Landesparteitag 1973, Heiligenhafen
Landesparteitag Heiligenhafen 1973 |
10. November - 11. November 1973 |
Heiligenhafen |
Siehe auch: Beschlussdatenbank |
Der Außerordentlichen Landesparteitag 1973 fand am 10. und 11. November in Heiligenhafen statt. Hier wurde Lauritz Lauritzen als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 1975 nominiert.
Nach der Rede des Landesvorsitzenden Jochen Steffen kam es zu einem Eklat um den Militärputsch in Chile. Außerdem wurde auf diesem Parteitag der erste Antrag zum Überdenken der Nutzung von Atomkraft gestellt.
Spitzenkandidatur
Nach zwei erfolglosen Kandidaturen für das Amt des Ministerpräsidenten trat der Landesvorsitzende Jochen Steffen nicht erneut an. Er hatte sich auch schon aus dem Amt des Vorsitzenden der Landtagsfraktion zurückgezogen. Spitzenkandidat für die Landtagswahl 1975 sollte - als Willy Brandts Wunschkandidat - der gebürtige Kieler Lauritz Lauritzen werden.[1]. Der war zuvor Oberbürgermeister von Kassel gewesen und seit 1966 Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau. Seine Bewerbungsrede beschreibt die ZEIT als "eher mittelmäßige Ansprache"[2]:
- "Ministerpräsident-Anwärter Lauritzen argumentierte landespolitisch und kündigte Initiativen seiner Regierung in der Wohnungs-, Bildungs- und Bodenpolitik an: das klassenlose Krankenhaus und ein staatliches Gesundheitswesen mit freier Arztwahl gehörten ebenso dazu wie eine mögliche Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und Banken."
Trotz des Widerstandes der Jusos wurde Lauritz Lauritzen mit 146 zu 22 Stimmen gewählt.[1] "Die Jusos sahen in der Nominierung Lauritzens die Gefahr, 'daß auch in der schleswigholsteinischen SPD Kräfte zu wirken versuchen, denen die Übernahme von Regierungsämtern wichtiger ist als der konsequente Versuch, Politik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung auch gegen Konflikte und Widerstände durchzusetzen'. Außerdem bedauern die Jungsozialisten, daß 'im Landesvorstand eine Mehrheit nicht bereit war..., die Voraussetzungen für eine Kandidatur Klaus Matthiesens zu schaffen'."[3]
Eklat
In seiner Rede verurteilte Jochen Steffen den Militärputsch in Chile und die Reaktion von CDU-Politikern scharf. Unter anderem warf er dem Bonner Oppositionsführer Karl Carstens (CDU) vor, "aus einem Professor der Rechte zu einem Professor der Rechten geworden" zu sein und forderte, "daß einige bei uns ihr Verhältnis zu der bewaffneten Macht in Ordnung bringen". Friedrich Beermann, Bundestagsabgeordneter und General a.D., protestierte in der Aussprache mit einer "Fünf-Minuten-Philippika, die den ganzen Parteitag ins Wanken brachte": Jochen Steffen habe "in bezug auf Chile das Schreckgespenst eines deutschen Militärputsches an die Wand gemalt".[2]
- "[Er] fand die Verbindung zum 20. Juli 1944 und sprach die Hoffnung aus, daß in dieser Tradition die Bundeswehr gegen jede politische Bewegung, welche die Verfassung nicht ernst nehme, vorgehen würde. Nach dem ersten Widerspruch wurde Beermann deutlicher: 'Die Genossen Steffen und Kuhlwein wollen postaliter den Boden ebnen, in diesem Land und in diesem Volk, für eine soziale Revolution außerhalb der Verfassung.'"[4]
Im Verlauf des Streits stellte sich die Parteiführung auf die Seite ihres Landesvorsitzenden; Friedrich Beermann wurde aufgefordert, sein Abgeordnetenmandat zurückzugeben.[5]
Grundsatzprogramm
Die SPD Schleswig-Holstein hat sich ein neues Grundsatzprogramm gegeben, in dem die Analyse, aber auch die Strategie von Jochen Steffen aus vielen Fragmenten zusammengeschrieben wurde. Autoren waren Eckart Kuhlwein, Klaus Klingner und Günther Heyenn. Das Programm formulierte zunächst positiv, den meisten Menschen unseres Landes gehe es besser als zuvor. Aber dieses Wachstum an privatem Wohlstand sei mit einer Fülle neuer Probleme bezahlt worden[6]:
- "Noch nie war die Luft so ungesund für uns Menschen, noch nie war sauberes Wasser so knapp. In den Ghettos der ausländischen Arbeitnehmer, in menschenunwürdigen Lebensverhältnissen, schaffen wir das Unterproletariat von morgen, produzieren wir gesellschaftspolitischen Sprengstoff. Und während unsere Städte durch die Zusammenballung von immer mehr Menschen in Müll und Autos ersticken, bleibt in weiten ländlichen Räumen kaum noch eine Mindestversorgung an Bildung oder Gesundheit für die Zurückgelassenen."[6]
Weitere Themen
Im weiteren Verlauf des Parteitages ging es um die Konzeption für die Kommunalwahl 1974 und die Landtagswahl 1975.
Jochen Steffen sprach zu Grundfragen des demokratischen Sozialismus.
Eckart Kuhlwein stellte einen "vorsichtigen" Initiativantrag, die Nutzung der Atomkraft kritisch zu prüfen. Der Antrag wurde in den Landesausschuss verwiesen.[5]
Zum Abschluss versprach Klaus Matthiesen, dass seine Fraktion alles tun werde, 'damit die bereits über 20 Jahre andauernde konservative und oft reaktionäre CDU-Politik in Schleswig-Holstein ein Ende findet.'[2]
DIE ZEIT bilanziert allerdings für den Parteitag: "Mit mehr Aktivität ist man im Lager der Genossen darangegangen, den Links- und Rechtsabweichlern die Flügel zu stutzen. Schon Wochen vor der Wahl hatte es an der Basis rumort, doch die SPD scheute damals Konsequenzen; statt das auf dem Parteitag in Heiligenhafen zur Schau gestellte Bild der Geschlossenheit zu retuschieren, wurde lediglich vertuscht. Die Strafe folgte auf dem Fuße."[7]
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Ralf G. Jahn: Lauritz Lauritzen, in: Udo Kempf / Hans-Georg Merz (Hrsg.): Kanzler und Minister 1949-1998. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen (Wiesbaden 2001), S. 409-413, wo als Lauritzens Geburtsort fälschlicherweise "Plön" angegeben ist.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Burchardt, Rainer: Klare Fronten an der Kieler Förde, DIE ZEIT, 16.11.1973
- ↑ Burchardt, Rainer: Lob für Lauritzen, DIE ZEIT 37/1973
- ↑ Rainer Burchardt: Klare Fronten an der Kieler Förde, DIE ZEIT, 16.11.1973
- ↑ 5,0 5,1 Eckart Kuhlwein: Links, dickschädelig und frei: 30 Jahre im SPD-Vorstand in Schleswig-Holstein (Berlin/Hamburg 2010), ISBN 3868506616, S. ?
- ↑ 6,0 6,1 Kuhlwein, Eckart (2010) Links, dickschädelig und frei: 30 Jahre im SPD-Vorstand in Schleswig-Holstein, ISBN 3868506616
- ↑ Burchardt, Rainer: Angeln nach einem Kandidaten, DIE ZEIT Nr. 17/1974