Claus Möller: Sozialdemokratische Identität und Große Koalition: Unterschied zwischen den Versionen

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Die beiden letzten Jahre waren bundesweit auch geprägt durch erhebliche Spannungen zwischen SPD und Gewerkschaften – Stichwort: Agenda 2010. Wir haben die Agenda 2010 sowohl im Bundesrat auch auf den Bundesparteitagen in Berlin und Bochum mit getragen.
Die beiden letzten Jahre waren bundesweit auch geprägt durch erhebliche Spannungen zwischen SPD und Gewerkschaften – Stichwort: Agenda 2010. Wir haben die Agenda 2010 sowohl im Bundesrat auch auf den Bundesparteitagen in Berlin und Bochum mit getragen.


Zugleich aber haben wir über unser Bildungskonzept, über unsere Vorschläge für eine Reform der Sozialsysteme und über das schleswig-holsteinischen Steuerkonzept den Dialog mit den Gewerkschaften u. a. im Gewerkschaftsrat intensiviert und den Streit – zumindest in Schleswig-Holstein - in eine konstruktive Bahn gelenkt. Dies ist bundesweit beachtet und anerkannt worden, und Michael Sommer ist im Oktober
Zugleich aber haben wir über unser Bildungskonzept, über unsere Vorschläge für eine Reform der Sozialsysteme und über das schleswig-holsteinischen Steuerkonzept den Dialog mit den Gewerkschaften u. a. im [[Gewerkschaftsrat]] intensiviert und den Streit – zumindest in Schleswig-Holstein - in eine konstruktive Bahn gelenkt. Dies ist bundesweit beachtet und anerkannt worden, und Michael Sommer ist im Oktober
2004 in Schleswig zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in einer SPD-Veranstaltung aufgetreten.
2004 in Schleswig zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in einer SPD-Veranstaltung aufgetreten.



Version vom 30. Juli 2015, 08:47 Uhr

Rede
des SPD-Landesvorsitzenden Claus Möller
auf dem SPD-Landesparteitag
am 23. April 2005 in Kiel

Es gilt das gesprochene Wort.

I. Sozialdemokratische Identität

Anrede,

Bei der der Wahl des Landesvorstandes im April 2003 wurde uns ein klarer, im Antrag der KERN-Region formulierter Auftrag mit auf den Weg gegeben: „Politik muss gestalten. Wir müssen die Ziele und Werte definieren und fortentwickeln, die uns von anderen Parteien unterscheiden. Es ist die Aufgabe der Partei und nicht der Regierung, Leitlinien und Ziele festzulegen. Vor allem mit der Wahrnehmung dieser Kompetenz wird die politische Beteiligung und Motivation in der Partei wachsen können.“

Das war eine klare Ansage.

Die Ansage ist nach dem 17. März 2005 erneut aktuell geworden.

Mut zur Vision, Kraft zur Erneuerung und eine moderne, an sozialer Gerechtigkeit orientierte Programmatik – das war die Erwartung des Parteitages an den neuen Vorstand wenige Wochen nach der flächendeckenden Niederlage bei der Kommunalwahl 2003. Wir haben sofort angepackt, gearbeitet, gekämpft. Die Arbeit in diesem Landesvorstand hat hoffentlich nicht nur mir viel Spaß gemacht. Mit dem „roten Faden der sozialen Gerechtigkeit“ haben wir die Identität und das Profil der schleswig-holsteinischen SPD geschärft und einen Kristallisationspunkt für unsere Programmatik gefunden.

Heute ist die Partei eine andere als 2003: Wir haben seither viel Mut bewiesen. Mut zur Veränderung, Mut zum offensiven politischen Diskurs und nicht zuletzt Mut zur Vision. Wir haben gesagt und gezeigt, dass wir sturmerprobt und stark sind. Wir haben Charakter bewiesen. Und deshalb bin ich ganz sicher, dass wir auch aus der aktuellen schwierigen Lage sehr schnell herausfinden. Wir sind heute in Schleswig-Holstein unangefochten die Partei der sozialen Gerechtigkeit, weil wir uns durch eine ausgeprägte inhaltliche Arbeit unter breiter interner und externer Beteiligung weit über unsere Landesgrenzen einen guten Namen gemacht haben. Unsere Beschlüsse zur Reform der sozialen Sicherungssysteme haben auf dem Bundesparteitag 2003 in Bochum einen entscheidenden Impuls für die Bürgerversicherung gegeben.

