Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel
Der Sozialdemokratische Verein Groß-Kiel war der Vorläufer des Kreisverbandes Kiel der SPD. Er bestand bis zum Verbot durch die Nationalsozialisten 1933.
Vorgeschichte
Eine sozialdemokratische Parteiorganisation in Kiel baute ab Beginn der 1870er Jahre der Schneider Stephan Heinzel auf. Er führte sie auch in der Zeit der Illegalität unter den Bismarck'schen "Sozialistengesetzen" 1877-1890 und vertrat die SPD ab 1890, zusammen mit Friedrich Brodthuhn, in der Stadtverordnetenversammlung, wie die Ratsversammlung damals hieß.
Das Verbindungsverbot für politische Vereine in Preußen wurde am 11. Dezember 1899 (RGBl. 1899, S. 699) aufgehoben ("Lex Hohenlohe"). Am 1. Juli 1905 passten die schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten ihre Struktur den neuen Verhältnissen an. Das in der Illegalität praktizierte System von Vertrauensmännern konnte durch eine direkte Parteiorganisation ersetzt werden, deren Grenzen denen des Wahlkreises zum Reichstag entsprachen.
Dem Sozialdemokratischen Zentralverein für den 7. Schleswig-Holsteinischen Reichstagswahlkreis gehörten die Ortsvereine Kiel, Gaarden, Neumünster, Winterbek-Hassee, Dietrichsdorf, Rendsburg, Preetz, Nortorf, Hohenwestedt und Heikendorf mit insgesamt ca. 3.800 Mitgliedern an. Das preußische Dreiklassenwahlrecht, das bis zur Novemberrevolution 1918 galt, sorgte allerdings dafür, dass trotz hoher Stimmanteile die SPD Schleswig-Holstein im Preußischen Abgeordnetenhaus und auch auf kommunaler Ebene kaum vertreten war.
Erster Vorsitzender wurde Wilhelm Poller, der bereits mehrere Jahre Vertrauensmann gewesen war. 1907 wurde er per Beschluss des Vereins als hauptamtlicher Parteisekretär angestellt. Ihm folgte als Vorsitzender bis 1912 Edmund Söhnker[1].
Frauen
Lediglich die Frauen wurden weiterhin durch eine jährlich gewählte "weibliche Vertrauensperson" vertreten, da das Verbot der politischen Betätigung für Frauen erst 1908 fiel. Jahrelang wurde die Genossin Th. Niendorf in dieses Amt gewählt, offenbar auch über 1908 hinaus. 1908 traten etwa 700 Frauen dem Verein als Mitglieder bei. Sie hatten bereits vorher ihre Verbundenheit durch die Zahlung freiwilliger Beiträge bekundet.
Bereits 1896 gründeten politisch interessierte Arbeiterfrauen den Kieler Frauen-Bildungsverein.[2]
Außerdem soll sich bereits vor Aufhebung des Sozialistengesetzes im "Hökerladen der alten Genossin Rathje" in der Kieler Straße eine illegale Frauengruppe getroffen haben. Es könnte das Haus Nr. 47 gewesen sein, wo laut Adressbuch von 1892 eine Schneiderin namens Rathje wohnte. Näheres ist jedoch nicht bekannt.[3]
Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel
Am 1. Oktober 1911 schlossen sich die vier Ortsvereine im Kieler Stadtgebiet - Kiel, Gaarden, Winterbek-Hassee und Ellerbek-Wellingdorf - zum Sozialdemokratischen Verein Groß-Kiel zusammen. Gemeinsam hatten sie etwa 9.000 Mitglieder. Kurz vor Kriegsbeginn 1914 war die Mitgliederzahl auf fast 12.000 gestiegen, darunter etwa ein Drittel Frauen.
Gründungsvorsitzender war damit Edmund Söhnker. Ihm folgte vermutlich ab 1912 Heinrich Bielenberg, der ab 1914 bis zu seiner Einberufung zum Kriegsdienst als Vorsitzender genannt wird. Zu seinem Stellvertreter wurde zu diesem Zeitpunkt Friedrich Brodthuhn berufen, der den Verein faktisch die gesamten Kriegsjahre hindurch leitete.
