Carl Dietrich: Unterschied zwischen den Versionen

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| Geburtsort = Sächsisch Haugsdorf / Kreis Lauban
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| gestorben = 19531013
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'''Carl Otto Hermann Dietrich''' (auch ''Karl Dietrich'' oder ''Carl Dietrich-Liegnitz''<ref group="Anm.:">Carl Dietrichs Geburtsort gehörte zum Regierungsbezirk Liegnitz</ref>'')''; * [[10. Dezember]] [[1873]] in Sächsisch Haugsdorf, Landreis Lauban; † [[13. Oktober]] [[1953]] in Bad Elster). Tischler, Gewerkschafter, Polizeipräsident von Kiel. Mitglied der SPD seit [[1893]]<ref>Bundesarchiv: ''[http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/adr/getPPN/129869341/ Biogramm von Carl Dietrich]. abgerufen 30.11.2022''</ref>. Ab [[1946]] Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei (SED).
'''Carl Otto Hermann Dietrich''' (auch ''Karl Dietrich'' oder ''Carl Dietrich-Liegnitz''<ref group="Anm.:">Bei Nachnamensgleichheit wurden Abgeordnete durch Anhängen ihres Wahlkreises an den Namen unterschieden.</ref>); * [[10. Dezember]] [[1873]] in Sächsisch Haugsdorf, Landkreis Lauban, † [[13. Oktober]] [[1953]] in Bad Elster); Tischler, Gewerkschaftssekretär, Polizeipräsident von Kiel. Mitglied der SPD ab [[1893]].<ref>''[http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/adr/getPPN/129869341/ Biogramm von Carl Dietrich], Bundesarchiv, abgerufen 30.11.2022''</ref> Ab [[1946]] Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei (SED).
==Leben & Beruf==
Carl Dietrich wurde [[1873]] als fünftes von sechs Kindern als Sohn des Viehhirten und Schäfers Johann Karl Gottfried Dietrich ([[1831]]-[[1913]]) und der Dienstmagd Johanna Christiane Dietrich (geb. ''Schwob'') ([[1835]]-[[1911]]) geboren. Die Familie ist äußerst arm und zieht allein in Carl Dietrichs Schulzeit berufsbedingt sechsmal um. Sie erlebten große Not und Ungerechtigkeit.<ref name=":0" />


Mit 15 Jahren endet Carl Dietrichs Schulzeit. Er macht von [[1888]] bis [[1892]] eine Ausbildung als Tischler. Er arbeitet danach weiter in Görlitz in unterschiedlichen Betrieben.<ref name=":0" />
==Kindheit und Jugend==
Carl Dietrich wurde [[1873]] als fünftes von sechs Kindern des Viehhirten und Schäfers Johann Karl Gottfried Dietrich ([[1831]]-[[1913]]) und der Dienstmagd Johanna Christiane Dietrich (geb. Schwob, [[1835]]-[[1911]]) geboren. Seine Familie lebte in Armut und zog in seiner Schulzeit bedingt durch den Beruf des Vaters mehrfach um. Sie erfuhr große Not und Ungerechtigkeit.<ref name=":0">Martin, Sandra: ''Dietrich (Liegnitz), Carl. Szenen aus dem Leben eines Kieler Polizeipräsidenten (1925–1933). Zur Erinnerung an den Urgroßvater.'' In: ''Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte'' Band 90, Heft 6 (2022), S. 339–357</ref>  


Carl Dietrich trat in die SPD und die Gewerkschaft der Holzarbeiter ein und engagierte sich für die Rechte der Arbeiter und brachte ihnen in Kursen Buchhaltung und Arbeitsrecht bei.<ref name=":0" />
Um der Armut der Landwirtschaft zu entkommen machte er von [[1888]] bis [[1892]] eine Ausbildung als Tischler in Greiffenberg (heute: ''Gryfów Śląski'') und arbeitete danach in Görlitz in verschiedenen Betrieben.<ref name=":0" />


