Friedenspolitik: Unterschied zwischen den Versionen

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[[1979]] fand in Burg auf Fehmarn ein [[Landesparteitag_1979,_Burg_auf_Fehmarn|Landesparteitag]] im Zeichen der Friedenspolitik statt.
[[1979]] fand in Burg auf Fehmarn ein [[Landesparteitag_1979,_Burg_auf_Fehmarn|Landesparteitag]] im Zeichen der Friedenspolitik statt.

Version vom 23. Februar 2015, 22:50 Uhr

[[Datei:{{#setmainimage:Dirk Ostermarsch.jpg}}|thumb|200px|right|Jusos rufen zum Ostermarsch auf, 1982]] Die Friedenspolitik hat in der SPD Schleswig-Holstein immer wieder eine Rolle gespielt. Zu jeder Zeit hat sich der Landesverband in die Lösung der aktuellen Konflikte eingemischt und zum Teil deutlichen Einfluss auf die Politik der Gesamtpartei nehmen können.

Der Kalte Krieg

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg spielte zunächst der Ost-West-Konflikt eine bestimmende Rolle; ein Faktor dabei war die deutsche Teilung. Die SPD Schleswig-Holstein war eine der treibenden Kräfte in der Deutschlandpolitik, die auf Egon Bahrs Konzeption des "Wandels durch Annäherung" basierte. Die Eutiner Erklärung unterstützte bereits 1966 diesen Kurs. Mit ihr gab die SPD Schleswig-Holstein der Diskussion über den Umgang mit der DDR innerhalb der Gesamtpartei einen starken Impuls.

Im Frühjahr 1972 kam es auf Steffens Initiative zu einer deutsch-dänischen Konferenz zum Thema Friedenspolitik. Gäste waren der dänische Regierungschef Jens Otto Krag und Bundeskanzler Willy Brandt. Entspannung war in der Ostpolitik mittlerweile offizieller Regierungskurs geworden. Ihr Architekt Egon Bahr wurde schleswig-holsteinischer Bundestagsabgeordneter.

Der Kieler Hans-Ulrich Wottge erinnert sich:

"Es war ein großes Erlebnis, an dem Demonstrationszug zur Ratifizierung der Ost-Verträge teil zu nehmen. Es war mein erstes reales politischen Engagement in Kiel nach meinem Wechsel aus der damaligen studentischen roten Hochburg Marburg nach dem noch ruhenden Kiel. Wir zogen unter Führung von Gansel als "Sandwiches"(=Plakat vorne unten hinten) zum Vineta-Platz zu einer Ansprache vom "roten" Jochen. Auf dem Weg dort hin skandierten wir pausenlos unter den Megafonrufen von Norbert: "und wenn der Barzel noch so hetzt, Ratifizierung jetzt".

1979 fand in Burg auf Fehmarn ein Landesparteitag im Zeichen der Friedenspolitik statt.

In den Auseinandersetzungen über den NATO-Kurs der Regierung von Helmut Schmidt Anfang der 1980er Jahre war die SPD Schleswig-Holstein Teil der Friedensbewegung. Sie rief zu den Friedensdemostrationen auf[1] und forderte dafür schulfrei[2].

Auf dem Landesparteitag 1981 in Harrislee beschloss die SPD Schleswig-Holstein eine Resolution zur Ächtung der Neutronenwaffe[3] - Als "Kieler Aufruf" sammelte die Partei allein in Schleswig-Holstein 40000 Unterstützerunterschriften.

