Gesellschaft der Freunde Coventrys

Aus SPD Geschichtswerkstatt
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Nagelkreuz aus Coventry

Die Gesellschaft der Freunde Coventrys wurde am 2. April 1947 in Kiel auf Initiative von Andreas Gayk gegründet. Ihr Ziel war es, Wege der Verständigung mit den ehemaligen Kriegsgegnern zu finden.

Vorgeschichte

Dass Coventry zum ersten Partner dieser Verständigung wurde, war der britischen Besatzung und einem Zufall geschuldet. Ein britischer Bauoffizier, Mr Williams, kam aus dieser englischen Industriestadt, die am 14. November 1940 von der deutschen Luftwaffe massiv zerstört worden war. Trotzdem unterstützte er Kiels Stadtregierung weit über seine dienstlichen Pflichten hinaus beim Wiederaufbau der Stadt. Daran knüpfte Andreas Gayk die Hoffnung auf Anbahnung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden Städten. Er gab Mr Williams zur Jahreswende 1947 ein Schreiben an seinen Amtskollegen in Coventry mit, in dem er anregte "endlich wieder Brücken zu schlagen zwischen den Völkern Europas und nach den abgrundtiefen Missverständnissen der jüngsten Vergangenheit wieder Wege der Verständigung zu suchen von Mensch zu Mensch". Weiter heißt es in dem Schreiben:

"Im Dritten Reich war coventrieren gleichbedeutend mit Hass und Vernichtung, mit der sinnlosen Zerstörung ganzer Städte, mit dem Mord an unschuldigen Frauen und Kindern... Wenn wir in Zukunft von coventrieren sprechen, dann sollte damit gemeint sein die Pflege freundschaftlicher Beziehungen von Land zu Land, dann sollte damit gemeint sein die Überwindung nationaler Leidenschaften zum Wohle der gemeinsamen Aufgaben aller europäischen Völker. Die Umkehr des Begriffes coventrieren möge ein Sinnbild für die innere Umkehr des deutschen Volkes sein, der wichtigste Beitrag Deutschlands für den Aufbau einer zerstörten Welt. Wie wäre es, wenn wir uns zu einer Gesellschaft der Freunde Coventrys zusammenfinden, wenn die Namen der geschändeten Städte Kiel und Coventry das Symbol würden für unser geistiges und moralisches Erwachen? Ich bitte alle diejenigen, die die Zeit für diese seelische Wandlung für gekommen halten, um ein Zeichen der Zustimmung."[1]

George Briggs, Lord Mayor von Coventry, antwortete am 18. Januar 1947[2] "in dem Sinne, dass es nicht nur gelte, zerstörte Städte wieder aufzubauen, sondern der Wiederaufbau müsse auch in den Menschen selbst beginnen. Und er fährt fort: 'Ich glaube, dass gegenseitige Besuche und der Austausch der Meinungen viel dazu beitragen können, Missverständnisse aus dem Wege zu räumen und den Geist guten Willens zu fördern.'"[3]

Gründung

"Das war mal eine Vereinsgründung: Etwa 1000 Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung kamen am 2. April 1947 ins Gewerkschaftshaus in der Kieler Legienstraße und hoben die Gesellschaft der Freunde Coventrys aus der Taufe. Auch englische Gäste waren erschienen."[4] Zu diesen zählte auch Stadtkommandant Gail Henderson. Neben der Landesregierung und der Stadtverwaltung waren die Universität, die Kieler Schulen, die Parteien, die Gewerkschaften, die Wirtschaft, die Kirche und die Jugendverbände vertreten. "Die Freundschaft [...] sollte zum Symbol einer geistigen und moralischen Erneuerung werden, die innere Umkehr des deutschen Volkes versinnbildlichen."[5] Andreas Gayk wurde zum Präsidenten der Gesellschaft gewählt.

Kieler Delegation mit Rosa Wallbaum und Ida Hinz in Coventry 1956

Eine Kielerin freute sich besonders: Rosa Wallbaum hatte die Briten bereits von ihrer besten Seite kennengelernt. Ihr jüngster Bruder war als Kriegsgefangener von einer Familie in Coventry wie ein Pflegesohn aufgenommen worden. Viele Briten beteiligten sich außerdem an der Kampagne "Save Germany Now!" und versorgten die Gefangenen mit rationierten Artikeln, die diese an ihre Familien in Deutschland schicken durften - Tee, Zucker, Speck und anderes. "Das bedeutete, daß die Leute auf ihre Zuteilung verzichtet haben. Die haben Schürzen für uns mit der Hand genäht, auf ihren Frauennachmittagen bei den Baptisten. Dann haben sie Mäntel gesammelt. [...] Diese Haltung der Engländer damals, der Coventryer, die ich kennengelernt habe, die hat mir nicht nur die Augen, sondern auch das Herz geöffnet."[6] Es überrascht nicht, dass sich Rosa Wallbaum sehr für die Partnerschaft einsetzte, als Ratsherrin auch an offiziellen Besuchen in Coventry teilnahm, etwa im Herbst 1956, und sich während der Kieler Woche in der Regel um die Delegation aus Coventry kümmerte.

Im September 1947 nahm zum erstenmal eine offizielle Delegation aus Coventry an der "Septemberwoche - Kiel im Aufbau" (15.-20. September 1947) teil, was die junge Städtefreundschaft zwischen Kiel und Coventry festigte. Im Zentrum dieser Kulturwoche, die ebenfalls auf eine Idee von Andreas Gayk zurückging, standen Frieden, Humanität und Völkerverständigung "über alle Grenzen der Nationen und Parteien hinweg". Zu ihr brachte Propst Howard ein Nagelkreuz aus den Trümmern der Kathedrale von Coventry mit, das seitdem als Symbol des Friedenswillens und der Völkerverständigung in der Kieler Nikolaikirche hängt. Ein zweites wurde 1948 der Kieler Universität überreicht.

"Dem englischen Besuch in Kiel 1947 folgte erst 1951 ein Gegenbesuch in Coventry. Ein Schüleraustausch fand erstmalig 1956 statt. In den ersten Nachkriegsjahren waren in beiden Städten die Voraussetzungen für eine intensive Zusammenarbeit auf breiter Grundlage noch nicht vorhanden."

Auflösung und Fortwirken

Nach dem Tod von Andreas Gayk im Oktober 1954 löste sich die Gesellschaft 1955 zunächst auf, lebte aber in der bis heute bestehenden Deutsch-Britischen Gesellschaft weiter. 1967 wurde eine offizielle Städtepartnerschaft vertraglich vereinbart, die seitdem durch gegenseitige Besuche mit wechselnder Intensität gepflegt wird.

Literatur & Links

Einzelnachweise

  1. Geckeler, abgerufen 10.2.2018
  2. Vgl. Timo Erlenbusch: Städtepartnerschaft seit 1947 - ein Beispiel für "kommunale Außenpolitik"? (Magisterarbeit Universität Kiel 2006), S. 30 f.
  3. Geckeler, abgerufen 10.2.2018
  4. Kiel hält Coventry seit 70 Jahren die Treue, Kieler Nachrichten, 31.8.2017
  5. Geckeler, abgerufen 10.2.2018
  6. Susanne Kalweit (Hg.): "Ich hab' mich niemals arm gefühlt!" Die Kielerin Rosa Wallbaum berichtet aus ihrem Leben (Berlin/Hamburg 2010) ISBN 978-3-86850-644-0, S. 120 ff.