Otto Eggerstedt

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Otto Eggerstedt
Otto Eggerstedt
Otto Eggerstedt
Geboren: 27. August 1886
Gestorben: 12. Oktober 1933

Wilhelm Otto Eggerstedt, * 27. August 1886 in Kiel, † 12. Oktober 1933 im KZ Esterwegen (Emsland) ermordet; Bäcker und Parteisekretär. SPD-Mitglied seit ca. 1904.[1]

Werdegang

Otto Eggerstedt wuchs in der Lutherstraße am Kieler Südfriedhof auf.[2] Nach dem Abschluss der Mittelschule machte er eine Bäckerlehre bei der Kieler Vereinsbäckerei. Während des Ersten Weltkrieges diente er als Soldat. Nach einer Zeit als Parteifunktionär wurde er 1927 in den preußischen Verwaltungsdienst berufen, ging im Polizeidienst nach Wandsbeck und Altona, bevor er 1932 nach Kiel zurückkehrte.[3]

Partei & Politik

Arbeiter- und Matrosenaufstand

Im November 1918 schloss sich Otto Eggerstedt dem Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstand an und führte, unter den Vorsitzenden Gustav Noske und Gustav Garbe, von Februar bis Juli 1919 die Geschäfte des Arbeiter- und Soldatenrates von Groß-Kiel.

Neben etwa Gertrud Völcker, Toni Jensen, Willy Verdieck und Karl Ratz, die alle in dieser Zeit politisch aktiv wurden, stand vor allem Otto Eggerstedt für den Generationswechsel in der Kieler SPD. Dies zeigte sich besonders in seiner heftigen Kritik an Gustav Noske. Während einer Parteikonferenz in Weimar etwa im Juni 1919 griff er Noske wegen seiner Nähe zum Offizierskorps frontal an:

"Noske sollte den Offizieren mehr auf die Finger sehen. (...) Wir verstehen auch nicht Noskes Ablehnung der Kontrollorgane aus dem Mannschaftsstande. (...) Sind denn die Offiziere, die sich ihm zur Verfügung stellten, zuverlässiger? Ich glaube sagen zu dürfen, daß er nicht sie, sondern sie ihn in der Hand haben (Beifall)."[4]

In derselben Rede forderte er im Namen der Arbeiterschaft vom Parteitag "Klärung und die Grundlage für eine zielbewußte Politik, auf der sich weiter arbeiten läßt", und regte an, mit der USPD Gespräche zur Beseitigung der Spaltung aufzunehmen.[5]

Kapp-Putsch

Im März 1920 gehörte er zu denen, die sich in Kiel erfolgreich dem "Kapp-Lüttwitz-Putsch" entgegenstellten, einem Versuch rechtsgerichteter Kreise, die Republik zu beseitigen. Martha Riedl macht mit einer Episode aus dem Kapp-Putsch weitere Charakterzüge von Otto Eggerstedt deutlich, seine Furchtlosigkeit und Schlagfertigkeit:

"Wir gingen nach der Rathausstrasse, damals hieß es noch Gasstrasse. Er wollte mir was geben dort. Dann kommt so eine Horde von neun Mann um die Ecke, am Rathaus, bleiben vor uns stehen. Und ich war ein junges Ding, hatte noch gar nicht viel mitgemacht. Und denn sagen sie zu Eggerstedt: 'Kennen Sie Eggerstedt?' Er sagt: 'Ja.' Er war ja schlagfertig und frech. Wenn sie ihn angeguckt hätten, hätten sie das sehen müssen, er hatte nämlich so runde Beine. [...] 'Ja, und wo ist er?' 'Gerade eben mit der Lokomotive nach Hamburg gefahren.' Da habe ich was gelernt. Jedesmal, wenn ich durch die Rathausstrasse gehe, denn sehe ich das Gesicht, wie er grinste. Und wir gingen weiter, wir beide [und] die machten Kehrtwende und gingen zur Holstenstrasse [...]. Da habe ich gedacht und ich habe es auch gesagt: 'So frech muss ich auch mal werden.' 'Das musst du,' sagte Eggerstedt: 'Und das wirst du!' Wir haben dann natürlich gelacht. Um die Spannung loszuwerden, haben wir gelacht."[6]

