Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel: Unterschied zwischen den Versionen

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Der '''Sozialdemokratische Verein Groß-Kiel''' war der Vorläufer des [[Kreisverband Kiel|Kreisverbandes Kiel]] der SPD. Er bestand bis zum Verbot durch die Nationalsozialisten 1933.
Der '''Sozialdemokratische Verein Groß-Kiel''' war der Vorläufer des [[Kreisverband Kiel|Kreisverbandes Kiel]] der SPD. Er bestand bis zum Verbot durch die Nationalsozialisten [[1933]].


== Vorgeschichte ==
== Vorgeschichte ==
Eine sozialdemokratische Parteiorganisation in Kiel baute ab Beginn der 1870er Jahre der Schneider [[Stephan Heinzel]] auf. Er führte sie auch in der Zeit der Illegalität unter den Bismarck'schen "[[Sozialistengesetz|Sozialistengesetzen]]" 1878-1890 und vertrat die SPD ab [[1890]], zusammen mit dem Maurer [[Friedrich Brodthuhn]], in der Stadtverordnetenversammlung, wie die Ratsversammlung damals hieß. Das Verbindungsverbot für politische Vereine in Preußen wurde am [[11. Dezember]] [[1899]] (RGBl. 1899, S. 699) aufgehoben ("Lex Hohenlohe").  
Eine sozialdemokratische Parteiorganisation in Kiel baute ab Beginn der 1870er Jahre der Schneider [[Stephan Heinzel]] auf. Er führte sie auch in der Zeit der Illegalität unter den Bismarck'schen "[[Sozialistengesetz|Sozialistengesetzen]]" [[1878]]-1890 und vertrat die SPD ab [[1890]], zusammen mit dem Maurer [[Friedrich Brodthuhn]], in der Stadtverordnetenversammlung, wie die Ratsversammlung damals hieß. Das Verbindungsverbot für politische Vereine in Preußen wurde am [[11. Dezember]] [[1899]] (RGBl. 1899, S. 699) aufgehoben ("Lex Hohenlohe").  


: "Das Sozialistengesetz verfehlte seine Wirkung auch in Schleswig-Holstein vollkommen. Als es [[1890]] nach 12jähriger Geltungsdauer im Reichstag nicht verlängert wurde, war die sozialdemokratische Organisation weniger zerschlagen als vielmehr grundlegend reorganisiert' Der Aufstieg der Sozialdemokratie setzte sich kontinuierlich fort. 1890 traten allein in Kiel ca. 2000 Arbeiter zu einer 'Jubelfeier' zusammen und gründeten den 'Sozialdemokratischen Verein von Kiel'" <ref>Danker, Uwe: [http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay03.pdf ''Die Geburt der Doppelstrategie in der "Roten Hochburg" Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein 1863-1918''], in: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 34</ref>
: "Das Sozialistengesetz verfehlte seine Wirkung auch in Schleswig-Holstein vollkommen. Als es [[1890]] nach 12jähriger Geltungsdauer im Reichstag nicht verlängert wurde, war die sozialdemokratische Organisation weniger zerschlagen als vielmehr grundlegend reorganisiert' Der Aufstieg der Sozialdemokratie setzte sich kontinuierlich fort. 1890 traten allein in Kiel ca. 2000 Arbeiter zu einer 'Jubelfeier' zusammen und gründeten den 'Sozialdemokratischen Verein von Kiel'" <ref>Danker, Uwe: [http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay03.pdf ''Die Geburt der Doppelstrategie in der "Roten Hochburg" Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein 1863-1918''], in: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 34</ref>
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Ob die Urheber dieser Geschichte tatsächlich Mitglieder der Kieler Parteiorganisation waren, weiß man nicht. Zumindest aber waren sie bewusste Proletarier und organisierte Gewerkschafter.  
Ob die Urheber dieser Geschichte tatsächlich Mitglieder der Kieler Parteiorganisation waren, weiß man nicht. Zumindest aber waren sie bewusste Proletarier und organisierte Gewerkschafter.  


