie Renger entstammte der kinderreichen Familie des Gewerkschafters und führenden [[Arbeitersport]]-Funktionärs [[Fritz Wildung]], eines gelernten Tischlers, der u.a. den Berliner [[Arbeiterbildungsverein]] mitbegründete, und seiner Frau Martha Wildung. Ab [[1924]] lebte die Familie in Berlin, wo die Tochter bis [[1933]] bei den [[Sozialistische Arbeiterjugend|Falken]], in der [[Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde|Kinderfreundebewegung]] und im [[Arbeitersport]] aktiv war. Außerdem erlebte sie dort den Umgang des Regimes mit Gegnern - zu denen ihr Vater gehörte<ref name=":0">{{Wikipedia}}, abgerufen 27.7.2023</ref> - und mit jüdischen Mitmenschen.<ref>[[Elke Ferner|Ferner, Elke]] (Hg.): ''90 Jahre Frauenwahlrecht! Eine Dokumentation'' (Berlin 2008), S. 117</ref>
<blockquote>"So wuchs die Tochter schon im Elternhaus in die Politik hinein. Als sie bei der Aufnahme ins Lyzeum gefragt wurde, was sie einmal werden wolle, war ihre Antwort: [[ParteisekretärIn|Parteisekretärin]]. 'Ich bin sicher', so Annemarie Renger heute, 'die Lehrer hielten dies für einen höchst lächerlichen, wenn nicht degoutanten Berufswunsch.'"<ref>Merseburger: ''Der schwierige Deutsche'', S. 333</ref></blockquote>
[[1934]] musste sie das Lyzeum verlassen, weil die Nazis ihren Eltern aus Gesinnungsgründen das notwendige Stipendium strichen.<ref name=":0" /> Sie machte statt dessen eine Lehre im Verlagswesen und arbeitete bis zum Ende der NS-Herrschaft als Stenotypistin bzw. Verlagsbuchhändlerin.


== Parteiämter ==
Ihr erster Ehemann, den sie [[1938]] geheiratet und mit dem sie einen Sohn hatte, starb als Soldat im 2. Weltkrieg, ebenso wie drei ihrer Brüder.<ref>[[Elke Ferner|Ferner, Elke]] (Hg.): ''90 Jahre Frauenwahlrecht! Eine Dokumentation'' (Berlin 2008), S. 117</ref> Sie selbst entkam mit ihrem Sohn dem Endkampf in Berlin durch Evakuierung in die Heimat ihres Vaters, die Lüneburger Heide, wo sie als Küchenhilfe in einem Lazarett bei Visselhövede arbeitete.<ref>Merseburger: ''Der schwierige Deutsche'', S. 332</ref>
*1962-1973 Mitglied im Parteivorstand
*1966-1973 Vorsitzende des Bundesfrauenausschusses der SPD
*1970-1973 Mitglied im Parteipräsidium
*1979-1983 Mitglied der Kontrollkommission der SPD


