Energiewende

Aus SPD Geschichtswerkstatt
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Wahlplakat 1996

Als Energiewende wird die Hinwendung zur nachhaltigen Stromproduktion, höherer Effizienz und Energieeinsparung verstanden. Der Begriff ist eng auch mit der Politik der SPD Schleswig-Holstein verbunden.

Zum ersten Mal in einem Beschluss der SPD Schleswig-Holstein findet man den Begriff im Leitantrag zur Energiepolitik auf dem Landesparteitag 1979 in Burg auf Fehmarn[1]. Nachdem die SPD Schleswig-Holstein sich Mitte der 1970er Schritt für Schritt von der Atomkraft verabschiedet hatte, musste ein neues Konzept für eine nachhaltige, sichere Energieversorgung her.

Nach Ölkrisen, der Debatte über Die Grenzen des Wachstums und die Zwischenfälle in den Atomkraftwerken von Three Mile Island (USA) und Tschernobyl (Sowjetunion) wurde die Forderung nach erneuerbaren Energien stärker. Jochen Steffen, der noch 1971 weitere Atomkraftwerke gefordert hatte, änderte auf Grund neuer Erkenntnisse seine Einstellung: "Wenn die Kritiker der Atomkraft auch nur zu 20% Recht haben, dürfen wir dieses Risiko nicht mehr eingehen."[2]

Der Begriff "Energiewende" wurde im Bundestag 1979 erstmals von Oppositionsführer Helmut Kohl benutzt, als er Bundeskanzler Helmut Schmidt vorwarf, seine eigene Partei stünde nicht mehr hinter der Atomkraft:

"Heute stehen wir vor der Situation, daß die Sozialdemokraten in Niedersachsen die nach dem Atomgesetz erforderliche Wiederaufbereitungsanlage ablehnen, daß die SPD in Baden-Württemberg eine Bau- und Genehmigungspause für Kernkraftwerke fordert, um eine Energiepolitik zu entwickeln, die den Verzicht auf Kernenergie möglich macht, und daß der Vorstand der SPD Schleswig-Holsteins mit Mehrheit ein Aktionsprogramm „Energiewende" verabschiedet, nach dem neue Kernkraftwerke nicht mehr errichtet werden sollen — und die in Betrieb befindlichen Kraftwerke in den Bereich der Stillegungen einbezogen werden müssen."[3]

Als am 12. Februar 1980 die Nord-Süd-Kommission unter Vorsitz von Willy Brandt dem UNO-Generalsekretär ihren Bericht „Das Überleben sichern. Gemeinsame Interessen der Industrie- und Entwicklungsländer“ vorlegte, bereitete der den Boden, auf der politischen Ebene das Bewusstsein über die bevorstehenden und schwerwiegenden Klimaveränderungen und das Ende der Fossilen Brennstoffe zu schärfen. So schrieb er:

"Im wichtigsten Bereich, nämlich beim Verbrauch von Brennstoffen, verhält sich die Menschheit weiterhin so, als wären alle diese Rohstoffe - die bis jetzt in so überreichem Maße verschwendet wurden - erneuerbar. Der Ölvorrat unseres Planeten ist in einem langen Prozess in Millionen von Jahren aufgebaut worden, und er wird nun in wenigen Generationen 'durch den Schornstein gejagt'. Die Erschöpfung dieser Rohstoffe ist vorauszusehen, nicht aber ihr Ersatz durch alternative Energiequellen."[4]

Es konnte also weder mit Atomkraft noch mit Kohle, Öl oder Gas weiter gehen. So beschloss der Landesparteitag 1981 ein Energieprogramm, das unter Anderem den Ausstieg aus der Atomkraft, Kohle als Brückentechnologie, den Ausbau der Fernwärme, die Entwicklung von örtlichen und regionalen Energieversorgungskonzepten, Abbau von Hemmnissen für Sonnen- und Windenergie und energiesparendes Bauen umfasste.[5] Außerdem sprach sich der Parteitag für ein "Energietechnisches Institut", das Technologien entwickeln sollte, damit der Atomausstieg gelänge.[6] Der Naturfreund Michael Müller erinnert sich:

"Richtig ist aber, dass die Energiewende ursprünglich einen viel weitergehenden Ansatz hatte. Sie wurde Zug um Zug auf die Erneuerbaren Energien reduziert. Dabei verfolgte sie anfangs eine gleichberechtigte Strategie der drei E’s: Einsparen, Effizienzrevolution und Erneuerbare Energien. Und sie gehören zusammen."[7]

Die SPD Schleswig-Holstein zog mit dem Anspruch in die Landtagswahl 1983, eine Energiepolitik zu machen, "die die Menschen vor Gefahren schützt, Natur und Umwelt schont und mit unseren Energiereserven sparsam umgeht."[8] In dieser Landtagswahl jedoch, sollte der Regierungswechsel noch nicht gelingen. Jedoch mach die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 noch einmal deutlich, wie dringend der Ausstieg aus der Atomkraft ist. Ein außerordentlicher Landesparteitag im Dezember macht das mit seinem Beschluss "Wir organisieren den Ausstieg - unser Weg für eine sichere und ökologisch verantwortbare Energiepolitik" noch einmal deutlich.

Vom Plan zur Praxis

In Schleswig-Holstein waren es die SPD und Ministerpräsident Björn Engholm, die 1988 nach dem Regierungswechsel eine neue Energiepolitik einleiteten. Geerbt hatten das Land in der Energieversorgung von den 38 Jahren CDU-Regierung die Atomkraftwerke Brokdorf, Krümmel und Brunsbüttel und mit ihnen die in den Augen der Landes-SPD unverantwortliche Abhängigkeit vom Atomstrom. Die SPD hat dagegen ihre Energiepolitik zum Markenzeichen der ökologischen Erneuerung Schleswig-Holsteins gemacht. Diese ist untrennbar mit Namen wie Günther Jansen und Claus Möller verbunden.

Windkraft

Günther Jansen

"Die Windenergie kann in der Landwirtschaft ein neues und zukunftsträchtiges Standbein sein," sagte Energieminister Günther Jansen 1991 dem SPIEGEL[9]. In diesem Jahr trat das erste Gesetz über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz in Kraft, das festschrieb, dass alternativ erzeugter Strom von den Versorgern abgenommen und bezahlt werden muss. Erst dadurch wurden Windkraftanlagen zu Investitionen. Damals gab es in Schleswig-Holstein ganze 230 Windkraftanlagen.

Der Kampf für mehr Windenergie hatte da schon eine längere Tradition in der SPD Schleswig-Holstein. Nach dem Mitte der 1970er beschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft, machte sich die SPD Schleswig-Holstein auf die Suche nach Alternativen. Auf dem Landesparteitag 1979 beschloss sie einen Leitantrag zur Energiepolitik mit einer umfangreichen Liste mit Vorschlägen.[10] Darunter waren mehrere zur Förderung der Windkraft. 1984 beantragte der Ortsverein Niebüll die zeitlich befristete Förderung der Windkraft - der Landesparteitag stimmte zu.[11]. Damals aber war die SPD in Bund und Land in der Opposition, und so tat sich wenig. Die Situation änderte sich erst mit der Regierungsübernahme in Schleswig-Holstein 1988.

Wahlplakat 1992

Auch Landesvorsitzender Günther Jansen setzte sich bereits Mitte der 1970er Jahre für einen Ausstieg aus der Atomkraft ein. Er wurde nach der Landtagswahl 1988 Minister für Arbeit, Soziales, Jugend, Gesundheit und Energie - Claus Möller war sein Staatssekretär und wurde 1993 sein Nachfolger als Minister. Günther Jansen formulierte 1992 das Ziel des Landes, bis zum Jahr 2010 20 % des Eigenbedarfes aus dem Wind zu gewinnen. Dies Ziel wurde bereits im September 2001 erreicht; 1992 brachte es der SPD nur Spott und ein müdes Lächeln der Energiekonzerne ein.