In den 1990er Jahren machten Dachdecker bei Bauarbeiten am Rathausturm einen Fund, der bei allen bisherigen Bau- und Reparaturmaßnahmen verborgen geblieben war. Sie entdeckten unter der Kugel auf der Turrmspitze eine kleine Metallkassette, aus der am Bau des Rathauses beteiligte Arbeiter ihre politische Stimme an die Nachwelt richteten. "Für unsere Nachkommen, anno ultimo" war der Umschlag in dieser Kassette adressiert; darin hatten sie ihre zentrale politische Forderung auf einem Bestellzettel für Steinwerk festgehalten: „Werter Leser! Wenn Du diesen Zettel liest, so denk an uns als längst verstorbene Freunde und kämpfende Proletarier für ein gleiches, direktes, geheimes und allgemeines Wahlrecht.Auf der Rückseite sind die Namen der an dieser Aktion beteiligten Poliere und Steinmetze aufgeführt. Der Zettel trägt das Datum [[27. September]] [[1910]]. Beigefügt sind unter anderem auch ein Flugblatt des Metallarbeiterverbandes von Kiel und Umgebung, zwei Metallarbeiterzeitungen sowie eine Ausgabe der [[Schleswig-Holsteinische Volkszeitung|Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung – Organ für das Arbeitende Volk]] von 1910. Die Arbeiter hatten ihre eigene Version dessen, was sie in einer Gründungskassette für angemessen hielten, ergänzt.
In den 1990er Jahren machten Dachdecker bei Bauarbeiten am Rathausturm einen Fund, der bei allen bisherigen Bau- und Reparaturmaßnahmen übersehen worden war. Sie entdeckten unter der Kugel auf der Turmspitze eine kleine Metallkassette, aus der am Bau des Rathauses beteiligte Arbeiter ihre politische Stimme an die Nachwelt richteten. "Für unsere Nachkommen, anno ultimo" war der Umschlag in dieser Kassette adressiert; darin hatten sie ihre zentrale politische Forderung auf einem Bestellzettel für Steinwerk festgehalten: "Werter Leser! Wenn Du diesen Zettel liest, so denk an uns als längst verstorbene Freunde und kämpfende Proletarier für ein gleiches, direktes, geheimes und allgemeines Wahlrecht." Auf der Rückseite sind die Namen der an dieser Aktion beteiligten Poliere und Steinmetze aufgeführt. Der Zettel trägt das Datum [[27. September]] [[1910]]. Beigefügt sind unter anderem auch ein Flugblatt des Metallarbeiterverbandes von Kiel und Umgebung, zwei Metallarbeiterzeitungen sowie eine Ausgabe der [[Schleswig-Holsteinische Volkszeitung|Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung – Organ für das Arbeitende Volk]] von 1910. Die Arbeiter hatten ihre eigene Version dessen, was sie in einer Gründungskassette für angemessen hielten, ergänzt.


: "[Diese Dokumente] sind Zeugnis des Protestes der organisierten Arbeiterschaft gegen das damalige Herrschaftssystem. Die am Bau des Rathauses Beteiligten wollten den offiziellen Dokumenten etwas entgegensetzen: Sie wollten ihr Bekenntnis für ein freieres und soziales Deutschland dokumentieren und späteren Generationen ihre Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Wandel offenbaren." formuliert es das Presseamt der Landeshauptstadt Kiel.<ref>[http://www.kiel.de/kultur/stadtgeschichte/rathaus/rathausgeschichten/stimmen.php Protest über Kiels Dächern], Internetseiten der Landeshauptstadt Kiel, denen diese Geschichte entnommen ist.</ref>
: "[Diese Dokumente] sind Zeugnis des Protestes der organisierten Arbeiterschaft gegen das damalige Herrschaftssystem. Die am Bau des Rathauses Beteiligten wollten den offiziellen Dokumenten etwas entgegensetzen: Sie wollten ihr Bekenntnis für ein freieres und soziales Deutschland dokumentieren und späteren Generationen ihre Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Wandel offenbaren." formuliert es das Presseamt der Landeshauptstadt Kiel.<ref>[http://www.kiel.de/kultur/stadtgeschichte/rathaus/rathausgeschichten/stimmen.php Protest über Kiels Dächern], Internetseiten der Landeshauptstadt Kiel (Stand 12.10.2014), denen diese Geschichte entnommen ist.</ref>


== Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel ==
== Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel ==
Am [[1. Oktober]] [[1911]] schlossen sich die vier Ortsvereine im Kieler Stadtgebiet - Kiel und Umgegend, Gaarden, Winterbek-Hassee und Ellerbek-Wellingdorf - zum ''Sozialdemokratischen Verein Groß-Kiel'' zusammen. Gemeinsam hatten sie etwa 9.000 Mitglieder. Kurz vor Kriegsbeginn [[1914]] war die Mitgliederzahl auf fast 12.000 gestiegen, darunter etwa ein Drittel Frauen. Der neue Ortsverein setzte sich aus sieben Distrikten zusammen, die bereits am 21. September ihre konstituierenden Distriktsversammlungen durchgeführt hatten: Nord, West, Süd, Ost (Sozialdemokratischer Verein Gaarden), Hassee, Ellerbek, Wellingdorf.
Am [[1. Oktober]] [[1911]] schlossen sich die vier Ortsvereine im Kieler Stadtgebiet - [[Ortsverein Kiel und Umgegend|Kiel und Umgegend]], [[Ortsverein Gaarden|Gaarden]], [[Ortsverein Winterbek-Hassee|Winterbek-Hassee]] und [[Ortsverein Ellerbek-Wellingdorf|Ellerbek-Wellingdorf]] - zum ''Sozialdemokratischen Verein Groß-Kiel'' zusammen. Gemeinsam hatten sie etwa 9.000 Mitglieder. Kurz vor Kriegsbeginn [[1914]] war die Mitgliederzahl auf fast 12.000 gestiegen, darunter etwa ein Drittel Frauen. Der neue Ortsverein (später Kreisverein, heute Kreisverband) setzte sich aus sieben Distrikten zusammen, die bereits am [[21. September]] ihre konstituierenden Distriktsversammlungen durchgeführt hatten: [[Ortsverein Kiel-Nord|Nord]], [[Ortsverein Kiel-West|West]], [[Ortsverein Kiel-Süd|Süd]], [[Ortsverein Gaarden|Ost (Sozialdemokratischer Verein Gaarden)]], [[Ortsverein Hassee|Hassee]], [[Ortsverein Ellerbek|Ellerbek]], [[Ortsverein Wellingdorf|Wellingdorf]].


Gründungsvorsitzender war [[Edmund Söhnker]], der die Neustrukturierung als Vorsitzender geleitet hatte. Ihm folgte vermutlich ab [[1912]] [[Heinrich Bielenberg]], der ab 1914 bis zu seiner Einberufung zum Kriegsdienst als Vorsitzender genannt wird. Zu seinem Stellvertreter wurde zu diesem Zeitpunkt Friedrich Brodthuhn berufen, der den Verein faktisch bis zur Wahl des Buchdruckers [[Oskar Fröhlich]] [[1915]] leitete. Im [[Mai]] [[1916]] wurde der Geschäftsführer des Kieler Gewerkschaftskartells, [[Gustav Garbe]], zum Vorsitzenden gewählt; bereits im September gab er das Amt wegen Arbeitsüberlastung wieder ab.<ref>Colmorgen, Eckhard / Liesching, Bernhard: [http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay18.pdf ''Ein Denkmal der Novemberrevolution 1918 in Kiel'', in: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 251]</ref> Friedrich Brodthuhn wurde sein Nachfolger.  
Gründungsvorsitzender war [[Edmund Söhnker]], der die Neustrukturierung als Vorsitzender geleitet hatte. Ihm folgte vermutlich ab [[1912]] [[Heinrich Bielenberg]], der ab [[1914]] bis zu seiner Einberufung zum Kriegsdienst als Vorsitzender genannt wird. Zu seinem Stellvertreter wurde zu diesem Zeitpunkt Friedrich Brodthuhn berufen, der den Verein faktisch bis zur Wahl des Buchdruckers [[Oskar Fröhlich]] [[1915]] leitete. Im Mai [[1916]] wurde der Geschäftsführer des Kieler Gewerkschaftskartells, [[Gustav Garbe]], zum Vorsitzenden gewählt; bereits im September gab er das Amt wegen Arbeitsüberlastung wieder ab.<ref>Colmorgen, Eckhard / Liesching, Bernhard: [http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay18.pdf ''Ein Denkmal der Novemberrevolution 1918 in Kiel'', in: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 251]</ref> Friedrich Brodthuhn wurde sein Nachfolger.  