Auf dem nächsten Bundesparteitag geht es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie einer solidarischen Bürgerversicherung inklusive Pflege. Wir haben der bildungspolitischen Debatte in Deutschland durch unseren Beschluss zur Reform des Bildungssystem eine neue Richtung gegeben. Unser Leitbild war und ist mehr Bildungsgerechtigkeit nach dem Vorbild der skandinavischen Länder, die in den PISA-Studien Spitzenplätze erreicht haben.

Mit der Gemeinschaftsschule wollten und wollen wir weiterhin das antiquierte dreigliedrige Schulsystem überwinden.

Wir haben den Mut gehabt, in Schleswig-Holstein das erste in sich geschlossene Steuerkonzept vorzulegen, das Steuervereinfachung, Gerechtigkeit und angemessene Staatseinnahmen auf einen Nenner bringt.

Und wir haben gemeinsam ein mutiges und ambitioniertes Regierungsprogramm für die Jahre 2005 – 2010 und politische Visionen bis 2020 erarbeitet und einstimmig beschlossen. In den fünf Leitbildern haben wir unter dem Motto „Stark im Norden“ die zentralen Leitlinien und Visionen für ein zukunftsfähiges Schleswig-Holstein beschrieben. Dieses Programm ist nach wie vor Grundlage und Maßstab unserer Politik – gerade in seiner Spannung zwischen Vision und aktueller Regierungspolitik.

Die beiden letzten Jahre waren bundesweit auch geprägt durch erhebliche Spannungen zwischen SPD und Gewerkschaften – Stichwort: Agenda 2010. Wir haben die Agenda 2010 sowohl im Bundesrat auch auf den Bundesparteitagen in Berlin und Bochum mit getragen.

Zugleich aber haben wir über unser Bildungskonzept, über unsere Vorschläge für eine Reform der Sozialsysteme und über das schleswig-holsteinischen Steuerkonzept den Dialog mit den Gewerkschaften u. a. im Gewerkschaftsrat intensiviert und den Streit – zumindest in Schleswig-Holstein - in eine konstruktive Bahn gelenkt. Dies ist bundesweit beachtet und anerkannt worden, und Michael Sommer ist im Oktober 2004 in Schleswig zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in einer SPD-Veranstaltung aufgetreten.

Wir brauchen den Schulterschluss mit den Gewerkschaften, weil wir sonst unsere Programme, Perspektiven und Visionen in der Gesellschaft nicht durchsetzen könnten.

Die Entscheidung, den Landtagswahlkampf als einen Wahlkampf für Heide und soziale Gerechtigkeit als unsere zentrale politische Leitlinie zu führen, war richtig und erfolgreich.

Wir können Wahlen nur als Partei der sozialen Gerechtigkeit gewinnen. Wir können auch künftig nur erfolgreich sein, wenn wir Fragen der sozialen Gerechtigkeit offensiv aufgreifen und die Antworten an den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität orientieren. Wir haben uns in den vergangenen zwei Jahren seit der Kommunalwahl aus eigener Kraft aufgebäumt und dann mit Heide Simonis einen der kreativsten und engagiertesten Land- tagswahlkämpfe gekämpft, die es in Schleswig-Holstein je gegeben hat. Das Wahlergebnis am 20. Februar hat manche wegen der höheren Umfragen etwas enttäuscht. Und in der Tat haben wir unser Wahlziel, stärkste Partei im Landtag zu werden, nicht erreicht.

Aber dieses Wahlergebnis ist bundesweit eines der besten Wahlergebnisse für die SPD seit der Bundestagswahl 2002. Und es hat eine Mehrheit links von der Mitte ergeben. Wir haben gemeinsam in den vergangenen zwei Jahren eine politische Identität der SPD in Schleswig-Holstein aufgebaut, die uns auch jetzt trägt, uns eine Orientierung für die anstehenden schwierigen Entscheidungen gibt. Zu unserer Identität gehört der rote Faden der sozialen Gerechtigkeit. Das heißt, die breiten Schultern müssen mehr Lasten tragen als die Schwachen. Nur so ist gesellschaftlicher Ausgleich und Zusammenhalt möglich.