Er lernte in dieser Zeit die Arbeitertochter Martha Wünsch kennen. Die beiden heiraten am [[11. Juli]] [[1896]]. Carl Dietrich war da 23 Jahre alt. Seine Frau 18. Das Paar bekam drei Kinder, von dem eines mit nur fünf Jahren starb.<ref name=":0" />
In seiner Ausbildung kam Carl Dietrich mit sozialistischen Ideen in Berührung. Mit 17 Jahren erlebte er [[August Bebel]] bei einer Veranstaltung in Görlitz und war fasziniert. Er nahm Kontakt zu ihm auf, trat in die SPD ein, und sie bleiben einander politisch-freundschaftlich bis zu Bebels Tod verbunden.<ref name=":0" />


[[1902]] wurde Carl Dietrich zum Gauvorsteher des Holzarbeiterverbandes gewählt. In dieser Tätigkeit arbeitete er bis [[1920]], als er nach dem Ende des Deutschen Kaiserreichs Landrat in Sprottau östlich von Görlitz wurde.<ref name=":0">Martin, Sandra: ''Dietrich (Liegnitz), Carl. Szenen aus dem Leben eines Kieler Polizeipräsidenten (1925–1933). Zur Erinnerung an den Urgroßvater.'' In: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte. Band 90, Heft 6, 2022, S. 339–357.</ref>
Carl Dietrich trat auch in die [[:Kategorie:Gewerkschaftsbewegung|Gewerkschaft der Holzarbeiter]] ein, engagierte sich für die Rechte der Arbeiter und brachte ihnen in Kursen Buchhaltung und Arbeitsrecht bei.<ref name=":0" />


Mit 52 Jahren bietet ihm [[1925]] der preußische Innenminister [[Carl Severing]] das Amt des Polizeipräsidenten in Kiel an. Sei Vorgänger [[Wilhelm Poller]] ging dort gerade in den Ruhestand. Als Gewerkschafter sei Carl Dietrich besonders geeignet zwischen Polizei und Werftarbeitern in einem Arbeitskampf zu vermitteln. Freiwillig ging er dann aber nicht nach Kiel. Das Ministerium hatte ihm gedroht, ihn bei einer Absage auch aus Sprottau zu versetzen. <ref name=":0" />
== Gewerkschafter ==
Er lernte in dieser Zeit die Arbeitertochter Martha Wünsch kennen. Die beiden heirateten am [[11. Juli]] [[1896]]. Er war 23 Jahre alt, seine Frau 18. Das Paar bekam drei Kinder, von denen eines mit nur fünf Jahren starb.<ref name=":0" />


Als Polizeipräsidenten in Kiel war ihm auch die Landespolizei unterstellt. Er selbst musste sich gegenüber dem Innenminister nicht dem Oberpräsidenten [[Heinrich Kürbis]] verantworten. Auch wenn die bürgerlichen Kieler Neuesten Nachrichten gegen ihn als einen der "Gebieter auf den roten Polizeithronen Preußens" hetzte, setzte er sich in seiner Amtzeit, so gut er konnte gegen die Umtriebe der Nazis ein.<ref name=":0" />
[[1902]] wurde Carl Dietrich zum hauptamtlichen Gauvorsteher des Holzarbeiterverbandes gewählt, für den er bis [[1920]] arbeitete und mehrfach an Verbandstagen und Gewerkschaftskongressen der Holzarbeiter teilnahm.<ref name=":2">{{Biosop|Carl Dietrich}}</ref> Auch in dieser Position war er streitbar: So verklagte er einen Vertreter des Arbeitgeberverbandes wegen Beleidigung.<ref>[https://fes.imageware.de/fes/web/index.html?open=VW26049&page=7 ''Vorwärts'', 26.02.1909], Nummer: 48, Jahrgang: 26</ref>
[[Datei:Nominierung Carl Dietrich 1906.png|mini|Vorwärts, 30.12.1906]]
Zur [[Reichstagswahl 1907]] trat Carl Dietrich das erste Mal für den Wahlkreis Liegnitz-Goldberg-Hainau an<ref>[https://fes.imageware.de/fes/web/index.html?open=VW23304&page=1 ''Vorwärts'', 30.12.1906], Nummer: 303, Jahrgang: 23</ref> Er übernahm den Wahlkreis vom späteren SPD-Vorsitzenden [[Hermann Müller]], der in den Wahlkreis nach Görlitz wechselte und konnte das SPD-Wahlergebnis verbessern. In dieser und der nächsten [[Reichstagswahl 1912|Reichstagswahl]] kam er in die [[Wahlrecht bis 1918#Deutsches Kaiserreich|Stichwahl]].<ref name=":0" /> Zwischen [[1910]] und [[1919]] nahm Carl Dietrich mehrfach an SPD-Parteitagen teil.<ref name=":2" />


