Einheitsschule
Die deutsche Einheitsschule geht historisch unter anderem auf Bestrebungen des Allgemeinen Deutschen Lehrervereins zurück, der schon in der Revolution von 1848/49 wichtige Grundzüge eines künftigen Schulwesens entwickelte. In diesem Sinne versteht man unter der Einheitsschule den Schulaufbau von Kindergarten bis zur Universität für alle Kinder.
Damit steht die Einheitsschule dem dreigliedrigen bzw. gegliederten Schulsystem in Deutschland gegenüber.
Anfänge und Reformpädagogik
Mit der Odenwaldschule in Heppenheim ist in Deutschland 1910 die erste Gesamtschule durch die Reformpädagogik gegründet worden. Durch die Novemberrevolution 1918 war die Möglichkeit einer Umgestaltung des Schulsystems gegeben. 1919 wurde der Bund Entschiedener Schulreformer gegründet, der u. a. die Ideen und Modelle einer "elastischen" und "differenzierten" Einheitsschule propagierte und in dem die Einheitsschule als beste Voraussetzung für die Erneuerung des Erziehungs- und Bildungswesens anerkannt wurde.
Zwar traten die MSPD und die USPD noch für die Einheitsschule ein, doch der Weimarer Schulkompromiss ließ in der Weimarer Verfassung davon nur noch wenig übrig: "Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten." (Art. 145). Zum Wortführer der Einheitsschule wurde neben den Vertretern des Bundes Entschiedener Schulreformer auch Johannes Tews, der für den Deutschen Lehrerverein (DLV) arbeitete, der große Teile der Volksschullehrer vereinigte. Auch der SPD-Bildungspolitiker Heinrich Schulz setzte sich für eine öffentliche, kostenfreie, weltliche, koedukative Schule mit einheitlichen Lehrplänen ein - und blieb damit angesichts der Koalitionszwänge erfolglos.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Die achtjährige Einheitsschule sollte auf Anordnung der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland eingeführt werden (Kontrollratsdirektive Nr. 53 von 1947). Dennoch wurde mit dem Verweis auf die strittige Diskussion über Begabung das mehrgliedrige Schulsystem beibehalten. Die erste SPD-Landesregierung in Schleswig-Holstein hat in einem ersten Schritt die Grundschule auf 6 Jahre verlängert und wollte das sogar in der Landessatzung verankern. Die SPD Schleswig-Holstein berichtet im SPD Jahrbuch 1947:
- "Seit Beginn des laufenden Schuljahres wurd die Schulgeldfreiheit für die beiden unteren Klassen der höheren Schulen eingeführt. In einer Sitzung vom 2. Feburar 1948 wurden dem Landtag das Gesetz über die Änderung der Grundschulpflicht und das Lehrerausbildungsgesetz vorgelegt. Beide Gesetze leiten die notwendige Schulreform ein.
- Durch das erste Gesetz wird die Grundschulpflicht auf 6 Jahre erhöht. Die Schulreform beseitigt damit eine frühzeitige Trennung der Jugend, die psychologisch und pädagogisch nicht gerechtfertigt ist und gesellschaftlich und nationalpolitisch gefährlich ist. Sie verbessert die sichere Auslese aller Begabungen. Durch diese Maßnahme werden die letzten Reste einer Standesschule beseitigt. Zugleich hebt die Schulreform mit der Einführung einer Fremdsprache vom 5. Schuljahr an das Niveau der Grundschule.
- Die Ausbildungszeit der höheren Schule wird zwar um 2 Jahre verkürzt, Das(sic!) wird jedoch dadurch ausgeglichen, daß das 5. und 6. Grundschuljahr durch fremdsprachlichen Unterricht, Verringerungen der Klassenfrequenz und strenge Auswahl der Lehrer besonders gefördert wird.
- Die Hebung unseres gesamten Schulwesens erfordert zugleich die Reform der Lehrerausbildung. Das dem Landtag vorliegende Gesetz sieht eine zeitlich beschränkte gemeinsame praktische und pädagogische Ausbildung aller Lehrer der allgemeinbildenden Schulen vor.
- Mit diesen Schulgesetz-Entwürfen vollstrecken wir die Ziele aller modernen Pädagogen, die in Deutschland seit langem für die Einheitsschule, die Schulgeldbefreiung und den einheitlichen Lehrerstand kämpften."[1]
Nach der Landtagswahl 1950 hat die CDU-geführte Regierung diese Modernisierung des Schulwesens wieder rückgängig gemacht.