Nach Krieg und Novemberrevolution, die mit dem [[Kieler Matrosenaufstand]] am [[3. November]] [[1918]] begann, ergab sich durch die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, das auch Listenwahl beinhaltete, eine neue Situation. Es wurde der ''Bezirksverband Schleswig-Holstein'' mit fünf Unterbezirken geschaffen. Groß-Kiel wurde dem dritten, später dem zweiten Unterbezirk zugeordnet.
Nach Krieg und Novemberrevolution, die mit dem [[Kieler Matrosenaufstand]] am [[3. November]] [[1918]] begann, ergab sich durch die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, das auch Listenwahl beinhaltete, eine neue Situation. Es wurde der ''Bezirksverband Schleswig-Holstein'' mit fünf Unterbezirken geschaffen. Groß-Kiel wurde dem dritten, später dem zweiten Unterbezirk zugeordnet.


=== Weimarer Republik ===
=== Weimarer Republik ===
Vorsitzender wurde [[1919]] [[Otto Eggerstedt]], der spätere hauptamtliche Parteisekretär. [[1927]] zog er nach Wandsbek. Sein Stellvertreter [[Wilhelm Schweizer]] übernahm [[1928]] an seiner Stelle den Vorsitz; Parteisekretär wurde [[Ernst Teßloff]] aus Hamburg, der jedoch nur einige Jahre in Kiel blieb. [[1931]] wurde [[Richard Hansen]] zum Stellvertreter Schweizers gewählt.
Vorsitzender wurde [[1919]] [[Otto Eggerstedt]], der spätere hauptamtliche Parteisekretär. Ende [[1927]] zog er nach Wandsbek. Sein Stellvertreter [[Wilhelm Schweizer]] übernahm [[1928]] den Vorsitz; Parteisekretär wurde [[Ernst Teßloff]] aus Hamburg, der jedoch nur einige Jahre in Kiel blieb. [[1931]] wurde [[Richard Hansen]] zum Stellvertreter Schweizers gewählt.


Am [[1. Oktober]] [[1922]] kamen die Ortsvereine der Gemeinden Holtenau, Pries und Friedrichsort, am [[1. April]] [[1924]] Neumühlen-Dietrichsdorf durch Eingemeindung hinzu. Diese Zusammensetzung blieb bestehen, bis die SPD [[1933]] durch die Nationalsozialisten verboten wurde.  
Seit [[1. Oktober]] [[1922]] gehörten die Ortsvereine der Gemeinden [[Ortsverein Holtenau|Holtenau]], [[Ortsverein Pries-Friedrichsort|Pries und Friedrichsort]], seit [[1. April]] [[1924]] [[Ortsverein Neumühlen-Dietrichsdorf|Neumühlen-Dietrichsdorf]] durch Eingemeindung zu Kiel. Diese Zusammensetzung blieb bestehen, bis die SPD [[1933]] von den Nationalsozialisten verboten wurde.  