Zu unserer Identität gehört auch das Prinzip der Nachhaltigkeit, eine fortschrittliche Umwelt- und Energiepolitik. Diese gehörten zu unserer Identität längst bevor die Grünen im Landtag waren.

Zu unserer Identität gehört der Mut, Inhalte und Visionen zu vertreten, die über den Tellerrand hinaus gehen. Das ist unverzichtbar in der Partei Willy Brandts. Auf dieser Grundlage haben wir zu einem Zusammenhalt von Partei, Regierungsmitgliedern und Fraktion gefunden, der wirklich Seltenheitswert hat und um den uns andere Landesverbände beneiden.

Anrede,

dieser rote Faden der sozialen Gerechtigkeit bleibt für uns zukunftsweisend. Oder wie Willy Brandt einmal gesagt hat: „Es kommt darauf an, dass niemand unter die Räder kommt. Das zu verhindern ist wichtiger als der Komfort derjenigen, die erster Klasse fahren.“ Das ist und bleibt die Grundposition der Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein! Die aktuelle Kapitalismusdiskussion ausgelöst durch Franz Müntefering aber auch durch Hans-Peter Bartels ist für uns eine Bestätigung aber auch eine starke Genugtuung.

II.

Anrede,

wir haben hier in dieser Halle am 15. März einstimmig die Regierungsbildung mit den Grünen und dem SSW beschlossen. Wir waren uns einig der Koalitionsvertrag und die Tolerierungsvereinbarung sind ein mutiger Reformaufschlag und ein interessantes Politikmodell. Lothar Hay sprach von der „Koalition der großen politischen Schnittmengen“. Vorher hatten wir auch Sondierungsgespräche mit der CDU geführt, denn der öffentliche Druck für eine Große Koalition war stark und unsere Mehrheit von nur einer Stimme war denkbar knapp.

Ich habe euch hier am 15. März über die Sondierungsgespräche berichtet und an 4 Gründen vehement gegen die Große Koalition votiert:

Erstens: Die geringen landespolitischen Schnittmengen zur CDU z. B. in der Bildungspolitik.

Zweitens: Die geringe bundespolitische Schnittmenge, der damit verbundene Verzicht auf bundespolitische Initiativen im Bundesrat im Bereich der Energie-, Steuer- und Sozialpolitik.

Drittens: Die CDU war nicht bereit Heide Simonis als Ministerpräsidentin zu akzeptieren.

Und viertens: Nach unserem „HE!DE“-Wahlkampf konnten und wollten wir nicht in eine Regierung eintreten ohne Heide Simonis als Ministerpräsidentin. Dafür sind wir von 38,7 % der Menschen gewählt worden, das wäre Verrat am Wähler – insbesondere den 41 % weiblichen Wählern - und last but not least ein Verrat an Heide Simonis gewesen.

Am 17. März hat es dann einen Verrat und Betrug ganz anderer Art aus dem Hinterhalt gegeben. Das war der feigeste Dolchstoß, an Heide und der SPD, den ich in meinem politischen Leben erlebt habe. Rot-Grün und die Tolerierung durch den SSW waren damit geplatzt.

Es gab nach dem 17. März 2005 nur zwei Alternativen – Neuwahlen oder Verhandlungen über eine Große Koalition. Am 18. März hat der Landesparteirat, Lothar Hay, Uwe Döring und mich dann mit erneuten Sondierungsgesprächen mit der CDU und allen anderen Parteien beauftragt. Am 30. März wurde die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU beschlossen. Heute nun liegt euch ein Koalitionsvertrag zur Abstimmung vor. Diese Entscheidung ist für uns alle ein mentaler Kraftakt und politisch gehörte eine Große Koalition mit einem Ministerpräsidenten Carstensen ganz gewiss nicht zu unseren Wahlzielen.

Unsere Gefühlslage ist weiterhin geprägt durch die Fassungslosigkeit aller über den Verrat durch einen oder einer, ist geprägt durch den Verlust der Ministerpräsidentin, durch die jahrzehntelangen Erfahrungen mit einer konservativen CDU in den Städten, Gemeinden und Kreisen sowie auf Landesebene.

Vieles sperrt sich in uns – auch bei mir als bekennender Fan von Rot-Grün. Das will ich nicht leugnen. Diese Skepsis spiegelt sich auch wider in vielen Gesprächen, e-mails und Briefen.

