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Die '''Wählerinitiative Nord''' ("WIN") gründete sich Anfang [[1970]] zur [[Landtagswahl 1971]]. Ihre Absicht war, die SPD "mit kritischer Sympathie, [...] die den Widerspruch nicht ausschließt"<ref>''Kieler Nachrichten'', 9.1.1970</ref>, im Wahlkampf zu unterstützen. Neben vielen anderen beteiligten sich die Schriftsteller [[Günter Grass]], [[Siegfried Lenz]] und [[Hans Werner Richter]], General a. D. [[Wolf Graf von Baudissin]], [[Graf von Moltke|Helmut Caspar Graf von Moltke]], die Maler [[Harald Duwe]] und [[Peter Nagel]] oder der Journalist [[Rüdiger Proske]] an der Initiative. Viele waren nicht einmal Mitglieder, sondern sahen lediglich die Zeit für eine politische Veränderung gekommen. | |||
Am Sophienblatt in Kiel richtete sich die "WIN" ein Büro ein.<ref> | Auch der noch unbekannte [[Bernhard Schwichtenberg]] beteiligte sich und verwendete die dort gesammelten Erfahrungen, als er für die [[Landtagswahl 1988]] eine Neuauflage der WIN zur Unterstützung von [[Björn Engholm]] organisierte.<ref>''[http://lassmalschnacken.de/36 Lass mal schnacken! Folge 36]'', etwa ab min 25:00, abgerufen 20.1.2024</ref> | ||
[[Datei:Zeitung am Blücherplatz.jpg|thumb|180px|left|Titelseite ZAB 1/1982]]Günter Grass beschrieb [[1982]] Anfänge und Zweck der Sozialdemokratischen Wählerinitiative, die es nicht nur im Norden gab: | |||
<blockquote>"Ende der 60er Jahre, als wir alle noch glaubten, man könne in diese relativ junge Republik demokratische Impulse mit dauerhafter Wirkung hineintragen, gab es einen Elan, gab es eine Möglichkeit, so etwas aufzubauen. Und es hat sich auch erwiesen, daß diese sozialdemokratische Wählerinitiative in ihrem kritischen Verhältnis zur SPD immer wieder Gelegenheit genommen hat, der Partei unangenehme Fragen zu stellen - ihr oft Themen aufzureden, denen sie sich sperrte. Unter anderem war es das Thema der Ausländerpolitik, das Zusammenleben der Deutschen mit Ausländern, die zum Gutteil in unser Land gerufen worden sind, die man gebraucht, benötigt, benutzt hat, und die dann behandelt wurden zum Gotterbarmen."<ref>Grass, Günter: ''Es wird uns keine Abkapselungspolitik helfen - Den Ausländern eine Chance'', ''[[Zab Zeitung am Blücherplatz|Zeitung am BlücherPlatz]]'', Jg. 2 Nr. 1 [[1982]]</ref></blockquote> | |||
Günter Grass ließ sich nach der NS-Diktatur durch [[Kurt Schumacher]] für die SPD begeistern, trat ihr aber erst [[1982]] bei.<ref>Bender, Ruth: ''Er war keiner von den Leisen - Nachruf auf Günter Grass'', ''Kieler Nachrichten'', 14.4.2015</ref> Es wird jedoch berichtet, schon [[1973]] sei er "persönlich beleidigt darüber, dass er unter dem Kanzler [[Willy Brandt|Brandt]] kein politisches Amt bekommen hat. Er hätte sich gern als eine Art Kultur-Staatsminister gesehen."<ref>Rupps, Martin: ''Troika wider Willen. Wie Brandt, Wehner und Schmidt die Republik regierten'' (München 2005), ISBN 978-3-548-36758-3, S. 206</ref> | |||
[[Datei:KA023478.JPG|thumb|right|280px|Programm der ''SPD-Tournee Kultur, Musik und Politik'' 1987]]Er begleitete später den Aufstieg von [[Björn Engholm]] und die erste [[Kabinett Engholm I|SPD-Landesregierung]] seit 40 Jahren. Im [[Landtagswahl 1987|Landtagswahlkampf]] [[1987]] war er stark an der ''SPD-Tournee Kultur, Musik und Politik'' beteiligt, die zwischen Anfang August und Mitte September [[1987]] im ganzen Land 40 Termine bestritt; Karin Hempel-Soos, Ulrich Roski, Hans Scheibner und andere waren neben [[Günter Grass]] dabei. Dieser scheute allerdings die Auseinandersetzung nicht, und mit der Zeit trat eine starke Entfremdung ein. [[Björn Engholm]] erklärte dies mit dem Rigorismus des Schriftstellers, der in Konflikt mit dem für eine erfolgreiche politische Arbeit erforderlichen Pragmatismus stand. Der Umgang sei jedoch immer "freundlich" gewesen.<ref>Schulte, Martin: ''[https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/kultur/bjoern-engholm-lobt-eine-schwierige-beziehung-id9450856.html Zum Tode von Günter Grass: Björn Engholm lobt eine schwierige Beziehung]'', shz.de, 13.4.2015</ref> | |||