Im [[Mai]] [[1927]] fand in Kiel der Reichsparteitag der SPD statt, dessen Organisation den Verein Groß-Kiel stark forderte, der aber allgemein als sehr eindrucksvoll bewertet wurde. Brecour schreibt:
Vom [[20. Mai|20.]]-[[27. Mai]] [[1927]] war Kiel Schauplatz des [[Reichsparteitag 1927, Kiel|Reichsparteitages der SPD]]. Seine Organisation forderte den Verein Groß-Kiel stark, wurde aber allgemein als sehr eindrucksvoll bewertet.  
:"1927 brachte es die Kieler sozialdemokratische Parteiorganisation fertig, ganz Kiel im Banne des Sozialdemokratischen Parteitags zu halten. Der sozialdemokratische Verein Groß-Kiel mit seinen Untergruppen - Frauengruppe, Arbeitsgemeinschaft republikanischer Beamten, Arbeitsgemeinschaft republikanischer Lehrer und Lehrerinnen, Sozialistische Elternbeiräte, Verein sozialdemokratischer Studierender, Sozialistisches Jugendkartell, [[Sozialistische Arbeiterjugend]], [[Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde|Kinderfreundebewegung]], Arbeiterwohlfahrt, Frauen- und Mütterberatungsstelle und Mieterberatung - verkörpert in sich ein gewaltiges Maß von politischen, sozialen und kulturellen Kräften."<ref>[[Wilhelm Brecour|Brecour, Wilhelm]]: ''Die sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung'' (Kiel 1932), neu veröffentlicht in: ''Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung'', Sonderveröffentlichung 15 der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte (Kiel 1983), S. I-96</ref>
 
Er hätte dazu etwa die Arbeitersportvereine - in Kiel die [[Freie Turnerschaft|Freie Turnerschaft an der Kieler Förde]] - und den [[Konsumverein]] nennen können. Er hätte auch auf die [[Kinderrepublik Seekamp]] verweisen können, die - von Kieler Parteimitgliedern maßgeblich mit organisiert - nur wenige Wochen später stattfand. Für dieses Experiment war auf dem Parteitag fleißig geworben und gesammelt worden.
 
Die SPD hatte sich genehmigen lassen, dass der Flaggenschmuck für den Parteitag noch bis Ende Mai hängen durfte. Unmittelbar nach dem Parteitag besuchte Reichspräsident Hindenburg Kiel. Im Kieler Stadtarchiv existiert ein Beschwerdebrief darüber, dass dem Reichspräsidenten der Anblick der noch überall hängenden roten Fahnen nicht zuzumuten sei.<ref>Stadtarchiv Kiel, Akte ?</ref>


== Treffen junger Sozialdemokraten in Kiel ==
== Treffen junger Sozialdemokraten in Kiel ==
Eine Gruppe junger Sozialdemokraten traf sich am [[1. Januar]] [[1920]] in Kiel. Sie verabschiedete Leitsätze in denen es u.a. hieß:  
Eine Gruppe junger Sozialdemokraten traf sich am [[1. Januar]] [[1920]] in Kiel. Sie verabschiedete Leitsätze in denen es u.a. hieß:  
: „Die den Arbeiterjugendvereinen entwachsenen Parteigenossinnen und -genossen können ihrer ganzen seelischen Einstellung nach nicht ohne weiteres den Schritt zur allgemeinen Arbeiterbewegung machen, denn diese ist in ihrem inneren und äußeren Leben so einseitig verstandesmäßig und materialistisch ausgerichtet, daß sie die in der Jugend vorhandenen und durch den Krieg neubelebten irrationalen Regungen nicht befriedigen kann. Daher schließen sie sich zu besonderen jungsozialistischen Gemeinschaften innerhalb der Partei zusammen.
: "Die den Arbeiterjugendvereinen entwachsenen Parteigenossinnen und -genossen können ihrer ganzen seelischen Einstellung nach nicht ohne weiteres den Schritt zur allgemeinen Arbeiterbewegung machen, denn diese ist in ihrem inneren und äußeren Leben so einseitig verstandesmäßig und materialistisch ausgerichtet, daß sie die in der Jugend vorhandenen und durch den Krieg neubelebten irrationalen Regungen nicht befriedigen kann. Daher schließen sie sich zu besonderen jungsozialistischen Gemeinschaften innerhalb der Partei zusammen."


== Quellen ==
== Quellen ==

Version vom 12. Oktober 2014, 22:58 Uhr

Der Sozialdemokratische Verein Groß-Kiel war der Vorläufer des Kreisverbandes Kiel der SPD. Er bestand bis zum Verbot durch die Nationalsozialisten 1933.

