Gisela Böhrk: 20 Jahre Gleichstellungsgesetz Schleswig-Holstein: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 20. August 2017, 10:52 Uhr

Im Dezember 1994 trat das Landesgleichstellungsgesetz in Kraft. Mit ihm sollte der Verfassungsvorgabe "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" zumindest für den öffentlichen Dienst, den Geltungsbereich des Gesetzes, mehr Leben eingehaucht werden.

Am 4. Dezember 2014 erinnerte das heute zuständige Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung unter Ministerin Kristin Alheit an den Jahrestag mit einer Feierstunde im Landeshaus, an der zahlreiche aktuelle und ehemalige Kämpferinnen für die Gleichstellung teilnahmen. Die damalige Frauenministerin Gisela Böhrk hielt die folgende launige, kritische und ein wenig selbstkritische Rede:

Gisela Böhrk bei ihrer Rede im Landeshaus am 4.12.2014
"Es ist ein sehr spezielles Geburtstagskind, zu dessen Jubiläum wir hier zusammengekommen sind. Es hatte eine schwere Geburt. Sie dauerte mehr als 6 Jahre. Das ist schon ein Alleinstellungsmerkmal.
Sein Vorläufer war eine Richtlinie, Sie galt für die Ministerien. Die war flott beschlossen und umgesetzt. Die neue Regierung Engholm hatte ein quotiertes Kabinett und das erste Frauenministerium der Republik. Die Frauenministerin hatte ein Vetorecht im Kabinett. Nach 44 Jahren CDU-Herrschaft erwartete man in den Ministerien ohnehin jede Menge Unheil. Widerstand schien zwecklos.
Das Gleichstellungsgesetz hingegen gilt nicht nur für die Landesministerien, sondern für Landesbehörden, für alle Kreise, Kommunen, Kammern. Es enthält Regeln, mit deren Hilfe die Ungleichheit zwischen den dort beschäftigten Männern und Frauen schrittweise aufgehoben werden soll: bei den einzelnen Laufbahnen und Gehaltsgruppen, bei Beförderung und bei ihrer Beteiligung in Gremien. Frauen müssen bevorzugt werden, wenn sie gleich qualifiziert sind, bis Gleichstand bei Männern und Frauen erreicht ist. Das ist der Kernpunkt.
Es ist ein schönes Gesetz, klar, klug, lesbar. Dank den Machern Marion Eckertz-Höfer, später Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern. Es war Vorbild für die neuen Bundesländer und für etliche alte.
Der Widerstand war umfassend und dauerhaft. Willkür! Verfassungsbruch! So tönte es durchs Land. Der Referent im Innenministerium verweigerte die Mitzeichnung. Er meinte, dass die Mädels im Frauenministerium es mit der Verfassung nicht so genau nähmen.
Innenstaatssekretär Ekki Wienholtz und sein Minister Hans Peter Bull, ausgewiesene Verfassungsrechtler alle beide, halfen dem Gesetz über die erste Hürde. Das war erst der Anfang.
Es fehlte an öffentlicher Akzeptanz.
Der Ministerpräsident schickte seine Ministerin auf Überzeugungstour. In einer Mischung aus Furcht und Glaube: Furcht vor Wahlterminen, vorm Verfassungsgericht und Glaube an die Macht der Vernunft.
Wir verfügten über das Feinste an juristischer Kompetenz weit und breit. Wir waren ein Super-Team. Für alle war es DAS Projekt. Uns half die Unterstützung der Frauen quer durch die Verbands- und NGO-Landschaft und auch die mal verstohlene, mal unverhohlene Sympathie der Frauen und mancher Männer aus den anderen Parteien.
Wir beachteten auch alle Regeln des politischen Marketing: Wir waren gut angezogen, heiter, souverän und wo nötig witzig. Wir hatten auch angesehene und kluge Männer in unserem Portfolio, die das Gesetz öffentlich unterstützten. Unsere Pressefrauen beatmeten die Journalisten, die aus nah und fern herbeieilten, um diesen eklatanten Fall von Verfassungsbruch aus der Nähe zu besichtigen, meist gut gelaunt und ohne erkennbare Ermüdungserscheinungen. Über Strecken fanden wir den Entrüstungssturm auch lustig.
Das Gesetz war das am breitesten diskutierte und das am ansprechendsten verpackte jemals. So vergingen die ersten Jahre.
Just als wir glaubten, wir hätten jedes nur denkbare und undenkbare Argument erörtert, jeden Einwand mit Sach- und Fachkompetenz erledigt, als wir glaubten, jetzt seien endlich alle Hürden genommen, da scheiterte ein Kabinettskollege beim Bundesverfassungsgericht mit seinem Atomausstiegsprogramm. Riesengetöse in der Öffentlichkeit: Schon wieder Verfassungsbruch durch die Landesregierung! Für das Gleichstellungsgesetz bedeutete das: Zurück auf los. So geht Politik.