Im Zuge des "Preußenschlags" [[1932]] verlor er seinen Posten. Ihm wurde aber noch der Umzug nach Görlitz bezahlt. [[1933]] nahmen ihm die Nazis die Pension und stellten ihn unter Polizeiaufsicht. Carl Dietrich war damals 60 Jahre alt. Er eröffnet einen kleinen Papier- und Tabakwarenladen im heute polnischen Teil von Görlitz. Wie vielerorts, war auch der [[Widerstand in der NS-Zeit#Tabakläden als Treffpunkte|Tabakwarenladen]] von Carl Dietrich ein Treffpunkt für Andersdenkende in der Nazi-Zeit.<ref name=":0" />
== Weimarer Republik ==
[[1918]] erreichte die [[Novemberrevolution]] auch Schlesien. Carl Dietrich wurde Mitglied des zentralen Volksrats für die Provinz Schlesien und Volksbeauftragter beim Regierungspräsidenten in Breslau.<ref name=":2" /> [[1919]] wurde er in die [[Wahl zur Nationalversammlung 1919|Nationalversammlung]] gewählt. Er arbeitete im Wirtschaftsausschuss mit und meldete sich im Parlament u.a. zu Fragen der Mitbestimmung zu Wort.<ref>[https://www.reichstagsprotokolle.de/Pers_bsb00000018_000089?pos=1&suche=pnd%3APND_129869341%20AND%20typ%3Asprechregister%20AND%20%28tranche%3AI%20OR%20tranche%3AII%20OR%20tranche%3AIII%29 Reichstagsprotokolle, Register 334]</ref> Bei der [[Reichstagswahl 1920]] kandidierte Carl Dietrich erneut, allerdings erfolglos.<ref name=":2" />


Ob Carl Dietrich in der Nazi-Zeit verhaftet wurde oder nicht, ist nicht ganz klar. Das Bundesarchiv dokumentiert Verhaftungen [[1937]], [[1944]] und [[1945]] - er selbst sagte, dass die Verhaftungen nur angeordnete worden aber nicht umgesetzt worden seien.<ref name=":0" />
In der Weimarer Republik wurde er Landrat in Sprottau (heute: ''Szprotawa'') östlich von Görlitz und zugleich Mitglied des Preußischen Staatsrats und des Niederschlesischen Provinziallandtags.<ref name=":2" />


Als die Rote Armee in Görlitz einmarschierte, war für Carl Dietrich klar, dass er mithelfen wolle, das Land neu aufzubauen. Er meldete sich bei der Kommandantur und wurde [[1945]] mit 72 Jahren Leiter des Arbeitsamtes und dann Landrat von Görlitz, dann in Großenhain. [[1947]] wurde er Kurdirektor in Bad Elster. Er setzt sich dafür ein, dass auch Arbeiter vernünftige Erholungskuren machen können. Zwei Jahre später setzt er sich endgültig zur Ruhe. [[1953]] starb Carl Dietrich mit 80 Jahren in Bad Elster.<ref name=":0" />
[[1925]] bot ihm der preußische Innenminister [[Carl Severing]] das Amt des Polizeipräsidenten von [[Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel|Kiel]] an. Sein Vorgänger [[Wilhelm Poller]] war dort gerade in den Ruhestand gegangen. Als Gewerkschafter sei Carl Dietrich besonders geeignet, zwischen Polizei und Werftarbeitern in einem Arbeitskampf zu vermitteln, war das Argument. Er wechselte jedoch erst nach der Drohung des Ministeriums, ihn auf jeden Fall aus Sprottau weg zu versetzen.<ref name=":0" />