== Bundestag
Die entscheidende Beziehung in ihrem Leben bildete wohl die zum späteren SPD-Bundesvorsitzenden [[Kurt Schumacher]]. Wie es dazu kam, schildert Peter Merseburger:
*1953-1990 Mitglied des Bundestages (über die Landesliste Schleswig-Holstein, ab 1969 über die Landesliste Nordrhein-Westfalen)
<blockquote>"Die Bekanntschaft beider, die sich schließlich zu einer unauflöslichen, symbiotischen Gemeinschaft entwickelt, beginnt im Juni [[1945]], als Annemarie Renger erstmals von Kurt Schumacher durch eine hannoversche Zeitung erfährt. [...] 'Diesen Mann muss ich kennenlernen!' ist ihr erster, spontaner Gedanke, als sie seine große Rede vom [[6. Mai]] liest, die unter dem Titel 'Wir verzweifeln nicht!' die Runde macht. [...] Sie denkt bei der Lektüre: Nur einer, der zehn Jahre in den Konzentrationslagern gelitten hat und dennoch nicht alle Deutschen verdammt, vermag nach dem Ende der Diktatur mit erhobenem Haupt für das Überleben seines Volkes einzutreten.<br>
*1969-1972 eine von vier parlamentarischen GeschäftsführerInnen der SPD-Fraktion (als erste Frau, die eine solche Position bekleidete)
Aus ihrer Baracke in Visselhövede schreibt sie an Schumacher, bietet ihre Mitarbeit an und erhält die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. [...] Der Mann, der sich dabei als fordernder, anspruchsvoller Chef zu erkennen gibt, [...] 'war groß und hager. Tiefe Furchen zeichneten sein Gesicht, das von blaugrauen, durchdringenden Augen beherrscht wurde.' So hatte die Fünfundzwanzigjährige ihn sich nach dem Studium seiner Rede gewiß nicht vorgestellt - er stand kurz vor seinem 50. Geburtstag, sah aber sehr viel älter aus. 'Sein leerer Ärmel steckte in der Tasche seines Jacketts, was den Eindruck einer gewissen Hilfsbedürftigkeit hervorrief. Aber das Gefühl verschwand sofort, als er mit mir sprach. Seine Persönlichkeit nahm mich unmittelbar gefangen.' So beginnt die wohl ergreifendste emanzipierte 'Beziehung' der deutschen Nachkriegspolitik. Keiner hält sie geheim, sie ist öffentlich und selbstverständlich, und bleibt doch stets von einem geheimnisvollen Schleier umweht. In der Arbeiterbewegung galt die eiserne, ungeschriebene Regel, Privates nicht zu erörtern, was die, zugegeben, dürren Worte Annemarie Rengers erklären mag, wenn sie ihr persönliches Verhältnis zu Schumacher beschreibt."<ref>Merseburger: ''Der schwierige Deutsche'', S. 332 f.</ref></blockquote>
*1972-1976 Präsidentin des Deutschen Bundestages als erste Frau und erste Sozialdemokratin
*1976-1990 Bundestagsvizepräsidentin


== Sonstiges ==
Sie wurde zum [[15. Oktober]] [[1945]] eingestellt - nicht, weil sie "hübsch, schlank, blond und eine Generation jünger als ihr Chef" war, sondern weil sie angesichts ihres familiären Hintergrundes "Kurt Schumacher politisch verläßlich dünkt".<ref>Merseburger: ''Der schwierige Deutsche'', S. 333</ref>
*1959-1966 Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarats und der Westeuropäischen Union
*Mitglied der 2., 3., 4., 5. und 6. Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten
*1976-1987 Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe; dies war Ausdruck ihres Engagements für die Verbesserung der deutsch-jüdisch-israelischen Beziehungen, für das sie mehrfach Auszeichnungen erhielt
*1979 Kandidatur - als erste Frau, aber in aussichtsloser Position - gegen den Kandidaten der CDU/CSU, Karl Carstens, für das Amt des Bundespräsidenten
*Ab 1985 Vorsitzende der Kurt-Schumacher-Gesellschaft


== Links ==
Schon am [[6. Oktober|6.]]/[[7. Oktober]] war sie bei der [[Konferenz von Wennigsen]] dabei, die die Neugründung der SPD auf Reichsebene einleitete.<ref>{{Wikipedia|NAME=Wennigser Konferenz}}, abgerufen 28.8.2023</ref>
*[http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/nachlass/nachlass_r/renger-an.htm Archiv der sozialen Demokratie]
 
Nach [[Kurt Schumacher]]s Tod am [[20. August]] [[1952]] verfolgte sie eine eigene politische Karriere. Erst [[1965]] heiratete sie erneut und zog mit ihrem Mann nach Oberwinter (heute Remagen); ihr Mann starb schon [[1973]]. Auch ihren Sohn († [[1998]]) überlebte sie.
 
Zuletzt wurde sie, schwer krank, von ihrer Enkelin und Familie in Oberwinter betreut. Nach ihrem Tod ehrte die Bundesrepublik Deutschland sie am [[13. März]] [[2023]] mit einem Trauerstaatsakt.
 
== Partei & Politik ==
[[Datei:SPD-AGSport.jpg|mini|Annemarie Renger auf einer Tagung von [[Arbeitsgemeinschaft]]en in Bonn ca. [[1981]] zwischen [[Björn Engholm]] und [[Herbert Wehner]].]]Am [[15. Oktober]] [[1945]] nahm Annemarie Renger ihre Tätigkeit als Privatsekretärin bei [[Kurt Schumacher]] auf und blieb bis zu dessen Tod seine engste Mitarbeiterin und Lebensgefährtin. Daneben leitete sie ab [[1946]] das Büro des SPD-Parteivorstandes in Hannover.
 