"Ich glaube", sagt […] Klaus Matthiesen, "wir schlittern in eine Protestbewegung hinein, die weit größere Ausmaße annehmen wird als die von 1968." Aber diesmal sind es nicht nur die Jungen, die protestieren, sollen sie es jedenfalls nach dem Willen der Aktiven nicht allein sein.[4]

1981 reisten die Jusos unter ihrem Bundesvorsitzenden und späteren SPD-Landesvorsitzenden Willi Piecyk in die DDR und die UdSSR, um über Abrüstung zu sprechen. Auf dem Landesparteitag 1981 beschloss die SPD Schleswig-Holstein einen Umfangreichen Antrag zur Entspannungs- und Abrüstungspolitik. Darin heißt es:

"Die weltweite Aufrüstung ist der Wahnwitz unserer Zeit: Der Hunger in der Welt wächst, aber die Ausgaben für Waffen betragen mehr als 500 Milliarden Dollar im Jahr. Energie und Rohstoffe sind knapp, aber beides wird in der Rüstungsproduktion und in kriegerischen Auseinandersetzungen verschwendet. Die Menschen wollen Frieden, aber die militärischen Großmächte haben genug Atomwaffen, um jedes menschliche Leben auf unserem Planeten 15mal auszulöschen."

Im Kommunalwahlkampf 1982 hat die SPD in Schleswig-Holstein mit Veranstaltungsreihen wie „Lieder gegen den Krieg — Thesen für den Frieden“ oder„Künstler gegen den Krieg — Bilder fürden Frieden“ für die abrüstungspolitische Haltung der Schleswig-Holstein SPD geworben. In vielen Städten und Gemeinden beantragte die SPD, ihre Kommune zur atomwaffenfreien Zone zu erklären.

Im August 1983 gab die SPD Schleswig-Holstein eine Sammelmappe mit Informationen zu Aktionen rund um die Friedenpolitik an ihre Gliederungen heraus. Im Vorwort von Landesgeschäftsführer Klaus Rave und dem Landesvorsitzenden Günther Jansen heißt es:

„Um des lieben Friedens willen“, das ist eine Redewendung, die häufig benuzt wird, wenn jemand seine Ruhe haben will. Wir sind unruhig — um des Friedens willen. Fast vier Jahrzehnte nach Hiroshima ist die atomare Bedrohung durch Äußerungen über die „Führbarkeit von Atomkriegen“ heute realer denn je. Weltweit, in Ost und West, wird weiter an der Rüstungsspirale gedreht — gegen den Willen der Völker. Wir dürfen keine weitere Überdrehung der Rüstungsspirale mitmachen. Das müssen jetzt die Völker ihren Regierungen klar machen: Schluß auf dem Weg zur atomaren Weltvernichtung.
Wir wollen Abrüstung. Jetzt.
Diese „Friedensmappe“ — erstellt von einer Arbeitsgruppe des Landesvorstandes der Schleswig-Holstein SPD — enthält Argumente und Anregungen für Aktionen. Wir dokumentieren die Position des SPD—Landesverbandes Schleswig-Holstein, der schon 1981 ein klares „Nein“ zu jeder weiteren „Nachrüstung“ formulierte und diese Haltung jetzt, am 8. August 1983, nochmals für den anstehenden Landesparteitag wie für den Bundesparteitag bekräftigte. Und eindeutig unsere Zielvorstellungen beschrieb: ein atomwaffenfreies Europa.
Damit befinden wir uns in der Tradition des Grundsatzprogramms der Sozialdemokratie, des Godesberger Programms von 1959 […]

Neuordnung nach dem Fall der Mauer

Nach dem Fall der Mauer 1989 schien der Ost-West-Konflikt beendet. Die deutsche Außenpolitik machte sich auf die Suche nach einer neuen Linie. Der Landesparteitag 1990 in Büsum beschloss Pläne zu Konversion, die sich nun vor allem darum sorgten, was aus den Kommunen würde, wenn die Bundeswehr nach und nach abgebaut würde:

"Wir wollen rasch deutliche Abrüstungsschritte durchsetzen. Eine stabile gesamteuropäische Friedensordnung ist nur denkbar, wenn eine neue politische Sicherheitsstruktur die bisherige militärische Konfrontation ablöst."[5]