==Partei & Politik==
Als Kieler Polizeipräsident war ihm auch die Landespolizei unterstellt. Er selbst war dem Innenminister verantwortlich, nicht dem Oberpräsidenten [[Heinrich Kürbis]]. Auch wenn die bürgerlichen ''Kieler Neuesten Nachrichten'' gegen ihn als einen der "Gebieter auf den roten Polizeithronen Preußens" hetzten<ref>Göhring, Mario: ''[http://www.akens.org/akens/texte/info/27/20.html Vom bürgerlich-nationalistischen Blatt zur "gleichgeschalteten" Zeitung - Die KIELER NEUESTE NACHRICHTEN 1930-1934]'', In: Informationen der Schlewig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 27 (Juli 1995) S. 20-54. </ref>, setzte er sich in seiner Amtszeit, so gut er konnte, gegen die Umtriebe der Nazis ein.<ref name=":0" />
In seiner Ausbildung kam Carl Dietrich mit sozialistischen Ideen in Berührung. Mit 17 Jahren erlebte er [[August Bebel]] bei einer Veranstaltung in Görlitz und war fasziniert. Er nahm Kontakt zu ihm auf, trat in die SPD ein und sie bleiben einander politisch-freundschaftlich bis zu Bebels Tod verbunden.<ref name=":0" />


Zur [[Reichstagswahl 1907]] trat Carl Dietrich das erste Mal für den Wahlkreis Liegnitz-Goldberg-Hainau an und konnte das SPD-Wahlergebnis verbessern. In dieser und der nächsten [[Reichstagswahl 1912|Reichstagswahl]] kam er in die [[Wahlrecht bis 1918#Deutsches Kaiserreich|Stichwahl]]. Dann wurde er [[1919]] in die Nationalversammlung gewählt.<ref name=":0" />
Als am [[20. Juli]] [[1932]] durch eine erste Notverordnung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die geschäftsführende und legale Regierung des Freistaates Preußen durch den Reichskanzler Franz von Papen als Reichskommissar ersetzte (''"Preußenschlag"''), verlor er seinen Posten und wurde - wie bspw. auch [[Otto Eggerstedt]], [[Hermann Lüdemann]] und [[Heinrich Kürbis]]<ref>Bundesarchiv: Akten der Reichskanzlei: [https://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0100/vpa/vpa1p/kap1_2/kap2_77/para3_1.html Band 1, Nr. 76 Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 21. Juli 1932, Personalangelegenheiten.]</ref> - in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ihm wurde aber noch der Umzug nach Görlitz bezahlt. Seine Beziehung zu Kiel endete damit.


Nach Ende des 2. Weltkriegs wird Carl Dietrich [[1946]] Mitglied der SED.
== Nazi-Zeit ==
[[1933]] strichen die Nazis Carl Dietrich aufgrund des ''"Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums"'' die Pension und stellten ihn unter Polizeiaufsicht. Damals war er 60 Jahre alt. Er eröffnet einen kleinen Papier- und Tabakwarenladen im heute polnischen Teil von Görlitz, in der Pragerstraße 38. Wie viele andere war auch dieser [[Widerstand in der NS-Zeit#Tabakläden als Treffpunkte|Tabakwarenladen]] ein Treffpunkt für Andersdenkende in der Nazi-Zeit.<ref name=":0" /> 
 
Ob er in dieser Zeit verhaftet wurde oder nicht, ist nicht ganz klar. Das Bundesarchiv dokumentiert Verhaftungen [[1937]], [[1944]] und [[1945]] - er selbst sagte, dass sie nur angeordnet, aber nicht umgesetzt worden seien.<ref name=":0" />
 
== DDR ==
Als die Rote Armee Görlitz befreite, war für ihn klar, dass er mithelfen wollte, das Land neu aufzubauen, obwohl er offenbar von betrunkenen Rotarmisten zunächst schwer misshandelt wurde.<ref name=":1">Kabus, Ronny: ''"...weine ich täglich um meinen Vater" - In der Gewalt Stalins und der SED'' (Book on Demand, 2011) ISBN 3842331029, Seite 26</ref> Er meldete sich bei der Kommandantur und wurde [[1945]] mit 72 Jahren - offenbar jeweils für kurze Zeit - als Leiter des Arbeitsamtes, Landrat von Görlitz und Landrat von Großenhain eingesetzt.  
 
