Otto Tschadek
Otto Tschadek |
Dr. Otto Tschadek, * 31. Oktober 1904 in Trautmannsdorf/Niederösterreich, † 4. Februar 1969 in Wien; österreichischer Rechtsanwalt. Ab 1945 kurzzeitig Mitglied der SPD, danach SPÖ.
Werdegang
Otto Tschadek, Sohn eines Lehrers aus Niederösterreich, studierte zunächst Staatswissenschaften, wechselte dann zum Jurastudium nach Wien. Nach dem Tod seines Vaters 1927 konnte er das Studium durch ein Stipendium der SDAPDÖ, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs, fortsetzen, deren Mitglied er seit 1923 war. 1931 wurde er an der Universität Graz zum Dr. jur. promoviert.
Bis 1934 leitete er ein Gemeindeamt und war auch in der Landespolitik Niederösterreichs aktiv. Nach dem Verbot seiner Partei im selben Jahr wurde er sieben Monate lang in "Anhaltelagern" eingesperrt. Da er im Staatsdienst nicht mehr tätig sein konnte, bildete er sich zum Rechtsanwalt weiter.
Nationalsozialismus
1939 legte er die Rechtsanwaltsprüfung mit Auszeichnung ab, erhielt jedoch zunächst keine Zulassung, da er nicht Mitglied der NSDAP war. 1941 soll er eine Anwaltspraxis in Bruck an der Leitha eröffnet haben[1]; zu dieser Zeit gehörte er jedoch bereits der Marine an.
Schon ab 25. August 1940 diente er in der deutschen Kriegsmarine, zuletzt ab September 1941 als Oberstabsrichter am Marinegericht Kiel.
"In dieser Funktion kam er in sehr engen Kontakt mit der Kieler Bevölkerung und war bei dieser sehr beliebt, da er politische Verurteilungen weitgehend verhinderte. Auch bei der katholischen Kirche war er, aufgrund der Abwehr eines Todesurteils gegen einen Geistlichen, sehr beliebt." heißt es bei Wikipedia.[2]
Erst 2010 wurde durch Aktenfunde bekannt, dass Otto Tschadek zwar vielfach milde urteilte, zugleich aber mindestens vier Todesurteile fällte, von denen zwei vollstreckt wurden.[3][4] Dabei hatte er in seiner Autobiografie geschrieben: "Viele waren der Meinung, dass ein Kriegsrichter auch ein Blutrichter sein musste. In Wirklichkeit lagen die Dinge vollkommen anders."[5] Und in einer Rundfunksendung von 1965 äußerte er: "Man konnte als Richter in der damaligen Zeit, wenn man einige Zivilcourage hatte, sogar manches Unheil verhindern."[6]
2010 wurde sein Lebenslauf als "Täter-Biografie" in die Wanderausstellung "Was damals Recht war..." eingearbeitet, die sich mit den Opfern und Tätern der Militärjustiz beschäftigte. In dieser Form wurde sie zuerst 2010 in Klagenfurt gezeigt.[7]
Partei & Politik in Kiel
Bereits am 15. Mai, eine Woche nach der Kapitulation Deutschlands, wurde Otto Tschadek von der britischen Militärregierung als Stadtrat für das Kriegsschädenamt eingesetzt. Hauptaufgabe war zunächst, Kiel wieder notdürftig bewohnbar zu machen:
"Die Stadt war ein Ruinenfeld, durchsetzt von Kloaken, die Wasserversorgung funktionierte nur teilweise, die Abwasseranlagen waren zerstört oder undicht. Es bestand daher Seuchengefahr. Das britische Ingenieurkorps erwog, die Bevölkerung zu evakuieren und den Kleinen Kiel als Seuchenherd zuzuschütten. [Max Emcke|Emcke]] reagierte darauf mit der Bildung eines 'Antiseuchenstabes' [dem Otto Tschadek angehörte]. Von Fachleuten der städtischen Verwaltung ließ er einen Plan zur Seuchenbekämpfung erarbeiten, den die Militärregierung akzeptierte. [...] So gelang es in bewundernswert kurzer Zeit, das Schlimmste zu verhüten. Die Kieler konnten in ihrer Stadt bleiben."[8]
Darüber hinaus wurden der Straßenbahnverkehr, die Gewinnung von Torf als Heizmaterial und eine Lebensmittelversorgung wieder in Gang gebracht, noch bewohnbare Gebäude winterfest gemacht, auch das Schauspielhaus wieder in Betrieb genommen. Im November 1945 begann die Christian-Albrechts-Universität mit ihrem Lehrbetrieb in provisorischen Räumen, so früh wie in keiner anderen deutschen Stadt. Um die unvorstellbaren Trümmermengen zu beseitigen, "befahl die Militärregierung, alle Frauen zwischen 15 und 45 Jahren, die keine Beschäftigung nachweisen konnten, täglich vier Stunden im Trümmerräumdienst einzusetzen. Anderenfalls gab es keine Lebensmittelkarten."[9] So kam es zu den Kieler 'Trümmerfrauen'; im Wesentlichen wurde die Räumung allerdings später mit schwerem Gerät vorangebracht.
