Arbeitersport: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Arbeitersport''' ist die Sammelbezeichnung für die sportlichen Aktivitäten der Arbeiterbewegung. Der Arbeitersport war das Gegenstück zu den bürgerlichen Sportvereinen, die sich an "Turnvater" Jahn und seinem nationalistischen Gedankengut orientierten. Diese nahmen Sportler aus dem Arbeiterstand nur ungern auf; deshalb gründeten die Arbeitersportler ihre eigenen Vereine.
'''Arbeitersport''' ist die Sammelbezeichnung für die sportlichen Aktivitäten der Arbeiterbewegung seit dem späten 19. Jahrhundert.  


: "Viele der bürgerlichen Strukturen, besonders im Sport, wurden übernommen. Bis 1899 verwandten die Arbeiterturner den Turnergruß der Deutschen Turnerschaft „Gut Heil“. Danach entwickelte sich der Gruß „Frei Heil“. Auch das Emblem der Turnerschaft, die '4 F' für 'Frisch, fromm, fröhlich, frei', behielt der Arbeiter-Turnerbund bis 1907 bei. Dann änderten die Verantwortlichen das Abzeichen in 'Frisch, Frei, Stark, Treu' um".<ref name="Heed">Heed, Levke: ''[http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_13/Demokratische_Geschichte_Band_13_Essay_7.pdf Arbeitersport in Kiel]''. In: ''Demokratische Geschichte'' 13(2000), S. 147-198. Für ein Beispiel vgl. Foto rechts.</ref>
Voraussetzung für die Entwicklung des Arbeitersports war die rigide preußische Klassengesellschaft des Deutschen Kaiserreiches, die der Arbeiterschaft Gleichberechtigung in allen Bereichen verwehrte.<ref>Heed, Levke: ''Arbeitersport'', S. 148</ref> Diese Spaltung gibt es nicht mehr, aber sie wirkt bis heute nach: Zahlreiche aktive Sportvereine haben ihre Wurzeln im Arbeitersport; dieses Erbe wird von Verein zu Verein allerdings in sehr unterschiedlichem Maße gepflegt.


Der Arbeitersport hatte lange unter staatlicher Repression zu leiden, weil die staatlichen Organe in ihnen - besonders zur Zeit der [[Sozialistengesetz]]e, aber auch noch danach - Tarnorganisationen für politische Betätigung sahen. Die Arbeitervereine durften die öffentlichen Turnhallen und Sportanlagen nicht benutzen und mit dem Reichsvereinsgesetz von [[1908]] durften keine Jugendlichen unter 18 Jahren mehr teilnehmen.
Die Arbeitersportler hatten außerdem jedoch eine andere Zielsetzung: ''Nicht Wahnsinnsrekord, sondern Massensport'', an diese Parole erinnert sich die ehemalige Arbeitersportlerin [[Rosa Wallbaum]].<ref>Vgl. [[Susanne Kalweit]] (Hrsg.): ''"Ich hab' mich niemals arm gefühlt!" Die Kielerin Rosa Wallbaum berichtet aus ihrem Leben'' (Berlin/Hamburg 2010) ISBN 978-3-86850-644-0</ref> Im Einklang mit der sozialistischen Idee sollten nicht Konkurrenz und herausragende Leistungen einzelner im Vordergrund stehen, sondern das gemeinsame Erlebnis und die körperliche Ertüchtigung möglichst aller.


: "Das preußische Innenministerium formulierte bereits [[1895]] einen Erlaß, in dem Jugendlichen das Turnen und Sporttreiben in Arbeitersportvereinen verboten wurde. Da dieses Verbot nicht den gewünschten Erfolg hatte, wurde [[1908]] mit dem Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes eine neue Hürde aufgebaut. Jetzt bezog sich das Verbot auf alle Arten politischer - insbesondere sozialdemokratischer - Organisationen. Diesen war von nun an verboten, Mitglieder unter 18 Jahren anzuwerben so wie sie an Veranstaltungen u.a. teilnehmen zulassen. Dieses Verbot bezog sich 'nur' auf politische Vereinigungen, doch mit Hilfe eines Kunstgriffes traf man auch alle Arbeitervereine, die sich den unterschiedlichsten Zielen widmeten. Die Behörden erklärten diese Vereine einfach zu politischen Organisationen, verboten die Jugendarbeit und glaubten so, die Vereine von ihrer Jugend abschneiden zu können"<ref name="Döhring">Döhring, Rolf: [http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay13.pdf ''Die Anfänge der Freien Turnerschaft Neumünster''], in: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 173-179</ref>
==Entwicklung==
===Anfänge===
Die vorwiegend von Handwerkern und Gewerbetreibenden<ref>Krüger, Michael: ''150 Jahre SPD''</ref> bestimmte Volksbewegung des Turnens mit ihrer Leitfigur "Turnvater" Jahn hatte ihre Wurzeln in der bürgerlichen Revolution von [[1848]]. Sie entwickelte ein zunehmend nationalistisches Gedankengut und nahm spätestens seit dem [[Sozialistengesetz]] Sportler aus dem Arbeiterstand nur noch ungern auf. Das Denken dahinter veranschaulicht der  Amateurparagraf des Deutschen Ruderverbandes (DRV) von [[1883]], übernommen vom Hamburger Ruderverband, wo er schon seit [[1864]] galt:
<blockquote>
"Amateur ist jeder, der das Rudern nur aus Liebhaberei mit eigenen Mitteln betreibt oder betrieben hat und dabei keinerlei Vermögensvorteile in Aussicht hat oder hatte, ''weder als Arbeiter durch seiner Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt verdient'', noch in irgendeiner Weise beim Bootsbau beschäftigt ist."<ref>Zit. bei Horst Ueberhorst: ''Hundert Jahre Deutscher Ruderverband'' (Minden 1983) ISBN 3-7907-3100-5, S. 31; Hervorhebung von uns.</ref></blockquote>


== Vom Arbeiter- und Turnerbund ATB zum Arbeiter- Turn- und Sportbund ATSB ==
Die Arbeitersportler schufen sich ihre eigenen Vereine, wobei einzelne Formen - etwa der Turnergruß oder das Emblem - erst mit der Zeit abgewandelt wurden.<ref>Heed, Levke: ''Arbeitersport'', S. 148</ref> Partei und Gewerkschaften reagierten zunächst skeptisch; sie befürchteten eine Schwächung der politischen Kampfkraft durch Freizeitinteressen ihrer Mitglieder.<ref>Heed, Levke: ''Arbeitersport'', S. 148</ref> Dies begann sich erst mit dem Erstarken der SPD vor dem 1. Weltkrieg zu ändern. Die Blütezeit der Arbeitersportvereine als vollwertiger Bestandteil der Arbeiterbewegung stellte erst die Weimarer Republik dar.
Trotz dieser Widrigkeiten wurde im Mai [[1893]] der bald Reichsweit tätige Arbeiter-Turnerbund, ATB, in Gera gegründet. Schleswig-Holstein war von Anfang an dabei und bildete gemeinsam mit Hamburg einen der ersten fünf Kreise des Arbeiter-Turnerbunds. In mehr und mehr Städten gründeten sich Freie Turnerschaften.[[1919]] wurde der ATB umbenannt in Arbeiter- Turn- und Sportbund, ATSB. 190.000 Mitglieder zählten [[1919]] die Arbeitersportvereine. Diese Zahl stieg in den nächsten Jahren steil an und erreichte [[1922]] mit etwa 1,1 Millionen seinen Höchsstand, die mit leichtem Rückgang bis Ender der [[1920]] iger Jahre gehalten werden konnte. In Leipzig konnte der ATSB [[1926]] eine beeindruckende Bundesschule mit Geschäftsstelle und Druckerei einweihen. [[1922]] und [[1929]] veranstaltete der ATSB in Leipzig und Nürnberg große Bundesfeste.<ref>Krüger, Michael, 150 Jahre SPD - 150 Jahre Arbeiterturn- und Sportbewegung, Bundeszentrale für politische Bildung, 16.12.2013</ref>