Parteifunktionär

Am 17. Juli 1919 übernahm er im Rahmen der Reform der schleswig-holsteinischen Landespartei das Amt des hauptamtlichen Parteisekretärs und gehörte ab 1920 dem Bezirksvorstand an. In der Kieler SPD löste er Friedrich Brodthuhn als Vorsitzender ab, bis er 1927 nach Wandsbeck ging.[7] Nach seiner Rückkehr, vermutlich schon im Sommer 1932, widmete er sich wieder verstärkt der Arbeit für die Partei. Noch im Januar 1933 übernahm er erneut den Vorsitz der Kieler SPD.

Preußischer Staatsdienst

Ausflug beim SPD-Parteitag in Kiel, 1927. Otto Eggerstedt in der Bildmitte

1927 trat Otto Eggerstedt die Nachfolge von Erich Wentker[8] im damals noch preußischen Polizeiamt Wandsbek an, zunächst als Hilfsreferent, bevor er im April 1928 zu dessen Leiter und zum Regierungsrat befördert wurde. Mitte 1929 wurde ihm das Amt des Polizeipräsidenten von Altona übertragen.[9][10]

"Altonaer Blutsonntag"

In Otto Eggerstedts Amtszeit fiel der "Altonaer Blutsonntag" vom 17. Juli 1932. Bei Zusammenstößen zwischen NSDAP, KPD und Polizei in der Altonaer Altstadt gab es 18 Tote, zwei SA-Leute und 16 Anwohner. Eggerstedt wurde von den Beteiligten verantwortlich gemacht und diffamiert, weil er die Demonstration der SA durch einen mehrheitlich von Linken bewohnten Stadtteil genehmigt hatte. Er selbst hatte an diesem Tag Urlaub genommen, und auch sein Stellvertreter soll nicht vor Ort gewesen sein. Der Polizeieinsatz geriet offenbar außer Kontrolle. Die meisten Toten waren an der Demonstration unbeteiligt; sie kamen nach ihrem Ende ums Leben, unter anderem bei Haussuchungen.[11] Vier Kommunisten wurden als Täter hingerichtet, das Urteil und die Beweise erst viel später in Zweifel gezogen. Es gibt auch die Theorie, dass die Demonstration von Nazis und Reichsregierung vorsätzlich inszeniert wurde, um den "Preußenputsch" umsetzen zu können.[12]

Reichskanzler von Papen nutzte die Ereignisse denn auch, um am 20. Juli 1932 gegen Recht und Gesetz die sozialdemokratische Regierung in Preußen abzusetzen ("Preußenputsch"). Otto Eggerstedt wurde am 21. Juli 1932 in den einstweiligen Ruhestand geschickt. Ein Dienststrafverfahren wurde später eingestellt, jedoch hatten inzwischen die Nazis die Macht übernommen und ihn endgültig entlassen.[13]

Karl Rickers berichtet über seine letzte Begegnung mit Otto Eggerstedt:

"[Sie] fand im Sommer 1932 statt, im großen Saal des Kieler Gewerkschaftshauses, kurz vor der Eröffnung einer Parteiversammlung. [E. hatte in Kiel wieder sein Parteiamt als örtlicher Sekretär übernommen.] Angesichts des Papenschen Staatsstreiches herrschte eine äußerst gereizte Stimmung im Saal. Ich ging auf die Bühne, um Eggerstedt zu begrüßen. Mit seinem Händedruck steckte er mir zugleich eine Mauserpistole zu, ohne ein Wort zu sagen und ohne daß es jemand bemerkte. Die Pistole stammte gewiß aus dem Lager beschlagnahmter Waffen des Altonaer Polizeipräsidiums; wahrscheinlich war sie einem Nationalsozialisten abgenommen worden, die eher Zugang zu Waffen hatten als die Kommunisten. Ich war nun bei diesem seltsamen Händedruck weder erschrocken noch überrascht. Die Zeit für einen Bürgerkrieg größeren Ausmaßes schien reif zu sein."[14]

Abgeordneter

Otto Eggerstedts Wohnhaus in Kiel, Eichhofstr. 12

Von 1919 bis 1924 war Otto Eggerstedt Stadtverordneter in Kiel. Vom 7. März 1921 bis Frühjahr 1933 gehörte er dem Reichstag an, als Nachfolger von Albert Billian[15] im Wahlkreis 14 (Schleswig-Holstein); er wurde immer direkt gewählt.