Jahr Anzahl WKA° Leistung (MW) kW/WEA
< 100 7 70
1991 343 59 172
1993 662 153 231
1995 1196 426 356
1997 1495 603 403
1999 1866 941 504
2001 2305 1502 652
2003 2547 1952 766
2005 2594 2179 840
2007 2423 2565 945
2009 2593 2717 1048
2011 2609 3145 1205

°Windkraftanlagen
Quelle: Landwirtschaftskammer[12]

Im Jahr 2000 löste die SPD-geführte Bundesregierung das alte Einspeisegesetz ab durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das den Vorrang der erneuerbaren Energien festschrieb. Die SPD Schleswig-Holstein hatte entsprechende Forderungen gestellt.

Stagnation

2014 verkündete Energiewendeminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen):

"Wenn das Windjahr mindestens durchschnittlich wird, können wir mit den 2014 installierten Anlagen die 100 Prozent-Marke erreichen. Dann sind wir im Strombereich zumindest rechnerisch voll mit erneuerbarer Energie versorgt."[13]

Für die Zukunft prognostizierte er eine Steigerung der nachhaltigen Stromproduktion auf 300 % des Eigenbedarfs des Landes binnen 10 Jahren.

Ein Jahr später, 2015, kippte das Oberverwaltungsgericht seine Ausbaupläne:

"Die Richter rügten, dass vorab jene Gemeinden von der Ausweisung von Eignungsflächen ausgeschlossen wurden, die sich gegen die Windräder ausgesprochen hatten. Um einen möglichen Wildwuchs von Anlagen zu verhindern, verhängte das Land ein Moratorium für Neubauten (Ausbaustopp), das Ende des Jahres [2020] ausläuft."[14]

Auch unter seinem Amtsnachfolger in der nächsten - CDU-geführten - Regierung, Jan Philipp Albrecht (Bündnis 90/Die Grünen), ging die Zahl der Windkraftanlagen inzwischen zurück, weil kaum neue Anlagen gebaut, alte aber außer Betrieb genommen wurden. 2019 meldete die Presse:

"Erstmals seit den 80ern gibt es weniger Windkraftanlagen. Bundesverband Windenergie fordert mehr Ausnahmegenehmigungen."[15]

Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Hölck, erklärte anlässlich der Präsentation der Pläne im Jahr 2020:

"Aus dem einstigen Pionierland der Windenergie zu Zeiten der SPD-geführten Küstenkoalition ist inzwischen eine windenergetische Einöde geworden – wie der Bau von ganzen drei Anlagen seit Jahresbeginn überdeutlich zeigt."

Die "unhaltbaren Wahlversprechen von FDP und CDU" hätten demnach zu einer Komplexität und Widersprüchlichkeit geführt, die keiner mehr nachvollziehen könne.[16]

2023 kippte das Oberverwaltungsgericht auch neuen Windkraftpläne der inzwischen Großen Koalition aus CDU und Bündnis 90/Die Grünen. Anfang Juni 2023 will sich das Gericht mit dem Regionalplan 2 für Kiel und Neumünster sowie für die Kreise Plön und Rendsburg-Eckernförde befassen.[17] Damit waren bereits acht Jahre für den Windkraft-Ausbau verloren gegangen. "Noch so einen langen Prozess wie nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts von 2015 kann und darf es nicht noch einmal geben," sagte Marcus Hrach vom Landesverband Windenergie dem NDR.[17]

Energieforschung

Die von Björn Engholm geführte Landesregierung schloss am 11. April 1989 einen Energiesparvertrag mit der VEBA AG ab. Die VEBA sollte 100.000 DM dafür geben, dass öffentliche Gebäude mit Energiesparglühlampen ausgerüstet werden könnten. Man erhoffte sich davon eine Energieeinsparung von 80 %. Der Vertrag umfasste begleitend zu diesem Projekt die Gründung einer Forschungsgesellschaft, aus der die Energiestiftung Schleswig-Holstein (heute: Innovationsstiftung) und ein Lehrstuhl an der Universität Flensburg hervorgingen.

