Hans-Peter Bartels: Abschied vom Kieler Kreisparteitag
Abschiedsrede von Hans-Peter Bartels auf dem Kreisparteitag am 21. Februar 2015:
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde,
dies ist heute meine letzte Rede zum Rechenschaftsbericht (er liegt Euch schriftlich vor[1]) auf einem Kieler Kreisparteitag.
Wenn ich in wenigen Wochen in mein neues Amt wechsle, werde ich beinah 17 Jahre sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter für diesen Wahlkreis gewesen sein. Das ist eine lange Zeit.
Fünfmal von den Mitgliedern der SPD als Kandidat nominiert, fünfmal von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählt, dreimal mit über 50 Prozent. Dafür bin ich dankbar.
In allen Wahlkämpfen gab es eine Super-Unterstützung durch die Ortsvereine und Arbeitsgemeinschaften, auch wenn die Zeiten manchmal schwierig waren.
Ich hoffe im Gegenzug, das eine oder andere an meiner Art, das Mandat auszuüben, hat dem einen oder anderen gefallen.
Und dass meine Arbeit Kiel genützt hat.
Es war eine lange Zeit, die 1998 begann.
Ich habe seitdem mit dem Mandat keinerlei Parteifunktion verbunden. Ich war immer nur Abgeordneter, ein 100-Prozent-Abgeordneter sozusagen.
Sicher war ich kein immer nur bequemer Parlamentarier. Ich wollte ein diskutierender Wahlkreis-Abgeordneter sein, in der eigenen Partei wie auch gegenüber dem politischen Gegner.
Ich halte übrigens nichts davon, die Leute in den anderen demokratischen Parteien nur deshalb zu beschimpfen, weil sie eben „die anderen“ sind. Meine Erfahrung ist, dass auch unsere Wählerinnen und Wähler das nicht mögen.
Wenn es politische Kontroversen gab, wollte ich, dass wir darüber reden. Dass wir streiten. Und dann wieder zusammenfinden.
Ich habe bei Diskussionen in Kiel viel gelernt und manches nach Berlin mitgenommen. Als zum Beispiel der DGB hier seine zentrale Protestveranstaltung gegen die Rente mit 67 ausgerechnet in einer Sitzungswoche des Bundestages abhielt, also ohne mich, habe ich dann hinterher mit unseren Gewerkschaftsfreunden Termine in mehreren großen Betrieben gemacht – und das Prinzip Rente mit 67 verteidigt, aber auch gelernt, wo das Prinzip nicht passt und was wir ändern sollten.
Andere aktive SPD-Abgeordnete haben die gleiche Erfahrung gemacht. Auch die Parteispitze. Und jetzt ist das Gesetz geändert, Stichwort: Renteneinstieg mit 63. Es ist besser jetzt!
So offen muss sozialdemokratische Politik prinzipiell sein.
Wir müssen immer bereit sein, uns zu korrigieren.
Die Arroganz der Macht darf nie unser Politikstil sein.
Sozialdemokraten weichen der Wahrheit nicht aus.
Auch wenn es manchmal unangenehm ist, sich mit den Tatsachen zu beschäftigen.
Ich möchte ein Thema, das unangenehm sein könnte, ansprechen, klar und ohne Schnörkel.
Die Umstände, die zum Rücktritt der direkt gewählten sozialdemokratischen Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke, geführt haben, werden leider in unserer Kieler Partei seit dem Herbst 2013 nicht thematisiert, sondern verdrängt. Totschweigen ist aber keine sozialdemokratische Haltung.
Ich spreche das an, weil die ungeheuerlichen Vorgänge im Herbst 2013 hier, in meinem Wahlkreis passiert sind. Und weil darüber noch auf keinem Parteitag gesprochen wurde.
Selbst wenn ich nicht mit Susanne verheiratet wäre, ginge es mich etwas an – wie uns alle hier!
Es geht mich auch deshalb etwas an, weil die Regierung dieses Landes mich öffentlich einer schweren Straftat beschuldigt hat.
„Nötigung eines Verfassungsorgans“: der Landesregierung.
Das war kein Witz.