Aber, Anrede, noch wichtiger als unsere innerparteilicher Gefühlslage ist die Interessenvertretung derer, die uns am 20. Februar gewählt haben.

Wir vertreten 38,7 % der Wählerinnen und Wähler. Für sie und das Land tragen wir Verantwortung. Die heutige Entscheidung über den Koalitionsvertrag ist vor allem die Frage, ob wir dieser Verantwortung politisch-inhaltlich unter den gegebenen Umständen gerecht werden – aber auch, ob wir unsere spezielle Identität als SPD-Schleswig-Holstein wahren können. Wir haben mit der CDU auf gleicher Augenhöhe hart aber fair verhandelt.

Ganz bewusst mit der gleichen Verhandlungskommission, die auch den Vertrag mit dem SSW und Bündnis90/Die Grünen verhandelt hat. Die CDU kannte unsere Position: Verhandlung ja, Koalition aber nicht um jeden Preis. Die Verhandlungen standen in der Nacht von Freitag auf Samstag vor dem Scheitern, erst am Samstag morgen hat die CDU in wichtigen Strukturfragen eingelenkt. Niemand konnte erwarten, dass wir mit der CDU einen so fortschrittlichen Vertrag aushandeln können wie mit den Grünen und dem SSW.

Es kann sich nur um ein zeitlich befristetes politisches Sachbündnis für unser Land handeln. Deshalb haben wir von Anfang an gesagt, dass wir euch nur einen Vertrag zur Abstimmung stellen werden, von dem wir guten Gewissens überzeugt sind, dass er hier eine Mehrheit finden kann, der die Identität unserer Partei wahrt. Nach dem Motto erst die Inhalte, dann die Strukturen, dann die Personen, glaube ich

1. dass dieser Koalitionsvertrag bei auch schwierigen Kompromissen eine erkennbare deutliche sozialdemokratische Handschrift trägt.

2. dass wir mit dem Ministerium für Bildung und Frauen, dem Innenministerium, dem erweiterten Ministerium für Soziales, Jugend und Familie und dem Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa für Sozialdemokraten wichtige Ressorts haben werden, aus denen heraus wir Schlüsselthemen unserer Politik - Arbeit, Bildung und soziale Gerechtigkeit und Verwaltungsstrukturreform - gestalten können.

3. mit Ute Erdsiek-Rave, Ralf Stegner, Gitta Trauernicht und Uwe Döring und den Staatssekretären Wolfgang Meyer-Hesemann, Hellmut Körner, Ulrich Lorenz und Peter Nissen, haben wir eine ganz starke personelle Besetzung und Vertretung der SPD in dieser Landesregierung.

Die Hauptlast der Detailverhandlungen lag bei den Facharbeitsgruppen, deshalb werden auch in der Diskussion Einzelheiten und Kompromisse von den Sprechern moderiert.

Lasst mich an dieser Stelle einen Dank an alle zwölf Mitglieder der Verhandlungskommission sagen: zwei Koalitionsverträge in acht Wochen mit so unterschiedlichen Verhandlungspartnern waren viel Arbeit, viel Zeitaufwand, viel Stress, das war eine professionelle Härteübung.

Ein ganz besonderer Dank gilt Lothar Hay: Lothar, du hast nach dem 17. März 2005 die Fraktion souverän zusammengehalten. Du hast dich aktiv in 12er, 6er, 4er-Gruppen eingebracht. Wir haben in sehr vielen bilateralen Gesprächen – immer auf Augenhöhe – das Personaltableau geschnürt (das hat bislang immer die MP’in vorbereitet). Du hast in dieser Woche an jedem Abend den Koalitionsvertrag an der Basis erläutert. Ich sage dir ganz herzlich Dank für deinen Einsatz.

Zur Bildungspolitik

Der Landeszuschuss für die Kindertagesstätten in Höhe von 60 Millionen Euro jährlich bleibt. Der Bildungsauftrag der Kindertagesstätten wird, orientiert an den mit den Trägern verabredeten Leitlinien, gesetzlich konkretisiert. Mit den Schuleingangsuntersuchungen werden künftig Sprachstandsuntersuchungen und gezielte Sprachfördermaßnahmen durchgeführt.

Dies, Anrede, ist SPD pur.