Vorangegangen war eine Machtprobe mit der Energiewirtschaft. Diese war unglücklich über die Energiepolitik der Regierung. Als der Unternehmensverband das Kabinett zum traditionellen Grünkohlessen einlud, las der Gastredner von der VEBA der Regierung die Leviten. Er gebe 100.000 DM für ein Energiesparprogramm und trotzdem werde man kein Atomkraftwerk einsparen können. Klaus Rave, von 1988 bis 1995 Abteilungsleiter Energiewirtschaft in der Landesregierung, entwickelte daraus die Idee für das oben genannte Programm.[18]

Die Energiestiftung Schleswig-Holstein (ESSH) unterstützte und förderte seither Fortschritte auf dem Gebiet des Klimaschutzes. Sie wurde 1993 vom Land Schleswig-Holstein und der Energiewirtschaft (E.ON, Schleswag) gegründet.

Das Stiftungskapital betrug bei der Gründung 100 Millionen DM - eingebracht zu 50 % vom Land Schleswig-Holstein, zu 40 % von der PreussenElektra AG, heute E.ON Energie AG, und zu 10 % von der SCHLESWAG AG, heute E.ON Hanse AG. 1994 stifteten die Stadtwerke Kiel AG 1 Million. DM (ca. 510.000 Euro) zu.

Am 1. Juli 2004 wurden Energiestiftung und Technologiestiftung Schleswig-Holstein in der Innovationsstiftung Schleswig-Holstein zusammengeführt, die seit 2011 die Bezeichnung Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein (EKSH) trägt.

Literatur

  • Rave, Klaus / Richter, Bernhard: Im Aufwind: Schleswig-Holsteins Beitrag zur Entwicklung der Windenergie (Neumünster 2008), ISBN 978-3-529-05429-7
  • Wir organisieren den Ausstieg - unser Weg für eine sichere und ökologisch verantwortbare Energiepolitik; Beschlüsse des Landesparteitages am 6. Dezember 1986 in Kiel, in: "Zur Sache", Heft 26, SPD Schleswig-Holstein, Kiel (1986) (Archiv der Sozialen Demokratie)

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Energiepolitik
  2. Kuhlwein, Eckart: Links, dickschädelig und frei: 30 Jahre im SPD-Vorstand in Schleswig-Holstein, (Berlin/Hamburg 2010), ISBN 3868506616
  3. Bundestag: Protokoll der Plenarsitzung vovm 13. September 1979.
  4. Brandt, Willy: "Das Überleben sichern" – die Einleitung zum Nord-Süd-Bericht, in: Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, Heft 25 (2013)
  5. Antrag 7: Beschluss zur Energiepolitik (1981), Landesparteitag in Harrislee, 26. September - 27. September 1981
  6. Antrag 8: Energietechnisches Institut, Landesparteitag in Harrislee, 26. September - 27. September 1981
  7. Müller, Michael: Vor 20 Jahren: Als die Energiewende Gesetz wurde. bei: vorwaerts.de am 1. April 2020
  8. Vorschläge für die Jahre 1983-1987, Regierungsprogramm, beschlossen auf dem Landesparteitag Timmendorfer Strand, 30. Oktober - 31. Oktober 1982
  9. DER SPIEGEL 38/1991 "Mäuse rubbeln"
  10. Beschlussdatenbank: Leitantrag: Energiepolitik
  11. Beschlussdatenbank: S4: Strom durch Windenergie (1984)
  12. Zitiert in: "Regionalökonomische Effekte der Nutzung von Windenergie in Schleswig-Holstein"
  13. Pressemitteilung schleswig-holstein.de, 21. Mai 2014
  14. Windenergie-Ausbau in SH: Neue Pläne treten in Kraft, ndr.de, 29.12.2020
  15. Müller, Kay: Zahl der Windräder in Schleswig-Holstein geht zurück, shz.de, 25.4.2019
  16. Hölck, Thomas: Windenergieausbau beim Tempo einer unterernährten Schnecke, Presseinformation, 15.9.2020
  17. 17,0 17,1 NDR.de: Gericht kippt Windpläne für den Norden Schleswig-Holsteins, 23.03.2023
  18. Rave, Klaus / Richter, Bernhard: Im Aufwind: Schleswig-Holsteins Beitrag zur Entwicklung der Windenergie (Neumünster 2008), ISBN 978-3-529-05429-7