Anfang der 1990er stand dazu eine Grundgesetzänderung auf der Tagesordnung, die Einsätze der Bundeswehr außerhalb des Bündenisgebietes der NATO ermöglichen sollte. Björn Engholm, zu dieser Zeit Bundesvorsitzender der SPD, äußerte sich dazu auf dem Bundesparteitag in Bremen 1991:

"Deutsche Soldaten oder Grenzschützer unter den blauen Helmen der Vereinten Nationen, an explosiven Orten in der Welt, zur Sicherung des Friedens durch bloße Anwesenheit, aber nur ja nicht mit Waffen - das passe in sein sozialdemokratisches Weltbild, bekannte Engholm, das sei "klassische Fortführung unserer Friedenspolitik". Aber ein Mitmischen bei Schießereien und Kämpfen irgendwo in Afrika, in Südamerika oder im Nahen Osten, nur weil einige Kritiker den Deutschen während des Golfkrieges Feigheit vor Saddam nachgerufen hätten? Egal, ob ein Uno-General Kommando führe oder, wie in Kuweit, ein Amerikaner namens Norman Schwarzkopf - "das ist nicht meine Position", bekannte Engholm fest."[6]


Nach 9/11

Am 11. September 2001 wurden vier koordinierte Flugzeugentführungen mit anschließenden Selbstmordattentaten auf wichtige zivile und militärische Gebäude in den USA durchgeführt. Ca. 3000 Menschen kamen dabei ums Leben. Bundeskanzler Gerhard Schröder versicherte den USA die "uneingeschränkten Solidarität" Deutschlands. Bundespräsident Johannes Rau dagegen sagte: "Hass zerstört die Welt und Hass vernichtet Menschen. Darum geht es überall […]: Dem Hass zu widerstehen und der Nächstenliebe Raum zu schaffen. Wer nicht hasst, sagt auch Nein zur Gewalt. Wer Nein zu Gewalt sagt, macht das Leben unserer Kinder erst möglich."[7] Der Tag gilt als Zäsur.

Nur knapp einen Monat später, am 13. Oktober 2001, fand ein Landesparteitag in Norderstedt statt. Die Delegierten beschlossen eine Resolution mit dem Titel "Kein Kampf der Kulturen, sondern Kampf um die Kultur im 21. Jahrhundert". Die Resolution unterstützte den Krieg in Afghanistan, um gegen "Urheber und Hintermänner, gegen Auftraggeber und Drahtzieher der Attentate und ebenso gegen Staaten, die den terroristischen Verbrechern Unterstützung und Unterschlupf gewähren", vorzugehen. Gleichzeitig forderte der Landesparteitag aber auch ein "umfassendes politisches, ökonomisches und kulturelles Konzept, das dem Terrorismus seinen Nährboden entzieht."[8]

"Es geht jetzt nicht um einen Kampf der Kulturen, sondern wir führen einen Kampf um die Kultur in einer immer mehr zusammenwachsenden Welt. Der Kampf gilt dem Terrorismus, nicht dem Islam. Auch wir werden im Rahmen unserer politischen Verantwortung im Bund, im Land sowie in den Kreisen, Städten und Gemeinden in Schleswig-Holstein dafür eintreten, dass unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gegen Anfeindungen und Übergriffe geschützt werden. Sie sind unsere Nachbarn, Kollegen und im privaten Bereich unsere Freunde. Die Anschläge von New York und Washington waren schreckliche Verbrechen fanatischer Fundamentalisten; sie missbrauchen den Islam als Motiv für ihren Terrorismus. Wir werden den Dialog mit allen friedliebenden Muslimen in unserem Land verstärken und zum Verständnis für die unterschiedlichen Religionen beitragen."[9]