Am [[23. Juni]] [[1945]] beteiligte er sich an der Neugründung der SPD in Görlitz. Es waren auch Kommunisten dabei, und die Einheit der Arbeiterbewegung wurde beschworen. Allerdings konnte die Görlitzer SPD in der Folgezeit mehr als doppelt so viele Mitglieder binden wie die [[KPD]].<ref>Kabus, Ronny: ''"...weine ich täglich um meinen Vater" - In der Gewalt Stalins und der SED'' (Book on Demand, 2011) <nowiki>ISBN 3842331029</nowiki>, Seite 93</ref> Als die SPD zur Vereinigung mit der KPD [[Übersicht der Parteien der Arbeiterbewegung|gezwungen]] wurde, trat Carl Dietrich in die SED ein.
 
[[1947]] wurde er Kurdirektor in Bad Elster. Dort setzte er sich dafür ein, dass auch Arbeiter vernünftige Erholungskuren machen konnten. Zwei Jahre später ging er endgültig in den Ruhestand.
 
[[1953]] starb Carl Dietrich mit 80 Jahren in Bad Elster.<ref name=":0" />


== Literatur ==
== Literatur ==
 
* Martin, Sandra: ''Dietrich (Liegnitz), Carl. Szenen aus dem Leben eines Kieler Polizeipräsidenten (1925–1933). Zur Erinnerung an den Urgroßvater.'' In: ''Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte'', Band 90, Heft 6 (2022), S. 339–357
* Martin, Sandra: ''Dietrich (Liegnitz), Carl. Szenen aus dem Leben eines Kieler Polizeipräsidenten (1925–1933). Zur Erinnerung an den Urgroßvater.'' In: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte. Band 90, Heft 6, 2022, S. 339–357.
* Schumacher, Martin (Hrsg.): ''M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933–1945. Eine biographische Dokumentation''. 3., erheblich erweiterte und überarbeitete Auflage (Droste, Düsseldorf 1994) <nowiki>ISBN 3-7700-5183-1</nowiki>, S. 90
* Schumacher, Martin (Hrsg.): ''M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933–1945.'' Eine biographische Dokumentation. 3., erheblich erweiterte und überarbeitete Auflage. Droste, Düsseldorf 1994, <nowiki>ISBN 3-7700-5183-1</nowiki>, S. 90.


== Archive ==
== Archive ==
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==Links==
==Links==
*{{Wikipedia|NAME=Karl Dietrich (Politiker, 1873)}}
*{{Wikipedia|NAME=Karl Dietrich (Politiker, 1873)}}
==Einzelnachweise==
==Einzelnachweise==
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=== Anmerkungen ===
=== Anmerkungen ===
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[[Kategorie:Mitglied der Nationalversammlung von 1919]]
[[Kategorie:Mitglied der Nationalversammlung von 1919]]
[[Kategorie:Kreisverband Kiel]]
[[Kategorie:Kreisverband Kiel]]
[[Kategorie:Widerstand]]
[[Kategorie:Widerstand]]
[[Kategorie:Gewerkschaftsbewegung]]

Aktuelle Version vom 1. Dezember 2022, 21:52 Uhr

Carl Dietrich
Carl Dietrich
Carl Dietrich
Geboren: 10. Oktober 1873
Gestorben: 13. Oktober 1953

Carl Otto Hermann Dietrich (auch Karl Dietrich oder Carl Dietrich-Liegnitz[Anm.: 1]); * 10. Dezember 1873 in Sächsisch Haugsdorf, Landkreis Lauban, † 13. Oktober 1953 in Bad Elster); Tischler, Gewerkschaftssekretär, Polizeipräsident von Kiel. Mitglied der SPD ab 1893.[1] Ab 1946 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei (SED).

Kindheit und Jugend

Carl Dietrich wurde 1873 als fünftes von sechs Kindern des Viehhirten und Schäfers Johann Karl Gottfried Dietrich (1831-1913) und der Dienstmagd Johanna Christiane Dietrich (geb. Schwob, 1835-1911) geboren. Seine Familie lebte in Armut und zog in seiner Schulzeit bedingt durch den Beruf des Vaters mehrfach um. Sie erfuhr große Not und Ungerechtigkeit.[2]

Um der Armut der Landwirtschaft zu entkommen machte er von 1888 bis 1892 eine Ausbildung als Tischler in Greiffenberg (heute: Gryfów Śląski) und arbeitete danach in Görlitz in verschiedenen Betrieben.[2]