Es ist klar, dass in einer Koalition mit der CDU, d.h. in den nächsten fünf Jahren das gegliederte Schulsystem bestehen bleibt. Ebenso klar ist aber auch, dass Schleswig-Holstein als erstes Bundesland, den Einstieg in die Gemeinschaftsschule nach skandinavischen Vorbild machen wird. Wir haben mit der CDU vereinbart, was schon die SPD-geführte Vorgängerregierung für eine bessere Unterrichtsversorgung angekündigt hatte:

Bis 2010 werden alle Lehrerstellen neu besetzt.

Insgesamt sollen in den nächsten fünf Jahren über 150 Millionen Euro zusätzlich in den Schulbereich investiert werden.

Anrede,

es ist für mich von überragender Bedeutung, dass der von uns entwickelte Reformansatz der Gemeinschaftsschule nicht etwa in den Schubladen verschwindet, sondern mit dem Einstieg in Schleswig-Holstein auch auf der Tagesordnung der Bildungspolitik in Deutschland bleibt. Gemeinschaftsschulen entstehen auf Antrag der Schulträger durch Umwandlung bestehender Schulen. Das stand auch im Rot/Grünen Koalitionsvertrag. Damit haben wir mit Blick auf die Kommunalwahl 2008 eines der großen Themen gesetzt. Denn Gemeinschaftsschulen stehen für mehr Bildungsgerechtigkeit. Kritisch sind in der Bildungspolitik u. a. zwei Punkte: Studiengebühren und die IGS Pansdorf.

Wir lehnen Studiengebühren ab, die CDU ist dafür.

Schleswig-Holstein wird hier weder Vorreiter noch Insel sein, sondern vor einer Entscheidung die Entwicklung in den anderen norddeutschen Ländern abwarten. Wir wissen, dass aufgrund unserer Ablehnung von Studiengebühren viele Studierende SPD gewählt haben. Wir fühlen uns ihnen weiter verpflichtet und damit ist klar: Dieses Thema kann eines der Konfliktpunkte in dieser Koalition werden. Ich gehe davon aus, dass vor einer endgültigen Entscheidung des Kabinetts ein Landesparteitag das Thema Studiengebühren erneut berät. Das gilt auch für die Existenz der Gesamtschule in Pansdorf. Auch dieser Konflikt ist aufgeschoben – bis zum Urteil des Verwaltungsgerichts -, aber nicht aufgehoben.

Wir halten es – auch nach einer Diskussion mit dem DGB und Einzelgewerkschaften - für vertretbar, einen Teil der höheren Personalkosten im Bereich der Bildung und anderswo durch eine höhere Arbeitszeit für die Beamtinnen und Beamten ab 1. August 2006 auszugleichen.

Dies wird mit der Zusage verbunden, dass es bis 2010 keine weiteren Abstriche beim Urlaubs- oder Weihnachtsgeld geben wird. Die vereinbarte Rückgabe der Vorgriffsstunden bleibt davon unberührt. Wir wissen, dass dies ein zusätzliches Opfer bedeutet. Aber wir glauben, dass die überragende Bedeutung der Bildungspolitik für die Chancen unserer Kinder ebenso wie für die Entwicklung unserer Gesellschaft diese Entscheidung rechtfertigt.

Zur Wirtschaftspolitik

In der Wirtschafts- und Verkehrspolitik liefen die Verhandlungen weitgehend ohne Probleme. Weiterbau A 20, Ausbau A 7 und A 21, Fehmarn-Belt-Querung, Elektrifizierung Hamburg-Lübeck, Ausbau Lübeck-Blankensee haben höchste Priorität und wir erwarten, dass sich die Einigkeit bei den großen Infrastruktur-Projekten auf das Tempo ihrer Realisierung auswirkt. Beim Flughafen Kiel liegt die Entscheidung, ob der Ausbau mit der Planungsphase weiter verfolgt wird, nun bei der Stadt. Entscheidet sich Kiel für die Planungsphase II, wird sie ge- macht, sonst nicht.

Wir beobachten mit einer gewissen Spannung die Diskussion zwischen der Oberbürgermeisterin, der CDU-Fraktion und den Grünen im Kieler Rathaus. An dieser Stelle passt ein Wort an die Wirtschaft des Landes. Seit dem 20. Februar hat sich die Spitze der Unternehmensverbände mit ihrer Forderung nach einer Großen Koalition hat sich damit politisch über das normale Maß hinaus massiv exponiert.

