Ernst-Wilhelm Stojan

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Ernst-Wilhelm Stojan
Ernst-Wilhelm Stojan
Ernst-Wilhelm Stojan
Geboren: 13. Mai 1926
Gestorben: 19. Juli 2018

Ernst-Wilhelm Stojan, * 13. Mai 1926 in Oels/Schlesien (heute Oleśnica/Polen), † 19. Juli 2018 in Westerland/Sylt; Lehrer. Mitglied der SPD seit 1946.

Werdegang

Nach dem Schulbesuch begann Ernst Stojan eine Lehrerausbildung in einem Kloster. Im Sommer 1944 beantragte er seine Aufnahme in die NSDAP.[1]. Die Studie von Danker/Lehmann-Himmel ordnet ihn aufgrund seines Alters unter den fünf möglichen Kategorien als "ns-sozialisiert" ein.[2] Die Autoren betonen, dass nach ihrem Wissen die Mitgliedschaft auch in dieser Phase noch "auf Freiwilligkeit beruhte" und ein eigenhändig unterschriebener Aufnahmeantrag erforderlich war[3], räumen aber ein, die Aufnahme sei "vielfach von deutlich mehr informellem Druck auf die infrage kommenden Angehörigen der HJ geprägt [gewesen] als in den Jahren zuvor".[4] Im Fragebogen zur Entnazifizierung erwähnte Ernst Stojan seine NS-Mitgliedschaft nicht.[1]

Im September 1944 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, tat in einer Marineartillerieschule Dienst und wurde 1945 nach Sylt abkommandiert.

In der Batterie Zenker auf dem Sylter Ellenbogen erlebte er nach der Kapitulation des Deutschen Reiches eine kurze Kriegsgefangenschaft. Anschließend erhielt der Neunzehnjährige - wohl von den britischen Besatzern - den Auftrag, sich mit einer Gruppe um in der Umgebung untergebrachte Soldaten zu kümmern. Dadurch kam er auch in Kontakt zu verantwortlichen Syltern – unter anderem zum eingesetzten Bürgermeister Andreas Nielsen und zum britischen Inselkommandanten.[5]

Er blieb auf Sylt, holte seine Familie nach, wurde Lehrer und später Rektor an der Westerländer Grundschule[6]. Seine Ehefrau Siegrid war Sylterin; das Ehepaar hatte drei Kinder.

Schon im Mai 1945 begann er mit dem Wiederaufbau des Ortsvereins Westerland der Arbeiterwohlfahrt.[7] 1956 wählte ihn der Ortsverein zu seinem Vorsitzenden, was er bis 1997 blieb.[5]

Später übernahm er auch für viele Jahre den Vorsitz der Lebenshilfe Sylt und trieb den Bau eines Hauses der Lebenshilfe in Westerland voran.[6]

Partei & Politik

Ernst-Wilhelm Stojan trat 1946 gemeinsam mit seiner späteren Frau Siegrid Inge Andersen in die Westerländer SPD ein.[8]

Er hatte zeitweise den Vorsitz des Ortsvereins und den Fraktionsvorsitz in der Gemeindevertretung.[9] Von 1971 bis 1979 war er Mitglied im Landesvorstand der SPD, wurde aber als Vertreter Nordfrieslands und vielleicht auch wegen seiner Unangepasstheit nie in die Spitzengruppe gewählt.

Von 1959 bis 1994 gehörte er der Westerländer Stadtvertretung an, war bis 1973 Bürgervorsteher, langjähriges Magistratsmitglied und zeitweise 1. stellvertretender Bürgermeister der Stadt.[10]

Der Fall Reinefarth[11]

Als sich der ehemalige SS-Führer Heinz Reinefarth zum Bürgermeister wählen ließ, gehörte Ernst Stojan noch nicht der Gemeindevertretung an.[12] Die SPD und die dänischen Gemeindevertreter stimmten gegen ihn, bekamen jedoch keine Mehrheit.