Die meisten Parteifunktionen, die sie übernahm, liegen nach ihrem Wechsel von Schleswig-Holstein nach Nordrhein-Westfalen: Vorher gehörte sie ab [[1962]] dem Parteivorstand an, [[1966]] übernahm sie den Vorsitz des [[ASF|Bundesfrauenausschusses der SPD]]. Aus diesen Funktionen schied sie als Bundestagspräsidentin aus.
 
=== Bundestag ===
Dem Bundestag gehörte Annemarie Renger von [[1953]] bis [[1990]] an. Sie trat zunächst im Wahlkreis 12 (Pinneberg) an, wo in der [[Bundestagswahl 1949]] als Spitzenkandidatin [[Anni Krahnstöver]] kandidiert hatte. Durch deren Wegzug war er frei. Allerdings konnte Annemarie Renger im mittlerweile veränderten politischen Klima ihren Wahlkreis nie direkt gewinnen, auch nicht, als sie [[1969]] nach Nordrhein-Westfalen wechselte. Sie kam aufgrund guter Listenplätze jeweils über die Landesliste in den Bundestag. Dort war sie vorwiegend im Innen-, Entwicklungshilfe- und Auswärtigen Ausschuss aktiv.
 
Als Abgeordnete hatte sie eine Zweitwohnung im Hochhaus [[Friedrich Ebert|Friedrich-Ebert-Straße]] 34 in Pinneberg, wo heute auch die Geschäftsstelle des [[Kreisverband Pinneberg|Kreisverbandes]] angesiedelt ist.
<blockquote>"Zwar war sie nicht oft in Pinneberg, erinnert sich der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete [[Horst Hager]], 'aber sie hatte ja auch immer viel in Bonn zu tun. Wir haben in Pinneberg oft mit zwei, drei Freunden zusammengesessen, des öfteren im [Restaurant] ''Cap Polonio''. Sie war eine großartige Frau', so Hager, 'ich habe sie immer bewundert'.<ref>Augener, Manfred: ''[https://www.abendblatt.de/region/pinneberg/article107381277/Annemarie-Renger-wohnte-mit-Blick-auf-die-Drostei.html Annemarie Renger wohnte mit Blick auf die Drostei]'', ''Hamburger Abendblatt'', 5.3.2008</ref></blockquote>
 
Von [[1969]] bis [[1972]] war sie - als erste Frau, die eine solche Position bekleidete - gemeinsam mit drei männlichen Kollegen parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Fraktion.
 
Nach der [[Bundestagswahl 1972]] wurde sie zur Präsidentin des Deutschen Bundestages gewählt - als erste Frau in einem frei gewählten Parlament weltweit und erste Sozialdemokratin im Bundestag.<ref>Grunenberg, Nina: ''[http://www.zeit.de/1972/48/vier-frauen-fuer-ein-halleluja/komplettansicht Wahl des Bundestagspräsidenten: Vier Frauen für ein Halleluja]'', DIE ZEIT, 1.12.1972</ref>. Wolfgang Schäuble erzählte [[2022]] im Bundestag eine Anekdote aus ihrer Amtszeit: Die Präsidentin habe "einem SPD-Parteifreund, der ohne Krawatte zur Sitzung erschien, mal unauffällig eine bringen lassen."<ref>Decker, Markus: ''Ehre für einen "Giganten"'', ''Kieler Nachrichten'', 16.12.2022</ref> [[Gerhard Schröder]] hatte ebenfalls Erfahrung mit dieser Seite von ihr: <blockquote>"Für sie war die korrekte Kleidung Ausdruck des Respekts vor einem Verfassungsorgan des demokratischen Deutschlands. Die Institutionen der parlamentarischen Demokratie waren zu achten. Sie strahlten für Annemarie Renger eine eigene Würde aus, die nicht verletzt werden durfte."<ref>''Gedenken an Annemarie Renger'' [[2008]] zum Staatsakt für die Verstorbene, zit. bei {{Wikipedia}} nach dem Redemanuskript, abgerufen 27.7.2023</ref></blockquote>
 
Ab [[1976]] war sie, bis zum Ende ihrer politischen Laufbahn [[1990]], jeweils Bundestagsvizepräsidentin.
 