Nun noch einmal ein ganzes Jahr durch das ganze Land von Ost nach West, von Süd nach Nord: Regionalkonferenzen, Gespräche mit Bürgermeistern, Hauptausschüssen, Landräten, Kreistagen, Kommunalparlamenten, Parteien, Kammern.
Es gibt keinen Politikbereich, der so häufig in die gefühlige Privatheit rutscht, und dies nicht nur gelegentlich ohne den Umweg über das Gehirn. Ausgewachsene Bürgermeister und Landräte legten der Frauenministerin die Verhältnisse in ihrer Ehe dar. Das waren keine Einzelfälle. Ihre Frau zu Hause würde sowieso alles bestimmen. Die Frauen hätten doch ohnehin die Macht. Sie hätten gerade die junge Frau X gegen alle Widerstände in die Amtsleitung gehoben. Wenn die Mütter die Jungens richtig erziehen würden, gäbe es die Probleme nicht. Weil Frauen ja inzwischen gebildeter seien als früher, würde sich das von allein auswachsen. Die Frauen wollten es es selbst nicht, sie fühlten sich nicht benachteiligt. Man könne und dürfe so etwas nicht gesetzlich regeln. Außerdem sei alles von vornherein verfassungswidrig.
Als alle ermüdeten, wurde das Gesetz beschlossen. Es wurde nie in Karlsruhe beklagt, anders als etwa die Vorschriften in der Kommunalverfassung zur Bestellung der Gleichstellungsbeauftragten - die wir übrigens zu Null, d.h. in jedem beklagten Punkt gewannen.
So trat das Gesetz nach 6 Jahren in Kraft. Seither kämpfen hunderte tapferer Frauen als Gleichstellungsbeauftragte für seine Beachtung. Sie sind häufig der Stein des Anstoßes gegen die Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse. Sie rollen den Stein immer wieder bergauf. Man sollte ihnen Kränze winden. Jedenfalls müssen sie gut vernetzt sein. Es ist zu einem großen Teil ihnen zu verdanken, dass das Gesetz wirksam ist. Der öffentliche Dienst in Schleswig-Holstein ist gleicher als vor 20 Jahren.
Passend zu dieser Feierstunde ist vorletzte Woche im Bundeskabinett die Quote für die Aufsichtsräte der Wirtschaft beschlossen worden. Gemessen an der Dauer der Durchsetzung dieser Quote war unser Gleichstellungsgesetz eine Sturzgeburt.
Um Gleichstellung in der Privatwirtschaft voranzubringen, hatten wir 1988 mit einem breiten Fächer an Initiativen und Projekten begonnen. Wir haben für Personalentwicklungsplanung für Frauen in den Betrieben geworben. Wir haben Beratungsstellen für Berufsrückkehrerinnen erfunden und gefördert, arbeitgebernahe Beratung für kleine und mittlere Unternehmen organisiert, die Spitzen der Wirtschaft ins Boot geholt. Ergebnis: Außer Spesen nichts gewesen. Bekenntnisse und Selbstverpflichtungen und allerlei Lyrik hatten keine Wirkung.
Seit 1990 hat es keine zuständige Bundesministerin, egal welcher Partei, gegeben, von Renate Schmidt bis von der Leyen, die nicht ziemlich genau dieselben Projekte probiert hätte. Ergebnis: viel Lärm um so gut wie nichts.
Nach wie vor verdienen Frauen in Deutschland im Durchschnitt 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Damit liegt Deutschland im EU-Vergleich auf dem siebtletzten Platz. Bei Hochschulabsolventen und Führungskräften ist der Abstand noch größer. Der Anteil der Mütter an den Frauen in Führungspositionen beträgt hierzulande nur 42,8 Prozent, damit belegt Deutschland im EU-Vergleich den letzten Platz.
Gleichstellung und Privatwirtschaft, das ist in Deutschland das Reich des Murmeltiers. Es grüßt seit 30 Jahren täglich. In den Blogs und Internetkommentaren des Jahres 2014 zur Quote in den Aufsichtsräten finden sich exakt dieselben weinerlichen, wütenden, empörten Gegenreden wie in den 1980er Jahren. Treuherzig wird in der Öffentlichkeit für die Freiwilligkeit, für den Glauben an die ökonomische Einsicht der handelnden Unternehmen – Frauen sind billiger –, für die tolle Durchsetzungskraft der jungen Frauen heute und gegen die Quote und jede Gleichstellungsregel argumentiert und polemisiert. In 30 Jahren kein Erkenntnisgewinn.
