Rosa Wallbaum
Rosa Wallbaum |
Rosa Wallbaum (geb. Obloch), * 13. Mai 1915 in Kiel, † 20. Oktober 2011 in Kiel[1]; Verkäuferin, Bildungsreferentin. Eintritt in die SPD 1932.
Werdegang
Rosa Wallbaum stammte aus einem sozialdemokratischen Elternhaus; ihren Vornamen erhielt sie, weil ihren Vater 1907 eine Kundgebung mit Rosa Luxemburg in Kiel tief beeindruckt hatte. Der Vater verdiente als Maurerpolier etwas besser als die meisten Handwerksgesellen, auch war die Kinderschar mit Rosa und zwei Brüdern kleiner als in vielen Familien; trotzdem musste die Mutter sehr genau wirtschaften. Aus Geldmangel blieb der Tochter, anders als den Brüdern, z.B. der Besuch einer weiterführenden Schule versagt.
Sie verbrachte ihr gesamtes Leben in Kiel. Als Kind war sie ab 1924 Mitglied der Kinderfreunde, ab 1927 der Roten Falken und nahm mit 12 Jahren an der Kinderrepublik Seekamp[2] teil, ganz offenbar eins der prägenden Erlebnisse ihres Lebens. 1928 beeindruckte sie bei der Kinderrepublik Estetal der fünfzehnjährige Lübecker Herbert Frahm, später als Willy Brandt Bundeskanzler.
In die SPD trat Rosa Wallbaum mit 17 Jahren ein. Sie war stolz darauf, beim Kieler "Konsum" für eine Ausbildung zur Einzelhandelsverkäuferin angenommen zu werden. Nach der Zerschlagung des Konsum und der Organisationen der Arbeiterbewegung durch die Nationalsozialisten 1933 war sie zunächst arbeitslos und auch politisch heimatlos. 1938 heiratete sie den Marinesoldaten Otto Wallbaum (* 17. März 1915, † verm. 9. Januar 1945 in der Nordsee), mit dem sie zwei Kinder hatte, Jürgen Wallbaum und seinen Bruder Volker. Ihr Mann fuhr als Unteroffizier, Rang Stabsobermaschinist, auf dem U-Boot U-1020. Das Boot galt seit seinem Auslaufen von Horten am 22. November 1944 als verschollen.[3] Dass das Wrack im September 2007 vor der schottischen Ostküste lokalisiert wurde, hat Rosa Wallbaum nicht mehr erfahren.[4]
Nach dem Ende der Nazizeit engagierte sie sich zunächst ehrenamtlich für Wiederaufbau und soziale Fürsorge, dann kommunalpolitisch und schließlich hauptamtlich in der Frauen- und Bildungsarbeit der SPD auf Landesebene. Auch nach dem Ende ihres Berufslebens engagierte sie sich weiterhin in der politischen Bildung.
Mehr als 40 Jahre lang, bis zu ihrem Tod, lebte sie in einer Wohnung im Zentrum von Kiel, im Stockwerk über ihrer Freundin Dolly Franke, etwa 30 Jahre lang auch mit einem neuen Lebensgefährten. Nach ihrem Tod erhielt sie, wie sie es - vermutlich im Gedanken an das Schicksal ihres Mannes - verfügt hatte, eine Seebestattung.
Rosa Wallbaums fast 100 Jahre währendes Leben umspannte fünf Phasen der deutschen Geschichte: das Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, das geteilte Nachkriegsdeutschland und das wiedervereinigte Deutschland ab 1989. Deswegen und wegen ihres klaren politischen Denkens war sie als Zeitzeugin gefragt, vor allem für die Kinderrepublik Seekamp, für die Nazizeit und den 2. Weltkrieg, etwa in zwei Filmen von Kay Gerdes, die teilweise auf YouTube zu sehen sind:
Partei & Politik
Rosa Wallbaums Eintritt in die SPD - nach eigener Erinnerung 1932, die 2. Ausfertigung ihres Mitgliedsbuches gibt 1931 an, d.h. schon mit 16 Jahren - wurde sehr bald von der Machtübergabe an die Nazis überholt, so dass sie zu aktiver Mitarbeit in Parteigliederungen keine Gelegenheit mehr hatte.
Nach dem Ende der NS-Herrschaft beteiligte sie sich zunächst durch zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten, z. B. Mitarbeit an Schulspeisungen, Betreuung von Flüchtlingen in Kieler Lagern, Beratungsarbeit für den Reichsbund für Kriegs- und Zivilgeschädigte (heute SoVD), Kinderstrandfahrten für die AWO, am Wiederaufbau und der unmittelbar notwendigen sozialen Fürsorge für ihre Mitmenschen.