== Von der Luzerner Sportinternationale LSI zur Sozialistischen Arbeitersport- Internationale SASI ==
Der Arbeitersport erfuhr auch deswegen während des gesamten Kaiserreiches strukturelle Repression, weil die staatlichen Organe die Vereine - nicht ganz grundlos - als Tarnorganisationen für politische Betätigung betrachteten. Diese Repression endete nicht mit dem [[Sozialistengesetz]], sondern setzte sich danach kaum abgeschwächt fort. Die Vereine durften keine öffentlichen Turnhallen und Sportanlagen benutzen, und spätestens mit dem Reichsvereinsgesetz von [[1908]] war ihnen verboten, Angebote für Jugendliche unter 18 Jahren zu machen. Der ''Heider Anzeiger'' schrieb am [[26. September]] [[1907]]:
Arbeiterturnvereine waren nicht auf Deutschland beschränkt. Auch in anderen europäischen Ländern organisierten sich Arbeiter und Arbeiterinnen in eigenen Vereinen. Bereits [[1913]] kam es in Gent mit der Gründung der Zentrale der internationalen Arbeiterschaft für Turnen und Sportbewegung zu einer länderübergreifenden Zusammenarbeit. Der Kongreß wurde von der Sozialistischen Internationale veranstaltet. Die Arbeit kam während des 1. Weltkriegs zum erliegen. Aber bereits [[1919]] fand in Seraing (Belgien) ein 2. Kongreß zur Rekonstruktion der internationalen Arbeitersportbewegung statt. Ein Jahr später wurde dann in Luzern die "Luzerner Sportinternationale gegründet. Daraus wurde [[1925]] bei einem 3. Kongreß in Paris der "Internationale sozialistischer Verband für Sport und Körperpflege" und [[1928]] bei einer Verbandssitzung in Leipzig 1928 die "Sozialistische Arbeitersport Internationale" SASI.
Höhepunkte der Aktivitäten der Arbeitersport-Internationale waren die Arbeiter Olympiaden [[1925]] in Frankfurt am Main, [[1931]] in Wien und [[1937]] in Antwerpen.<ref>Teichler, Hans Joachim, Hauk, Gerhard, Illustrierte Geschichte des Arbeitersports, J.H.W. Dietz Nachf. GmbH Berlin Bonn, 1987, ISBN 3-8012-0127-9</ref>
           


<blockquote>"Erlaß des preußischen Kultusministers gegen sozialdemokratischen Turnunterricht. Erlaubnisscheine sollen nur erhalten [Personen,] die ihre sittliche Tüchtigkeit für den Unterricht und die Erziehung genügend ausweisen können und nicht die jugendlichen Köpfe mit sozialdemokratischen Ideen erfüllen."<ref>Heider Anzeiger: ''Erlaß des preußischen Kultusministers gegen sozialdemokratischen Turnunterricht'', Nr. 225, 29.9.1907</ref></blockquote>


"Um die Jahrhundertwende wurde auf Bundesebene immer wieder eine mögliche Zentralisation von mehreren Arbeiterturnvereinen an bzw. in einem Ort diskutiert. Die Gewerkschaften spielten in dieser Diskussion eine entscheidende Rolle. Hier löste eine gemeinschaftliche Interessenvertretung die vielen kleinen selbständigen Einzelverbände ab, um eine größere politische Wirkungskraft zu bekommen. Diese Entwicklung diente den Arbeiterturnern als Vorbild für die Gründung von Arbeitersportkartellen. Mit der Wahl des Begriffs 'Kartell' für die neue Organisationsstruktur betonten die Arbeitersportler die kollektiven und solidarischen Elemente in ihrer Bewegung."<ref name="Heed">Heed, Levke: ''[http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_13/Demokratische_Geschichte_Band_13_Essay_7.pdf Arbeitersport in Kiel]''. In: ''Demokratische Geschichte'' 13(2000), S. 147-198</ref>  
Ulf Döhring erläutert:
<blockquote>"Das preußische Innenministerium formulierte bereits [[1895]] einen Erlaß, in dem Jugendlichen das Turnen und Sporttreiben in Arbeitersportvereinen verboten wurde. Da dieses Verbot nicht den gewünschten Erfolg hatte, wurde [[1908]] mit dem Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes eine neue Hürde aufgebaut. Jetzt bezog sich das Verbot auf alle Arten politischer - insbesondere sozialdemokratischer - Organisationen. Diesen war von nun an verboten, Mitglieder unter 18 Jahren anzuwerben sowie sie an Veranstaltungen u.a. teilnehmen zu lassen. Dieses Verbot bezog sich 'nur' auf politische Vereinigungen, doch mit Hilfe eines Kunstgriffes traf man auch alle Arbeitervereine, die sich den unterschiedlichsten Zielen widmeten. Die Behörden erklärten diese Vereine einfach zu politischen Organisationen, verboten die Jugendarbeit und glaubten so, die Vereine von ihrer Jugend abschneiden zu können."<ref>Döhring: ''Anfänge'', S. 177</ref></blockquote>


Im Jahr [[1928]] veranstalteten das schleswig-holsteinische Kartell der Arbeiter-Turnvereine ein [[Provinzial-Arbeiter-Sportfest Schleswig–Holstein|Arbeiter-Sportfest]] in Büdelsdorf.
===Vom ATB zum ATSB===
Trotz dieser Unterdrückung wurde im Mai [[1893]] der bald reichsweit tätige Arbeiter-Turnerbund (ATB) in Gera gegründet. Schleswig-Holstein war von Anfang an dabei und bildete gemeinsam mit Hamburg einen der ersten fünf Kreise des ATB.<ref>Heed: ''Arbeitersport'', S. 150</ref> In mehr und mehr Orten der Provinz gründeten sich Freie Turnerschaften. Sie strebten bald einen Zusammenschluss an, der viele Erleichterungen versprach. Dabei orientierten sie sich an den Gewerkschaften, die aus dem Zusammenschluss kleiner Organisationseinheiten ihre Stärke bezogen:


==Kiel==
<blockquote>"[Dies] diente den Arbeiterturnern als Vorbild für die Gründung von Arbeitersportkartellen. Mit der Wahl des Begriffs 'Kartell' für die neue Organisationsstruktur betonten die Arbeitersportler die kollektiven und solidarischen Elemente in ihrer Bewegung."<ref>Heed: ''Arbeitersport'', S. 151</ref></blockquote>
[[Datei:Eduard Adler.jpg|thumb|right|180px|Eduard Adler]]
In Kiel begann die Geschichte des Arbeiterturnens im Juni [[1893]]: Mitglieder des Vergnügungsvereins "Arbeiterbund" begannen mit dem Turnen und gründeten dafür eine Abteilung. Aus der Abteilung wurde ein erster eigener Verein gegründet: Am [[17. September]] [[1894]] gründeten die Arbeiterbund-Mitglieder den Arbeiter-Turnverein "Vorwärts" und schlossen sich dem Arbeiter-Turnerbund an. [[1899]] musste man nach Problemen mit der Obrigkeit den Vereinsnamen in "Kieler Turnverein Jahn von 1893" umbenennen. Im Kieler Stadtgebiet entstanden schnell weitere Turnvereine. Besonders in Stadtteilen mit großem Arbeiteranteil wurden Vereine gegründet, so zum Beispiel [[1890]] der Turnverein "Vorwärts" in Alt-Heikendorf, Anfang Oktober [[1893]] ein Verein in Neumühlen-Diedrichsdorf, [[1899]] die Wiker Turnerschaft und [[1901]] der Gaardener Turnverein.<ref name="Heed">Heed, Levke: ''[http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_13/Demokratische_Geschichte_Band_13_Essay_7.pdf Arbeitersport in Kiel]''. In: ''Demokratische Geschichte'' 13(2000), S. 147-198</ref>
=== Freie Turnerschaft an der Kieler Förde ===
Der Trend zum Kartell kam auch nach Kiel: [[Eduard Adler]] organisierte [[1901]] den Zusammenschluß in der Fördestadt. Die Arbeiterturnvereine
* Gaardener Turnverein "Jahn" von [[1901]] in Gaarden,
* Turnverein "Vorwärts" in Alt-Heikendorf,
* Kieler Turnverein "Jahn" von [[1893]] in Kiel,
* Neumühlener Arbeiterturnverein in Neumühlen und
* Wiker Turnerschaft von [[1899]] in der Wik
erklärten sich bereit, sich am [[31. Dezember]] [[1901]] aufzulösen. Ihre Mitglieder traten der zum [[1. Januar]] [[1902]] gegründeten "Freien Turnerschaft an der Kieler Förde" bei. Mit 540 Männermitgliedern, 50 Zöglingen und 200 Schülern nahm die "Freie Turnerschaft an der Kieler Förde" ihre Tätigkeit auf. [[Paul Greß]] wurde der erste Vorsitzende, die turnerische Oberleitung lag beim Turngenossen [[Eduard Adler]]. Die Freie Turnerschaft gliederte sich in Männer- Frauen- Zöglings- und Schülerabteilungen. Die erste Fauenabteilung wurde am 6. November [[1902]] gegründet. Die Mitgliederzahl stieg bis zum Beginn des ersten Weltkriegs [[1914]] stetig an: 790 Mitgliedern bei der Gründung, [[1905]] waren es bereits 1.700, [[1910]] 2.075 und [[1914 ]] 2.372. Im Mittelpunkt der Vereinsarbeit standen zunächst turnerische Veranstaltungen. Dabei ging es nicht um individuelle, sondern um kollektive Leistungsvergleiche. In einem Beschluss der Freien Turnerschaft aus dem Jahre [[1905]] heißt es dazu u.a.:" Jedes Turnen um Preise oder materielle Vorteile ist verwerflich. Jedes Turnen, bei dem die Leistungen einzelner Turner für sich verglichen werden, ist verwerflich. Jedes Turnen, mit oder ohne Gerät, sowie jedes Spiel, bei dem die kollektive Arbeit von Gruppen durch Vergleichung mit anderen oder Wertungen von Gruppenleistungen festgestellt wird, wie z.B. bei Musterriegen und Wettspielen, ist nicht allein zulässig, sondern zu fördern." Im laufe der Zeit kamen Spiele auf dem "grünen Rasen" hinzu: Schlagball, Handball, Faustball, Trommelball und seit [[1912]] Fußball. Die Freie Turnerschaft hatte seit Gründung permanent mit Schikanen durch die städtischen Ämter, die Polizei und der Justiz zu kämpfen. So wurde zeitweise die Benutzung der städtischen Turnhallen untersagt und den Turnwarten wurde die Übungslizenz entzogen. Ständig war der Vorwurf "sozialdemokratischer Umtriebe" im Raum, was ja auch nicht ganz falsch war. Das änderte sich erst mit Kriegsbeginn [[1914]], als der Kaiser keine Parteien, sondern nur noch Deutsche kannte. Der Vereinsbetrieb wurde in den Kriegsjahren so gut es ging aufrecht erhalten. Viele Turngenossen starben im Krieg. Die Zahl der Vereinsmitglieder ging aber nur leicht auf 1937 im Jahre [[1916]] zurück. Nach Kriegsende und der Revolution im November [[1918]], die zur Ablösung der Monarchie und Einführung der parlamentarischen Demokratie führte, begann die Aufbauarbeit. Trotz aller politischen, insbesondere aber wirschaftlichen Probleme in der neuen Republik, wuchs die Freie Turnerschaft. Der Höhepunkt wurde [[1923]] mit 4.720 Mitgliedern erreicht. Es kam auch etwas neues hinzu: <ref>Erinnerungsschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde 1902-1926</ref>
=== Wassersport ===
Mitglieder der "Freien Turnerschaft an der Kieler Förde" gründeten am [[2. Mail]] [[1919]] eine Wassersportabteilung, einen Segel- und Ruderverein für Arbeiter. Die Boote kamen, teilweise leihweise, von der Marine. Sie hießen "Lust" und "Liebe", "Frei", "Stark", "Treu" und "[[Friedrich Ebert]]". Die Abteilung hatte prominente Gäste zu Besuch: so Reichstagspräsident [[Paul Löbe]], SPD,  und Reichsjustizminister [[Gustav Radbruch]], SPD. Am [[12. Mai]] [[1929]] weihte der Verein sein erstes Klubhauses an der Wiker Bucht, heute Kiellinie, ein. Im oberen Geschoß war die Jugendherberge untergebracht. [[1930]] wurde von den Arbeiter-Wassersportlern eine Anlegebrücke für ihre Boote gebaut. "Der altbekannte und verdiente Sportler [[Gustav Garbe]] hielt die Weihrede und gab der Brücke den Namen Gustav-Garbe-Brücke", so [[Peter Ebert]], der Abteilungs-Fahrwart in einem Bericht aus dem Juli [[1930]]. Die Ratsversammlung der Landeshauptstadt Kiel hat [[2015]] mit großer Mehrheit beschlossen, die neue Brücke des Sportboothafens Wik wieder den Namen Gustav-Garbe-Brücke zu geben. Die Wassersportabteilung der Freien Turnerschaft teilte sich. [[1930]] trennte sich eine Gruppe Segler von der Wassersportabteilung der Freien Turnerschaft und gründete den Verein "Freie Segler Kiel", FSK.<ref>75 Jahre Segler-Vereinigung Kiel e.V., Jubiläumsband 1994</ref> 
=== Mit klingendem Spiel ===
Mit der Geschichte der Freien Turnerschaft verknüpt sind die Trommler- und Pfeiferchöre. Bereits vor [[1914]] gab es bei der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde kleinere Spielkorps. Nach dem 1. Weltkrieg fanden sich wieder Turngenossen zusammen, die diese Tradition fortsetzten. Am 21. Juli [[1919]] wurde die "Musikabteilung der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde" gegründet, die sich reger Beteiligung erfreute. <ref>Erinnerungsschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde 1902-1926</ref>
=== Radsport ===
[[1896]] gründete sich als Ortsgruppe des ebenfalls  [[1896]] gegründeten "Arbeiterrad- und Kraftfahrerbundes Solidarität" der Verein "Frischauf" in Kiel. Gründungsmitglieder waren, soweit heute noch bekannt, [[Theo Sakmirda]], [[Theo Röstel]] und [[Hermann Langfeld]]. Unter dem Dachverband Arbeiterrad- und Kraftfahrerbund Solidarität sammelten sich zeitweise etwa 5.000 Ortsgruppen mit bis zu 350.000 Mitgliedern in ganz Deutschland. Dem Verband gehörte in Offenbach die Fahrradfabrik "Frischauf".<ref>Krüger, Michael, 150 Jahre SPD - 150 Jahre Arbeiterturn- und Sportbewegung, Bundeszentrale für politische Bildung, 16.12.2013</ref>. Man pflegte das Radwandern, Kunstfahren in den Sälen der Gaststätten auch Straßenrennen und sogar Rasenradball. Nach dem 1. Weltkrieg nahm der Radsport einen großen Aufschwung. Fast 900 Radsportler gab es zeitweise in Kiel. Es bildeten sich in den Stadtteilen mehrere Abteilungen, so in Dietrichsdorf, Gaarden und Winterbek.
=== Das Ende 1933 ===
Die Machtübernahme der Nazis [[1933]] läutete das Ende auch der Arbeitersportbewegung ein. Die "Freie Turnerschaft an der Kieler Förde" wurde, wie auch alle anderen Arbeiterorganisationen der Stadt, aufgelöst. Die Heime und das Vermögen wurde beschlagnahmt. Die Wassersportabteilung konnte unter neuer Führung als "Kieler Wassersportvereinigung" und die Freien Segler Kiel als "Kieler Fahrtensegler" weiterbestehen.<ref>Demokratische Geschichte, Jahrbuch für Schleswig-Holstein Band 13, S. 175</ref> Wie alle Arbeitersportvereine wurde der Radsportverein "Frischauf"  [[1933]] aufgelöst. Als Radfahrer-Verein von [[1934]] unter neuer Leitung durfte er dann weitermachen. Theo Sakmirda, der Sohn des Mitgründers des Radsportvereins "Frischauf" erinnert sich:" Nach dem Verbot der Arbeitersportvereine durch die Nazi-Diktatur blieben viele Mitglieder miteinander verbunden. In Wrohe, am Westensee, wurde während der Schulferien ein Zeltlager aufgebaut. Die Zelte und weiteres Zubehör wie z.B. Brennhexen zum Essenkochen wurden mit einem Lkw transportiert. Alle anderen kamen mit dem Fahrrad. Mein Vater hatte auf der Stange des Herrenrades zwei Sättel montiert für mich und meine zwei Jahre jüngere Schwester. Die Männer waren ja meist beruftätig und kamen nur zum Wochende. An drei Namen kann ich mich erinnern: [[Eichberger]], [[Husemann]] und [[Wilrodt]]. Der Begrüßungsruf, wenn man auf dem Zeltplatz ankam war "ratatata". Damit konnte man sich identifizieren. Meine Eltern haben nach Beginn des Krieges [[1939]] nicht mehr gezeltet, aus Sorge, die Engländer könnten die Zelte als Militärlager ansehen."<ref>Sakmirda, Theo, Stichworte aus meiner Erinnerung 1933, 20.01.2016</ref>