Er vertrat im Reichstag für seine Partei den Reichswehr- und den Marine-Etat.[16]

Eine Erinnerung an den jungen Abgeordneten von 1922 macht einen Aspekt seiner Beliebtheit deutlich:

"Ich war damals junger Polizeibeamter und kam mit zwei Kollegen von einer Dienstreise zufällig durch Berlin. Wir [wollten zu einer Reichstagssitzung und ließen Otto Eggerstedt folgende Zeilen schicken:] 'Herrn Otto Eggerstedt! Drei Kieler Jungen bringen Grüße aus der Heimat und bitten um Tribünenkarten'. Mein Freund stieß mich in die Seite und sagte: 'Du, das wird doch nichts'. Doch er sollte sich geirrt haben, denn schon eilte ein schmächtiger Mann mit einem vollen rötlichen Haarschopf die Treppe herunter und rief, sich mit den Händen durch die wartenden Reichstagsbesucher Bahn brechend: 'Wo sind die Kieler Jungens!' Er begrüßte uns in herzlichster Weise und betonte immer wieder, wie er sich freue, daß ihn die Kieler Jungen aufgesucht hätten. Leider müsse er uns jedoch die betrübliche Mitteilung machen, daß er keine Tribünenkarten mehr auftreiben konnte. Wie klein wurden wir da. Aber er blinzelte mit den Augen und sagte: 'Ich habe mit Reichstagspräsident Löbe gesprochen, der hat Ihnen drei Plätze im Plenarsitzungssaal angewiesen'. [...] Gewandt wie Eggerstedt war, gab er uns die Fassung wieder, indem er sagte: 'Und nun will ich euch erst einmal den Reichstag gründlich zeigen'. Rechts und links von der Polizei flankiert, schritt er mit uns durch die Menge der Abgeordneten und sonstigen Prominenten, die ihm manche ironische Bemerkung über seinen 'Polizeischutz' zuriefen."[17]

Otto Eggerstedt stimmte am 23. März 1933 zusammen mit 93 weiteren sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten gegen das "Ermächtigungsgesetz", das Hitler den Weg in die Diktatur bahnte.[18]

NS-Herrschaft

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten beteiligte sich Otto Eggerstedt am Widerstand; so hielt er nach der Ermordung des SPD-Stadtverordneten und Rechtsanwalts Wilhelm Spiegel durch SA-Leute auf dem Friedhof Eichhof eine mutige Trauerrede.[19] Mehrere tausend Menschen säumten zum Trauerzug die Eichhofstraße und demonstrierten schweigend gegen die neuen Machthaber.

Danach musste Eggerstedt, der den Nazis verhasst war, untertauchen; es wurde gegen ihn ermittelt. Schon am 25. Mai 1933, noch vor dem Verbot seiner Partei, wurde er bei Lütjensee (Kreis Stormarn) auf Grund einer Denunziation verhaftet.[20] Max Kukil scheint dagegen zu sagen, seine Verhaftung habe im Polizeipräsidium stattgefunden. Diese Darstellung ergibt keinen Sinn, denn er war ja aus dem Dienst entlassen. Auch aus dem von Kukil zitierten Schreiben (s.u.) wird klar, dass er auf der Flucht oder zumindest während einer Autofahrt verhaftet wurde.[21]

Die Nazis nahmen Otto Eggerstedt in "Schutzhaft". Richard Hansen war mittlerweile nach Dänemark geflüchtet.