Mit dem Wiedereintritt in die SPD am 5. Juni 1946 wurde sie auch kommunalpolitisch aktiv. Die Partei und die Unterstützung ihrer Eltern ermöglichten ihr mehrere Weiterbildungsmaßnahmen, etwa in der Bildungseinrichtung Göhrde in Niedersachsen und - für sie besonders beeindruckend - 1951 einen fünfwöchigen Aufenthalt in Großbritannien in der Bildungsstätte Wilton Park und in Coventry.
1953 übernahm sie von Dora Damm die Leitung der Frauengruppe Kiel-Hassee und gehörte von 1955 bis mindestens 1960 dem Kreisvorstand der SPD an. 1955 wurde sie Ratsherrin für den Wahlkreis Hassee-Vieburg (über die Liste) und trat erst 1974 nicht wieder an. 1958 und 1962 bewarb sie sich auf einem der hinteren Plätze der Landesliste um ein Landtagsmandat.
1963 übernahm sie von Franz Osterroth als hauptamtliche Parteisekretärin die Frauenarbeit des Landesverbandes. 1968 wurde sie als Bildungsreferentin zur neu gegründeten Gustav-Heinemann-Bildungsstätte in Malente abgeordnet, wo sie bis zum Ende ihres Berufslebens 1974 tätig war - wie sie sagte, war ihr dies "die liebste Arbeit, die ich während meines ganzen Arbeitslebens gemacht habe"[5]. Die Leitung von Seminaren in der Bildungsstätte, insbesondere für die Gruppe Juso 22, setzte sie noch bis 1995 fort.
Die Juso 22 leitete Rosa Wallbaum als Nachfolgerin von Albert Witte bis zur Auflösung ca. 2003. Vorsitzende des "Allgemeinen Bestattungsvereins", einer aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Sterbeversicherung, war sie von 2000 bis 2010.
In den letzten 20 Jahren ihres Lebens verfolgte sie die Politik und das Verhalten ihrer Partei häufig mit Unverständnis. Dem SPIEGEL musste sie einmal für den "Zerfall" der Partei als Kronzeugin dienen.[6] Sie lehnte es jedoch immer ab, die SPD zu verlassen; dazu sei sie in ihr zu stark verwurzelt.[7]
Ehrungen
Rosa Wallbaum wurde 1997 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.
Im September 2000 erhielt sie den Karl-Rickers-Preis, den der Kreisverband Kiel zum ersten Mal verlieh.
In der Gustav-Heinemann-Bildungsstätte wurde am 14. September 2009 die Bibliothek nach ihr benannt.
Literatur
- Jebens-Ibs, Sabine / Zachow-Ortmann, Maria: Schleswig-Holsteinische Politikerinnen der Nachkriegszeit. Lebensläufe (Kiel 1994)
- Kalweit, Susanne (Hrsg.): "Ich hab' mich niemals arm gefühlt!" Die Kielerin Rosa Wallbaum berichtet aus ihrem Leben (Berlin/Hamburg 2010) ISBN 978-3-86850-644-0
- Wallbaum, Rosa: Die Gemeinschaft war wichtig. In: Fischer, Rolf / Hansen, Doris: EinBlick. Die Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Kiel 1945 bis 2005 (Kiel 2005), S. 37-42
Einzelnachweise
- ↑ Laut Totenschein starb sie in Eutin, da sie zwei Tage vor ihrem Tod ins dortige Krankenhaus verlegt worden war.
- ↑ Vgl. das Kapitel dazu in ihren Lebenserinnerungen, "Ich hab' mich niemals arm gefühlt!", S. 43-54.
- ↑ Onlineprojekt Gefallenendenkmäler, abgerufen 22.11.2016
- ↑ "Sunk on or after 9 January 1945 in the North Sea east of Dundee, in position 56.32,7N, 01.18,9W, by a mine in the British minefield SN 17. 52 dead (all hands lost). (Axel Niestlé, May 2009). U-boat net, abgerufen 22.11.2016]
- ↑ "Ich hab' mich niemals arm gefühlt!", S. 156
- ↑ Jürgen Leinemann: Die ewigen Rebellen, DER SPIEGEL, 13.11.1995, wo sie als "Rosa Wallbauer" zitiert wird.
- ↑ Rosa Wallbaum in vielen Gesprächen mit der Herausgeberin ihrer Lebenserinnerungen, Susanne Kalweit.