=== Neubeginn 1945 ===
[[1919]] wurde der ATB umbenannt in Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB), um auch neu aufgenommenen Sportarten Ausdruck zu geben. [[1919]] zählten die Arbeitersportvereine 190.000 Mitglieder. Diese Zahl stieg in den nächsten Jahren steil an und erreichte [[1922]] mit etwa 1,1 Millionen seinen Höchststand, der bis Ende der 1920er Jahre kaum zurückging. In Leipzig konnte der ATSB [[1926]] eine eigene Bundesschule mit Geschäftsstelle und Druckerei einweihen. Er richtete zwei große Bundesfeste aus, vom [[22. Juli|22.]] bis [[25. Juli]] [[1922]] in Leipzig und vom [[18. Juli|18.]] bis [[21. Juli]] [[1929]] in Nürnberg.<ref>Krüger: ''150 Jahre SPD''</ref> An beiden Bundesfesten nahmen Mitglieder aus Schleswig-Holstein teil, etwa [[Theodor Sakmirda II|Theodor Sakmirda]] aus [[Arbeitersport in Kiel|Kiel]] oder eine Abordnung aus [[Arbeitersport in Elmshorn|Elmshorn]]. Für Nürnberg schuf [[Richard Grune]] ein Bild (Plakat?), vermutlich als Auftragsarbeit.
Nach Kriegsende [[1945]] kam es nicht mehr zur Wiedergründung der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde. Es wurden aber mehrere Arbeitersportvereine wieder bzw. neu gegründet. Eine eigenständige Organisation der Arbeitersportverbände entstand nach [[1945]] nicht mehr. Die Vereine wurden Teil der bürgerlichen Sportbewegung. Der ehemalige Vorsitzende der Freien Turnerschaft Adler, [[Kurt Luckau]], schrieb dazu 1953: "Die Ideale unserer alten Arbeiterturner haben wir mitgenommen in den Deutschen Turnerbund. Wir sind auch nicht bereit, von diesen erprobten und anerkannten Erfahrungen unserer alten Turnerei abzulassen. In sehr vielen Zusammenkünften und Sitzungen haben die ehemaligen ATUS-Vereine (Arbeiter- Turn- und Sport- Vereine) Diskussionen und Verhandlungen geführt. Bis auf den heutigen Tag gibt es noch sehr viele Punkte im Gesamtturnerleben, sowie darüber hinaus im Sportleben, die sich in keiner Weise mit unseren alten Sportidealen vereinbaren lassen. Aber aus der Entwicklung der ersten Jahre nach [[1945]] ergab sich nur diese Möglichkeit. Ehrlich wollen wir bekennen, dass wir uns auch unter den gegebenen Verhältnissen zur Mit- und Zusammenarbeit erklärt haben. Im Kreis Kiel und darüber hinaus ist es zu einer guten Zusammenarbeit gekommen." <ref>Freie Turnerschaft Adler v. 1893, Festschrift zum 75jährigen Bestehen</ref>  


=== Freie Turn- und Sportvereinigung "Holsatia" v. 1893 e.V. ===
===Spaltung und Ende===
[[1948]] wurde die Freie Turn- und Sportvereinigung "Holsatia" wiedergegründet. Der Verein schloss sich [[1971]] mit dem Neumühlen-Dietrichsdorfer Turnverein zur Neumühlen-Diedrichsdorfer Turn- und Sportvereinigung Holsatia v. 1887 e.V -NDTSV- zusammen.
Mit dem Erstarken radikaler Parteien auf der Linken und Rechten in der Endphase der Weimarer Republik bemühte sich die KPD zunehmend um Einfluss auf die Arbeitersportvereine. Dagegen leisteten die SPD-nahen Vorstände Widerstand. Bereits [[1929]] hatten reichsweit 32.000 Mitglieder die bestehenden Vereine verlassen und zum Teil eigene gegründet. So setzte sich die Spaltung der Arbeiterbewegung im Arbeitersport fort.<ref>Heed: ''Arbeitersport'', S. 174 f.</ref>
* Homepage [http://www.ndtsv-holsatia.com/ NDTSV Holsatia]


=== Freie Turnerschaft Ellerbek v. 1905 e.V. ===
Dies bewahrte den ATSB jedoch nicht davor, noch vor der NS-Herrschaft sein Ende zu finden:
[[1946]] wurde die Freie Turnerschaft Ellerbek wiedergegründet. In den 1970iger Jahren Übertritt in die Ellerbeker Turnvereinigung von 1868 e.V.
<blockquote>"Im Herbst [[1930]] erklärte die Reichsregierung [unter Reichskanzler Brüning] die ZK [Zentralkommission] und alle in ihr organisierten Verbände zu politischen Organisationen. Trotz Ausschluß der Kommunisten und dem öffentlichen politischen Bekenntnis zur Republik wurde dem ATSB die offizielle Legitimation, als Sportverband tätig zu sein, entzogen."<ref>Heed: ''Arbeitersport'', S. 174 f.</ref>
* Homepage [http://www.etv-kiel.de/ ETV Kiel]
</blockquote>
Die Arbeit vor Ort lief währenddessen (noch) weiter.


=== Freie Turnerschaft von Friedrichsort und Umgebung v. 1903 e.V. ===
==International: LSI und SASI==
[[1945]] wurde die Freie Turnerschaft von Friedrichsort und Umgebung wiedergegründet. Sie schloß sich mit dem Sport-Club Friedrichsort v. 1890 und dem Sportverein von 1908 zunächst zum Reichsbund für Leibesübungen und ab 1950 zum Sportverein Friedrichsort zusammen.
[[Datei:Benedix Arbeiterolympiade.jpg|thumb|right|280px|Georg Benedix bei der Eröffnung der I. Internationalen Arbeiterolympiade]]
* Homepage [http://www.sv-friedrichsort.de/ SV Friedrichsort]
Die Arbeitersportbewegung war nicht auf Deutschland beschränkt. Bereits [[1913]] kam es in Gent mit der Gründung der "Zentrale der internationalen Arbeiterschaft für Turnen und Sportbewegung" zu einer länderübergreifenden Zusammenarbeit. Der erste Kongress wurde von der Sozialistischen Internationale veranstaltet; die Arbeit kam jedoch während des 1. Weltkriegs zum Erliegen. Aber bereits [[1919]] fand in Seraing (Belgien) ein zweiter Kongreß zum Wiederaufbau der internationalen Arbeitersportbewegung statt. Ein Jahr später wurde in Luzern die "Luzerner Sportinternationale" (LSI) gegründet. Diese wurde [[1925]] von einem dritten Kongress in Paris in "Internationaler sozialistischer Verband für Sport und Körperpflege" umbenannt und erhielt schließlich [[1928]] im Rahmen einer Verbandssitzung in Leipzig den Namen "Sozialistische Arbeitersport-Internationale" (SASI).  