"Von hier aus organisierte er mit finanzieller Unterstützung dänischer Sozialdemokraten einen Fluchtversuch für Otto Eggerstedt. Ein Krankenhausaufenthalt sollte für die Befreiung genutzt werden. Der Plan war bereits abgesprochen und der Tag der Flucht vereinbart. Eine Anzeige aus dem engsten Familienkreis machte alles zunichte - ein Verrat mit tödlichen Folgen, wie sich wenig später herausstellte. Direkt aus dem Altonaer Krankenhaus erfolgte am 12. August 1933 Eggerstedts Überstellung in das KZ Esterwegen."[22]

Ein Mithäftling erinnerte sich:

"Unter den Mißhandlungen und Quälereien der SS hatten auch besonders sogenannte Prominente zu leiden. An erster Stelle ist hier wohl der Kamerad Eggerstedt zu nennen. Schon bei unserem Abtransport in Altona erhielt er die ersten Schläge [...].[23]

Gefahr drohte ihm aber auch von ganz anderer Seite:

"Besonders seine Rolle beim "Altonaer Blutsonntag" [...] war damals Gegenstand heftiger Diskussionen und Auseinandersetzungen in der Altonaer und Hamburger Arbeiterbewegung sowie darüber hinaus. Vor allem die KPD warf ihm vor, dem Naziaufmarsch nicht genügend entgegengetreten und dann noch an diesem Tag nicht in Altona gewesen zu sein. In diesem Punkt traten die tiefgehenden Differenzen zwischen den Arbeiterparteien gegen Ende der Weimarer Republik noch einmal besonders hervor. So auch unter den Gefangenen des Transportes nach Esterwegen. Zwei von ihnen wollten Eggerstedt zur Rede stellen und drohten ihm wohl auch Gewalt an. Mein Vater schilderte mir, wie die übergroße Mehrheit der Gefangenen dies verhinderte und klar machte, dass in ihrer Situation alle Männer Kameraden seien und solidarisch zusammenstehen müssten. Man wolle schließlich nicht das "Geschäft" der Nazis übernehmen."[24]

Nach offizieller Mitteilung wurde Otto Eggerstedt zwei Monate später, am 12. Oktober 1933, "auf der Flucht erschossen", wie Toni Jensen, die während seiner Haft Kontakt zu ihm gehalten hatte, später berichtete. Max Kukil zitierte in seinem Artikel zu Eggerstedts 25. Todestag ein Schreiben vom 11. August 1933 des Nazi-Polizeipräsidenten von Altona an die Verwaltung der Staatlichen Konzentrationslager in Papenburg, in dem "auf Eggerstedt ganz besonders hingewiesen" wurde:

"Unter den Schutzhäftlingen, die auf Anordnung des Herrn Regierungspräsidenten in Schleswig-Holstein am 12. August der Verwaltungsdirektion zugeführt wurden, befindet sich auch der frühere Polizeipräsident von Altona, Eggerstedt. Eggerstedt ist - abgesehen von seiner früheren amtlichen Stellung als Polizeipräsident - führend in der sozialdemokratischen Bewegung - besonders in Schleswig-Holstein - tätig gewesen. Er hat durch persönliche Agitation in der ganzen Provinz die sozialdemokratischen Interessen mit besonderem Nachdruck gefördert und sein Amt als Polizeipräsident als Exponent seiner Partei verwaltet. Er war ein besonders verbissener und listiger Sozialdemokrat, der in engsten Beziehungen zu dem Minister Severing gestanden hat. Eggerstedt hat vor seiner Verhaftung die Absicht gehabt, nach Dänemark zu entfliehen. Sein Auto ist jedoch angehalten worden. Als er während seiner Schutzhaft krank wurde und in das Krankenhaus eingeliefert werden mußte, haben ihm Freunde, darunter, wie es scheint, eine dänische Sozialistin [wohl Toni Jensen!], zur Flucht verhelfen wollen. Er wird besonders sorgfältig bewacht werden müssen."