Ungleichheit folgt keiner rationalen Argumentation. Sie zielt auf die Aufrechterhaltung des Bestehenden. Für die Aufrechterhaltung des Bestehenden hilft, dass viele Frauen die Quote als stigmatisierend ansehen. Ohne die Quote in der Politik wären weder Heide Simonis noch Angela Merkel Ministerin geworden und ergo nicht Ministerpräsidentin und Kanzlerin.
Fragt sich, warum das so ist. Warum ist es in Deutschland so schwer, den sogenannten gender gap zu schließen? Ich denke es sind zwei Gründe, die durchaus miteinander zu tun haben.
Nr. 1: Es ist die Kinderfrage. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist damals wie heute in Deutschland ein ungelöstes Problem, weitestgehend ein Frauenthema, kein Gesellschaftsthema. Erst seit wenigen Jahren werden die Weichen in Richtung auf Kleinkinderbetreuung und Ganztagsschulen gestellt. Ich denke, es war ein schwerer Fehler, dass die Frauenbewegung der 1970er und 1980er mit der Kinderfrage nichts zu tun haben wollte. Ich nehme mich da nicht aus. Ich habe mich bis an den Rand eines Zerwürfnisses mit dem Ministerpräsidenten dagegen gewehrt, den Bereich Jugend als Frauenministerin zu übernehmen. Ich fürchtete, mich in der Szene unmöglich zu machen. (Ich fürchtete mich übrigens zu Recht.)
Nr. 2: Gleichheit ist in Deutschland kein akzeptierter Wert. Gleichheit, möchte ich erinnern, ist eine der drei Säulen der Demokratie. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Der Begriff der Gleichheit ist aber hierzulande in spirituelle Sphären gerückt. Außer in der Kirche wird nirgendwo über Gleichheit geredet. Ungleichheit gilt nicht als demokratischer Mangel. In den Betrieben gibt es höchst selten eine Kultur der Gleichheit. Equality and diversity – Gleichheit und Vielfalt – als Unternehmensziele: wie exotisch. 5 Prozent der Vorstandsposten sind heute mit Frauen besetzt. Das sind weniger als letztes Jahr. Länder, die Gleichheit als Ziel formuliert haben, haben da bessere Werte, allen voran die skandinavische Länder, die für uns bei der Gleichstellungspolitik Vorbild waren. In Schweden etwa sind Arbeitgeber verpflichtet, aktive Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung am Arbeitsplatz zu ergreifen. Sie müssen jährlich die Lohn- und Gehaltsbedingungen von Frauen und Männern überprüfen und die Ergebnisse veröffentlichen.
Frauenpolitik wurde in Deutschland nicht als demokratisches Projekt, als Gleichheitsprojekt transportiert. Die Feministinnen wollten eine Sonderrolle. Sie wollten in der Geschlechterdiskriminierung mit den anderen Diskriminierten nichts zu tun haben. Wir waren schließlich die Hälfte der Gesellschaft. Wir wollten nicht gleich sein mit den Behinderten, Migranten, Minderheiten.
Aber der Treiber für alle Diskriminierungen ist derselbe: Aufrechterhaltung von Vorrechten und Aufrechterhaltung des Machtgefälles.
Frauenpolitik wurde als eine Art Modeerscheinung gesehen und verschwand von der Agenda, als die Macht der Frauen mit der Wende zerbröselte.
Dabei ist Gleichheit heute nötiger denn je. Gerade in dieser Dekade der individualistischen Fragmentierung der Gesellschaft. Das Projekt der Gleichheit könnte der Kitt sein, der die Gesellschaft zusammenhalten hilft. Unter einem Dach. Der Quotenbeschluss könnte eine neue Debatte um Gleichheit befördern. Man könnte einen neuen Anlauf für Gleichheit machen. Nicht nur bei der Geschlechtergleichheit.
Das klingt utopisch oder naiv oder beides. Aber es hat noch nie geschadet, zwischendurch immer mal utopisch und naiv zu sein.
Und die Moral von der Geschichte?
Es macht unglaublich viel Spaß, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das wirklich etwas verändert. Dazu braucht es kluge, kenntnisreiche, tapfere und durchaus auch leidensfähige Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die ihren Humor nicht verlieren.
Für die Durchsetzung sind Verbündete erforderlich, gern auch mächtige. Also: Männer.
Für die Praxisphase, also: die Mühen der Ebene, ist revolutionäre Geduld vonnöten.
Hilfreich ist auch ein Kompass, der könnte Gleichheit heißen.
Das Gleichstellungsgesetz hat das Land nicht in ein feministisches Zeitalter geführt. Es ist nicht das Ergebnis von Lobbypolitik und auch nicht Teil von Sozialpolitik. Es ist sehr praktischer Teil einer konkreten Vision einer demokratischen Gesellschaft.
Ich wünsche dem Gesetz und der Idee der Gleichheit neuen Schwung und uns und der Politik den Mut dazu."