[[Datei:1971_02_20_WIN_Wählerinitiative_Nord_klein.jpg|thumb|180px|left|Zeitungsanzeige der WIN in den Kieler Nachrichten vom 20.2.1971]] | |||
Am Sophienblatt in Kiel richtete sich die "WIN" ein Büro ein.<ref>H.A.: ''[http://www.zeit.de/1971/03/weckmittel-fuer-wahlmuede Weckmittel für Wahlmüde]'', DIE ZEIT, 15.1.1971</ref> Mit Forumsdiskussionen, Wählerabenden, Gesprächen mit Kandidaten, Jungwähler-Parties, Anzeigenaktionen und Telefondiensten wollte man vor allem politisch Unentschiedene ansprechen. Die Zeitungsanzeige links bietet ein gutes Beispiel für die Themen, die aufgegriffen wurden. | |||
[[Datei:Siegfried Lenz.jpg|thumb|180px|left|Siegfried Lenz erläutert in einer Pressekonferenz am 1.11.1972 sein Engagement.]]Im Rechenschaftsbericht [[1973]] des Landesverbandes steht: | |||
<blockquote>"Der Wahlkampf der SPD wurde mit Argumenten geführt. Und er war begleitet von einer Woge der Sympathie aus allen Schichten der Bevölkerung. In diesem Zusammenhang ist an hervorragender Stelle die Hilfe der Wählerinitiative Nord (WIN) zu erwähnen. Hunderte Frauen und Männer ohne parteiliche Bindung haben sich in diesem Wahlkampf für [[Willy Brandt]] als Bundeskanzler und für das Wahlkampfprogramm der SPD eingesetzt. Unsere Freunde der Wählerinitiative Nord haben aus der kritischen Distanz heraus Bevölkerungsgruppen politisiert, die von der Partei aus bisher nicht ansprechbar waren. Die Sozialdemokraten Schleswig-Holsteins haben den Freunden der WIN besonders zu danken. Die WIN hat einen beträchtlichen Anteil an dem für Schleswig-Holstein historischen SPD-Ergebnis."<ref>''Politik und Organisation'': Berichte zum Landesparteitag am 24. und 25. Februar 1973 in Eckernförde, Stadthalle, Seite 68f</ref></blockquote> | |||
== Weitere Fotos == | |||
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Datei:Fotos 3919.jpg|Peter Nagel und Harald Duwe gestalten am Infostand am Berliner Platz Puppenköpfe | |||
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Datei:Harald Duwe - Jochen Steffen.JPG|Jochen Steffen, gemalt von Harald Duwe | |||
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== Literatur == | |||
*Grass, Günter: ''Aus dem Tagebuch einer Schnecke'' (Neuwied/Darmstadt 1972). Hier verarbeitet Grass seine Erfahrungen aus den Wahlkämpfen für [[Willy Brandt]]. | |||
*Magenau, Jörg: ''Schmidt - Lenz. Geschichte einer Freundschaft'' (Hamburg 2014). Das Buch enthält viele Informationen zur WIN aus der Sicht beider Hauptpersonen; [[Helmut Schmidt]] schätzte die WIN eher gering ein. | |||
== Einzelnachweise == | |||
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[[Kategorie:Parteinahe Organisation|Wählerinitiative Nord]] |
Aktuelle Version vom 20. Januar 2024, 03:59 Uhr
Die Wählerinitiative Nord ("WIN") gründete sich Anfang 1970 zur Landtagswahl 1971. Ihre Absicht war, die SPD "mit kritischer Sympathie, [...] die den Widerspruch nicht ausschließt"[1], im Wahlkampf zu unterstützen. Neben vielen anderen beteiligten sich die Schriftsteller Günter Grass, Siegfried Lenz und Hans Werner Richter, General a. D. Wolf Graf von Baudissin, Helmut Caspar Graf von Moltke, die Maler Harald Duwe und Peter Nagel oder der Journalist Rüdiger Proske an der Initiative. Viele waren nicht einmal Mitglieder, sondern sahen lediglich die Zeit für eine politische Veränderung gekommen.