Nach Krieg und Novemberrevolution, die mit dem Kieler Matrosenaufstand am 3. November 1918 begann, ergab sich durch die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, das auch Listenwahl beinhaltete, eine neue Situation. Es wurde der Bezirksverband Schleswig-Holstein mit fünf Unterbezirken geschaffen. Groß-Kiel wurde dem dritten, später dem zweiten Unterbezirk zugeordnet.
1919 wurde Otto Eggerstedt zum Vorsitzenden, später auch zum hauptamtlichen Parteisekretär gewählt. 1927 zog er nach Wandsbek. Sein Stellvertreter Wilhelm Schweizer übernahm 1928 an seiner Stelle den Vorsitz; Parteisekretär wurde Ernst Teßloff aus Hamburg, der jedoch nur einige Jahre in Kiel blieb. 1931 wurde Richard Hansen zum Stellvertreter Schweizers gewählt.
Am 1. Oktober 1922 kamen die Ortsvereine der Gemeinden Holtenau, Pries und Friedrichsort, am 1. April 1924 Neumühlen-Dietrichsdorf durch Eingemeindung hinzu. Diese Zusammensetzung blieb bestehen, bis die SPD 1933 durch die Nationalsozialisten verboten wurde.
Mitte 1927 fand in Kiel der Reichsparteitag der SPD statt, dessen Organisation den Verein Groß-Kiel stark forderte, der aber allgemein als sehr eindrucksvoll bewertet wurde. Brecour schreibt:
- "1927 brachte es die Kieler sozialdemokratische Parteiorganisation fertig, ganz Kiel im Banne des Sozialdemokratischen Parteitags zu halten. Der sozialdemokratische Verein Groß-Kiel mit seinen Untergruppen - Frauengruppe, Arbeitsgemeinschaft republikanischer Beamten, Arbeitsgemeinschaft republikanischer Lehrer und Lehrerinnen, Sozialistische Elternbeiräte, Verein sozialdemokratischer Studierender, Sozialistisches Jugendkartell, Sozialistische Arbeiterjugend, Kinderfreundebewegung, Arbeiterwohlfahrt, Frauen- und Mütterberatungsstelle und Mieterberatung - verkörpert in sich ein gewaltiges Maß von politischen, sozialen und kulturellen Kräften."[4]
Er hätte dazu etwa die Arbeitersportvereine - in Kiel die Freie Turnerschaft - und den Konsumverein nennen können. Er hätte auch auf die Kinderrepublik Seekamp verweisen können, die - von Kieler Parteimitgliedern maßgeblich mit organisiert - nur wenige Wochen später stattfand. Für dieses Experiment war auf dem Parteitag fleißig geworben und gesammelt worden.
1. Januar 1920 - Treffen junger Sozialdemokraten in Kiel
Eine Gruppe junger Sozialdemokraten trifft sich in Kiel. Sie verabschiedet Leitsätze in denen es u.a. heißt:
- „Die den Arbeiterjugendvereinen entwachsenen Parteigenossinnen und -genossen können ihrer ganzen seelischen Einstellung nach nicht ohne weiteres den Schritt zur allgemeinen Arbeiterbewegung machen, denn diese ist in ihrem inneren und äußeren Leben so einseitig verstandesmäßig und materialistisch ausgerichtet, daß sie die in der Jugend vorhandenen und durch den Krieg neubelebten irrationalen Regungen nicht befriedigen kann. Daher schließen sie sich zu besonderen jungsozialistischen Gemeinschaften innerhalb der Partei zusammen.”
Quellen
<references>
- ↑ Festschrift zum Jubiläum der Volksbühne in Kiel, wiedergegeben in: Söhnker, Hans: ... und kein Tag zuviel (Hamburg 1974), S. 13
- ↑ Susanne Kalweit: Auf der Suche nach der weiblichen Intelligenz, in: Lang/Peters/Sönnichsen/Ziefuß (Hrsg.): Kiel zu Fuß. 17 Stadtteilrundgänge durch Geschichte und Gegenwart (Hamburg 1989), S. 124
- ↑ ebd. S. 124 f.
- ↑ Wilhelm Brecour: Die sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung (Kiel 1932, neu veröffentlicht in: Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung, Sonderveröffentlichung 15 der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Kiel 1983, S. I-96