Nordstaat: Unterschied zwischen den Versionen
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Viel näher ist Schleswig-Holstein dem "Nordstaat" in den letzten 70 Jahren nicht gekommen. Vermutlich sind die Widerstände und Befürchtungen auf allen Seiten zu groß. Trotz der massiven Umstrukturierung der Wirtschaft in Richtung auf moderne Technologien seit [[1988]] durch die Regierungen von [[Björn Engholm]] und [[Heide Simonis]] gehört das Bundesland weiterhin zu den "Kostgängern" im Landesfinanzausgleich. Dies wird sich ab [[2020]] ändern, wenn die Verteilung der Finanzmittel zwischen Bund und Ländern auf eine neue Grundlage gestellt wird. Man wird sehen, welchen Einfluss dies auf die weitere Diskussion um Variationen des "Nordstaates" hat. | Viel näher ist Schleswig-Holstein dem "Nordstaat" in den letzten 70 Jahren nicht gekommen. Vermutlich sind die Widerstände und Befürchtungen auf allen Seiten zu groß. Trotz der massiven Umstrukturierung der Wirtschaft in Richtung auf moderne Technologien seit [[1988]] durch die Regierungen von [[Björn Engholm]] und [[Heide Simonis]] gehört das Bundesland weiterhin zu den "Kostgängern" im Landesfinanzausgleich. Dies wird sich ab [[2020]] ändern, wenn die Verteilung der Finanzmittel zwischen Bund und Ländern auf eine neue Grundlage gestellt wird. Man wird sehen, welchen Einfluss dies auf die weitere Diskussion um Variationen des "Nordstaates" hat. | ||
Erste Formen der Annäherung sind nach Auffassung von [[Rolf Fischer]] in der Anfang des Jahrtausends begonnenen engen Kooperation mit Hamburg zu erkennen.<ref>Fischer, Rolf: ''Hermann Lüdemann und die deutsche Demokratie'' (Neumünster 2006), S. 163</ref> Ende [[2016]] konstituierte sich ein gemeinsamer Ausschuss des Landtages und der Hamburgischen Bürgerschaft, in dem länderübergreifende Themen wie die Justizkooperation, das Gastschulabkommen oder Verkehrsprojekte besprochen werden. [[Martin Habersaat]] stellte allerdings klar: "Wir planen hier nicht den Nordstaat."<ref>''Gemeinsamer Ausschuss: Zwei Länder rücken zusammen'', ''Der Landtag'' 3/2016, S. 3</ref> | Erste Formen der Annäherung sind nach Auffassung von [[Rolf Fischer]] in der Anfang des Jahrtausends begonnenen engen Kooperation mit Hamburg zu erkennen.<ref>Fischer, Rolf: ''Hermann Lüdemann und die deutsche Demokratie'' (Neumünster 2006), S. 163</ref> Ende [[2016]] konstituierte sich ein gemeinsamer Ausschuss des Landtages und der Hamburgischen Bürgerschaft, in dem länderübergreifende Themen wie die Justizkooperation, das Gastschulabkommen oder Verkehrsprojekte besprochen werden. Vorsitzender [[Martin Habersaat]] stellte allerdings klar: "Wir planen hier nicht den Nordstaat."<ref>''Gemeinsamer Ausschuss: Zwei Länder rücken zusammen'', ''Der Landtag'' 3/2016, S. 3</ref> | ||
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Version vom 4. Februar 2017, 01:25 Uhr
Nordstaat ist das Kürzel für eine Diskussion, die seit der Neuordnung Deutschlands nach 1945 immer wieder geführt wird: Kooperation oder Vereinigung Schleswig-Holsteins mit anderen norddeutschen Bundesländern.
Bundesland "Unterelbe"
Ein erster, sehr engagierter Vertreter dieses Konzepts war Hermann Lüdemann, der schon früh ein Bundesland "Unterelbe" als Zukunft Norddeutschlands propagierte. Wilhelm Käber, Innenminister in der ersten gewählten Landesregierung, erinnerte sich:
- "Wir gingen davon aus, dass Schleswig-Holstein als Land auf Dauer kaum lebensfähig sein werde. Mit der Schaffung eines Landes Nordrhein-Westfalen durch die Briten schien uns das Gleichgewicht unter den Ländern der westlichen Zonen aus der Balance gebracht zu sein. [...] Uns war bewusst, dass Schleswig-Holstein in seinen engen Grenzen und aufgrund seiner spezifischen Wirtschaftsstruktur auf Dauer dazu verurteilt sein würde, Kostgänger des Bundes und der anderen Bundesländer zu sein. Warum, so fragten wir, sollte man sich mit den durch die Selbstständigkeit Schleswig-Holsteins als Bundesland hervorgerufenen Problemen lange herumquälen; es müsse in einem größeren Verband eingebracht werden, in dem es ein nützliches Glied sein könne. Hermann Lüdemann schwebte ein Land "Unterelbe" vor, das Hamburg und Teile Niedersachsens am linken Elbufer mit umfasste. Aber damit hat er tauben Ohren gepredigt." [1]
Diese damals geradezu revolutionäre Auffassung lehnten nicht nur Hermann Lüdemanns Amtskollegen, vor allem Hamburgs Erster Bürgermeister Max Brauer, rundheraus ab. Auch das eigene Kabinett konnte er nicht überzeugen, obwohl er immer wieder auf das Thema zurückkam.[2] Schließlich versuchte er, ebenso vergeblich, das Thema in die Beratungen des Parlamentarischen Rates hineinzutragen:
- "Selbst wir Sozialdemokraten zuckten mit den Schultern, als der treffliche Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Hermann Lüdemann - Regent des "Armenhauses" Deutschlands, wie man sagte -, die Einbeziehung Hamburgs in ein norddeutsches Bundesland verlangte. Auf meinen Rat wurde die Lösung des Problems ausgeklammert."[3]
Folgen ergaben sich jedoch für Schleswig-Holstein, wie sich Wilhelm Käber weiter erinnerte:
- "Obwohl also eine konkrete Lösung dieses Problems nicht in Sicht war, meinten wir, über den Tag hinaus denken zu sollen. Wir gaben unserem Verfassungsentwurf den Zuschnitt einer vorübergehenden Ordnung für das Provisorium Schleswig-Holstein innerhalb des Provisoriums Bundesrepublik." [4]
Man beschränkte sich auf eine Landessatzung. Erst die Regierung von Björn Engholm ging im Rahmen der umfangreichen Verfassungs- und Parlamentsreform nach der Barschel-Affäre auch dieses Thema an. Am 13. Juni 1990 verabschiedete der Landtag eine Landesverfassung für Schleswig-Holstein.
