Allgemeiner Konsumverein Kiel: Unterschied zwischen den Versionen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
Skw (Diskussion | Beiträge) Keine Bearbeitungszusammenfassung |
||
| Zeile 1: | Zeile 1: | ||
Am [[26. Oktober]] [[1899]] gründeten 42 Arbeiter den ''' | Am [[26. Oktober]] [[1899]] gründeten 42 Arbeiter den '''Allgemeinen Konsumverein für Kiel und Umgegend''' (AKVK). Der Name existiert nicht mehr. Der Geist und die genossenschaftliche Organisationsform leben aber bis heute weiter in der coop Schleswig-Holstein eG, seit 2006 [http://de.wikipedia.org/wiki/Coop_eG coop eG], die in ganz Norddeutschland "sky"- und "Plaza"-Supermärkte betreibt und der größte private Arbeitgeber Schleswig-Holsteins ist.<ref>*Kieler Nachrichten, ''[http://www.segeberger-zeitung.de/Lokales/Kiel/Vom-Konsumverein-zur-coop Vom Konsumverein zur coop]'', 23.02.2009</ref> | ||
== Vorgeschichte == | |||
Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Arbeiterfamilien in der schnell wachsenden Industriestadt Kiel wie in allen vergleichbaren Städten mit erheblichen Versorgungsproblemen zu kämpfen. Die schwere Arbeit und die langen Arbeitszeiten machten die Eigenversorgung durch Landwirtschaft unmöglich. Man war auf Einzelhändler angewiesen, die ihre Produkte oft mit illegalen und gesundheitsschädlichen Mitteln streckten, nicht reell abwogen und zu überhöhten Preisen verkauften. Bei großen Firmen kam es vor, dass sie eigene Läden eröffneten und ihre Arbeiter - etwa durch Bezahlung in spezieller Währung - zwangen, dort die minderwertigen und überteuerten Waren zu kaufen. Das "Anschreiben" - Verkauf auf Kredit, wenn etwa Ende des Monats das Geld zur Neige ging - schuf weitere Abhängigkeiten. Die entstehenden Konsumvereine stellten eine Gegenwehr gegen diese Verhältnisse dar. | |||
Der erste deutsche Konsumverein entstand 1850 in Eilenburg/Sachsen. Bereits [[1861]] wurde auch in Kiel der - erfolglose - Versuch einer solchen Gründung unternommen; [[1889]] wurde die Vereinsbäckerei gegründet, die Keimzelle des späteren Konsum. Die privaten Einzelhändler wehrten sich entschieden, da sie ihre Geschäfte zu Recht bedroht sahen. Auch der preußische Staat zeigte Misstrauen, wie gegen alle Bestrebungen der Arbeiter, ihre Lebensumstände und ihren Status zu verbessern. | |||
Auf Druck der Einzelhändler boykottierten viele Großhändler und Fabrikanten die Konsumvereine. Deshalb gründete sich 1894 in Hamburg die Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Consumvereine mbH. Sie importierte selbst und baute ein Netz eigener Fabriken auf, darunter eine Seifen-, eine Schokoladen- und eine Fischfabrik sowie eine Kaffeerösterei. Ihre Produkte wurden unter der Marke »GEG« verkauft und erfreuten sich bald großer Beliebtheit.<ref>[http://www.alles.coop/unternehmen/wir-sind/geschichte/gruendungsjahre/ coop eG, Gründungsjahre]</ref> | |||
== Der "Konsum" == | |||
1899 wurde der Kieler "Konsum", wie er bei den Mitgliedern hieß, gegründet. Dass dies nicht früher geschah, hatte seinen Grund auch darin, dass Kiels führender Sozialdemokrat [[Stephan Heinzel]] dem Gedankengut von [[Ferdinand Lassalle]] verpflichtet war. Er lehnte Konsumvereine ab, da durch sie "der Klassenkampfcharakter der Partei großen Schaden erleiden würde"<ref>Rolf Fischer: "Der Bahn, der kühnen, folgen wir …" Stephan Heinzel und der Aufstieg der Kieler SPD (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie, Band I: 1863 – 1900) (Malente 2010), S. 11</ref>. Bereits 1889 wandte er sich vehement, wenn auch vergeblich, gegen die Gründung einer ersten Genossenschaft, der "Vereinsbäckerei". | |||