In seiner Ausbildung kam Carl Dietrich mit sozialistischen Ideen in Berührung. Mit 17 Jahren erlebte er August Bebel bei einer Veranstaltung in Görlitz und war fasziniert. Er nahm Kontakt zu ihm auf, trat in die SPD ein, und sie bleiben einander politisch-freundschaftlich bis zu Bebels Tod verbunden.[2]

Carl Dietrich trat auch in die Gewerkschaft der Holzarbeiter ein, engagierte sich für die Rechte der Arbeiter und brachte ihnen in Kursen Buchhaltung und Arbeitsrecht bei.[2]

Gewerkschafter

Er lernte in dieser Zeit die Arbeitertochter Martha Wünsch kennen. Die beiden heirateten am 11. Juli 1896. Er war 23 Jahre alt, seine Frau 18. Das Paar bekam drei Kinder, von denen eines mit nur fünf Jahren starb.[2]

1902 wurde Carl Dietrich zum hauptamtlichen Gauvorsteher des Holzarbeiterverbandes gewählt, für den er bis 1920 arbeitete und mehrfach an Verbandstagen und Gewerkschaftskongressen der Holzarbeiter teilnahm.[3] Auch in dieser Position war er streitbar: So verklagte er einen Vertreter des Arbeitgeberverbandes wegen Beleidigung.[4]

Vorwärts, 30.12.1906

Zur Reichstagswahl 1907 trat Carl Dietrich das erste Mal für den Wahlkreis Liegnitz-Goldberg-Hainau an[5] Er übernahm den Wahlkreis vom späteren SPD-Vorsitzenden Hermann Müller, der in den Wahlkreis nach Görlitz wechselte und konnte das SPD-Wahlergebnis verbessern. In dieser und der nächsten Reichstagswahl kam er in die Stichwahl.[2] Zwischen 1910 und 1919 nahm Carl Dietrich mehrfach an SPD-Parteitagen teil.[3]

Weimarer Republik

1918 erreichte die Novemberrevolution auch Schlesien. Carl Dietrich wurde Mitglied des zentralen Volksrats für die Provinz Schlesien und Volksbeauftragter beim Regierungspräsidenten in Breslau.[3] 1919 wurde er in die Nationalversammlung gewählt. Er arbeitete im Wirtschaftsausschuss mit und meldete sich im Parlament u.a. zu Fragen der Mitbestimmung zu Wort.[6] Bei der Reichstagswahl 1920 kandidierte Carl Dietrich erneut, allerdings erfolglos.[3]

In der Weimarer Republik wurde er Landrat in Sprottau (heute: Szprotawa) östlich von Görlitz und zugleich Mitglied des Preußischen Staatsrats und des Niederschlesischen Provinziallandtags.[3]

1925 bot ihm der preußische Innenminister Carl Severing das Amt des Polizeipräsidenten von Kiel an. Sein Vorgänger Wilhelm Poller war dort gerade in den Ruhestand gegangen. Als Gewerkschafter sei Carl Dietrich besonders geeignet, zwischen Polizei und Werftarbeitern in einem Arbeitskampf zu vermitteln, war das Argument. Er wechselte jedoch erst nach der Drohung des Ministeriums, ihn auf jeden Fall aus Sprottau weg zu versetzen.[2]

Als Kieler Polizeipräsident war ihm auch die Landespolizei unterstellt. Er selbst war dem Innenminister verantwortlich, nicht dem Oberpräsidenten Heinrich Kürbis. Auch wenn die bürgerlichen Kieler Neuesten Nachrichten gegen ihn als einen der "Gebieter auf den roten Polizeithronen Preußens" hetzten[7], setzte er sich in seiner Amtszeit, so gut er konnte, gegen die Umtriebe der Nazis ein.[2]

Als am 20. Juli 1932 durch eine erste Notverordnung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die geschäftsführende und legale Regierung des Freistaates Preußen durch den Reichskanzler Franz von Papen als Reichskommissar ersetzte ("Preußenschlag"), verlor er seinen Posten und wurde - wie bspw. auch Otto Eggerstedt, Hermann Lüdemann und Heinrich Kürbis[8] - in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ihm wurde aber noch der Umzug nach Görlitz bezahlt. Seine Beziehung zu Kiel endete damit.