Wer sich so weit aus dem Fenster lehnt, der übernimmt im Gegenzug auch eine Verpflichtung. Nämlich die Verpflichtung, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Die Verpflichtung der Unternehmen steht im Grundgesetz und heißt: Eigentum verpflichtet: Zu einem Handeln, das den Interessen der Allgemeinheit entspricht und ihnen nicht zuwider läuft.

Der Staat und die Gesellschaft bieten den Unternehmen gute Produktionsbedingungen: Rechtssicherheit, gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sozialen Frieden – die Liste der Grundlagen für erfolgreiches Wirtschaften ist auch in Schleswig-Holstein sehr lang.

Wir leiten daraus das Recht der Öffentlichkeit und der Politik ab, dass, wer Gewinn erwirtschaftet damit mehr und nicht weniger Arbeitsplätze schafft. Wer sich politisch soweit aus dem Fenster lehnt, wie die Unternehmensverbände in Schleswig-Holstein, muss sich selbst an den harten Kern unseres Gemeinwesens heranwagen und massiv mithelfen, ökonomische Kündigungen zu vermeiden und neue Arbeits- und Ausbil- dungsplätze zu schaffen.

Ich will weitere Punkte nennen, für die es sich lohnt in dieser Regierung zu arbeiten:

Die Arbeitsmarktpolitik bleibt in sozialdemokratischen Händen. Und das es sich dabei um eine aktive und kreative Arbeitsmarktpolitik handeln wird, dafür bürgt der Name des zuständigen Ministers, Uwe Döring.

Wenn wir von der Identität der schleswig-holsteinischen SPD sprechen, dann gehört dazu seit den 70er Jahren der Ausstieg aus der Atomenergie. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart: „Es besteht Einigkeit, dass die Landesregierung nicht initiativ wird, den Energiekonsens aufzukündigen, d. h. es bleibt bei den vereinbarten Restlaufzeiten. Wir werden uns im Bundesrat enthalten, wenn widerstreitende Auffassungen, wie zum Beispiel bei der Kernenergie, vorliegen.“ Enthaltung im Bundesrat gilt als Nein-Stimme.

Das heißt: In Sachen Kernenergie haben wir unsere Position gehalten; und der Koalitionsvertrag sieht einen weiteren Ausbau der Windenergie und anderer regenerativer Energien in Schleswig-Holstein vor.

Die Sparkassen bleiben in Schleswig-Holstein öffentlich-rechtlich organisiert, und zwar ohne Zugriffsrecht für die Großbanken.

Wir haben mit der CDU ein engagiertes sozialpolitisches Programm vereinbart mit den Schwerpunkten Behinderte, Pflege und Gesundheit. Die Pflege wird als Staatsziel in die schleswig-holsteinische Verfassung aufgenommen. Dies ist eine seit Jahren erhobene Forderung von SPD und AWO – SPD-Wahlprogramm pur -.

Die Frauenhäuser im Land werden weiter gefördert.

Darüber hinaus:

  • Der Bürgerbeauftragte bleibt!
  • Der Flüchtlingsbeauftragte bleibt!
  • Der Behindertenbeauftragte bleibt!
  • Der Minderheitenbeauftragte bleibt!

Wir stehen weiterhin für die anerkannt vorbildliche Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein.

Die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten bleiben hauptamtlich. Durch die höhere Einwohnerzahl der Ämter durch die Verwaltungsstrukturreform wird die Anzahl der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten trotz der künftig höheren Einwohnergrenzen stark steigen.

An vielen weiteren Punkten ist eine deutliche sozialdemokratische Handschrift erkennbar. Daneben gibt es natürlich auch eine Reihe schwieriger Kompromisse. Hart gerungen wurde in den Verhandlungen vor allem über die künftige Umweltpolitik. Hier hat die CDU ihren konservativsten Flügel und Anhang. Wir bleiben z. B. unterschiedlicher Auffassung über den Einsatz der grünen Gentechnik. Positiv: eine Privatisierung der Trinkwasserversorgung wird abgelehnt.

Ein Roll-back in der Umweltpolitik wird es mit uns nicht geben. Die CDU hatte dafür als Symbol die Überprüfung der Gebietskulisse für Natura-2000 vorgesehen. Hier haben wir die Formulierung entschärft und vor allem haben wir festgelegt, dass eine Entscheidung darüber im Kabinett getroffen wird. Wir haben hier also den Fuß in der Tür.