"Vertraue Deiner eigenen Kraft, gestützt auf die Genossenschaft!“, lautete die Losung der Konsumvereine.<ref>*Kieler Nachrichten, ''[http://www.segeberger-zeitung.de/Lokales/Kiel/Vom-Konsumverein-zur-coop Vom Konsumverein zur coop]'', 23.02.2009</ref> Das Ziel war, durch gemeinsamen Einkauf bei vertrauenswürdigen Lieferanten den Mitgliedern gute Ware zu reellen Preisen anbieten zu können und den Reingewinn wieder an sie auszuschütten. Im Frühsommer 1900 wurde (vermutlich in der [[Schleswig-Holsteinische Volkszeitung|VZ]]) gemeldet: | |||
: "Der neu gegründete Allgemeine Consum=Verein für Kiel und Umgegend, dessen Mitgliederzahl bereits über 300 beträgt, eröffnet am Donnerstag den 5. Juli seine erste Verkaufstelle Holtenauerstraße 46. Der Verein hat sich die Aufgabe gestellt, seinen Mitgliedern gute Waaren zum Tagespreise zu liefern und den erzielten Reingewinn am Schlusse des Geschäftsjahres an die Mitglieder zurückzuzahlen." | |||
Später hießen die Läden "Verteilungsstellen" und wurden von "Lagerhaltern" geführt, waren oft auch keine Läden im heutigen Sinne. Da sie nur an Mitglieder abgaben, benötigten sie weder Werbung noch Schaufenster; das hielt die Kosten niedrig. Die Verteilungsstellen des Kieler Konsum waren weit über die Stadtgrenzen hinaus verbreitet. Den Effekt beschreibt [[Rosa Wallbaum]] in ihren Erinnerungen: | |||
:"Der Konsumverein Kiel hatte über hundert 'Lebensmittelverteilungsstellen', außerdem eine eigene Bäckerei und eine eigene Fleischfabrik in der Heischstraße. Die Preise waren überall gleich. Die nördlichste Verteilungsstelle war in Karby. [...] Wir mußten den Warenbestand sehr niedrig halten - das war ja totes Kapital. Wenn etwas knapp war, mußten wir anrufen. Wenn es eilig war, brachte der Brotbäcker das morgens mit. [...] Der Konsum war preisbestimmend in einem Ort. Als Folge der Wirtschaftskrise wurde [1930] die Verteilungsstelle in Karby geschlossen. Man rechnete pro 3.000 Mark Umsatz eine Verkaufskraft, und Karby war unter 3.000 Mark. Die kleinen Höker haben sofort die Preise alle erhöht!"<ref>Wallbaum, Rosa: "''Ich hab mich niemals arm gefühlt!'' (Hamburg/Berlin 2010), S. 56 ff. ISBN 978-3-86850-644-0</ref> | |||
== Unter dem Nationalsozialismus == | |||
Die Nationalsozialisten liquidierten [[1935]] den AKVK und übernahmen sein erhebliches Vermögen, das nicht zuletzt in Immobilien bestand. Genossenschaften entsprachen nicht ihrer Vorstellung von der "Volksgemeinschaft", da sie den Mitgliedern gehörten, nicht dem (ausschließlich durch die NSdAP vertretenen) Volk. | |||
== Neubeginn == | |||
[[1946]] wurde der Kieler Konsumverein wiedergegründet, wie auch zehn weitere in Schleswig-Holstein. Sein Vorkriegsvermögen erhielt er nicht zurück. | |||