Sie nahm an fünf Bundesversammlungen (2. bis 6.) zur Wahl des Bundespräsidenten teil. [[1979]] kandidierte sie selbst - als erste Frau, aber in aussichtsloser Position - gegen den Kandidaten der CDU/CSU, Karl Carstens, für das Amt des Bundespräsidenten.
 
=== Sonstiges ===
Zeitweise war sie Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarats und der Westeuropäischen Union ([[1959]]-[[1966]]) sowie stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen ([[1968]]-[[1971]]).
 
Von [[1976]] bis [[1987]] hatte sie den Vorsitz der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe; dies war Ausdruck ihres Engagements für die Verbesserung der deutsch-jüdisch-israelischen Beziehungen, für das sie mehrfach Auszeichnungen erhielt.
 
Weitere Aktivitäten sind im Wikipedia-Artikel aufgeführt.<ref name=":0" />
 
== Ehrungen ==
Die wichtigsten Ehrungen für Annemarie Renger sind bei Wikipedia zusammengestellt.<ref name=":0" /> Aus Schleswig-Holstein ist bisher keine Benennung einer Straße nach Annemarie Renger bekannt. Jedoch ist der größte Raum der Geschäftsstelle des [[Kreisverband Pinneberg|Kreisverbandes Pinneberg]] in der [[Friedrich Ebert|Friedrich-Ebert-Straße]] 34 nach ihr benannt.<ref>SPD-Kreisverband Pinneberg: ''[https://www.spd-kv-pinneberg.de/2022/12/13/annemarie-renger-vor-50-jahren-zur-ersten-praesidentin-des-deutschen-bundestages-gewaehlt/ Annemarie Renger vor 50 Jahren zur ersten Präsidentin des Deutschen Bundestages gewählt], Homepage, 13.12.2022</ref>
 
== Veröffentlichungen ==
*''Die Gedankenwelt Kurt Schumachers bestimmte meinen politischen Weg.'' In: [[Antje Huber|Huber, Antje]]: ''Die Sozialdemokratinnen. Verdient die Nachtigall Lob, wenn sie singt?'' (Stuttgart/Herford 1984)
*''Ein politisches Leben. Erinnerungen'' (Stuttgart 1993)
*''Den Frauen eine Bresche schlagen.'' In: Latka-Jöhring, Sigrid: ''Frauen in Bonn. Zwanzig Porträts aus der Bundesrepublik'' (Bonn 1988)
 
== Literatur & Links ==
*[[Elke Ferner|Ferner, Elke]] (Hg.): ''90 Jahre Frauenwahlrecht! Eine Dokumentation'' (Berlin 2008), Kurzbiografie S. 117</ref>
*Merseburger, Peter: ''Der schwierige Deutsche. Kurt Schumacher. Eine Biographie'' (Stuttgart 1995), ISBN 3-421-05021-X
*[[Gisela Notz|Notz, Gisela]]: ''Frauen in der Mannschaft. Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag 1948/49-1957 (Bonn 2003), S. 395-420
*[http://library.fes.de/fulltext/adsd/01412b.htm#E11E92 Nachlass im Archiv der sozialen Demokratie]
*[http://lissh.lvn.parlanet.de/cgi-bin/starfinder/0?path=samtflmore.txt&id=fastlink&pass=&search=R%3D659&format=WEBVOLLLANG Landtagsinformationssystem]
*[http://lissh.lvn.parlanet.de/cgi-bin/starfinder/0?path=samtflmore.txt&id=fastlink&pass=&search=R%3D659&format=WEBVOLLLANG Landtagsinformationssystem]
*[http://de.wikipedia.org/wiki/Annemarie_Renger Wikipedia]
*[http://de.wikipedia.org/wiki/Annemarie_Renger Wikipedia]


== Veröffentlichungen ==
== Einzelnachweise ==
*Annemarie Renger: ''Die Gedankenwelt Kurt Schumachers bestimmte meinen politischen Weg.'' In: Antje Huber: ''Die Sozialdemokratinnen. Verdient die Nachtigall Lob, wenn sie singt?'' Stuttgart/Herford 1984
<references />
*Annemarie Renger: ''Ein politisches Leben. Erinnerungen.'' Stuttgart 1993
*Annemarie Renger: ''Den Frauen eine Bresche schlagen.'' In: Sigrid Latka-Jöhring: ''Frauen in Bonn. Zwanzig Porträts aus der Bundesrepublik.'' Bonn 1988


