Protokoll einer Befragung von Franz Osterroth

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Verfasser dieses Protokolls aus dem Jahre 1957 ist Jochen Steffen. Der Text wurde von Gerda Strack, Ehefrau von Gerhard Strack, zur Verfügung gestellt:[1]

Franz Osterroth, geboren 1900 als Sohn eines Tonbergmanns, von 8 Kindern das älteste. Der Vater Nikolaus Osterroth war zunächst überzeugter Katholik. Der Befragte ist aufgewachsen in der Rheinpfalz. Der Vater hatte in seiner Jugend Neigung, in ein Kloster einzutreten, um Mönch zu werden. Politisch betätigte er sich zunächst als Bayernbündler. Um 1901 wurde der Vater Sozialdemokrat. Als er in einem Dorf die Verprügelung seines sozialdemokratischen Redners mit ansehen musste, trat er aus der katholischen Kirche aus und wurde ausgesprochen kirchenfeindlich. Der Befragte musste schon als kleines Kind Gedichte mit kirchenfeindlichem Inhalt vortragen, wenn im Hause Besuch war. Aufgrund seiner neuen religiösen und politischen Einstellung erhielt der Vater fortan keine Arbeit mehr und wurde ambulanter Händler mit Wäsche, die er in einer Kiepe über Land trug. Der Befragte hat noch erlebt, dass seine Großmutter ihrem Sohn, wenn er durchs Dorf ging, nachrief: "Seht Leute, dort kommt der Gottseibeiuns".

Aufgrund der rednerischen Begabung wurde der Vater Parteisekretär und ging als solcher ins Saargebiet und unternahm mit Hilfe von August Bebel den Versuch der Gründung einer Parteizeitung. Wegen Äußerungen in politischen Reden kam er ins Gefängnis, wo er einen Hungerstreik durchführte. Als ihm der Prozess gemacht wurde, benutzte er die Gelegenheit, um die wirtschaftlichen Herrschaftsverhältnisse des Saargebiets aufzudecken. 1908 kam der Vater als Arbeitersekretär, nachdem er vorher ½ Jahr einen Gewerkschaftskursus in Berlin besucht hatte, nach Schlesien. Die Bergarbeiter, auf die er einen großen Einfluss ausübte, vertrauten ihm blindlings. Dauernde Gefängnisstrafen des Vaters wegen Majestäts- und Kronprinzenbeleidigung sind dem Befragten noch deutlich in Erinnerung.

Der Befragte besuchte zunächst die Simultanschule. In Saarbrücken kam er aus Versehen in die evangelische Schule. 1914 nach der Schulentlassung musste der Befragte sofort Geld verdienen, da der Vater Soldat geworden war, und war als Fabrikarbeiter in der Eisenindustrie tätig. Auf Ansporn des Vaters nahm er einen häufigen Berufswechsel vor, um mehr Geld zu verdienen. Er wurde Kranführer und Montagearbeiter beim Brückenbau, zuletzt im Sommer 1918, als er eingezogen wurde, war er Bahnarbeiter. In Lippstadt erlebte er die Revolution. Dann ging er in eine Stadt Westfalens und wurde dort Adjutant seines Vaters, der Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrates geworden war.

Die politische Betätigung begann bereits als Volksschüler, wo er Mitglied einer Arbeiter-Jugendgruppe war, in der die Kinder von Parteigenossen zusammengefasst waren. 1917 erfolgte der Eintritt in die SPD, nachdem das Geburtsdatum um 1 Jahr vorverlegt worden war. Der Eintritt in die SPD war selbstverständlich. Der Vater hätte es niemals geduldet, dass der Sohn sich der USPD angeschlossen hätte. Die Berufsausbildung seines Sohnes wurde von dem Vater nicht ernst genommen. Er sah seine Hauptaufgabe darin, seinen Sohn zu einem Agitator für die Partei zu erziehen. Er erlaubte auch nicht, dass der Sohn das Gymnasium besuchte, obwohl die Großeltern sich das Schulgeld vom Munde abgespart hatten, die die Ausbildung des Befragten finanzieren wollten.

1919 war der Befragte als Berichterstatter bei einer Parteizeitung tätig und machte seine ersten literarischen Gehversuche. Außerdem betätigte er sich in der örtlichen Jugendgruppe. Er besuchte einen Redakteurkursus in Nürnberg, wo er auf den Arbeiterdichter Bröger trifft, der ihn als Feuilletonisten ausbilden will. Er erhält aber ein Angebot, als Jugendsekretär beim Bergarbeiterbund anzufangen und nimmt diese Stellung auf Wunsch seines Vaters an. Als Jugendsekretär beginnt er Gruppen für Jungbergarbeiter aufzubauen, für die er eine eigene Zeitung herausgibt. Durch seine Tätigkeit kommt er in enge Berührung mit Otto Hue, mit dem ihn ein herzliches Einvernehmen verbindet. Dieser ist für ihn das Idealbild eines Arbeiterführers. Gleichzeitig wird er Vorsitzender der SAJ in einer Großstadt des Ruhrgebietes und sitzt als Vertreter seiner Organisation im Jugendring.