Max Kukil, damals noch Kukielczynski, der gemeinsam mit ihm in Esterwegen gefangen war, beschreibt im Prozess gegen Eggerstedts Mörder im Oktober 1949, so weit ihm bekannt, den Hergang der Tat und den Vorlauf:

"Kukielkzynski bekundete, daß der SS-Scharführer Faust in der Schreibstube unter Hinweis auf den Altonaer Blutsonntag geäußert habe, Eggerstedt als der Schuldige müsse umgebracht werden. Er erklärte des weiteren, daß Eggerstedt ihm eines Tages mitgeteilt habe, Groten habe bei der Arbeit im Moor mit dem Karabiner auf ihn geschossen. Nur dadurch, daß er sich schnell in den Graben geworfen hätte, habe er sich der Kugel entziehen können. Der Zeuge gab weiter an, daß ihm von dem Mithäftling Wittmer nach der Erschießung Eggerstedts gesagt worden sei, er, Wittmer, habe zusammen mit Eggerstedt einen Baumstamm getragen, als plötzlich zwei Schüsse gefallen seien. Eggerstedt sei zu Boden gestürzt, während Wittmer einen Nervenzusammenbruch bekommen habe. Der Schütze sei Groten gewesen."

Dieser "bezeichnete alle gegen ihn vorgebrachten Belastungen als unwahr oder als Lüge." Eggerstedt schilderte er als "kleinen unansehnlichen Menschen, der - im Gegensatz zu der markanten Erscheinung Lüdemanns, den jeder im Lager kannte - überhaupt nicht auffiel".[25]

Weitere Zeugen unterstützten Max Kukils Aussage:

"Während der Zeuge Otto Bramer angab, Eggerstedt habe einen sehr niedergeschlagenen Eindruck gemacht, sagten die Zeugen Hermann Lüdemann und Kukielczynski übereinstimmend aus, daß Eggerstedt gefaßt und sogar optimistisch gewesen sei. Der Zeuge Ludwig Onken, der den Polizeipräsidenten seit 1921 kannte, berichtete von der ständigen schikanösen Sonderbehandlung der prominenten Häftlinge - der sogenannten "Bonzen" - durch die SS-Wachmannschaften. Schon bei der Ankunft des Transportes, zu dem der Zeuge und Eggerstedt gehörten, hätten sich die SS-Leute gegenseitig auf den Polizeipräsidenten aufmerksam gemacht und ihn später bei der Arbeit im Moor wie im Lager ständig besonders schikaniert.

Der Zeuge Kamski gab an, Augenzeuge gewesen zu sein, als der Angeklagte eines Tages im Moor auf Eggerstedt mit dem Gewehr angelegt habe. Eggerstedt sei sofort in den Graben gesprungen und der Schuß über ihn hinweggegangen. Danach habe Groten Eggerstedt erklärt: 'So, jetzt soll dir nichts mehr passieren!' und Eggerstedt habe ihm, dem Zeugen gegenüber, die Zuversicht geäußert, daß Groten ihn in Zukunft in Schutz nehmen werde.
Die ganze Furchtbarkeit des Lebens im Konzentrationslager ergab sich aus der Vernehmung des Zeugen Hermann Lüdemann. 'Otto Eggerstedt gehörte zu denjenigen Häftlingen, die auf Grund ihrer früheren Stellung die Auszeichnung besonderer Quälerei erhielten,' berichtete Lüdemann und schilderte Details über die 'üblichen' Quälereien. Vom Verteidiger gefragt: 'Ist es wahr, daß Eggerstedt und Sie, Herr Zeuge, so zusammengeschlagen wurden, daß Sie zusammenbrachen und wieder hochgeprügelt wurden? Oder ist diese Darstellung übertrieben?' antwortete der Zeuge mit leiser Stimme: 'Schilderungen über KZ-Methoden können gar nicht übertrieben werden, meine Herren!' und führte eine Reihe eigener grauenhafter Erlebnisse an. [...]
Mit dem Zeugen Bringmann meldete sich dann der erste Augenzeuge der Tat zum Mord. Er gab an, mit der Arbeitskolonne im Walde eingesetzt gewesen zu sein und sich dabei in einer Entfernung von etwa 15m von der Grube, in der Eggerstedt arbeitete, befunden zu haben. Plötzlich habe er einen Schuß fallen hören und Eggerstedt schreiend am Boden liegend erkannt. Im gleichen Augenblick habe sich ein SS-Angehöriger mit der Pistole in der Hand über Eggerstedt gebeugt. Da sofort ein Befehl zum Laufschritt für alle Häftlinge ergangen sei, habe er sich abwenden müssen und beim Fortlaufen einen Pistolenschuß gehört. Er habe noch genau in Erinnerung, daß Groten mit dem Karabiner im Arm am Tatort gestanden habe.

