Jochen Steffen

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Jochen Steffen 1965 als neu gewählter Landesvorsitzender

Jochen Steffen, auch genannt "Der Rote Jochen", hieß eigentlich Karl Joachim Jürgen Steffen. Er wurde am 19. September 1922 in Kie-Gaarden geboren und starb am 27. September 1987 in Kiel. Er ging zuerst zur Volksschule, dann zum Reform-Realgymnasium "Admiral Graf Spee".

Auf der Oberschule hatte Steffen einen linken Lehrer, den Oberstudiendirektor Schadow, der mit seiner riskanten Regimefeindlichkeit Steffens politisches Bewußtsein erweckte:

"beim Segeln auf der Förde, wohin Spitzel nicht folgen konnten, trieben Lehrer und Schüler Theorie; Steffen las Lenin und das Kommunistische Manifest; lernte im Kontakt mit ursprünglich linken Werftarbeitern, 'wie schlimm das ist, wenn Arbeiter keine Führung haben, denn die wußten alle nur, daß das Scheiße war mit dem Nationalsozialismus und daß sie laut Marx und Lenin den Laden jetzt eigentlich in die Pfanne hauen sollten, aber sie wußten nicht wie'. Faschismus wurde dem Roten Jochen zur traumatischen Erfahrung, Sozialismus zum Ziel."[1]

1941 machte Jochen Steffen sein Kriegsabitur, bevor er zur Marine eingezogen wurde. Sein Kompaniechef war der nachmalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Helmut Lemke. Steffen hielt sich bei der Marine bedeckt und blieb Obergefreiter.

Erst nachdem er nach Ende des Krieges ein Vorsemester absolviert hatte, wurde er mit seinem Kriegsabitur zum Studium der Philosophie, Psychologie und Soziologie - später noch Politologie - zugelassen und trat dem SDS bei. Steffen arbeitete dann bis 1956 als Assistent am Institut für Wissenschaft und Geschichte unter Professor Michael Freund. [2] Co-Assistent bei Freund war Gerhard Stoltenberg.[3]

Ämter

1946 trat Jochen Steffen in die SPD ein und wurde 1948 im Vorstand des Kieler Kreisverbandes "Leiter der Jüngerenarbeit". 1954 wurde er Juso-Landesvorsitzender. Von 1958-1977 war Jochen Steffen Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein. Steffen war seit 1973 Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD.[4]

Landesvorsitz

Jochen Steffen war hauptamtlicher Landesvorsitzender der SPD Schleswig-Holstein von 1965-1975. Erstmals gewählt wurde er am 15./16. Mai 1965, dann am 1./2. Juli 1967, am 22./23. März 1969, am 19./20. Juni 1971 und 1973 im Amt bestätigt.

Fraktionsvorsitz

Von 1966 bis 1973 war Steffen Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer in Schleswig-Holsteinischen Landtag.

Spitzenkandidaturen

1967 und 1971 trat Jochen Steffen erfolglos als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein an.

Politik

Jochen Steffen war bekannt für seinen eckigen politischen Stil. In einem politischen Nachruf schrieb DIE ZEIT 1973;

"Journalisten suchten ihre Notizblöcke und politische Gegner volle Deckung, wenn der hemdsärmelig-bullige „Rote Jochen" ans Rednerpult eilte. Er gab sich mal zornig, mal zotig, dann wieder drohend oder dämpfend. Stets jedoch ließ er auf seine politischen Gegner ("intellektuell Verblödete") ein Feuerwerk von Attacken niedergehen, jene ihm eigene Mischung aus Analyse, Argumentation und Aggressivität. Ordnungsrufe des Präsidenten gehörten genauso zu einer Rede „Marke Steffen" wie die Warnung vor einem Mißbrauch seiner Partei: "Die sozialdemokratische Fraktion dieses Landtags ist kein Minimax, den sie beliebig von der Wand nehmen können, um Feuer zu löschen" — Feuer, das er oft genug selbst gelegt hatte und an dessen Wirkung er sich zu wärmen schien."[5]

Er galt aber auch als Parteiintellektueller, der sein Handeln stets theoretisch zu untermauern suchte. Ihm ging es nie nur um die Entscheidung von Sachfragen, sondern immer um die Lösung langfristiger Probleme:

"Die Rolle der Natur, der naturgebundenen Lebensgrundlagen der Menschen war von ihm in seinem Buch „Strukturelle Revolution" untersucht worden. Im Ergebnis formuliert er eine philosophisch wie auch politisch entscheidende Trialektik von Mensch, Gesellschaft und Natur, ohne deren Beachtung, […] sich jeder ökonomische Fortschritt aufhebt."[6]

DER SPIEGEL schrieb 1971 - kurz vor der Landtagswahl:

"Zunächst einmal ist er tief durchdrungen von seiner überlegenen Theoriekenntnis -- davon also, mehr Grundsätzliches über Politik und Gesellschaft gelesen und das Gelesene besser verstanden zu haben als die meisten aktiven Politiker (die sozialdemokratischen keineswegs ausgenommen). Er ist ein typischer Fall von intellektuellem Hochmut, doch ist dieser Hochmut weder gänzlich unbegründet noch gänzlich undifferenziert. Steffen ist von Natur Methodiker, versteht sich auch als solcher und räumt ein, daß er, wie die meisten Methodiker, der Gefahr ausgesetzt ist, sich von der "Stimmigkeit" eines Systems, von der gedanklichen Geschlossenheit einer Theorie, faszinieren zu lassen. Und das schließt die Gefahr ein, Teilwahrheiten zu verabsolutieren."[7]

DDR

Bereits auf dem Landesparteitag 1966 in Eutin forderte er die Aufnahme von Gesprächen mit der DDR-Führung.[8]

Studentenrevolte 1968

1968 plädierte Jochen Steffen für ein Bündnis der SPD mit den revoltierenden Studierenden. dem Spiegel gegenüber sagte er, dass es darum ginge, wer die zukünftige Entwicklung einer modernen Industriegesellschaft richtig einschätzt[9]:

"Wenn sie falsche Parolen haben, auf Ho Tschi-minh schwören oder auf Che Guevara, dann muß sich die SPD als Partei der sozialen Reformen zuerst einmal fragen, warum die Studenten sich für solche Idole begeistern. Denn die Studenten haben solche Idole doch nur, weil ihnen die politischen Probleme ihrer eigenen Gesellschaft nicht konkret, sondern irrational dargeboten werden."

Orientierungsrahmen 85

Der Orientierungsrahmen 85 war das Ergebnis einer breiten Diskussion in der SPD seit 1970 und wurde 1975 auf dem Bundesparteitag in Mannheim beschlossen. Jochen Steffen arbeitete von Beginn an als Vize-Vorsitzender der zuständigen "Langzeit-Kommission" zusammen mit deren Vorsitzenden Helmut Schmidt und Hans Apel federführend daran mit. Es sollten damit Instrumentarien zur Investitionsbeeinflussung und zur öffentlichen Kontrolle wirtschaftlicher Macht erarbeitet und stärker auf verteilungspolitische Effekte gesetzt werden.[10]

Bundeswehr

1976 erklärte Jochen Steffen, wie er sich die Zukunft der Bundeswehr vorstelle:

"300 Mann, straff organisiert und geschult in atomarer, bakteriologischer und chemischer Kriegführung, würden, so Steffen, reichen, einen möglichen Aggressor gründlich das Fürchten zu lehren. Eine solche Spezialtruppe hätte den gleichen Abschreckungseffekt wie die teure Bundeswehr, prophezeite der Kieler bei einer Podiumsdiskussion im nordfriesischen Husum, zudem könnten durch das Billig-Heer eingesparte Milliarden in soziale Reformen investiert werden. Auch Einsatzpläne für den Ernstfall hat Steffen parat. Etwa so: 'Diese Leute haben eine Atombombe im Köfferchen und lassen sie beispielsweise in Moskau explodieren.'" [11]

Austritt

Nach der Landtagswahl 1971 zog sich Steffen nach und nach aus der Politik zurück. Zunächst gab er 1973 die Oppositionsführung an Klaus Matthiesen ab. Auf Vorschlag Steffens wurde 1975 Günter Jansen sein Nachfolger als Landesvorsitzender, 1977 gab er sein Landtagsmandat auf. 1979 trat Jochen Steffen aus der SPD aus - er kritisierte, dass die SPD die Frage der Atomkraft nicht mehr von einem Endlager abhängig machte und sich statt dessen mit Zwischenlagern begnügte. Außerdem konnte er sich mit dem wirtschaftsfreundlichen Kurs der SPD nicht abfinden. DER SPIEGEL schrieb damals zur Begründung:

"'Angesichts meiner seelischen Belastung', schrieb er dem schleswig-holsteinischen SPD-Landesvorsitzenden Günter Jansen in der vorletzten Woche, 'mitverantworten zu müssen', was er den 'Grundwertekonflikt' der Regierungspolitik nennt, erklärte Steffen seinen Austritt aus der SPD."[12]

1980 unterstützte Steffen DIE GRÜNEN.