[[Kategorie:BundestagspräsidentIn|Renger, Annemarie]]
[[Kategorie:Kreisverband Pinneberg]]
[[Kategorie:Frauen|Renger, Annemarie]]
[[Kategorie:BundestagspräsidentIn]]
[[Kategorie:MdB|Renger, Annemarie]]
[[Kategorie:Person|Renger, Annemarie]]

Aktuelle Version vom 28. August 2023, 06:34 Uhr

Annemarie Renger
Annemarie Renger
Annemarie Renger
Geboren: 7. Oktober 1919
Gestorben: 3. März 2008

Dr. h. c. Annemarie Renger (geb. Wildung, verh. Lonkarevic), * 7. Oktober 1919 in Leipzig, † 3. März 2008 in Oberwinter (heute Remagen); Verlagsbuchhändlerin. Mitglied der SPD seit 1945.

Werdegang

Annemarie Renger entstammte der kinderreichen Familie des Gewerkschafters und führenden Arbeitersport-Funktionärs Fritz Wildung, eines gelernten Tischlers, der u.a. den Berliner Arbeiterbildungsverein mitbegründete, und seiner Frau Martha Wildung. Ab 1924 lebte die Familie in Berlin, wo die Tochter bis 1933 bei den Falken, in der Kinderfreundebewegung und im Arbeitersport aktiv war. Außerdem erlebte sie dort den Umgang des Regimes mit Gegnern - zu denen ihr Vater gehörte[1] - und mit jüdischen Mitmenschen.[2]

"So wuchs die Tochter schon im Elternhaus in die Politik hinein. Als sie bei der Aufnahme ins Lyzeum gefragt wurde, was sie einmal werden wolle, war ihre Antwort: Parteisekretärin. 'Ich bin sicher', so Annemarie Renger heute, 'die Lehrer hielten dies für einen höchst lächerlichen, wenn nicht degoutanten Berufswunsch.'"[3]

1934 musste sie das Lyzeum verlassen, weil die Nazis ihren Eltern aus Gesinnungsgründen das notwendige Stipendium strichen.[1] Sie machte statt dessen eine Lehre im Verlagswesen und arbeitete bis zum Ende der NS-Herrschaft als Stenotypistin bzw. Verlagsbuchhändlerin.

Ihr erster Ehemann, den sie 1938 geheiratet und mit dem sie einen Sohn hatte, starb als Soldat im 2. Weltkrieg, ebenso wie drei ihrer Brüder.[4] Sie selbst entkam mit ihrem Sohn dem Endkampf in Berlin durch Evakuierung in die Heimat ihres Vaters, die Lüneburger Heide, wo sie als Küchenhilfe in einem Lazarett bei Visselhövede arbeitete.[5]

Die entscheidende Beziehung in ihrem Leben bildete wohl die zum späteren SPD-Bundesvorsitzenden Kurt Schumacher. Wie es dazu kam, schildert Peter Merseburger:

"Die Bekanntschaft beider, die sich schließlich zu einer unauflöslichen, symbiotischen Gemeinschaft entwickelt, beginnt im Juni 1945, als Annemarie Renger erstmals von Kurt Schumacher durch eine hannoversche Zeitung erfährt. [...] 'Diesen Mann muss ich kennenlernen!' ist ihr erster, spontaner Gedanke, als sie seine große Rede vom 6. Mai liest, die unter dem Titel 'Wir verzweifeln nicht!' die Runde macht. [...] Sie denkt bei der Lektüre: Nur einer, der zehn Jahre in den Konzentrationslagern gelitten hat und dennoch nicht alle Deutschen verdammt, vermag nach dem Ende der Diktatur mit erhobenem Haupt für das Überleben seines Volkes einzutreten.
Aus ihrer Baracke in Visselhövede schreibt sie an Schumacher, bietet ihre Mitarbeit an und erhält die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. [...] Der Mann, der sich dabei als fordernder, anspruchsvoller Chef zu erkennen gibt, [...] 'war groß und hager. Tiefe Furchen zeichneten sein Gesicht, das von blaugrauen, durchdringenden Augen beherrscht wurde.' So hatte die Fünfundzwanzigjährige ihn sich nach dem Studium seiner Rede gewiß nicht vorgestellt - er stand kurz vor seinem 50. Geburtstag, sah aber sehr viel älter aus. 'Sein leerer Ärmel steckte in der Tasche seines Jacketts, was den Eindruck einer gewissen Hilfsbedürftigkeit hervorrief. Aber das Gefühl verschwand sofort, als er mit mir sprach. Seine Persönlichkeit nahm mich unmittelbar gefangen.' So beginnt die wohl ergreifendste emanzipierte 'Beziehung' der deutschen Nachkriegspolitik. Keiner hält sie geheim, sie ist öffentlich und selbstverständlich, und bleibt doch stets von einem geheimnisvollen Schleier umweht. In der Arbeiterbewegung galt die eiserne, ungeschriebene Regel, Privates nicht zu erörtern, was die, zugegeben, dürren Worte Annemarie Rengers erklären mag, wenn sie ihr persönliches Verhältnis zu Schumacher beschreibt."[6]