Afghanistan

Die rot-grüne Bundesregierung Anfang der 2000er beteiligte sich am Afghanistan-Einsatz. Die Bundeswehr sollte sich um die Sicherung der Hauptstadt Kabul kümmern. Eine Ausweitung des Einsatzes ohne UN-Mandat lehnte die SPD Schleswig-Holstein ab.[10] 2008 forderte sie knapp, den Afghanistan-Einsatz zu beenden.[11] Nach einem Positionspapier des SPD-Parteivorstandes schlug die SPD Schleswig-Holstein vor, sich dem Abzugsplan der USA anzuschließen und zwischen 2011 und 2015 alle Truppen abzuziehen. Afghanistan solle aber weiterhin darin unterstützt werden, staatliche Strukturen aufzubauen; analog zum europäischen KSZE-Prozess forderte sie die Vereinten Nationen auf, unter Beteiligung der USA, Russlands, Chinas, Indiens, Pakistans, Afghanistans und anderer regionaler Staaten Verhandlungen für eine Friedensordnung in Zentralasien zu initiieren und zu begleiten.[12]

Schröders Nein zum Irak-Krieg

Unter hohem internationalem Druck sagten Bundeskanzler Gerhard Schröder und die rot-grüne Bundesregierung "Nein" zum Irak-Krieg. Unterstützt wurde dieser Kurs von der SPD in Schleswig-Holstein. Der Landesparteitag 2003 beschloss:

"[..] Es geht in dieser Auseinandersetzung darum, ob die Staaten der UNO den Mut, die Kraft und das Selbstbewusstsein haben, dem Ressourcenkrieg der USA zu trotzen. Es geht um die Frage, ob die UNO die Instanz ist, die letztendliche Entscheidungen über Maßnahmen gegen ein Land beschließt, oder ob sie vor dem Druck einer Supermacht zurückweicht. Ziel muss die unbedingte Stärkung der UNO sein. Ein von den USA ohne Legitimation durch die UNO durchgeführter Präventiv-Krieg widerspricht dem Völkerrecht. Es kann von deutscher Seite auch aufgrund der grundgesetzlichen Regelungen keine Unterstützung für einen völkerrechtswidrigen Angriff der USA auf den Irak geben. Das heißt auch, mittelbare Unterstützungsleistungen wie Überflugrechte u.ä. dürfen von Deutschland nicht ausgehen. [..]"[13]

Neuausrichtung seit 2014

Nach Äußerungen der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), des Bundespräsidenten Joachim Gauck und des Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2013 startete die SPD Schleswig-Holstein einen breiten Diskussionsprozess unter dem Titel "Friedenspolitik heute". Der Landesvorstand beschloss auf seiner Sitzung am 12. Mai 2014 eine Diskussionsgrundlage[14]. Gedruckte Versionen gingen an alle Gliederungen, auch online konnte diskutiert werden. Am 28. Juni - exakt 100 Jahre nach dem Attentat von Sarajevo, welches den 1. Weltkrieg auslöste - fand eine Konferenz in der Businesslounge der Sparkassenarena in Kiel statt. Eingeladen waren unter anderem Frank-Walter Steinmeier, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Egon Bahr. Frank-Walter Steinmeier erklärte:

"Worum es mir geht: Mir geht's, wenn ich von Verantwortung rede, nicht um die Aufweichung des Begriffs der "militärischen Zurückhaltung". Ich habe immer nur gesagt: So sehr ich zum Begriff und zum Gebot der "militärischen Zurückhaltung" stehe, so wenig Verständnis habe ich dafür, dass Viele das als ein Gebot des Heraushaltens sehen. Zurückhaltung heißt nicht heraushalten - sondern wenn ich das Militärische nicht will, dann muss ich die anderen Instrumente der Außenpolitik möglichst so frühzeitig und möglichst so engagiert und vielleicht auch manchmal mit eigenem Risiko [einsetzen], damit das Militärische - die Entscheidung über das Militärische - am Ende nicht notwendig wird."[15]

In drei Foren wurde über verschiedene Aspekte der Friedenspolitik diskutiert. Die Anregungen flossen in ein Positionspapier ein, das auf dem Landesparteitag 2014, Lübeck beschlossen wurde. Im Dezember 2015 soll das Papier auch vom Bundesparteitag beschlossen werden.

Quellen