"Nordweststaat"
Auch Jochen Steffen versuchte sich an dieser politischen Vision. Die finanziellen und strukturellen Probleme des "Armenhauses" hatten sich seit Lüdemanns Zeiten kaum verändert.[5] Deshalb brachte er 1971 die Idee eines "Nordweststaates" ins Gespräch, die allerdings von der regierenden CDU abgelehnt wurde.[6]
Enquetekommission Chancen einer verstärkten norddeutschen Kooperation
Am 29. Januar 2010 beschloss der Landtag die Einsetzung einer Enquetekommission Chancen einer verstärkten norddeutschen Kooperation mit Gitta Trauernicht als stellvertretender Vorsitzender; die SPD vertraten außerdem Martin Habersaat und Anette Langner. Ihre StellvertreterInnen waren Detlef Buder, Regina Poersch und Olaf Schulze.
Der 400 Seiten starke Abschlussbericht lag dem Landtag am 22. Februar 2012 zur Beratung vor[7]; er wurde zur abschließenden Beratung in alle Ausschüsse des Landtags überwiesen. Einig waren sich die Fraktionen jedenfalls darüber, dass eine engere Kooperation mit dem wirtschaftlich mächtigeren Nachbarn Hamburg angestrebt werden müsse.
"Föderalismus abschaffen"
Der bislang radikalste Vorschlag kam 2010 von Kiels Oberbürgermeister Torsten Albig: In einem Zeitungsinterview forderte er die Auflösung der Bundesländer, damit das dadurch eingesparte Geld den Kommunen vor Ort zugute komme. Die Unterstellung des Interviewers, dass sich dieser Vorschlag auch gegen den damaligen Ministerpräsidenten persönlich richte, wies er zurück.[8] Mittlerweile ist er selbst Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.
Perspektiven
Viel näher ist Schleswig-Holstein dem "Nordstaat" in den letzten 70 Jahren nicht gekommen. Vermutlich sind die Widerstände und Befürchtungen auf allen Seiten zu groß. Trotz der massiven Umstrukturierung der Wirtschaft in Richtung auf moderne Technologien seit 1988 durch die Regierungen von Björn Engholm und Heide Simonis gehört das Bundesland weiterhin zu den "Kostgängern" im Landesfinanzausgleich. Dies wird sich ab 2020 ändern, wenn die Verteilung der Finanzmittel zwischen Bund und Ländern auf eine neue Grundlage gestellt wird. Man wird sehen, welchen Einfluss dies auf die weitere Diskussion um Variationen des "Nordstaates" hat.
Erste Formen der Annäherung sind nach Auffassung von Rolf Fischer in der Anfang des Jahrtausends begonnenen engen Kooperation mit Hamburg zu erkennen.[9] Ende 2016 konstituierte sich ein gemeinsamer Ausschuss des Landtages und der Hamburgischen Bürgerschaft, in dem länderübergreifende Themen wie die Justizkooperation, das Gastschulabkommen oder Verkehrsprojekte besprochen werden. Vorsitzender Martin Habersaat stellte allerdings klar: "Wir planen hier nicht den Nordstaat."[10]
Quellen
- ↑ Lubowitz, Frank: Wilhelm Käber. Regierung und Opposition (Kiel 1986), S.
- ↑ Fischer, Rolf: Hermann Lüdemann und die deutsche Demokratie (Neumünster 2006), S. 162 f.
- ↑ Carlo Schmid, zit. bei Fischer, Rolf: Hermann Lüdemann und die deutsche Demokratie (Neumünster 2006), S. 169
- ↑ Lubowitz, Frank: Wilhelm Käber. Regierung und Opposition (Kiel 1986), S.
- ↑ Steffen: Der Landeshaushalt müßte viermal so groß sein, Kieler Nachrichten, 28.1.1971
- ↑ Narjes gegen Nordweststaat, Kieler Nachrichten, 5.2.1971
- ↑ Vgl. Plenarprotokoll vom 22.2.2012
- ↑ Warum die Bundesländer aufgelöst werden sollten, DIE WELT, 14.2.2010
- ↑ Fischer, Rolf: Hermann Lüdemann und die deutsche Demokratie (Neumünster 2006), S. 163
- ↑ Gemeinsamer Ausschuss: Zwei Länder rücken zusammen, Der Landtag 3/2016, S. 3