Heute, im Jahre 2016,  führen noch drei Kieler Vereine das "FT" im Vereinsnamen:
Höhepunkte der Aktivitäten der Arbeitersport-Internationale waren die Arbeiter-Olympiaden [[1925]] in Frankfurt am Main, [[1931]] in Wien und [[1937]] in Antwerpen.<ref>Teichler / Hauk: ''Geschichte'', S. ?</ref> Auch in Frankfurt nahm unter anderen [[Theodor Sakmirda II|Theodor Sakmirda]] von der [[Arbeitersport in Kiel|Freien Turnerschaft an der Kieler Förde]] teil.
 
=== FT Adler von 1893 e.V. ===
[[1946]] wurde die Freie Turnerschaft Adler v. 1893 wiedergegründet.
[[Datei:Fotos 29269.jpg|thumb|left|280px|Feier zum 75-Jährigen Bestehen, 1968]]
Auf der Jahreshauptversammlung am 15.01.[[1949]] wurde beschlossen, das der Verein zukünftig "Freie Turnerschaft ADLER von 1893" heißen soll. In der Chronik seines Zeltlagers "Adlerhorst" heißt es dazu: "Sein Gesamtwirken für die Öffentlichkeit und vor allem seine großen Verdienste um die Bildung und Erhaltung der "Freien Turnerschaft an der Kieler Förde" bewogen uns anlässlich der Wiedergründung [[1946]], den Verein FT Adler zu nennen. Unser Vereinsname wird uns immer an Eduard Adler und sein Wirken erinnern."<ref>[http://www.zeltlager-adlerhorst.de/der-verein/eduard-adler/ Zeltlager Adlerhorst]</ref>
* Homepage [http://ft-adler-kiel.de/ FT Adler]


=== FT Eiche von 1901 e.V. ===
==Schleswig-Holstein==
[[Datei:Fotos 15913.jpg|thumb|right|280px|Vereinsheim des FT Eiche, 1973]]
Schleswig-Holstein war zunächst einer der fünf Kreise des ATB, nach Verringerung der Kreise Teil des 3. Kreises. Als erster Verein der Provinz gilt nach der im Oktober [[1892]] erfolgten Gründung [[Ortsverein Kellinghusen|Kellinghusen]].<ref>Heed: ''Arbeitersport'', S. 168</ref> Allerdings wurde laut Ortsvereinschronik in [[Arbeitersport in Elmshorn|Elmshorn]] bereits [[1890]] ein Arbeitersportverein gegründet. In Kiel gab es ab [[1893]] einen [[Arbeitersport in Kiel|Arbeitersportverein]], der "als Vorbild über die Bezirksgrenzen hinaus" wirkte<ref>Döhring: ''Anfänge'', S. 174</ref> und auch ganz praktische Aufbauhilfe leistete, etwa bei der Gründung der [[Arbeitersport in Neumünster|Freien Turnerschaft Neumünster]] [[1899]].
[[1947]] wurde die Freie Turnerschaft Eiche v. 1901 wiedergegründet.


[[1973]] bekam der Verein ein neues Vereinsheim auf der Schwarzlandwiese in Gaarden. Das Gebäude hatte während der Olympischen Spiele in Kiel [[1972]] an der Kiellinie gestanden.
Die starken Arbeitersportvereinigungen, insbesondere Kiel, bemühten sich nach [[1918]] auch, im ländlichen Schleswig-Holstein, wo die Bewegung schwächer war, Werbung für ihre Sache zu machen, etwa durch gemeinsame Übungstage auf dem Lande.<ref>Heed: ''Arbeitersport'', S. 168</ref>


* Homepage [http://fteiche.net/ FT Eiche]
Nicht zuletzt die überall entstehenden Musikkorps erfreuten sich großer Beliebtheit. Im November [[1921]] gründete sich in Rendsburg die "Trommler- und Pfeifer-Vereinigung des 2. Bezirks", der [[Arbeitersport in Flensburg|Flensburg]], [[Arbeitersport in Rendsburg|Rendsburg]], [[Arbeitersport in Nortorf|Nortorf]], [[Arbeitersport in Schleswig|Schleswig]], [[Arbeitersport in Schönkirchen|Schönkirchen]] und [[Arbeitersport in Kiel|Kiel]] beitraten.<ref>Heed: ''Arbeitersport'', S. 173</ref> Dort gab es also aktive Vereine. Auch in [[Arbeitersport in Raisdorf|Raisdorf]] lässt sich eine Freie Turnerschaft nachweisen.<ref>Vgl. ''Archivgruppe ist der Vergangenheit auf der Spur'', ''Kieler Nachrichten'', 5.4.2016</ref>


=== FT Vorwärts Kiel von 1901 e.V. ===
Am [[21. Juli|21.]] und [[22. Juli]] [[1928]] veranstaltete das schleswig-holsteinische Kartell der Arbeiter-Turnvereine ein [[Provinzial-Arbeiter-Sportfest Schleswig–Holstein|Provinzial-Arbeiter-Sportfest]] in [[Ortsverein Büdelsdorf|Büdelsdorf]].
[[Datei:Fotos 15914.jpg|thumb|left|280px|Musiker des FT Vorwärts, 1975]]
Bereits [[1945]] wurde die Freie Turnerschaft Vorwärts v. 1901 wiedergegründet.
* Homepage [http://www.ft-vorwaerts-kiel.de/ FT Vorwärts Kiel]


==== Segler-Vereinigung Kiel e.V- SVK ====
===Siehe auch===
[[1950]] entstand aus der "Kieler Wassersportvereinigung", der ehemaligen Wassersportabteilung der Freien Turnerschaft und den "Kieler Fahrtenseglern" der Zusammenschluss zur "Segler-Vereinigung Kiel e.V SVK".<ref>[http://www.svk-kiel.de/geschichte.html Geschichte der SVK]</ref>
*[[Arbeitersport in Elmshorn]]
* Homepage [http://www.svk-kiel.de/ SVK-Kiel e.V.]  
*[[Arbeitersport in Kiel]]
*[[Arbeitersport in Neumünster]]
*[[Arbeitersport in Schacht-Audorf]]
*[[Arbeiterturnverein Heide]]