"Als SPD-Vertreter stand Stojan von Anfang an in Opposition zu dem ehemaligen SS-General, dessen Kriegsverbrechen längst durch die deutsche Presse gegangen waren: 'Es wurde einem ja immer wieder gesagt: Was wollt Ihr eigentlich, er ist ja nicht verurteilt worden!'"[10]

Er erinnerte sich allerdings auch an "'Schlägereien' demokratischer Abgeordneter mit BHE-Vertretern nach einzelnen Sitzungen im Rathaus von Westerland".[10]

Reinefarth wurde Ernst Stojans Thema, als er erkannte, dass seine Umwelt bereit war, die Vergangenheit ihres Bürgermeisters zu ignorieren:

"Die polnischen Behörden stellen mehrere Auslieferungsanträge für Reinefarth. Alle werden abgelehnt. [...] Währenddessen boomt Westerland. Touristen kommen wieder, Infrastruktur wird ausgebaut, den Bewohner geht es gut. Niemanden interessiert, was im weit entfernten Polen passiert ist. Nur Ernst Wilhelm Stojan lässt nicht nach. Er macht sich damit keine Freunde. Er sei ein Nestbeschmutzer, hört er. Sogar in der eigenen Partei trifft er auf Freunde von Reinefarth."[11]

Selbst hatte er den Bürgermeister auf seine Verbrechen nie angesprochen:

"'Meine Intention war, mit diesem Mann sprichst du nicht über seine Vergangenheit. Er hat sie selbst nicht verarbeitet, und er war nicht bereit, sich zu dem zu bekennen, was er getan hat', erklärt Stojan. [...] Reinefarth habe offensichtlich selbst nicht mehr geglaubt, dass er bei der SS war, vermutet Stojan."[11]

Reinefarth war bereits wieder ausgeschieden, als Ernst Stojan 1964 in den Landtag kam. Dr. Ernst Hessenauer, der junge Landesbeauftragte für staatsbürgerliche Bildung, hatte, obwohl eher den Konservativen nahe stehend, Reinefarths Verbrechen in seiner Arbeit immer wieder angesprochen[13], bis dieser schließlich zur Landtagswahl 1962 nicht wieder antrat. Er wurde für seine Verbrechen allerdings zeitlebens nicht vor Gericht gestellt, und in Westerland redete man nicht über ihn, schon gar nicht schlecht.[11]

Erst vor wenigen Jahren konnte Ernst Stojan - nach neuen Anstößen aus Polen und mit jüngeren MitstreiterInnen - durchsetzen, dass am Rathaus eine Mahntafel angebracht wurde, die Täter und Opfer benannte. Er enthüllte sie am 31. Juli 2014 selbst. Allerdings konnte er nicht dabei sein, als eine Sylter Delegation am 5. August 2014 nach Warschau fuhr, um der Opfer Reinefarths zu gedenken.

"Dem 88-jährigen Stojan hat der Arzt abgeraten, nach Warschau zu reisen. Ein wenig Bedauern bleibt. 'Ich möchte euch als Sylter um Vergebung und Versöhnung bitten', hätte er in Warschau gern gesagt. Und sich ein wenig daran erfreut, dass das beklemmende Gefühl, weil bei ihm zu Hause derjenige unbestraft blieb, der so viel Leid angerichtet hat, jetzt weg ist."[11]

Atlantis-Affäre

Es gab noch andere kommunalpolitische Themen, die Ernst Stojan umtrieben. Dazu gehörte die "Atlantis-Affäre", die ihn ebenfalls in Gegensatz zu Größen der örtlichen Kommunalpolitik brachte, auch in der eigenen Partei, und ihn 1973 sein Amt an der Spitze der Selbstverwaltung kostete.[14] Ob sein Kampf gegen das überdimensionierte Bauprojekt zum Einspruch der Landesregierung dagegen beitrug oder ob andere Faktoren ausschlaggebend waren, ist nicht bekannt. Seine Abwahl als Bürgervorsteher wurde als örtlicher Racheakt angesehen, auch als Reaktion auf die ungewöhnliche Einmischung der Landespartei. Immerhin bescheinigte ihm die Presse, ein 'Überzeugungstäter' zu sein, der "als Landtagsabgeordneter nicht nur in Kiel von Lebensqualität und Umweltschutz" rede.[14]

Landtag

SPD-Fraktion im Landtag. Ernst Stojan sitzt in der 3. Reihe am Gang.