Der Zeuge Heck, der zusammen mit Eggerstedt und anderen einen Stamm transportierte, bekundete, während dieser Arbeit plötzlich einen Schuß und einen Aufschrei Eggerstedts gehört zu haben. Eggerstedt sei ebenso wie der Häftling Wittmer zu Boden gestürzt. Dann sei ein SS-Truppführer gekommen und habe auf Eggerstedt geschossen. Dieser Truppführer sei ein gewisser Eisenhuth gewesen, in dessen Nähe sich Groten mit dem Gewehr im Arm befand. Er, der Zeuge, sei später beauftragt worden, den in die Revierwache gebrachten Eggerstedt mit frischer Wäsche zu versorgen. Eggerstedt habe zu diesem Zeitpunkt noch gelebt und ihm einen Gruß an seine Mutter aufgetragen. Auf dem Körper Eggerstedts habe der Zeuge drei schon mit Leukoplast verklebte Verwundungen erkannt."[26]

Den letzten Teil dieser Aussage erklärte der ärztliche Sachverständige aufgrund von Otto Eggerstedts Verletzungen für unmöglich. Vom damaligen Lagerarzt seien zwei Einschüsse festgestellt worden, einer unterhalb des rechten Schulterblattes und einer im Nacken, der im Kopf geblieben sei. Dieser Kopfsteckschuss habe den sofortigen Tod herbeiführen müssen.[27]

Der Staatsanwalt fasste in seinem Plädoyer den Tathergang folgendermaßen zusammen:

"Die Häftlinge kehren gegen 4 Uhr nachmittags von der Arbeit aus dem Moor zurück und werden - ganz entgegen der Regel - kurz darauf noch einmal zu einem Sonderarbeitskommando herausgerufen, bei dem Baumstämme aus einem nahen Wäldchen ins Lager zu schaffen sind. Die Häftlinge sind unruhig. Die SS-Leute fragen ausdrücklich, ob Eggerstedt sich auch beim Kommando befindet. Dann beginnt die Arbeit. Eggerstedt trägt zusammen mit einem anderen Häftling einen Baumstamm, als ihn plötzlich ein Karabinerschuß zu Boden streckt. Gleich darauf erhält er mit der Pistole einen Genickschuß. Er ist tot. Im Protokoll heißt es später: Auf der Flucht erschossen.
Aber Berichte über die wahren Vorgänge haben bereits ihren Weg in die ausländische Presse gefunden. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück versucht ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Die Akten sind heute noch vorhanden und haben wesentlich zur Durchführung des Prozesses und zur Sühnung der furchtbaren Bluttat beigetragen. Hermann Göring schlägt in seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident das Verfahren nieder."[28]

Wo genau Otto Eggerstedt begraben liegt, ist unbekannt. Der SS-Mann Groten wurde am 30. Oktober 1949 zu lebenslanger Haft verurteilt, kam aber 1963 auf Bewährung frei. Er bestand bis zuletzt auf seiner Darstellung und erklärte die Zeugenaussagen für "politische Racheakte".[29] Der andere Mörder starb vermutlich im 2. Weltkrieg und wurde 1955 für tot erklärt.

Ehrungen

Anlässlich seines 60. Geburtstages schrieb die VZ 1946, möglicherweise ein wenig idealisierend:

"Unermüdlich vertrat er [im Reichstag] die Interessen seiner Vaterstadt Kiel, und ohne sich zu schonen, reiste er in Schleswig-Holstein von Ort zu Ort, um für die Sache der Demokratie zu kämpfen. Ueberall kannte und liebte man den schmächtigen Mann mit dem roten Schopf, der zwar nicht mit starker Stimme den Raum zu füllen vermochte, dessen Humor und Schlagfertigkeit aber seine Gegner entwaffnete. [...]
Von starker nationaler Gesinnung getragen, wurde er von seinen Gegnern oft als militanter Sozialist bezeichnet. Er war in seinen eigenen Reihen nicht unumstritten, denn er war eine eigenwillige Persönlichkeit, die es sich selbst und andern nicht bequem machte. Aber seine großen Fähigkeiten veranlaßten den damaligen preußischen Innenminister Greszinsky [sic], ihn zum Polizeipräsidenten von Altona zu ernennen. Seine feste Haltung den Nationalsozialisten gegenüber trug ihm die Todfeindschaft dieser Kreise ein. Seine Freunde rieten ihm 1933, in die Emigration zu gehen. Er lehnte ab, weil er mit vielen Sozialdemokraten damals noch an die Möglichkeit glaubte, gegen Hitler arbeiten zu können."[30]