Publizist

Jochen Steffen begann seine journalistische Karriere Mitte der 1950er Jahre als Chefredakteur der "Flensburger Presse", später als Redakteur und Leitartikler der Kieler "Volkszeitung" war Herausgeber der Kieler "Nordwoche" und trat als Kabarettist in der Rolle des Kieler Werftarbeiters "Kuddl Schnööf" auf.[13]

Privatleben

Jochen Steffen war verheiratet mit Ilse Zimmermann, die er nur mit ihrem Mädchennamen "Zimmermann!" rief.[14]. Die beiden heirateten am 11. Mai 1945, drei Tage nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches - sie hatten sich bei der Marine im damaligen Gotenhafen kennengelernt. Ilse Steffen führte die Finanzen der Familie und chauffierte ihren Mann zu allen Terminen, denn er selbst verfügte über keinen Führerschein.[15] Am Vorabend des Saarbrücker SPD-Parteitages im Mai 1970 ließ sich Steffen bei einem Treffen der Jusos entschuldigen: Er feiere Silberhochzeit, und seine Frau sei ihm wichtiger als die Partei.[16] Jens Peter Steffen ist der Sohn von Ilse und Jochen Steffen.[17]

Widmungen

  • Von 1999 bis 2001 fuhren zwischen Brunsbüttel und Cuxhafen drei rote PKW-Fähren - eine von ihnen hieß "Jochen Steffen". Die Linie erwies sich als unrentabel und wurde eingestellt.[18]

Werke

Kuddl Schnööf

Sachbücher

Essays

  • Jochen Steffen über Herbert Wehner: Bundestagsreden - Explosionen auf 6 x 9, DER SPIEGEL 11/1971

Zitate

  • "Die Menschen sind nicht dazu da, ein wirtschaftliches System mit seinen Eliten und Privilegien zu verteidigen, das uns in die Krise sehenden Auges torkeln ließ und die nächste Krise vorbereitet" - Jochen Steffen, “Krisenmanagement oder Politik” (1974)

Links

Literatur

  • Eckart Kuhlwein (2010) Links, dickschädelig und frei: 30 Jahre im SPD-Vorstand in Schleswig-Holstein, ISBN 3868506616
  • Jürgen Weber (1988) Jochen Steffen - Der "rote Jochen" in "Demokratische Geschichte" Bd. 3 Download
  • Hermann Schreiber (1971) Und führe uns, wohin wir nicht wollen, DER SPIEGEL 17/1971
  • Jens-Peter Steffen (Hrsg.), Siegfried Lenz (1997) Personenbeschreibung. Biographische Skizzen eines streitbaren Sozialisten ISBN 3931903095

Siehe auch

Quellen

  1. Und führe uns, wohin wir nicht wollen, Hermann Schreiber, (1971) DER SPIEGEL 17/1971
  2. Jürgen Weber, (1988) Jochen Steffen - Der "rote Jochen" in "Demokratische Geschichte" Bd. 3 Download
  3. Und führe uns, wohin wir nicht wollen, Hermann Schreiber, (1971) DER SPIEGEL 17/1971
  4. Jürgen Weber, (1988) Jochen Steffen - Der "rote Jochen" in "Demokratische Geschichte" Bd. 3 Download
  5. "Wechsel im Kieler Landtag: Jochen Steffen zog sich zurück", DIE ZEIT, 11.05.1973 Nr. 20 http://www.zeit.de/1973/20/Jochen-Steffen-zog-sich-zurueck
  6. Jürgen Weber, (1988) Jochen Steffen - Der "rote Jochen" in "Demokratische Geschichte" Bd. 3 Download
  7. Und führe uns, wohin wir nicht wollen, Hermann Schreiber, (1971) DER SPIEGEL 17/1971
  8. Jürgen Weber, (1988) Jochen Steffen - Der "rote Jochen" in "Demokratische Geschichte" Bd. 3 Download
  9. "Endlich Tacheles reden", DER SPIEGEL 22/1968 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46039771.html
  10. "SPD: Intellektuellenpartei a.D. - Die geistige Krise der Sozialdemokratischen Partei", aus "Blätter für deutsche und internationale Politik" 8/2010, Seite 95-104 http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2010/august/spd-intellektuellenpartei-a.d.
  11. Personalien, DER SPIEGEL 14/1976
  12. "Angesichts meiner seelischen Belastung", DER SPIEGEL 49/1979 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-39867512.html
  13. Jürgen Weber, (1988) Jochen Steffen - Der "rote Jochen" in "Demokratische Geschichte" Bd. 3 Download
  14. "Angesichts meiner seelischen Belastung", DER SPIEGEL 49/1979 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-39867512.html
  15. Und führe uns, wohin wir nicht wollen, Hermann Schreiber, (1971) DER SPIEGEL 17/1971
  16. "Ungefähres Gegenteil", DER SPIEGEL 17/1971 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43278720.html
  17. Und führe uns, wohin wir nicht wollen, Hermann Schreiber, (1971) DER SPIEGEL 17/1971
  18. Erinnerung an Jochen Steffen, gerdgruendler.de