Am 6. Juni 1964 rückte Ernst Stojan für Jürgen Frenzel in den Landtag nach. Jeweils über die Landesliste wurde er bis zur Landtagswahl 1979 immer wieder Abgeordneter. Er war Fremdenverkehrsexperte seiner Fraktion[15] und aktiv in den Ausschüssen für Volkswohlfahrt, Verkehr, Wirtschaft und die Wahrung der Rechte der Volksvertretung, später im Landesplanungsausschuss und im Agrar- und Umweltschutzausschuss. Außerdem gehörte er seine gesamte Abgeordnetenzeit lang dem Ausschuss Kommunaler Investitionsfonds an.

1971/72 war er ein Jahr lang stellvertretender Fraktionsvorsitzender.

Auf dem außerordentlichen Landesparteitag von 1975 wurde deutlich, dass große Teile der Partei der Nutzung der Kernenergie skeptisch gegenüber standen. Ende April 1976 lud die SPD in Kiel zu einer Fachkonferenz Kernenergie ein, die Ernst Stojan leitete. Sie brachte eine landesweite Diskussion in Gang, mit den bekannten Ergebnissen.

Am 15. November 1982 schied er aus dem Landtag aus. Für ihn rückte Udo Lumma nach.

Ehrungen

Ernst Stojan war Ehrenmitglied des Fremdenverkehrsvereins Westerland/Sylt, zu dessen Gründungsmitgliedern er am 30. Januar 1949 gehörte und dessen Verschönerungsausschuss er mehrere Jahre leitete.[16] Das Datum der Ehrenmitgliedschaft ist nicht ermittelt.

Der AWO-Ortsverein Westerland machte ihn zu seinem Ehrenvorsitzenden[5] - wann, ist nicht vermerkt; möglicherweise bei seinem Rücktritt 1997.

Er war Träger der Freiherr-vom-Stein-Medaille des Landes, der Verdienstmedaille der Stadt Westerland[6] und wurde am 23. Februar 1983 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.

Seine Partei bescheinigte ihm 2018 in ihrem Nachruf, "die Geschicke der Sylter Sozialdemokratie in über sieben Jahrzehnten maßgeblich geprägt" und seine Ämter "immer konsequent, mit vollem Einsatz" ausgefüllt zu haben.

"Wir werden dem Grandseigneur der Sylter SPD ein ehrendes Andenken bewahren."[9]

Literatur

Links

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Danker/Lehmann-Himmel, S. 167
  2. Vgl. Danker/Lehmann-Himmel, S. 173. Die fünf Kategorien lauten "exponiert nationalsozialistisch", "systemtragend/karrieristisch", "ns-sozialisiert", "angepasst/ambivalent" und "oppositionell/'gemeinschaftsfremd'". Grundlage ihrer Einordnung sind Akten im Bundesarchiv, BArch BDC OK, Film 3200 W0050, und im Landesarchiv, LASH Abt. 460.17, Nr. 159.
  3. Danker/Lehmann-Himmel, S. 111
  4. Danker/Lehmann-Himmel, S. 166 f.
  5. 5,0 5,1 5,2 Vgl. Arbeiterwohlfahrt Ortsverein Westerland, abgerufen 6.2.2017
  6. 6,0 6,1 6,2 Traueranzeige der Gemeinde Sylt, Sylter Rundschau, 27.7.2018
  7. Traueranzeige des AWO-Ortsvereins Sylt, Sylter Rundschau, 27.7.2018
  8. Andersen, Karl Rydgard: SPD OV SYLT Spurensuche 2011 1945 – 1950, abgerufen 10.12.2022
  9. 9,0 9,1 Traueranzeige der SPD Sylt, Sylter Rundschau, 28.7.2018
  10. 10,0 10,1 10,2 Sundermeyer, Olaf: Brauner Sand
  11. 11,0 11,1 11,2 11,3 11,4 Hreczuk, Agnieszka: Der fürchterliche Sylter, Der Tagesspiegel, 2.8.2014
  12. Anders Hreczuk: Der fürchterliche Sylter; dies ist aber offensichtlich eine Fehlinformation.
  13. Vgl. 1958: Ein SS-General zieht in den Landtag ein, Der Landtag 2/2016, S. 6-8
  14. 14,0 14,1 Burchardt, Rainer: Mißwirtschaft auf Sylt?, DIE ZEIT, 10.8.1973
  15. Vgl. Ostsee-Bäder: Haut hin, DER SPIEGEL, 17.8.1970
  16. Vgl. Bericht des Vorstandes, gegeben am 15.7.2009, abgerufen 5.2.2017