Die Regierung hat damit die schleswig-holsteinische Generalstaatsanwaltschaft beschäftigt.
Und dann die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe.
Und dann die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft.
Was glaubt Ihr, wie das ist, wenn in einer politischen Auseinandersetzung die eigenen Genossen in der Regierung Dir schwere Verbrechen vorwerfen, die mit 10 Jahren Gefängnis bestraft werden können?
So ist Politik eben? Nein! So darf sozialdemokratische Politik niemals werden, auch in Kiel nicht!
„Nötigung eines Verfassungsorgans“ – das ist ein sehr sehr seltenes Verbrechen in Deutschland. Und dass die Regierung von Parlamentsabgeordneten genötigt wird, das ist meines Wissens in 66 Jahren Bundesrepublik noch nicht vorgekommen. Streit oft – aber Nötigung? Wie kommt man darauf?
Was ist das für ein Rechtsstaatsverständnis?
Was ist das für ein Demokratieverständnis?
War der Staat in Gefahr? Nein.
War die eigene Macht in Gefahr? War das das Motiv? Oder worum ging es?
Wenn die Regierung einem Abgeordneten so einen extrem folgenschweren Vorwurf macht, sollten der Innenminister und die Justizministerin und der Ministerpräsident sehr genau geprüft haben, was für eine juristische Keule sie da auspacken.
Dann kommt es auf den Tag und die Stunde wohl nicht an.
Aber hier in diesem Konflikt kam es dieser Landesregierung auf jede Minute an.
Wisst Ihr wieviel Zeit die Juristen im Innenministerium hatten, Breitners Absichten zu prüfen? 45 Minuten. So steht es in den Akten.
Und warum musste der Generalstaatsanwalt von Schleswig-Holstein persönlich, abends, nach Dienstschluss, zu Hause, in Suchsdorf, vom eigenen Fahrer des Innenministers das amtliche Beschuldigungsschreiben entgegennehmen und quittieren?
Was war da so eilig?
Welche Gefahr für wen war da im Verzuge?
Die gefährliche Person steht hier heute vor Euch.
Es waren unsere Genossen in unserer Landesregierung, die so konsequent ihre Macht und ihre Glaubwürdigkeit gebraucht haben, um mich mit einer bösen Verdächtigung an den Pranger zu stellen. Mich und viel, viel mehr noch Susanne.
Ist das ein normaler Vorgang in der Demokratie? Geht das die Bürgerinnen und Bürger und die Sozialdemokraten in diesem Wahlkreis etwas an? Darf man darüber einfach zur Tagesordnung übergehen?
Ich möchte ein paar Tatsachen erwähnen, weil es wichtig ist, sie festzuhalten:
1. Es gab keine Nötigung.
Auch Susanne hat übrigens niemanden genötigt.
Pech, dass die Generalstaatsanwaltschaft das offiziell zwei Wochen nach Susannes Rücktritt mitteilte.
[Zu spät – aber doch relativ schnell, weil der Generalstaatsanwalt nicht einmal ein Verfahren eröffnet und dann etwa eingestellt hat; er hat gar nicht erst Stellungnahmen von mir und Susanne – den „Beschuldigten“ – eingeholt, sondern er hat nach Lektüre von Breitners Schriftsätzen festgestellt, dass selbst wenn das alles stimmen sollte, was die Regierung da behauptet, sich niemand der Nötigung strafbar gemacht hätte. Natürlich nicht.]
Schämt sich eigentlich jemand für diese infame Rufschädigung? War da eine Entschuldigung der Regierung? Nein, nichts, Fehlanzeige.
2. Es gab keine Untreue.
Ihr erinnert Euch, dass monatelang in jedem Zeitungsartikel stand, gegen Susanne werde wegen des „Verdachts der Untreue in einem besonders schweren Fall“ ermittelt. Diese Beschuldigung war falsch.
Jeder, der Susanne kennt, konnte das wissen. Ihr alle konntet das wissen.
Wer von Euch hat im Ernst geglaubt, dass sie der Stadt schaden wollte?
Das Verfahren wurde Monate nach ihrem Rücktritt eingestellt.