=== Radsportgemeinschaft Kiel von 1896 e.V. ===
==Literatur==
Die erste Zusammenkunft überlebender Kieler Arbeiter-Radsportler nach dem 2. Weltkrieg fand am [[21. Oktober]] [[1945]] in der Gaststätte "Zur neuen Welt" in der Lutherstraße statt. Als Verein "Kieler Radsportgemeinschaft Solidarität" fanden die Radsportler sich wieder zusammen. Es war ein Zusammenschluss der alten Vereine "Frischauf Kiel", "Radsportgemeinschaft Solidarität Eckernförde" und dem "Rendsburger Bicycle-Club". Ziel der Vereinsarbeit sollte das Radwandern, Hallenradsport, Radrennen und Rasensport sein. Die Radsportgemeinschaft sollte nach demokratischen Regeln geführt werden, man wollte frei sein von allen politischen Bindungen. Als Sportgruß wurde das traditionelle "Frisch auf" festgelegt. Die Anrede unter den Vereinsmitgliedern wurde von "Sportgenosse" zu "Sportfreund geändert. [[1949]] beschlossen die Kieler Radsportler dem "Bund Deutscher Radfahrer", BDR, und nicht dem "Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität von 1896", RKB, beizutreten. Der Vereinsname wurde geändert in "Radsportgemeinschaft Kiel von 1896".
*Detlefs, Birte / Löhndorf, Rolf: ''Festschrift 100 Jahre Freie Turnerschaft Eiche v. 1901 e.V.'' (Kiel 2001)
* Homepage [http://www.rg-kiel.de/ Radsportgemeinschaft Kiel von 1896 e.V.]
*Döhring, Ulf: [http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay13.pdf ''Die Anfänge der Freien Turnerschaft Neumünster'']. In: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 173-179
*Freie Turnerschaft ADLER von 1893 e.V.: ''Festschrift zum 75jährigen Bestehen'' (Kiel 1968)
*Freie Turnerschaft an der Kieler Förde - Vorstand (Hrsg.): ''Erinnerungsschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde'', 1902-1926 (Kiel November 1926)
*[[Jörg Hamer|Hamer, Jörg]]: ''Die Sportstätten der Freien Turnerschaft Nortorf - Bau, Enteignung, Wiedergutmachung'' in: [[Kurt Hamer|Hamer, Kurt]] / Schunck, Karl-Werner / Schwarz, Rolf (Hrsg.): ''Vergessen und verdrängt. Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus in den Kreisen Rendsburg und Eckernförde. Eine andere Heimatgeschichte'' (Eckernförde 1984)
*Heed, Levke: ''[http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_13/Demokratische_Geschichte_Band_13_Essay_7.pdf Arbeitersport in Kiel]''. In: ''Demokratische Geschichte'' 13(2000), S. 147-198
*Körner, Gustav: ''Radsportgemeinschaft Kiel von 1896 e.V., Chronik der 100 Jahre'', Nr. 248, Jubiläumssonderheft (Kiel 1996)
*Krüger, Michael: ''150 Jahre SPD – 150 Jahre Arbeiterturn- und Sportbewegung''. In: [http://www.bpb.de/175085 Deutschland Archiv Online], 16.12.2013.
*Mangelsdorf, Uwe: ''Aus der Geschichte des Arbeiter-Radfahrer-Vereins Vorwärts Dänischenhagen'' in: [[Kurt Hamer|Hamer, Kurt]] / Schunck, Karl-Werner / Schwarz, Rolf (Hrsg.): ''Vergessen und verdrängt. Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus in den Kreisen Rendsburg und Eckernförde. Eine andere Heimatgeschichte'' (Eckernförde 1984)
*[[Karl Rickers|Rickers, Karl]]: ''[http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_01/Demokratische_Geschichte_Band_01_Essay06.pdf Eduard Adlers Friedenspolitik 1914. Der Vorabend des Ersten Weltkrieges in den Leitartikeln der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung]''. In: ''Demokratische Geschichte'' 1(1986), S. 83-121
*Segler-Vereinigung Kiel (Hrsg.): ''75 Jahre Segler-Vereinigung Kiel e.V.'', Jubiläumsband (Kiel 1994)
*Teichler, Hans Joachim / Hauk, Gerhard: ''Illustrierte Geschichte des Arbeitersports'' (Berlin/Bonn 1987), ISBN 3-8012-0127-9


==Links==
*[https://www.arbeiterfussball.de/ Arbeiterfußball]
*[https://taz.de/Historische-Sportzeitungen-entdeckt/!5501759/ Historische Arbeitersportzeitungen in Geesthacht entdeckt]
*{{Wikipedia|NAME=Arbeitersport in Deutschland}}
*{{Wikipedia|NAME=Geschichte der Arbeitersportbewegung}}


Die Kieler Arbeiter-Turner hatten es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht, die Idee zu verbreiten und unterstützten zum Beispiel den Aufbau der Freien Turnerschaft Neumünster.
==Quellen==  
 
== Neumünster ==
Die [[Kreisverband Neumünster|Neumünsteraner Arbeiter]] hatten die gleichen Probleme, wie die Kieler: In den bürgerlichen Vereinen "MTSV Olympia" und "ETSV Gut Heil" waren sie nicht akzeptiert. Die Gründung eines eigenes Arbeiter-Turnvereins aber nahm aber erst Ostern [[1899]] Fahrt auf, als Kieler Arbeiterturner zur Hilfe kamen.<ref name="Döhring">Döhring, Rolf: [http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay13.pdf ''Die Anfänge der Freien Turnerschaft Neumünster''], in: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 173-179</ref>
 
Da auch in Neumünster die Arbeiterturnvereine kein Recht hatte, die öffentlichen Sporteinrichtungen zu benutzen oder Eigentum an Grund zu erwerben, blieben die Möglichkeiten eingeschränkt. [[1912]] beschloss der Verein einen eigenen Sportplatz einzurichten. Gekauft werden sollte der von den ehemaligen Vorsitzenden [[Jochen Langmaak]] und [[Martin Schaar]] und das Verbot zu umgehen. Über eine Spendenaktion unter seinen Mitgliedern wurde der Kauf finanziert:
 
: "So waren dann sämtliche Vereinsmitglieder aufgerufen, für den Kauf (im Jahre 1912) 10 Goldmark zu spenden, angesichts der niedrigen Löhne und der sonstigen Verpflichtungen ein großes Verlangen. Diese 10 Goldmark wurden trotzdem von allen Aktiven aufgebracht. Aber ein finanzielles Opfer für den Kauf reichte nicht aus. Daneben mußten die Sportler noch erhebliche Freizeit investieren,um aus dem ungepflügten Acker eine Sportanlage zu schaffen. Viele Vereinsmitglieder waren dabei, den Platz 'auszubauen'. Nun darf man sich aber keinen Sportplatz heutiger Prägung mit Aschenbahn,Sprunganlage u.a. vorstellen; damals schuf man kleine hölzerne Umkleideräume, umpflanzte und planierte das Gelände und hatte so einen ausreichenden Platz zum Turnen."<ref name="Döhring">Döhring, Rolf: [http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay13.pdf ''Die Anfänge der Freien Turnerschaft Neumünster''], in: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 173-179</ref>
 
[[1913]] wurde "Unser Platz" neben der noch heute existierenden Kummerfelder Wassermühle eingeweiht. Und so heißt es im Vereinslied, das [[Martin Schaar]] um [[1912]] gedichtet hat<ref name="Döhring">Döhring, Rolf: [http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay13.pdf ''Die Anfänge der Freien Turnerschaft Neumünster''], in: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 173-179</ref>:
 
: Dwischen Gahdeland und Groot Kummerfeld
: dor ligt een Wotermöhl,
: dor ligt een Platz in grööne Feld, 
: dor goht wi hin toS peel, 
: dat schal ja nichts,dat mokt ja nichts, 
: von uns'n Platz dor lot wi nich, 
: denn he let uns ja, denn he let uns ja, 
: he let uns keene Ruh', 
: auf uns'n Platz geiht dat lustig to, 
: un dann geiht dat wedder op dat Letter, 
: Heini Müller ümmer düller, 
: Düsselkop, Düsselkop, paß dochup,paß dochup, 
: un so geiht de Kummerfelder Marsch Marsch Marsch, 
: un so geiht de Kummerfelder Marsch Marsch Marsch.
 