Die praktische Umsetzung der Umweltpolitik werden wir an den Maßgaben unseres Programms und den Ansprüchen der Präambel messen, ich zitiere „Wir wollen aus christlicher und humanistischer Verantwortung und gemäß der Verfassung Umwelt und Natur als Lebensgrundlagen und auch aufgrund ihren eigenen Wertes schützen. Deshalb wollen wir die hohe Lebensqualität in Schleswig-Holstein bewahren und ausbauen. Der Schutz der Natur, der Umwelt und des Klimas sind gerade für uns im Norden zentrale politische Aufgabe.“

Im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, der Kriminalitätsbekämpfung von Polizei und Justiz haben wir gegenüber der CDU wesentlich liberale Positionen durchsetzen können. Damit bleiben Liberalität und Sicherheit, Effizienz und Modernität die Leitlinien der gemeinsamen Innen- und Justizpolitik.

Die Polizeireform wird weitergeführt, die Einführung des digitalen Behördenfunks wird zügig vorangetrieben. Dies werte ich als Erfolg für die SPD.

Ledigleich bei der Schleierfahndung gab es einen schwierigen Kompromiss. Die Einführung erfolgt allerdings unter eng begrenzten, gesetzlich definierten Voraussetzungen. Die Liste der von der CDU ausgegebenen Position ist sehr lang und reicht von der Reiterstaffel bis zur Fußfessel.

Anrede,

bei allen Vorbehalten und Macken einer Großen Koalition, es gibt auch ein paar notwendige Reformen für unser Land, die man mit breiter Mehrheit leichter umsetzen kann, als mit einer 1-Stimmen-Mehrheit:

  • Das gilt für die Haushaltskonsolidierung mit unpopulären Sparbeschlüssen.
  • Das gilt auch für die leider leicht abgespeckte Verwaltungsstrukturreform bei durchweg schwarzen Mehrheiten in den Kommunen.
  • Das gilt für eine mutige Entbürokratisierung.
  • Das gilt für die Beseitigung finanzieller Unwuchten im kommnalen Finanzausgleich.

Lasst uns das Verhandlungsergebnis nicht zu klein reden.

Das (sozialdemokratische) Glas ist bei den Inhalten, Strukturen und Personalien nicht halbleer, sondern mehr als halb voll!

Neuwahlen mit der Gefahr einer konservativen Alleinregierung bedeuten aus SPD-Sicht: Das Glas ist fast leer.

Verhandlungskommission, Landesvorstand und Parteirat empfehlen euch die Annahme des Koalitionsvertrages. Eine Annahme bedeutet für uns alle aber auch, dass wir dem „zeitlich befristeten politischen Bündnis Große Koalition“ zum Erfolg verhelfen müssen, gleichzeitig aber unser Profil und unsere Identität erhalten. Das Ergebnis hat Konsequenzen für die Arbeit in Kabinett, Fraktion und Partei.

III. Die Rolle der Partei

In den zurück liegenden zwei Jahren haben wir gemeinsam organisatorisch und programmatisch einiges erreicht.

Wir haben das politische Profil der SPD Schleswig-Holstein – links, dickschädlig und frei, geschärft. Und wir haben einen kreativen, engagierten und erfolgreichen Landtagswahlkampf ganz in rot geführt.

Es gibt aber nach wie vor politisch-inhaltliche als auch organisatorische Baustellen. Beispiele habe ich in meinem Schreiben vom 19. Januar 2005 an Landesvorstand, Kreisvorsitzende und Landesparteirat genannt:

  • Diskussion und Beschlussfassung über ein neues Grundsatzprogramm. Ich bin Eckart Kuhlwein sehr dankbar, dass er und viele andere sich viel Zeit genommen haben, um für uns die Diskussion über ein neues Grundsatzprogramm vorzubereiten.
  • Der für die Bundestagswahl 2006 angesetzte Bundesparteitag im November. Wir wollen den roten Faden der sozialen Gerechtigkeit auch in das Bundestagswahlprogramm einweben.
  • Der Bundestagwahlkampf 2006 (natürlich ganz in rot)
  • Die Vorbereitung der Kommunalwahlen 2008 (SGK und Kommunalakademie haben die anstehenden Generationswechsel 2008 gut vorbereitet)
  • Die weitere finanzielle und organisatorische Konsolidierung des Landesverbandes (Die Landtagswahlergebnisse müssen Anlass sein, unsere Parteistruktur im ländlichen Raum zu hinterfragen)
  • Schrittweise Umsetzung unseres Regierungsprogramms unter den Bedingungen einer großen Koalition