Aber so lange wurde sie als potentieller Verbrecher dargestellt.
Habt Ihr eine Vorstellung, wie man das aushält?
Ich wünsche niemanden von Euch, dass er das in dieser Weise erleben muss.
3. Die Landesregierung war alles andere als neutral.
Über Minister Breitners Neutralität müssen wir hoffentlich nicht mehr reden. Vielleicht erinnert Ihr Euch noch an dieses schlimme Interview, wo er über die Abwahl von Susanne mit Hilfe sozialdemokratischer Stimmen spekuliert – während seine Abteilungsleiterin Manuela Söller-Winkler weiter ganz unbefangen den Steuerfall prüft.
Andreas Breitner ist nach unserer Akteneinsicht und zehn Tage nach Erscheinen von Susannes Buch überraschend zurückgetreten.
Er sagt, wegen seiner Work-Life-Balance.
Nach allem, was passiert ist und was ich inzwischen weiß, muss ich sagen:
Ich habe noch ein paar Fragen.
Es sind Fragen, die auch jeder andere stellen könnte. Sie können jederzeit gestellt werden, auch in zwei Monaten oder in zwei Jahren, von Sozialdemokraten, vom politischen Gegner, von den Medien.
Ich habe meine Fragen auch schriftlich der Landesregierung gestellt.
Aber die schriftliche Antwort war: Man sei nicht verpflichtet, mir zu antworten.
- Ich frage hier noch einmal, erstens: Wusste der Ministerpräsident vorher von Breitners „Nötigungs“-Anzeige?
- Wenn ja, hat er sie befürwortet?
- Wenn er das ehrverletzende Vorgehen seines Ministers richtig fand, warum hat der Ministerpräsident sich dann einen Tag später im Innenausschuss des Landtages juristisch von Breitner distanziert und gesagt, er könne gar nicht erkennen, wo bei der angeblichen Nötigung eigentlich das „Drohpotential“ sei?
- Wenn er die Nötigungsvorwürfe seiner eigenen Regierung aber für falsch hielt, warum hat Albig dann nicht Breitner sofort gestoppt? Was hatte Albig davon, wenn die schlimme Berichterstattung darüber weiterlief?
- Und wusste eigentlich die Justizministerin davon? Ihr Haus war involviert. War das beispiellose Strafverfolgungs-Spektakel eine Maßnahme mit Billigung der ganzen Landesregierung?
[Übrigens: Der scheinbare „Friedensschluss“, den Ralf Stegner zwischendurch zu vermitteln versucht hatte, hatte nur eine praktische Folge: dass nämlich ich meine presserechtliche Klage gegen Breitners öffentliche Behauptungen nicht weiter verfolgte. Eine einstweilige Verfügung des zuständigen Gerichts gegen den Innenminister hatte ich da schon erwirkt. Heute meine ich: Ich hätte nicht um des lieben Friedens willen nachgeben sollen – aber Susanne war damals noch im Amt und der Druck war enorm. Die Verdächtigungsarbeiten in der Regierung gingen, wie ich später in den Akten sah, davon unberührt weiter.]
- Zweiter Fragenkomplex: Hat die Regierung eigentlich auch etwas mit den falschen Untreue-Vorwürfen zu tun?
- Am selben Montag, an dem im Regierungsapparat an der Nötigungs-„Strafanzeige“ gegen Susanne und mich gearbeitet wird, fragt die Landesregierung bei der Staatsanwaltschaft Kiel schriftlich nach, ob man dort beabsichtige, gegen die Oberbürgermeisterin ein Verfahren wegen Untreue einzuleiten.
Wünschte die Regierung, dass öffentlichkeitswirksam so ein Verfahren eingeleitet wird?
Ich habe in genug Untersuchungsausschüssen gesessen, um zu wissen, dass man an dieser Stelle weiter nachfragen muss.
- Ich frage: Hat Albigs Regierung Hinweise zur „Untreue“-Verdächtigung an die Staatsanwaltschaft gegeben – noch bevor überhaupt der Prüfbericht aus Frau Söller-Winklers Abteilung veröffentlicht war? Ja oder nein?