[[1972]] schloss sich der AKVK mit den anderen Konsumgenossenschaften des Landes zur coop Schleswig-Holstein eG zusammen.<ref>coop.de, [http://www.alles.coop/unternehmen/wir-sind/geschichte/ Geschichte der coop eG]</ref> In den 1980er Jahren gehörten die Schleswig-Holsteiner zu den wenigen Genossenschaften, die sich gegen einen Zusammenschluss mit der deutschlandweiten co op AG in Frankfurt wehrten und an ihrer Rechtsform festhielten. Diese Eigenständigkeit machte sich bezahlt, als Ende der 80er Jahre die aufgeblähte co op AG in einem riesigen Finanzskandal unterging.<ref>*Kieler Nachrichten, ''[http://www.segeberger-zeitung.de/Lokales/Kiel/Vom-Konsumverein-zur-coop Vom Konsumverein zur coop]'', 23.02.2009</ref> Die coop-Märkte wurden wegen der Verwechslungsgefahr umbenannt, die Genossenschaft entwickelte sich erfolgreich weiter und expandierte im ganzen norddeutschen Raum, nach der Wende etwa nach Mecklenburg-Vorpommern. | |||
== Quellen == | == Quellen == | ||
Version vom 22. Dezember 2013, 05:41 Uhr
Am 26. Oktober 1899 gründeten 42 Arbeiter den Allgemeinen Konsumverein für Kiel und Umgegend (AKVK). Der Name existiert nicht mehr. Der Geist und die genossenschaftliche Organisationsform leben aber bis heute weiter in der coop Schleswig-Holstein eG, seit 2006 coop eG, die in ganz Norddeutschland "sky"- und "Plaza"-Supermärkte betreibt und der größte private Arbeitgeber Schleswig-Holsteins ist.[1]
Vorgeschichte
Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Arbeiterfamilien in der schnell wachsenden Industriestadt Kiel wie in allen vergleichbaren Städten mit erheblichen Versorgungsproblemen zu kämpfen. Die schwere Arbeit und die langen Arbeitszeiten machten die Eigenversorgung durch Landwirtschaft unmöglich. Man war auf Einzelhändler angewiesen, die ihre Produkte oft mit illegalen und gesundheitsschädlichen Mitteln streckten, nicht reell abwogen und zu überhöhten Preisen verkauften. Bei großen Firmen kam es vor, dass sie eigene Läden eröffneten und ihre Arbeiter - etwa durch Bezahlung in spezieller Währung - zwangen, dort die minderwertigen und überteuerten Waren zu kaufen. Das "Anschreiben" - Verkauf auf Kredit, wenn etwa Ende des Monats das Geld zur Neige ging - schuf weitere Abhängigkeiten. Die entstehenden Konsumvereine stellten eine Gegenwehr gegen diese Verhältnisse dar.
Der erste deutsche Konsumverein entstand 1850 in Eilenburg/Sachsen. Bereits 1861 wurde auch in Kiel der - erfolglose - Versuch einer solchen Gründung unternommen; 1889 wurde die Vereinsbäckerei gegründet, die Keimzelle des späteren Konsum. Die privaten Einzelhändler wehrten sich entschieden, da sie ihre Geschäfte zu Recht bedroht sahen. Auch der preußische Staat zeigte Misstrauen, wie gegen alle Bestrebungen der Arbeiter, ihre Lebensumstände und ihren Status zu verbessern.
Auf Druck der Einzelhändler boykottierten viele Großhändler und Fabrikanten die Konsumvereine. Deshalb gründete sich 1894 in Hamburg die Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Consumvereine mbH. Sie importierte selbst und baute ein Netz eigener Fabriken auf, darunter eine Seifen-, eine Schokoladen- und eine Fischfabrik sowie eine Kaffeerösterei. Ihre Produkte wurden unter der Marke »GEG« verkauft und erfreuten sich bald großer Beliebtheit.[2]
Der "Konsum"
1899 wurde der Kieler "Konsum", wie er bei den Mitgliedern hieß, gegründet. Dass dies nicht früher geschah, hatte seinen Grund auch darin, dass Kiels führender Sozialdemokrat Stephan Heinzel dem Gedankengut von Ferdinand Lassalle verpflichtet war. Er lehnte Konsumvereine ab, da durch sie "der Klassenkampfcharakter der Partei großen Schaden erleiden würde"[3]. Bereits 1889 wandte er sich vehement, wenn auch vergeblich, gegen die Gründung einer ersten Genossenschaft, der "Vereinsbäckerei".