Sie wurde zum 15. Oktober 1945 eingestellt - nicht, weil sie "hübsch, schlank, blond und eine Generation jünger als ihr Chef" war, sondern weil sie angesichts ihres familiären Hintergrundes "Kurt Schumacher politisch verläßlich dünkt".[7]

Schon am 6./7. Oktober war sie bei der Konferenz von Wennigsen dabei, die die Neugründung der SPD auf Reichsebene einleitete.[8]

Nach Kurt Schumachers Tod am 20. August 1952 verfolgte sie eine eigene politische Karriere. Erst 1965 heiratete sie erneut und zog mit ihrem Mann nach Oberwinter (heute Remagen); ihr Mann starb schon 1973. Auch ihren Sohn († 1998) überlebte sie.

Zuletzt wurde sie, schwer krank, von ihrer Enkelin und Familie in Oberwinter betreut. Nach ihrem Tod ehrte die Bundesrepublik Deutschland sie am 13. März 2023 mit einem Trauerstaatsakt.

Partei & Politik

Annemarie Renger auf einer Tagung von Arbeitsgemeinschaften in Bonn ca. 1981 zwischen Björn Engholm und Herbert Wehner.

Am 15. Oktober 1945 nahm Annemarie Renger ihre Tätigkeit als Privatsekretärin bei Kurt Schumacher auf und blieb bis zu dessen Tod seine engste Mitarbeiterin und Lebensgefährtin. Daneben leitete sie ab 1946 das Büro des SPD-Parteivorstandes in Hannover.

Die meisten Parteifunktionen, die sie übernahm, liegen nach ihrem Wechsel von Schleswig-Holstein nach Nordrhein-Westfalen: Vorher gehörte sie ab 1962 dem Parteivorstand an, 1966 übernahm sie den Vorsitz des Bundesfrauenausschusses der SPD. Aus diesen Funktionen schied sie als Bundestagspräsidentin aus.

Bundestag

Dem Bundestag gehörte Annemarie Renger von 1953 bis 1990 an. Sie trat zunächst im Wahlkreis 12 (Pinneberg) an, wo in der Bundestagswahl 1949 als Spitzenkandidatin Anni Krahnstöver kandidiert hatte. Durch deren Wegzug war er frei. Allerdings konnte Annemarie Renger im mittlerweile veränderten politischen Klima ihren Wahlkreis nie direkt gewinnen, auch nicht, als sie 1969 nach Nordrhein-Westfalen wechselte. Sie kam aufgrund guter Listenplätze jeweils über die Landesliste in den Bundestag. Dort war sie vorwiegend im Innen-, Entwicklungshilfe- und Auswärtigen Ausschuss aktiv.

Als Abgeordnete hatte sie eine Zweitwohnung im Hochhaus Friedrich-Ebert-Straße 34 in Pinneberg, wo heute auch die Geschäftsstelle des Kreisverbandes angesiedelt ist.

"Zwar war sie nicht oft in Pinneberg, erinnert sich der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Horst Hager, 'aber sie hatte ja auch immer viel in Bonn zu tun. Wir haben in Pinneberg oft mit zwei, drei Freunden zusammengesessen, des öfteren im [Restaurant] Cap Polonio. Sie war eine großartige Frau', so Hager, 'ich habe sie immer bewundert'.[9]

Von 1969 bis 1972 war sie - als erste Frau, die eine solche Position bekleidete - gemeinsam mit drei männlichen Kollegen parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Fraktion.