- Wenn ja, in welcher Absicht? Und waren die Hinweise eigentlich korrekt?
- Die Behauptungen der Kommunalaufsicht jedenfalls waren in wichtigen Punkten erwiesenermaßen nicht korrekt. Sie unterstellten der Oberbürgermeisterin eine frühe Beteiligung an dem Steuervorgang, die es objektiv nicht gegeben hatte, und ordneten Unterschriften falsch zu. Die Regierung hat dies später offiziell zugeben müssen. Wie kam es zu diesem schwerwiegenden Fehler?
- In dem fehlerhaften Prüfbericht wird auch die Tatsache unterschlagen, dass die [angeblich in ihren Rechten verletzte] Ratsversammlung es durch eigenen Beschluss (am 22. August 2013) ausdrücklich abgelehnt hatte, die OB-Entscheidung aufzuheben. Warum verschweigt man diesen Sachverhalt?
Dritter Fragenkomplex: In dem Prüfbericht der Regierung fehlen offenbar weitere wesentliche Tatsachen: nämlich die Entscheidungen von Oberbürgermeister Albig in dem Steuerfall.
- Nachdem im Jahr 2009 alles ausprozessiert war und die Steuerschuld von der Stadt Kiel jetzt rechtmäßig eingetrieben werden konnte – warum wurden die Millionen da nicht geholt? Wer hat das entschieden? Gab es eine Stundung? Gab es dafür Sicherheiten?
- Wer hat 2010, 2011 und 2012 entschieden, dass die Millionen durch die Stadtverwaltung nicht eingetrieben wurden?
- Wenn Susannes Unterschrift unter dem Steuer-Vergleich „komplett rechtswidrig“ gewesen sein soll, war es dann bis zur Unterschrift total rechtmäßig, die geschuldeten Millionen nicht einzutreiben?
- Warum hat die Stadt Kiel 2011 entschieden, dass sie Vergleichsverhandlungen mit dem Steuerschuldner führt? War diese Entscheidung des damaligen Oberbürgermeisters Albig rechtmäßig? Warum sagt die Kommunalaufsicht dazu nichts?
- Warum hat der zurückgetretene Innenminister sich die ganze Kieler Steuerakte vorab persönlich zur Durchsicht vorlegen lassen? Was hat er gesucht? Für wen?
Warum hält Frau Söller-Winklers Prüfbericht Albig so sauber aus allem raus?
- Kann es sein, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird?
- Kann es sein, dass der Steuer-Vergleich, den Oberbürgermeister Albig auf den Weg brachte, der Vergleich, den Stadtkämmerer Wolfgang Röttgers Susanne zur Unterschrift vorgelegt hat und den die Oberbürgermeisterin für die Stadt akzeptabel fand, kann es sein, dass dieser Vergleich gar nicht das Problem war – sondern dass hier jemand mit allen Mitteln fertig gemacht werden sollte?
Ich hätte so etwas in Kiel nicht für möglich gehalten.
Ich wünsche mir, dass es uns nicht egal ist, wie weit jemand in Ausübung seiner Macht zu gehen bereit ist.
Totschweigen hilft nur kurz, nicht auf Dauer.
Macht, bitte, reinen Tisch!
Verlangt Antworten!
Ich würde es begrüßen, wenn sich darum jetzt auch andere kümmern könnten. Ich bin ja nicht mehr so lange hier.
Susanne ist längst ganz in Berlin. Der Umzug ist ihr nicht leicht gefallen. Aber es ist besser so.
Trotzdem: Ich bin gern fast 17 Jahre lang Abgeordneter für diesen alles in allem wunderbaren Wahlkreis Kiel gewesen.
Es gibt so viele gute Erinnerungen, die man mitnimmt. Und doch auch viele Freundschaften, die man zurücklässt.
Aber nie dürfen wir vergessen, was wirklich wichtig im Leben ist. Susanne und ich feiern heute Abend unseren 24. Hochzeitstag. Darüber bin ich sehr froh.
Dies war mein letzter Rechenschaftsbericht.
Der Kieler SPD wünsche ich eine gute Zukunft!
Ich melde mich ab.