Vorgeschichte

Eine sozialdemokratische Parteiorganisation in Kiel baute ab Beginn der 1870er Jahre der Schneider Stephan Heinzel auf. Er führte sie auch in der Zeit der Illegalität unter den Bismarck'schen "Sozialistengesetzen" 1878-1890 und vertrat die SPD ab 1890, zusammen mit dem Maurer Friedrich Brodthuhn, in der Stadtverordnetenversammlung, wie die Ratsversammlung damals hieß. Das Verbindungsverbot für politische Vereine in Preußen wurde am 11. Dezember 1899 (RGBl. 1899, S. 699) aufgehoben ("Lex Hohenlohe").

"Das Sozialistengesetz verfehlte seine Wirkung auch in Schleswig-Holstein vollkommen. Als es 1890 nach 12jähriger Geltungsdauer im Reichstag nicht verlängert wurde, war die sozialdemokratische Organisation weniger zerschlagen als vielmehr grundlegend reorganisiert' Der Aufstieg der Sozialdemokratie setzte sich kontinuierlich fort. 1890 traten allein in Kiel ca. 2000 Arbeiter zu einer 'Jubelfeier' zusammen und gründeten den 'Sozialdemokratischen Verein von Kiel'" [1]

Am 1. Juli 1905 passten die schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten ihre Struktur den neuen Verhältnissen an. Das in der Illegalität praktizierte System von Vertrauensmännern konnte durch eine direkte Parteiorganisation ersetzt werden, deren Grenzen denen des Wahlkreises zum Reichstag entsprachen.

Dem Sozialdemokratischen Zentralverein für den 7. Schleswig-Holsteinischen Reichstagswahlkreis gehörten die Ortsvereine Kiel und Umgegend, Gaarden, Neumünster, Winterbek-Hassee, Dietrichsdorf, Rendsburg, Preetz, Nortorf, Hohenwestedt und Heikendorf mit insgesamt ca. 3.800 Mitgliedern an. Das preußische Dreiklassenwahlrecht, das bis zur Novemberrevolution 1918 galt, sorgte allerdings dafür, dass trotz hoher Stimmanteile die SPD Schleswig-Holstein im Preußischen Abgeordnetenhaus kaum vertreten war. Erster Vorsitzender wurde der Metallarbeiter Wilhelm Poller, der bereits seit mehreren Jahren Vertrauensmann gewesen war. 1907 wurde er vom Verein als hauptamtlicher Parteisekretär angestellt. Sein Vorgänger war Paul Andratschke gewesen, der mit seiner Frau Luise Andratschke zu den aktiven Kieler Parteimitgliedern gehörte.

Der "Sozialdemokratische Verein Kiel und Umgegend" gründete sich, nachdem 1890 Bismarcks "Sozialistengesetze" aufgehoben wurden. Zu seinem ersten Vorsitzenden wurde am 21. Dezember 1890 der Buchhändler Christian Haase gewählt. Ihm folgten 1894 der Tischler Wilhelm Brecour, 1896 der Buchbinder Daniel Rindfleisch[2] und 1907 oder 1908 der Tischler Edmund Söhnker[3].

Frauen

Lediglich die Frauen wurden weiterhin durch eine jährlich gewählte "weibliche Vertrauensperson" vertreten, da das Verbot der politischen Betätigung für Frauen erst 1908 fiel. Jahrelang wurde die Genossin Th. Niendorf in dieses Amt gewählt, offenbar auch über 1908 hinaus. 1908 traten etwa 700 Frauen dem Verein als Mitglieder bei. Sie hatten bereits vorher ihre Verbundenheit durch die Zahlung freiwilliger Beiträge bekundet.

1909 beschloss der Provinzialparteitag ein neues Statut, das auch die Vertretung von Frauen umfasste: "Die Agitationskommission [d.h. die Spitze des Bezirks- oder Landesverbandes] besteht aus einem besoldeten Beamten, der auch die Kassengeschäfte zu führen hat, einem Vertreter der Parteizeitung und 5 Beisitzern, unter welchen mindestens eine Genossin sein muß."[4] Auch im Aktionsausschuss, dem höchsten Organ der Kieler Parteiorganisation, war ein Platz für ein weibliches Mitglied zwingend vorgesehen.