Stolperstein Otto Eggerstedt

In der Kieler Innenstadt ist seit 18. März 1965 eine Straße nach Otto Eggerstedt benannt. Diese ist jedoch beim Neubau des "Schlossquartiers" weitgehend wegfallen.[31] Bisher gibt es nur eine inoffizielle Absichtserklärung aus der Politik, als Ersatz nach Möglichkeit innerhalb der neuen Bebauung einen "Otto-Eggerstedt-Platz" auszuweisen.

In Hamburg-Altona gibt es bereits seit 1951 eine Eggerstedtstraße.[32] Dagegen trägt die 1939 von der Wehrmacht in Betrieb genommene und bis 2003 bestehende Eggerstedt-Kaserne in Pinneberg - anders als in Wikipedia zeitweise behauptet[33] - ihren Namen nicht nach ihm, sondern nach einem alten Ortsnamen.[34]

Seit dem 26. Februar 1992 erinnern in Berlin vor dem Reichstag 96 Gedenktafeln an von den Nationalsozialisten ermordete Reichstagsabgeordnete; eine davon ist Otto Eggerstedt gewidmet.

Am 12. August 2007, dem Jahrestag seiner Einlieferung ins KZ, wurde vor dem Haus Eichhofstraße 12 ein Stolperstein für Otto Eggerstedt verlegt[35]

Literatur

  • Arbeitskreis Asche-Prozess (Hrsg.): Kiel. Antifaschistische Stadtrundfahrt. Begleitheft (Kiel 1983)
  • Otto Eggerstedt. In: Best, Heinrich / Schröder, Wilhelm H.: Datenbank der Abgeordneten in der Nationalversammlung und den deutschen Reichstagen 1919–1933 (Biorab–Weimar)
  • Colmorgen, Eckhard: Biografie zum Stolperstein von Otto Eggerstedt
  • Dittrich, Irene: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstands und der Verfolgung 1933-1945, Band 7: Schleswig-Hostein I – Nördlicher Landesteil (Frankfurt/Main 1993)
  • Fischer, Rolf: "Mit uns die neue Zeit!" Kiels Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Revolution (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band 2, 1900-1920) (Kiel 2013) ISBN 978-3-86935-196-4
  • Kopitzsch, Wolfgang: Otto Eggerstedt. In: Rothert, Hans-F. (Hrsg.): Kieler Lebensläufe aus sechs Jahrhunderten (Sonderveröffentlichung der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 55, Neumünster 2006), S. 75-77
  • Kopitzsch, Wolfgang: Otto Eggerstedt. In: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 447-449
  • Kukil, Max: Wir gedenken Otto Eggerstedt's, Sozialdemokratischer Pressedienst, H. 232, 11.10.1958, S. 4
  • Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o.J.[1963])
  • Paetau, Rainer/Kopitzsch, Wolfgang/Stahr, G.: Die Ermordung des Reichstagsabgeordneten Otto Eggerstedt im Spiegel der Justizurteile von 1949/50. Geschuldete Erinnerung. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 199 (1994), S. 195-259
  • Schumacher, Martin (Hrsg.): M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus (Düsseldorf 1991)
  • Staatsarchiv Hamburg 331-8, Personalakte 199
  • Ullrich, Volker: Der "Altonaer Blutsonntag": Krieg gegen die "Roten", DIE ZEIT, 21.10.1994

Archive

  • Bundesarchiv, Bestellsignatur DY 55/V 278/6/314 enthält: Lebenslauf und Bericht