Nazi-Zeit

1933 strichen die Nazis Carl Dietrich aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" die Pension und stellten ihn unter Polizeiaufsicht. Damals war er 60 Jahre alt. Er eröffnet einen kleinen Papier- und Tabakwarenladen im heute polnischen Teil von Görlitz, in der Pragerstraße 38. Wie viele andere war auch dieser Tabakwarenladen ein Treffpunkt für Andersdenkende in der Nazi-Zeit.[2]

Ob er in dieser Zeit verhaftet wurde oder nicht, ist nicht ganz klar. Das Bundesarchiv dokumentiert Verhaftungen 1937, 1944 und 1945 - er selbst sagte, dass sie nur angeordnet, aber nicht umgesetzt worden seien.[2]

DDR

Als die Rote Armee Görlitz befreite, war für ihn klar, dass er mithelfen wollte, das Land neu aufzubauen, obwohl er offenbar von betrunkenen Rotarmisten zunächst schwer misshandelt wurde.[9] Er meldete sich bei der Kommandantur und wurde 1945 mit 72 Jahren - offenbar jeweils für kurze Zeit - als Leiter des Arbeitsamtes, Landrat von Görlitz und Landrat von Großenhain eingesetzt.

Am 23. Juni 1945 beteiligte er sich an der Neugründung der SPD in Görlitz. Es waren auch Kommunisten dabei, und die Einheit der Arbeiterbewegung wurde beschworen. Allerdings konnte die Görlitzer SPD in der Folgezeit mehr als doppelt so viele Mitglieder binden wie die KPD.[10] Als die SPD zur Vereinigung mit der KPD gezwungen wurde, trat Carl Dietrich in die SED ein.

1947 wurde er Kurdirektor in Bad Elster. Dort setzte er sich dafür ein, dass auch Arbeiter vernünftige Erholungskuren machen konnten. Zwei Jahre später ging er endgültig in den Ruhestand.

1953 starb Carl Dietrich mit 80 Jahren in Bad Elster.[2]

Literatur

  • Martin, Sandra: Dietrich (Liegnitz), Carl. Szenen aus dem Leben eines Kieler Polizeipräsidenten (1925–1933). Zur Erinnerung an den Urgroßvater. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 90, Heft 6 (2022), S. 339–357
  • Schumacher, Martin (Hrsg.): M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933–1945. Eine biographische Dokumentation. 3., erheblich erweiterte und überarbeitete Auflage (Droste, Düsseldorf 1994) ISBN 3-7700-5183-1, S. 90

Archive

Links

Einzelnachweise

  1. Biogramm von Carl Dietrich, Bundesarchiv, abgerufen 30.11.2022
  2. 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 Martin, Sandra: Dietrich (Liegnitz), Carl. Szenen aus dem Leben eines Kieler Polizeipräsidenten (1925–1933). Zur Erinnerung an den Urgroßvater. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte Band 90, Heft 6 (2022), S. 339–357
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 Biografie von Carl Dietrich. In: Schröder, Wilhelm H.: Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1876–1933 (BIOSOP) (der genaue Datensatz muss mit der Suchfunktion ermittelt werden)
  4. Vorwärts, 26.02.1909, Nummer: 48, Jahrgang: 26
  5. Vorwärts, 30.12.1906, Nummer: 303, Jahrgang: 23
  6. Reichstagsprotokolle, Register 334
  7. Göhring, Mario: Vom bürgerlich-nationalistischen Blatt zur "gleichgeschalteten" Zeitung - Die KIELER NEUESTE NACHRICHTEN 1930-1934, In: Informationen der Schlewig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 27 (Juli 1995) S. 20-54.
  8. Bundesarchiv: Akten der Reichskanzlei: Band 1, Nr. 76 Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 21. Juli 1932, Personalangelegenheiten.
  9. Kabus, Ronny: "...weine ich täglich um meinen Vater" - In der Gewalt Stalins und der SED (Book on Demand, 2011) ISBN 3842331029, Seite 26
  10. Kabus, Ronny: "...weine ich täglich um meinen Vater" - In der Gewalt Stalins und der SED (Book on Demand, 2011) ISBN 3842331029, Seite 93

Anmerkungen

  1. Bei Nachnamensgleichheit wurden Abgeordnete durch Anhängen ihres Wahlkreises an den Namen unterschieden.