== Literatur ==
* Detlefs, Birte und Löhndorf, Rolf: ''Festschrift 100 Jahre Freie Turnerschaft Eiche v. 1901 e.V.''
* Döhring, Rolf: [http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay13.pdf ''Die Anfänge der Freien Turnerschaft Neumünster''], in: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 173-179
* ''Erinnerungsschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde'', 1902-1926, herausgegeben vom Vereinsvorstand im November 1926, Buchdruckerei Chr. Haase & Co., Kiel, Bergstr. 11
* Freie Turnerschaft ADLER von 1893 e.V., ''Festschrift zum 75jährigen Bestehen'', Druck: Martin Clausen, Kiel
* Heed, Levke: ''[http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_13/Demokratische_Geschichte_Band_13_Essay_7.pdf Arbeitersport in Kiel]''. In: ''Demokratische Geschichte'' 13(2000), S. 147-198
* Körner, Gustav: ''Radsportgemeinschaft Kiel von 1896 e.V., Chronik der 100 Jahre'', Mai 1996, Nr. 248, Jubiläumssonderheft
* [[Karl Rickers|Rickers, Karl]]: ''[http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_01/Demokratische_Geschichte_Band_01_Essay06.pdf Eduard Adlers Friedenspolitik 1914. Der Vorabend des Ersten Weltkrieges in den Leitartikeln der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung]''. In: ''Demokratische Geschichte'' 1(1986), S. 83-121
* 75 Jahre Segler-Vereinigung Kiel e.V., Jubiläumsband 1994
== Quellen ==  
<references />
<references />


[[Kategorie:Arbeitersport]]
[[Kategorie:Arbeiterverein|Freie Turnerschaft]]
[[Kategorie:Arbeiterverein|Freie Turnerschaft]]

Version vom 17. Juli 2020, 18:07 Uhr

[[Datei:{{#setmainimage:Traditionsfahne Frisch Auf Moisling skw.jpg}}|thumb|right|280px|Vereinsfahne Frisch Auf Moisling mit den Buchstaben "FFST" für "Frisch, Frei, Stark, Treu"]] Arbeitersport ist die Sammelbezeichnung für die sportlichen Aktivitäten der Arbeiterbewegung seit dem späten 19. Jahrhundert.

Voraussetzung für die Entwicklung des Arbeitersports war die rigide preußische Klassengesellschaft des Deutschen Kaiserreiches, die der Arbeiterschaft Gleichberechtigung in allen Bereichen verwehrte.[1] Diese Spaltung gibt es nicht mehr, aber sie wirkt bis heute nach: Zahlreiche aktive Sportvereine haben ihre Wurzeln im Arbeitersport; dieses Erbe wird von Verein zu Verein allerdings in sehr unterschiedlichem Maße gepflegt.

Die Arbeitersportler hatten außerdem jedoch eine andere Zielsetzung: Nicht Wahnsinnsrekord, sondern Massensport, an diese Parole erinnert sich die ehemalige Arbeitersportlerin Rosa Wallbaum.[2] Im Einklang mit der sozialistischen Idee sollten nicht Konkurrenz und herausragende Leistungen einzelner im Vordergrund stehen, sondern das gemeinsame Erlebnis und die körperliche Ertüchtigung möglichst aller.

Entwicklung

Anfänge

Die vorwiegend von Handwerkern und Gewerbetreibenden[3] bestimmte Volksbewegung des Turnens mit ihrer Leitfigur "Turnvater" Jahn hatte ihre Wurzeln in der bürgerlichen Revolution von 1848. Sie entwickelte ein zunehmend nationalistisches Gedankengut und nahm spätestens seit dem Sozialistengesetz Sportler aus dem Arbeiterstand nur noch ungern auf. Das Denken dahinter veranschaulicht der Amateurparagraf des Deutschen Ruderverbandes (DRV) von 1883, übernommen vom Hamburger Ruderverband, wo er schon seit 1864 galt:

"Amateur ist jeder, der das Rudern nur aus Liebhaberei mit eigenen Mitteln betreibt oder betrieben hat und dabei keinerlei Vermögensvorteile in Aussicht hat oder hatte, weder als Arbeiter durch seiner Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt verdient, noch in irgendeiner Weise beim Bootsbau beschäftigt ist."[4]

Die Arbeitersportler schufen sich ihre eigenen Vereine, wobei einzelne Formen - etwa der Turnergruß oder das Emblem - erst mit der Zeit abgewandelt wurden.[5] Partei und Gewerkschaften reagierten zunächst skeptisch; sie befürchteten eine Schwächung der politischen Kampfkraft durch Freizeitinteressen ihrer Mitglieder.[6] Dies begann sich erst mit dem Erstarken der SPD vor dem 1. Weltkrieg zu ändern. Die Blütezeit der Arbeitersportvereine als vollwertiger Bestandteil der Arbeiterbewegung stellte erst die Weimarer Republik dar.

Der Arbeitersport erfuhr auch deswegen während des gesamten Kaiserreiches strukturelle Repression, weil die staatlichen Organe die Vereine - nicht ganz grundlos - als Tarnorganisationen für politische Betätigung betrachteten. Diese Repression endete nicht mit dem Sozialistengesetz, sondern setzte sich danach kaum abgeschwächt fort. Die Vereine durften keine öffentlichen Turnhallen und Sportanlagen benutzen, und spätestens mit dem Reichsvereinsgesetz von 1908 war ihnen verboten, Angebote für Jugendliche unter 18 Jahren zu machen. Der Heider Anzeiger schrieb am 26. September 1907:

"Erlaß des preußischen Kultusministers gegen sozialdemokratischen Turnunterricht. Erlaubnisscheine sollen nur erhalten [Personen,] die ihre sittliche Tüchtigkeit für den Unterricht und die Erziehung genügend ausweisen können und nicht die jugendlichen Köpfe mit sozialdemokratischen Ideen erfüllen."[7]

Ulf Döhring erläutert:

"Das preußische Innenministerium formulierte bereits 1895 einen Erlaß, in dem Jugendlichen das Turnen und Sporttreiben in Arbeitersportvereinen verboten wurde. Da dieses Verbot nicht den gewünschten Erfolg hatte, wurde 1908 mit dem Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes eine neue Hürde aufgebaut. Jetzt bezog sich das Verbot auf alle Arten politischer - insbesondere sozialdemokratischer - Organisationen. Diesen war von nun an verboten, Mitglieder unter 18 Jahren anzuwerben sowie sie an Veranstaltungen u.a. teilnehmen zu lassen. Dieses Verbot bezog sich 'nur' auf politische Vereinigungen, doch mit Hilfe eines Kunstgriffes traf man auch alle Arbeitervereine, die sich den unterschiedlichsten Zielen widmeten. Die Behörden erklärten diese Vereine einfach zu politischen Organisationen, verboten die Jugendarbeit und glaubten so, die Vereine von ihrer Jugend abschneiden zu können."[8]

Vom ATB zum ATSB

Trotz dieser Unterdrückung wurde im Mai 1893 der bald reichsweit tätige Arbeiter-Turnerbund (ATB) in Gera gegründet. Schleswig-Holstein war von Anfang an dabei und bildete gemeinsam mit Hamburg einen der ersten fünf Kreise des ATB.[9] In mehr und mehr Orten der Provinz gründeten sich Freie Turnerschaften. Sie strebten bald einen Zusammenschluss an, der viele Erleichterungen versprach. Dabei orientierten sie sich an den Gewerkschaften, die aus dem Zusammenschluss kleiner Organisationseinheiten ihre Stärke bezogen:

"[Dies] diente den Arbeiterturnern als Vorbild für die Gründung von Arbeitersportkartellen. Mit der Wahl des Begriffs 'Kartell' für die neue Organisationsstruktur betonten die Arbeitersportler die kollektiven und solidarischen Elemente in ihrer Bewegung."[10]

1919 wurde der ATB umbenannt in Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB), um auch neu aufgenommenen Sportarten Ausdruck zu geben. 1919 zählten die Arbeitersportvereine 190.000 Mitglieder. Diese Zahl stieg in den nächsten Jahren steil an und erreichte 1922 mit etwa 1,1 Millionen seinen Höchststand, der bis Ende der 1920er Jahre kaum zurückging. In Leipzig konnte der ATSB 1926 eine eigene Bundesschule mit Geschäftsstelle und Druckerei einweihen. Er richtete zwei große Bundesfeste aus, vom 22. bis 25. Juli 1922 in Leipzig und vom 18. bis 21. Juli 1929 in Nürnberg.[11] An beiden Bundesfesten nahmen Mitglieder aus Schleswig-Holstein teil, etwa Theodor Sakmirda aus Kiel oder eine Abordnung aus Elmshorn. Für Nürnberg schuf Richard Grune ein Bild (Plakat?), vermutlich als Auftragsarbeit.