Bereits 1893 gründeten politisch interessierte Arbeiterfrauen den Kieler Bildungsverein für Frauen und Mädchen. Außerdem soll sich bereits vor Aufhebung des Sozialistengesetzes im "Hökerladen der alten Genossin Rathje" in der Kieler Straße eine illegale Frauengruppe getroffen haben. Es könnte das Haus Nr. 47 gewesen sein, wo laut Adressbuch von 1892 eine Schneiderin namens Rathje wohnte. Näheres ist jedoch nicht bekannt.[5]

Subversives im Rathausturm

Ob die Urheber dieser Geschichte tatsächlich Mitglieder der Kieler Parteiorganisation waren, weiß man nicht. Zumindest aber waren sie bewusste Proletarier und organisierte Gewerkschafter.

In den 1990er Jahren machten Dachdecker bei Bauarbeiten am Rathausturm einen Fund, der bei allen bisherigen Bau- und Reparaturmaßnahmen übersehen worden war. Sie entdeckten unter der Kugel auf der Turmspitze eine kleine Metallkassette, aus der am Bau des Rathauses beteiligte Arbeiter ihre politische Stimme an die Nachwelt richteten. "Für unsere Nachkommen, anno ultimo" war der Umschlag in dieser Kassette adressiert; darin hatten sie ihre zentrale politische Forderung auf einem Bestellzettel für Steinwerk festgehalten: "Werter Leser! Wenn Du diesen Zettel liest, so denk an uns als längst verstorbene Freunde und kämpfende Proletarier für ein gleiches, direktes, geheimes und allgemeines Wahlrecht." Auf der Rückseite sind die Namen der an dieser Aktion beteiligten Poliere und Steinmetze aufgeführt. Der Zettel trägt das Datum 27. September 1910. Beigefügt sind unter anderem auch ein Flugblatt des Metallarbeiterverbandes von Kiel und Umgebung, zwei Metallarbeiterzeitungen sowie eine Ausgabe der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung – Organ für das Arbeitende Volk von 1910. Die Arbeiter hatten ihre eigene Version dessen, was sie in einer Gründungskassette für angemessen hielten, ergänzt.

"[Diese Dokumente] sind Zeugnis des Protestes der organisierten Arbeiterschaft gegen das damalige Herrschaftssystem. Die am Bau des Rathauses Beteiligten wollten den offiziellen Dokumenten etwas entgegensetzen: Sie wollten ihr Bekenntnis für ein freieres und soziales Deutschland dokumentieren und späteren Generationen ihre Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Wandel offenbaren." formuliert es das Presseamt der Landeshauptstadt Kiel.[6]

Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel

Am 1. Oktober 1911 schlossen sich die vier Ortsvereine im Kieler Stadtgebiet - Kiel und Umgegend, Gaarden, Winterbek-Hassee und Ellerbek-Wellingdorf - zum Sozialdemokratischen Verein Groß-Kiel zusammen. Gemeinsam hatten sie etwa 9.000 Mitglieder. Kurz vor Kriegsbeginn 1914 war die Mitgliederzahl auf fast 12.000 gestiegen, darunter etwa ein Drittel Frauen. Der neue Ortsverein (später Kreisverein, heute Kreisverband) setzte sich aus sieben Distrikten zusammen, die bereits am 21. September ihre konstituierenden Distriktsversammlungen durchgeführt hatten: Nord, West, Süd, Ost (Sozialdemokratischer Verein Gaarden), Hassee, Ellerbek, Wellingdorf.