Im Juli 1945 wurde Otto Tschadek zum Bürgermeister berufen.
Neugründung der SPD
Im Oktober 1945 beteiligte er sich an der Wiedergründung der Kieler SPD. Wohl als Parteivertreter hielt er am 16. Dezember 1945 im Rahmen einer öffentlichen Kundgebung die Rede Demokratie - Religion - Sozialismus - An alle, die guten Willens sind, die die Kieler SPD später mit Genehmigung der Militärregierung als Broschüre herausgab.
Er war zu dieser Zeit einer der Hauptredner der Partei. Bereits am 10. Dezember hatte er in Schleswig gesprochen, auf einer von nur drei größeren öffentlichen Kundgebungen der SPD in Schleswig-Holstein. Denn nach einer Verordnung der Militärregierung mussten größere politische Veranstaltungen genehmigt werden, was nur selten der Fall war.[10]
Im Februar 1946 amtierte er für einige Wochen als Kieler Oberbürgermeister. Jedoch gab er das Amt im März 1946 auf und kehrte nach Wien zurück, weil er mittlerweile - ohne davon zu wissen - in Österreich als Abgeordneter zum Nationalrat aufgestellt und gewählt worden war.
Weitere Karriere in Österreich
Otto Tschadek nahm die Wahl in den Nationalrat an und trat der SPÖ bei, der Sozialdemokratischen Partei Österreichs. Er wurde mehrfach zum Justizminister berufen und beschloss seine politische Karriere als stellvertretender Landeshauptmann von Niederösterreich.
Ehrungen
Otto Tschadek erhielt zahlreiche Ehrungen: In Österreich sind mehrere Straßen nach ihm benannt, von 27 Gemeinden trägt er die Ehrenbürgerschaft. Er erhielt mehrere Orden, darunter das Große Goldene Ehrenzeichen der Österreichischen Republik, das Goldene Komturkreuz mit dem Stern des Ehrenzeichens für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich sowie das Großkreuz des Gregoriusordens der katholischen Kirche, verliehen vom Papst persönlich. Nach seinem überraschenden Tod in Wien 1969 wurde er in Bruck an der Leitha, wo er seine politische Laufbahn begonnen hatte, in einem Ehrengrab beigesetzt.[11]
Die Bundesrepublik Deutschland verlieh ihm das Großkreuz des Verdienstordens der BRD. Ehrenbürger von Kiel ist oder war er nicht[12] - hier irrt der Standard.[13] Er erhielt lediglich zum Abschied für seine Verdienste das lebenslange Kieler Bürgerrecht.[14]
Literatur & Links
- Wikipedia: Otto Tschadek
- Ex-Justizminister Tschadek war ein "Blutrichter", Der Standard, 3.9.2010
- Julia Schrenk: An Tschadeks Händen klebt Blut, Kurier, 3.11.2013
- Christa Geckeler: Biografie von Oberbürgermeister Otto Tschadek, Homepage der Stadt Kiel
- Frank Jung: Der Blutrichter an der Stadt-Spitze, shz.de, 1.5.2018
Einzelnachweise
- ↑ lt. Wikipedia: Otto Tschadek, abgerufen 24.10.2017
- ↑ Wikipedia: Otto Tschadek, abgerufen 24.10.2017
- ↑ Ex-Justizminister Tschadek war ein "Blutrichter, Der Standard, 3.9.2010
- ↑ Julia Schrenk: An Tschadeks Händen klebt Blut, Kurier, 3.11.2013
- ↑ Otto Tschadek: Erlebtes und Erkanntes (Wiener Neustadt o.J.[1962]), zit. in Ex-Justizminister Tschadek war ein "Blutrichter", Der Standard, 3.9.2010
- ↑ Ex-Justizminister Tschadek war ein "Blutrichter, Der Standard, 3.9.2010
- ↑ Ex-Justizminister Tschadek war ein "Blutrichter, Der Standard, 3.9.2010
- ↑ Christa Geckeler: Kieler Erinnerungstag: 4. Mai 1945. Vor 60 Jahren - im Mai 1945 Kriegsende und Besetzung Kiels durch die Briten
- ↑ Christa Geckeler: Kieler Erinnerungstag: 4. Mai 1945. Vor 60 Jahren - im Mai 1945 Kriegsende und Besetzung Kiels durch die Briten
- ↑ Holger Martens: Die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Schleswig-Holstein 1945 bis 1959 (Malente 1998), S. 77 ff.
- ↑ Ex-Justizminister Tschadek war ein "Blutrichter, Der Standard, 3.9.2010
- ↑ Vgl. Übersicht der Ehrenbürger*innen Kiels
- ↑ Ex-Justizminister Tschadek war ein "Blutrichter, Der Standard, 3.9.2010
- ↑ Frank Jung: Der Blutrichter an der Stadt-Spitze, shz.de, 1.5.2018