"Vertraue Deiner eigenen Kraft, gestützt auf die Genossenschaft!“, lautete die Losung der Konsumvereine.[4] Das Ziel war, durch gemeinsamen Einkauf bei vertrauenswürdigen Lieferanten den Mitgliedern gute Ware zu reellen Preisen anbieten zu können und den Reingewinn wieder an sie auszuschütten. Im Frühsommer 1900 wurde (vermutlich in der VZ) gemeldet:
- "Der neu gegründete Allgemeine Consum=Verein für Kiel und Umgegend, dessen Mitgliederzahl bereits über 300 beträgt, eröffnet am Donnerstag den 5. Juli seine erste Verkaufstelle Holtenauerstraße 46. Der Verein hat sich die Aufgabe gestellt, seinen Mitgliedern gute Waaren zum Tagespreise zu liefern und den erzielten Reingewinn am Schlusse des Geschäftsjahres an die Mitglieder zurückzuzahlen."
Später hießen die Läden "Verteilungsstellen" und wurden von "Lagerhaltern" geführt, waren oft auch keine Läden im heutigen Sinne. Da sie nur an Mitglieder abgaben, benötigten sie weder Werbung noch Schaufenster; das hielt die Kosten niedrig. Die Verteilungsstellen des Kieler Konsum waren weit über die Stadtgrenzen hinaus verbreitet. Den Effekt beschreibt Rosa Wallbaum in ihren Erinnerungen:
- "Der Konsumverein Kiel hatte über hundert 'Lebensmittelverteilungsstellen', außerdem eine eigene Bäckerei und eine eigene Fleischfabrik in der Heischstraße. Die Preise waren überall gleich. Die nördlichste Verteilungsstelle war in Karby. [...] Wir mußten den Warenbestand sehr niedrig halten - das war ja totes Kapital. Wenn etwas knapp war, mußten wir anrufen. Wenn es eilig war, brachte der Brotbäcker das morgens mit. [...] Der Konsum war preisbestimmend in einem Ort. Als Folge der Wirtschaftskrise wurde [1930] die Verteilungsstelle in Karby geschlossen. Man rechnete pro 3.000 Mark Umsatz eine Verkaufskraft, und Karby war unter 3.000 Mark. Die kleinen Höker haben sofort die Preise alle erhöht!"[5]
Unter dem Nationalsozialismus
Die Nationalsozialisten liquidierten 1935 den AKVK und übernahmen sein erhebliches Vermögen, das nicht zuletzt in Immobilien bestand. Genossenschaften entsprachen nicht ihrer Vorstellung von der "Volksgemeinschaft", da sie den Mitgliedern gehörten, nicht dem (ausschließlich durch die NSdAP vertretenen) Volk.
Neubeginn
1946 wurde der Kieler Konsumverein wiedergegründet, wie auch zehn weitere in Schleswig-Holstein. Sein Vorkriegsvermögen erhielt er nicht zurück.
1972 schloss sich der AKVK mit den anderen Konsumgenossenschaften des Landes zur coop Schleswig-Holstein eG zusammen.[6] In den 1980er Jahren gehörten die Schleswig-Holsteiner zu den wenigen Genossenschaften, die sich gegen einen Zusammenschluss mit der deutschlandweiten co op AG in Frankfurt wehrten und an ihrer Rechtsform festhielten. Diese Eigenständigkeit machte sich bezahlt, als Ende der 80er Jahre die aufgeblähte co op AG in einem riesigen Finanzskandal unterging.[7] Die coop-Märkte wurden wegen der Verwechslungsgefahr umbenannt, die Genossenschaft entwickelte sich erfolgreich weiter und expandierte im ganzen norddeutschen Raum, nach der Wende etwa nach Mecklenburg-Vorpommern.
Quellen
- ↑ *Kieler Nachrichten, Vom Konsumverein zur coop, 23.02.2009
- ↑ coop eG, Gründungsjahre
- ↑ Rolf Fischer: "Der Bahn, der kühnen, folgen wir …" Stephan Heinzel und der Aufstieg der Kieler SPD (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie, Band I: 1863 – 1900) (Malente 2010), S. 11
- ↑ *Kieler Nachrichten, Vom Konsumverein zur coop, 23.02.2009
- ↑ Wallbaum, Rosa: "Ich hab mich niemals arm gefühlt! (Hamburg/Berlin 2010), S. 56 ff. ISBN 978-3-86850-644-0
- ↑ coop.de, Geschichte der coop eG
- ↑ *Kieler Nachrichten, Vom Konsumverein zur coop, 23.02.2009