Gründungsvorsitzender war Edmund Söhnker, der die Neustrukturierung als Vorsitzender geleitet hatte. Ihm folgte vermutlich ab 1912 Heinrich Bielenberg, der ab 1914 bis zu seiner Einberufung zum Kriegsdienst als Vorsitzender genannt wird. Zu seinem Stellvertreter wurde zu diesem Zeitpunkt Friedrich Brodthuhn berufen, der den Verein faktisch bis zur Wahl des Buchdruckers Oskar Fröhlich 1915 leitete. Im Mai 1916 wurde der Geschäftsführer des Kieler Gewerkschaftskartells, Gustav Garbe, zum Vorsitzenden gewählt; bereits im September gab er das Amt wegen Arbeitsüberlastung wieder ab.[7] Friedrich Brodthuhn wurde sein Nachfolger.

Nach Krieg und Novemberrevolution, die mit dem Kieler Matrosenaufstand am 3. November 1918 begann, ergab sich durch die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, das auch Listenwahl beinhaltete, eine neue Situation. Es wurde der Bezirksverband Schleswig-Holstein mit fünf Unterbezirken geschaffen. Groß-Kiel wurde dem dritten, später dem zweiten Unterbezirk zugeordnet.

Weimarer Republik

Vorsitzender wurde 1919 Otto Eggerstedt, der spätere hauptamtliche Parteisekretär. Ende 1927 zog er nach Wandsbek. Sein Stellvertreter Wilhelm Schweizer übernahm 1928 den Vorsitz; Parteisekretär wurde Ernst Teßloff aus Hamburg, der jedoch nur einige Jahre in Kiel blieb. 1931 wurde Richard Hansen zum Stellvertreter Schweizers gewählt.

Seit 1. Oktober 1922 gehörten die Ortsvereine der Gemeinden Holtenau, Pries und Friedrichsort, seit 1. April 1924 Neumühlen-Dietrichsdorf durch Eingemeindung zu Kiel. Diese Zusammensetzung blieb bestehen, bis die SPD 1933 von den Nationalsozialisten verboten wurde.

Vom 20.-27. Mai 1927 war Kiel Schauplatz des Reichsparteitages der SPD. Seine Organisation forderte den Verein Groß-Kiel stark, wurde aber allgemein als sehr eindrucksvoll bewertet.

Treffen junger Sozialdemokraten in Kiel

Eine Gruppe junger Sozialdemokraten traf sich am 1. Januar 1920 in Kiel. Sie verabschiedete Leitsätze in denen es u.a. hieß:

"Die den Arbeiterjugendvereinen entwachsenen Parteigenossinnen und -genossen können ihrer ganzen seelischen Einstellung nach nicht ohne weiteres den Schritt zur allgemeinen Arbeiterbewegung machen, denn diese ist in ihrem inneren und äußeren Leben so einseitig verstandesmäßig und materialistisch ausgerichtet, daß sie die in der Jugend vorhandenen und durch den Krieg neubelebten irrationalen Regungen nicht befriedigen kann. Daher schließen sie sich zu besonderen jungsozialistischen Gemeinschaften innerhalb der Partei zusammen."

Quellen

<references>

  1. Danker, Uwe: Die Geburt der Doppelstrategie in der "Roten Hochburg" Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein 1863-1918, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 34
  2. Fischer, Rolf: Mit uns die neue Zeit! Kiels Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Revolution (Kiel 2013), S. 10 f., S. 58)
  3. Festschrift zum Jubiläum der Volksbühne in Kiel, zitiert in: Söhnker, Hans: ... und kein Tag zuviel (Hamburg 1974), S. 13
  4. zitiert in Fischer, Rolf: "Mit uns die neue Zeit!" Kiels Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Revolution (Kiel 2013), S. 62
  5. Kalweit, Susanne: Auf der Suche nach der weiblichen Intelligenz, in: Lang/Peters/Sönnichsen/Ziefuß (Hrsg.): Kiel zu Fuß. 17 Stadtteilrundgänge durch Geschichte und Gegenwart (Hamburg 1989), S. 124
  6. Protest über Kiels Dächern, Internetseiten der Landeshauptstadt Kiel (Stand 12.10.2014), denen diese Geschichte entnommen ist.
  7. Colmorgen, Eckhard / Liesching, Bernhard: Ein Denkmal der Novemberrevolution 1918 in Kiel, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 251