Auch der noch unbekannte Bernhard Schwichtenberg beteiligte sich und verwendete die dort gesammelten Erfahrungen, als er für die Landtagswahl 1988 eine Neuauflage der WIN zur Unterstützung von Björn Engholm organisierte.[2]
Günter Grass beschrieb 1982 Anfänge und Zweck der Sozialdemokratischen Wählerinitiative, die es nicht nur im Norden gab:
"Ende der 60er Jahre, als wir alle noch glaubten, man könne in diese relativ junge Republik demokratische Impulse mit dauerhafter Wirkung hineintragen, gab es einen Elan, gab es eine Möglichkeit, so etwas aufzubauen. Und es hat sich auch erwiesen, daß diese sozialdemokratische Wählerinitiative in ihrem kritischen Verhältnis zur SPD immer wieder Gelegenheit genommen hat, der Partei unangenehme Fragen zu stellen - ihr oft Themen aufzureden, denen sie sich sperrte. Unter anderem war es das Thema der Ausländerpolitik, das Zusammenleben der Deutschen mit Ausländern, die zum Gutteil in unser Land gerufen worden sind, die man gebraucht, benötigt, benutzt hat, und die dann behandelt wurden zum Gotterbarmen."[3]
Günter Grass ließ sich nach der NS-Diktatur durch Kurt Schumacher für die SPD begeistern, trat ihr aber erst 1982 bei.[4] Es wird jedoch berichtet, schon 1973 sei er "persönlich beleidigt darüber, dass er unter dem Kanzler Brandt kein politisches Amt bekommen hat. Er hätte sich gern als eine Art Kultur-Staatsminister gesehen."[5]
Er begleitete später den Aufstieg von Björn Engholm und die erste SPD-Landesregierung seit 40 Jahren. Im Landtagswahlkampf 1987 war er stark an der SPD-Tournee Kultur, Musik und Politik beteiligt, die zwischen Anfang August und Mitte September 1987 im ganzen Land 40 Termine bestritt; Karin Hempel-Soos, Ulrich Roski, Hans Scheibner und andere waren neben Günter Grass dabei. Dieser scheute allerdings die Auseinandersetzung nicht, und mit der Zeit trat eine starke Entfremdung ein. Björn Engholm erklärte dies mit dem Rigorismus des Schriftstellers, der in Konflikt mit dem für eine erfolgreiche politische Arbeit erforderlichen Pragmatismus stand. Der Umgang sei jedoch immer "freundlich" gewesen.[6]
Am Sophienblatt in Kiel richtete sich die "WIN" ein Büro ein.[7] Mit Forumsdiskussionen, Wählerabenden, Gesprächen mit Kandidaten, Jungwähler-Parties, Anzeigenaktionen und Telefondiensten wollte man vor allem politisch Unentschiedene ansprechen. Die Zeitungsanzeige links bietet ein gutes Beispiel für die Themen, die aufgegriffen wurden.
Im Rechenschaftsbericht 1973 des Landesverbandes steht:
"Der Wahlkampf der SPD wurde mit Argumenten geführt. Und er war begleitet von einer Woge der Sympathie aus allen Schichten der Bevölkerung. In diesem Zusammenhang ist an hervorragender Stelle die Hilfe der Wählerinitiative Nord (WIN) zu erwähnen. Hunderte Frauen und Männer ohne parteiliche Bindung haben sich in diesem Wahlkampf für Willy Brandt als Bundeskanzler und für das Wahlkampfprogramm der SPD eingesetzt. Unsere Freunde der Wählerinitiative Nord haben aus der kritischen Distanz heraus Bevölkerungsgruppen politisiert, die von der Partei aus bisher nicht ansprechbar waren. Die Sozialdemokraten Schleswig-Holsteins haben den Freunden der WIN besonders zu danken. Die WIN hat einen beträchtlichen Anteil an dem für Schleswig-Holstein historischen SPD-Ergebnis."[8]
Weitere Fotos
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Peter Nagel und Harald Duwe gestalten am Infostand am Berliner Platz Puppenköpfe
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Infostand am Berliner Platz
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Jochen Steffen, gemalt von Harald Duwe
Literatur
- Grass, Günter: Aus dem Tagebuch einer Schnecke (Neuwied/Darmstadt 1972). Hier verarbeitet Grass seine Erfahrungen aus den Wahlkämpfen für Willy Brandt.
- Magenau, Jörg: Schmidt - Lenz. Geschichte einer Freundschaft (Hamburg 2014). Das Buch enthält viele Informationen zur WIN aus der Sicht beider Hauptpersonen; Helmut Schmidt schätzte die WIN eher gering ein.
Einzelnachweise
- ↑ Kieler Nachrichten, 9.1.1970
- ↑ Lass mal schnacken! Folge 36, etwa ab min 25:00, abgerufen 20.1.2024
- ↑ Grass, Günter: Es wird uns keine Abkapselungspolitik helfen - Den Ausländern eine Chance, Zeitung am BlücherPlatz, Jg. 2 Nr. 1 1982
- ↑ Bender, Ruth: Er war keiner von den Leisen - Nachruf auf Günter Grass, Kieler Nachrichten, 14.4.2015
- ↑ Rupps, Martin: Troika wider Willen. Wie Brandt, Wehner und Schmidt die Republik regierten (München 2005), ISBN 978-3-548-36758-3, S. 206
- ↑ Schulte, Martin: Zum Tode von Günter Grass: Björn Engholm lobt eine schwierige Beziehung, shz.de, 13.4.2015
- ↑ H.A.: Weckmittel für Wahlmüde, DIE ZEIT, 15.1.1971
- ↑ Politik und Organisation: Berichte zum Landesparteitag am 24. und 25. Februar 1973 in Eckernförde, Stadthalle, Seite 68f