Links

Einzelnachweise

  1. Martens: Otto Eggerstedt
  2. Nach Recherchen von Jürgen Weber, dem Ortsverein mitgeteilt im April 2022.
  3. Martens: Otto Eggerstedt
  4. So zitiert bei Fischer: "Mit uns die neue Zeit!", S. 195, der vermutet: "eine Abrechnung, die in dieser Deutlichkeit wohl von keinem der altvorderen Parteifunktionäre geäußert worden wäre".
  5. Fischer: "Mit uns die neue Zeit!", S. 195 f.
  6. Martha Riedl im Interview mit Klaus Kuhl, 1991, S. 16 f.
  7. Fischer: "Mit uns die neue Zeit!", S. 195
  8. Herrberger, Marcus: Vom Volksschullehrer zum Polizeipräsidenten. Erich Wentker (1890-1947) – eine sozialdemokratische Karriere in der Weimarer Republik. In: Demokratische Geschichte 21(2010), S. 81
  9. StAH 331-8 199
  10. Vgl. Kukil: Wir gedenken Otto Eggerstedt's
  11. Vgl. Wikipedia: Altonaer Blutsonntag, abgerufen am 27.3.2016
  12. Gerhardt, Dirk: Die Lüge von den Heckenschützen, spiegel online, 13.7.2012
  13. Martens: Otto Eggerstedt
  14. Rickers, Karl: Erlebte Weimarer Republik. Erinnerungen eines Kielers aus den Jahren zwischen 1918 und 1933. In: Paetau, Rainer / Rüdel, Holger (Hrsg.): Arbeiter und Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein im 19. und 20. Jahrhundert (Neumünster 1987) ISBN 3-529-02913-0, S. 347-364, hier S. 355
  15. Kukil: Wir gedenken Otto Eggerstedt's, nennt Carl Legien, ein vermutlich durch Billians kurze Zeit als Abgeordneter (1920-21) verursachter Irrtum.
  16. Otto Eggerstedt zum Gedächtnis, VZ, 28.8.1946
  17. Leserbrief Joh. Zylka, VZ, 7.9.1946
  18. SPD-Bundestagsfraktion (Hrsg.): Otto Wels - Mut und Verpflichtung (2. Auflage, Berlin Juli 2008)
  19. Martens: Otto Eggerstedt
  20. Martens: Otto Eggerstedt
  21. Kukil, Max: Wir gedenken Otto Eggerstedt's
  22. Martens: Otto Eggerstedt
  23. Bericht von Karl Riehm an das Zonensekretariat des VVN vom 28.2.1948, abgedruckt in: Riehm, Gerd: "Auf Euch Schweine aus Altona haben wir gewartet!" Der Bericht von zwei Gefangenen des Transports vom 11./12. August 1933 aus Altona ins Konzentrationslager Esterwegen, Demokratische Geschichte 31(2021), S. 162
  24. Nach einer mündlichen Mitteilung seines Vaters Karl Riehm in: Riehm, Gerd: "Auf Euch Schweine aus Altona haben wir gewartet!" Der Bericht von zwei Gefangenen des Transports vom 11./12. August 1933 aus Altona ins Konzentrationslager Esterwegen, Demokratische Geschichte 31(2021), S. 166 f.
  25. Otto Eggerstedts letzte Tage im KZ Esterwegen, VZ, 25.10.1949
  26. Der Mord an Otto Eggerstedt, VZ, 26.10.1949
  27. Lokaltermin im KZ Esterwegen, VZ, 27.10.1949
  28. Sühne für den Mord an Otto Eggerstedt, VZ, 31.10.1949
  29. Sühne für den Mord an Otto Eggerstedt, VZ, 31.10.1949
  30. Otto Eggerstedt zum Gedächtnis, VZ, 28.8.1946
  31. Kieler Nachrichten 21.3.2013, 6.1.2014
  32. Martens: Otto Eggerstedt
  33. Wikipedia
  34. Vgl. Seifert, Johannes: Der Bau der Pinneberger Kaserne. In: VHS-Geschichtswerkstatt: Pinneberg – Historische Streiflichter (Pinneberg 2003), S. 210-213
  35. Colmorgen: Biografie zum Stolperstein