An Literatur ist ihm noch in Erinnerung, weil sie auf ihn einen großen Eindruck gemacht hat, die Heldensagen des klassischen Altertums und die Bände der Klassiker Bibliothek (Schiller, Goethe und Shakespeare), die sein Vater auf Abzahlung erstanden hatte. Als er bereits arbeitet, liest er von V. [Victor] Hugo "Die Elenden" sowie Romane von [Maxim] Gorki. Von [Heinrich] Heine, der der Lieblingsdichter seines Vaters war, kennt er heute noch viele Gedichte auswendig. Der Vater war inzwischen Sozialdirektor bei der Preussag geworden. Mit der Politik kam er bereits als Kind in Berührung, da er die Parteitagsprotokolle, welche sein Vater aufbewahrte, las. Auf die Veranlassung von Hue besuchte er in den Jahren 1922 und 1923 die Akademie der Arbeit in Frankfurt. Die Abende verbringt er bei der Arbeiterjugend. Er war der Führer einer Richtung bei der Arbeiterjugend, die sich gegen die Bevormundung und organisatorische Leitung ihrer Gruppen durch die Partei wandten. Als ihm von der Partei daraufhin der Ausschluss angedroht wird, droht der Vater, ihn in diesem Fall auch aus der Familie auszuschließen.

Nach der Inflation wird er Sekretär der Arbeiterjugend des Ruhrgebiets. Er nimmt diese Stellung an, obwohl er damit das Angebot, das Abitur zu machen und später zu studieren, ausschlägt. Dann geht er nach Berlin und wird dort Redakteur an einer Parteizeitung. Gleichzeitig besucht er als Gasthörer die Vorlesungen der Universität. Von dort aus geht er nach Hamburg und ist dort von 1925 bis 1928 auf dem Arbeitsamt in der Berufsberatung tätig. Von 1928 bis 1933 arbeitet er wieder als Redakteur im Reichsbanner[2] unter der Leitung von Höldermann in Magdeburg. Er ist verantwortlich für das Feuilleton und den Jugendteil und stellvertretender Chefredakteur und wird Bundesjugendleiter des Reichsbanners.

Von 1933 bis 1934 redigiert er die illegale Zeitschrift Junger Sozialismus, wobei es ihm hauptsächlich darum ging, "den enttäuschten und haltlos gewordenen Arbeitern einen inneren Halt zu vermitteln". Von dieser Zeitschrift erschienen 10 Nummern. Während dieser Zeit war er gezwungen, laufend den Wohnsitz zu wechseln und sich verborgen zu halten.

1934 ging er in die Tschechei und wohnte nahe der Grenze, um von dort von Zeit zu Zeit nach Deutschland zu gehen. Dieser Aufenthalt dauerte bis zu 3 Wochen. Nachdem er seine Familie in die Tschechei nachgeholt hatte, ging er nach Prag an die Parteileitung der Sudetendeutschen SP und war als Kulturleiter tätig. Von Prag ging er 1938 nach Schweden, besuchte dort Kurse für Metallarbeiter und arbeitete dann 8 Jahre als Fräser.

In der Emigration sammelte er sozialistische Lieder und Gedichte und war in der Gruppe der Emigranten tätig. An Literatur der neueren Zeit gefiel ihm besonders [Artur] Rosenberg, Die Geschichte der deutschen Republik, [Karel] Capek, [Tomáš] Masaryk erzählt sein Leben, die Romane von Ignatio Silone sowie von Köster [Arthur Koestler] Sonnenfinsternis und [Der] Yoghi und der Kommissar.

Der Eindruck des schwedischen Wohlfahrtsstaates hat seine grundsätzliche politische Einstellung nicht geändert. Er ist der Ansicht, dass dieses wirtschaftliche System die Grundlage für die menschenbildende Aufgabe des Sozialismus sein könnte. Die Vorgänge um 1933 haben ihn damals stark erschüttert. Er misst den Hauptteil der Schuld der damaligen Parteiführung bei.

1926 hat er geheiratet. Die Frau entstammt einer sozialdemokratischen Familie einer norddeutschen Hafenstadt, der Beruf ihres Vaters war Mauerer. Der Ehe entsprangen 2 Kinder, die Tochter starb in Schweden. Der Befragte hat seine Frau in der Jugendbewegung kennengelernt. Religiös sehr stark interessiert kann man den Befragten zu den religiösen Sozialisten rechnen, ohne dass er einer Konfession angehört.

Quellen

  1. SPD Rendsburg-Eckernförde: Franz Osterroth - Biographie eines Biographen
  2. Zeitung des Reichsbanners