Spaltung und Ende

Mit dem Erstarken radikaler Parteien auf der Linken und Rechten in der Endphase der Weimarer Republik bemühte sich die KPD zunehmend um Einfluss auf die Arbeitersportvereine. Dagegen leisteten die SPD-nahen Vorstände Widerstand. Bereits 1929 hatten reichsweit 32.000 Mitglieder die bestehenden Vereine verlassen und zum Teil eigene gegründet. So setzte sich die Spaltung der Arbeiterbewegung im Arbeitersport fort.[12]

Dies bewahrte den ATSB jedoch nicht davor, noch vor der NS-Herrschaft sein Ende zu finden:

"Im Herbst 1930 erklärte die Reichsregierung [unter Reichskanzler Brüning] die ZK [Zentralkommission] und alle in ihr organisierten Verbände zu politischen Organisationen. Trotz Ausschluß der Kommunisten und dem öffentlichen politischen Bekenntnis zur Republik wurde dem ATSB die offizielle Legitimation, als Sportverband tätig zu sein, entzogen."[13]

Die Arbeit vor Ort lief währenddessen (noch) weiter.

International: LSI und SASI

Georg Benedix bei der Eröffnung der I. Internationalen Arbeiterolympiade

Die Arbeitersportbewegung war nicht auf Deutschland beschränkt. Bereits 1913 kam es in Gent mit der Gründung der "Zentrale der internationalen Arbeiterschaft für Turnen und Sportbewegung" zu einer länderübergreifenden Zusammenarbeit. Der erste Kongress wurde von der Sozialistischen Internationale veranstaltet; die Arbeit kam jedoch während des 1. Weltkriegs zum Erliegen. Aber bereits 1919 fand in Seraing (Belgien) ein zweiter Kongreß zum Wiederaufbau der internationalen Arbeitersportbewegung statt. Ein Jahr später wurde in Luzern die "Luzerner Sportinternationale" (LSI) gegründet. Diese wurde 1925 von einem dritten Kongress in Paris in "Internationaler sozialistischer Verband für Sport und Körperpflege" umbenannt und erhielt schließlich 1928 im Rahmen einer Verbandssitzung in Leipzig den Namen "Sozialistische Arbeitersport-Internationale" (SASI).

Höhepunkte der Aktivitäten der Arbeitersport-Internationale waren die Arbeiter-Olympiaden 1925 in Frankfurt am Main, 1931 in Wien und 1937 in Antwerpen.[14] Auch in Frankfurt nahm unter anderen Theodor Sakmirda von der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde teil.

Schleswig-Holstein

Schleswig-Holstein war zunächst einer der fünf Kreise des ATB, nach Verringerung der Kreise Teil des 3. Kreises. Als erster Verein der Provinz gilt nach der im Oktober 1892 erfolgten Gründung Kellinghusen.[15] Allerdings wurde laut Ortsvereinschronik in Elmshorn bereits 1890 ein Arbeitersportverein gegründet. In Kiel gab es ab 1893 einen Arbeitersportverein, der "als Vorbild über die Bezirksgrenzen hinaus" wirkte[16] und auch ganz praktische Aufbauhilfe leistete, etwa bei der Gründung der Freien Turnerschaft Neumünster 1899.

Die starken Arbeitersportvereinigungen, insbesondere Kiel, bemühten sich nach 1918 auch, im ländlichen Schleswig-Holstein, wo die Bewegung schwächer war, Werbung für ihre Sache zu machen, etwa durch gemeinsame Übungstage auf dem Lande.[17]

Nicht zuletzt die überall entstehenden Musikkorps erfreuten sich großer Beliebtheit. Im November 1921 gründete sich in Rendsburg die "Trommler- und Pfeifer-Vereinigung des 2. Bezirks", der Flensburg, Rendsburg, Nortorf, Schleswig, Schönkirchen und Kiel beitraten.[18] Dort gab es also aktive Vereine. Auch in Raisdorf lässt sich eine Freie Turnerschaft nachweisen.[19]

Am 21. und 22. Juli 1928 veranstaltete das schleswig-holsteinische Kartell der Arbeiter-Turnvereine ein Provinzial-Arbeiter-Sportfest in Büdelsdorf.

Siehe auch

Literatur

  • Detlefs, Birte / Löhndorf, Rolf: Festschrift 100 Jahre Freie Turnerschaft Eiche v. 1901 e.V. (Kiel 2001)
  • Döhring, Ulf: Die Anfänge der Freien Turnerschaft Neumünster. In: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 173-179
  • Freie Turnerschaft ADLER von 1893 e.V.: Festschrift zum 75jährigen Bestehen (Kiel 1968)
  • Freie Turnerschaft an der Kieler Förde - Vorstand (Hrsg.): Erinnerungsschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde, 1902-1926 (Kiel November 1926)
  • Hamer, Jörg: Die Sportstätten der Freien Turnerschaft Nortorf - Bau, Enteignung, Wiedergutmachung in: Hamer, Kurt / Schunck, Karl-Werner / Schwarz, Rolf (Hrsg.): Vergessen und verdrängt. Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus in den Kreisen Rendsburg und Eckernförde. Eine andere Heimatgeschichte (Eckernförde 1984)
  • Heed, Levke: Arbeitersport in Kiel. In: Demokratische Geschichte 13(2000), S. 147-198
  • Körner, Gustav: Radsportgemeinschaft Kiel von 1896 e.V., Chronik der 100 Jahre, Nr. 248, Jubiläumssonderheft (Kiel 1996)
  • Krüger, Michael: 150 Jahre SPD – 150 Jahre Arbeiterturn- und Sportbewegung. In: Deutschland Archiv Online, 16.12.2013.
  • Mangelsdorf, Uwe: Aus der Geschichte des Arbeiter-Radfahrer-Vereins Vorwärts Dänischenhagen in: Hamer, Kurt / Schunck, Karl-Werner / Schwarz, Rolf (Hrsg.): Vergessen und verdrängt. Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus in den Kreisen Rendsburg und Eckernförde. Eine andere Heimatgeschichte (Eckernförde 1984)
  • Rickers, Karl: Eduard Adlers Friedenspolitik 1914. Der Vorabend des Ersten Weltkrieges in den Leitartikeln der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung. In: Demokratische Geschichte 1(1986), S. 83-121
  • Segler-Vereinigung Kiel (Hrsg.): 75 Jahre Segler-Vereinigung Kiel e.V., Jubiläumsband (Kiel 1994)
  • Teichler, Hans Joachim / Hauk, Gerhard: Illustrierte Geschichte des Arbeitersports (Berlin/Bonn 1987), ISBN 3-8012-0127-9

Links

Quellen

  1. Heed, Levke: Arbeitersport, S. 148
  2. Vgl. Susanne Kalweit (Hrsg.): "Ich hab' mich niemals arm gefühlt!" Die Kielerin Rosa Wallbaum berichtet aus ihrem Leben (Berlin/Hamburg 2010) ISBN 978-3-86850-644-0
  3. Krüger, Michael: 150 Jahre SPD
  4. Zit. bei Horst Ueberhorst: Hundert Jahre Deutscher Ruderverband (Minden 1983) ISBN 3-7907-3100-5, S. 31; Hervorhebung von uns.
  5. Heed, Levke: Arbeitersport, S. 148
  6. Heed, Levke: Arbeitersport, S. 148
  7. Heider Anzeiger: Erlaß des preußischen Kultusministers gegen sozialdemokratischen Turnunterricht, Nr. 225, 29.9.1907
  8. Döhring: Anfänge, S. 177
  9. Heed: Arbeitersport, S. 150
  10. Heed: Arbeitersport, S. 151
  11. Krüger: 150 Jahre SPD
  12. Heed: Arbeitersport, S. 174 f.
  13. Heed: Arbeitersport, S. 174 f.
  14. Teichler / Hauk: Geschichte, S. ?
  15. Heed: Arbeitersport, S. 168
  16. Döhring: Anfänge, S. 174
  17. Heed: Arbeitersport, S. 168
  18. Heed: Arbeitersport, S. 173
  19. Vgl. Archivgruppe ist der Vergangenheit auf der Spur, Kieler Nachrichten, 5.4.2016