Ein Erfolgsrezept für unsere Profilbildung und die Geschlossenheit im Wahlkampf war, dass wir wieder mehr miteinander als übereinander geredet haben. Unsere programmatische Vorstellung zu dem sozialen Sicherungssystem, zur Bildungs- und Steuerpolitik und das Regierungsprogramm haben wir intensiv teils in kontroversen gemeinsamen Arbeitsgruppen aus Partei, Regierung, Landtagsfraktion und MdBs vorberaten und auf Parteitagen zur Abstimmung gestellt.

Nur so kamen weitgehend einstimmige Beschlüsse zu Stande. Gelitten hat darunter ein wenig die uns eigene Streitkultur.

Im Hinblick auf den Landtagswahkampf war das aber dennoch eine richtige Strategie. Wir waren stark im Norden auch durch inhaltliche Geschlossenheit. Wir haben stets am gleichen Strang in die gleiche Richtung gezogen. Aber gilt das auch heute noch? Ich meine nur bedingt. Die SPD Regierungsmitglieder, die Landtagsfraktion und die Partei werden nach innen und außen auch solide Koalitionskompromisse vertreten müssen, die nicht unserer Programmatik entsprechen.

Mehr miteinander als übereinander reden gilt fort: SPD Kabinettsmitglieder, Fraktionsvorsitzender und Landesvorsitzender wollen sich zukünftig treffen. Aber es gilt die alte Doppelstrategie zu realisieren oder nach dem Grundsatz zu verfahren: „Getrennt marschieren, zusammen schlagen“. Da die Landesregierung für eine gesellschaftspolitische Reformpolitik als Initiator im Bundesrat weitgehend ausfällt, müssen wir unsere Vorschläge zur Strukturpolitik, Bürgerversicherung, Energiepolitik, Bildungspolitik noch stärker auf der Parteischiene in der Bundestagsfraktion, Parteivorstands-Arbeitskreisen, Parteirat und Bundesparteitagen mehr mehrheitsfähig machen.

Die Partei muss viel stärker als bisher zu unserer Profilbildung beitragen, d. h.

  • vor Ort Bündnisse für unsere Umwelt- und Energiepolitik und die Agenda 21 schmieden.
  • vor Ort den Diskurs mit Eltern, Schülern und Schulträgern über unsere Bildungspolitik führen und aktiv den Kommunalwahlkampf für die Gemeinschaftsschule führen. Sozialdemokraten müssen sich im Elternbeirat und –Initiativen engagieren.

Es gilt aber auch wie vor meine Aussage auf dem Parteitag am 13. April 2003 in Bad Segeberg: Wir brauchen das Gespräch der SPD mit den Wählern, in Elternbeiräten, in Feuerwehrversammlungen, am Arbeitsplatz, auf Wochen- und Flohmärkten über unsere Politik des roten Fadens der sozialen Gerechtigkeit. Es ist wichtiger, mit dem Wähler auch dem imaginären Nichtwähler, ins Gespräch zu kommen, als nur im „Innercircle“ der Funktionsklausur zu diskutieren. So müssen wir Profil und Identität der SPD Schleswig-Holstein unter den Bedingungen einer großen Koalition schärfen.

Im Landtagswahlkampf haben wir unsere Kampagnenfähigkeit unter Beweis gestellt! Packen wir es gemeinsam an, die nächste Bundestagswahl und Kommunalwahl kommt bestimmt. Im Landtagwahlkampf haben wir unsere Kampagnefähigkeit unter Beweis gestellt. Jetzt, Anrede, lasst uns mit derselben Power und demselben Einsatz die Bundestagswahl 2006 und die Kommunalwahl 2008 vorbereiten. Sie ist nach der Niederlage 2003 genauso wichtig, wie eine Landtagswahl.

Sie ist der Schlüssel für unsere politische Stärke in Schleswig-Holstein. Der 17. März war ein tiefer Einschnitt. Aber diese Partei bleibt was sie ist: Stark im Norden. Wir starten durch!