Nach der Bundestagswahl 1972 wurde sie zur Präsidentin des Deutschen Bundestages gewählt - als erste Frau in einem frei gewählten Parlament weltweit und erste Sozialdemokratin im Bundestag.[10]. Wolfgang Schäuble erzählte 2022 im Bundestag eine Anekdote aus ihrer Amtszeit: Die Präsidentin habe "einem SPD-Parteifreund, der ohne Krawatte zur Sitzung erschien, mal unauffällig eine bringen lassen."[11] Gerhard Schröder hatte ebenfalls Erfahrung mit dieser Seite von ihr:

"Für sie war die korrekte Kleidung Ausdruck des Respekts vor einem Verfassungsorgan des demokratischen Deutschlands. Die Institutionen der parlamentarischen Demokratie waren zu achten. Sie strahlten für Annemarie Renger eine eigene Würde aus, die nicht verletzt werden durfte."[12]

Ab 1976 war sie, bis zum Ende ihrer politischen Laufbahn 1990, jeweils Bundestagsvizepräsidentin.

Sie nahm an fünf Bundesversammlungen (2. bis 6.) zur Wahl des Bundespräsidenten teil. 1979 kandidierte sie selbst - als erste Frau, aber in aussichtsloser Position - gegen den Kandidaten der CDU/CSU, Karl Carstens, für das Amt des Bundespräsidenten.

Sonstiges

Zeitweise war sie Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarats und der Westeuropäischen Union (1959-1966) sowie stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (1968-1971).

Von 1976 bis 1987 hatte sie den Vorsitz der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe; dies war Ausdruck ihres Engagements für die Verbesserung der deutsch-jüdisch-israelischen Beziehungen, für das sie mehrfach Auszeichnungen erhielt.

Weitere Aktivitäten sind im Wikipedia-Artikel aufgeführt.[1]

Ehrungen

Die wichtigsten Ehrungen für Annemarie Renger sind bei Wikipedia zusammengestellt.[1] Aus Schleswig-Holstein ist bisher keine Benennung einer Straße nach Annemarie Renger bekannt. Jedoch ist der größte Raum der Geschäftsstelle des Kreisverbandes Pinneberg in der Friedrich-Ebert-Straße 34 nach ihr benannt.[13]

Veröffentlichungen

  • Die Gedankenwelt Kurt Schumachers bestimmte meinen politischen Weg. In: Huber, Antje: Die Sozialdemokratinnen. Verdient die Nachtigall Lob, wenn sie singt? (Stuttgart/Herford 1984)
  • Ein politisches Leben. Erinnerungen (Stuttgart 1993)
  • Den Frauen eine Bresche schlagen. In: Latka-Jöhring, Sigrid: Frauen in Bonn. Zwanzig Porträts aus der Bundesrepublik (Bonn 1988)

Literatur & Links

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Wikipedia: Annemarie Renger, abgerufen 27.7.2023
  2. Ferner, Elke (Hg.): 90 Jahre Frauenwahlrecht! Eine Dokumentation (Berlin 2008), S. 117
  3. Merseburger: Der schwierige Deutsche, S. 333
  4. Ferner, Elke (Hg.): 90 Jahre Frauenwahlrecht! Eine Dokumentation (Berlin 2008), S. 117
  5. Merseburger: Der schwierige Deutsche, S. 332
  6. Merseburger: Der schwierige Deutsche, S. 332 f.
  7. Merseburger: Der schwierige Deutsche, S. 333
  8. Wikipedia: Wennigser Konferenz, abgerufen 28.8.2023
  9. Augener, Manfred: Annemarie Renger wohnte mit Blick auf die Drostei, Hamburger Abendblatt, 5.3.2008
  10. Grunenberg, Nina: Wahl des Bundestagspräsidenten: Vier Frauen für ein Halleluja, DIE ZEIT, 1.12.1972
  11. Decker, Markus: Ehre für einen "Giganten", Kieler Nachrichten, 16.12.2022
  12. Gedenken an Annemarie Renger 2008 zum Staatsakt für die Verstorbene, zit. bei Wikipedia: Annemarie Renger nach dem Redemanuskript, abgerufen 27.7.2023
  13. SPD-Kreisverband Pinneberg: Annemarie Renger vor 50 Jahren zur ersten Präsidentin des Deutschen Bundestages gewählt, Homepage, 13.12.2022