In den 1970er Jahren gab es in einigen sozialdemokratisch regierten Bundesländern Bestrebungen, das mehrgliedrige Schulsystem durch Gesamtschulen zu ersetzen, die dem Konzept einer Einheitsschule nahekamen. Allerdings mussten diese Gesamtschulen mit den anderen Schulen konkurrieren. Außerdem waren sie insofern keine Einheitsschulen, als sie intern eingeteilt waren in Kurssysteme, die das mehrgliedrige Schulsystem intern abbildeten. Es kam nur vereinzelt zur Etablierung von wirklichen Einheitsschulen, wie beispielsweise der Laborschule Bielefeld.
Schulreformen seit 1988
Bis 1988 hatte die CDU-Regierung in Schleswig-Holstein nur zwei Gesamtschulen (in Kiel und Neumünster) versuchsweise zugelassen. Die Regierung von Björn Engholm ging vorsichtig vor. Nur dort, wo es die Eltern forderten sollten Gesamtschulen als zusätzlichen Angebot neben dem dreigliedrigen Schulsystem angeboten werden.
Erst mit den international vergleichenden Bildungsstudien (TIMSS, PISA, IGLU), in denen deutsche Schüler sehr schlecht abschnitten, gleichzeitig aber einer extrem hohen sozialen Selektion ausgesetzt waren, wird auch bundesweit wieder ernsthaft über die Etablierung von Einheitsschulen („Schulen für alle“) nachgedacht.
Um vom mehrgliedrigen in ein eingliedriges Schulsystem überzugehen, wird von Bildungsforschern um Klaus Hurrelmann auch das zweigliedrige Modell propagiert: Hauptschulen, Realschulen und - falls vorhanden - Gesamtschulen werden fusioniert, erhalten eine eigene Oberstufe und bieten wie das Gymnasium, das zunächst bestehen bleibt, alle Schulabschlüsse an.
In der Großen Koalition gelang es der SPD mit ihrer Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave Haupt- und Realschulen generell zu Regionalschulen zusammenzulegen und sie teilweise mit einer gymnasialen Oberstufe zur Gemeinschaftsschule zu erweitern.
Die Küstenkoalition vereinheitlichte das System noch einmal und führte ein zweigliedriges System ein: Neben der Gesamtschule gibt es nur noch das Gymnasium. Auf beiden Schultypen können Schülerinnen und Schüler das Abitur erreichen - Auf Gesamtschulen nach 9 Jahren, auf Gymnasien nach 8 Jahren ("Turbo-Abi"). Alle Regionalschulen wurden dadurch zu Gesamtschulen.
Das Problem dabei ist, die beiden Schultypen im sogenannten "Zwei-Wege-Model" (Hurrelmann) wirklich gleichwertig zu gestalten. So sind sich die existierenden Gesamtschulen häufig dem Vorwurf des leistungsmäßig schlechten Abschneidens ausgesetzt, dabei wird allerdings der sog. „Creaming-Effekt“ übersehen. Dieser besagt, dass die Schülerschaft einer Gesamtschule nicht - wie vorgesehen - aus gleichmäßigen Anteilen von starken und schwachen Schülern besteht, sondern zum großen Teil aus den schwächeren, da die Eltern der stärkeren Schüler ihre Kinder bevorzugt aufs Gymnasium schicken. Somit ist die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Schulformen sehr schwierig.
In einigen Bundesländern gibt es im bildungspolitischen Spektrum nun Konzepte, das mehrgliedrige Schulsystem langfristig abzuschaffen. Als Gründe für diese neue Politik werden angeführt
- die demografische Veränderung: Viele kleine Gemeinden können sich aufgrund des Bevölkerungsrückgangs verschiedene Schultypen nicht mehr leisten, und es wird für die Zeit ab 2010 ein dramatischer Rückgang der Studierendenzahlen prognostiziert, wenn die Bildungspolitik so fortgesetzt wird wie bisher.
- die Kritik der frühen Selektion im mehrgliedrigen System durch internationale Organisationen wie die OECD, die UNICEF, die UNESCO, die Europäische Kommission und zuletzt der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen mit seiner Bildungsstudie über Deutschland
- die Kritik durch einige Wirtschaftsverbände und Denkfabriken an der frühen Selektion
- die "Abstimmung mit den Füßen": in NRW fanden 2006 14.000 Eltern keinen Platz für ihre Kinder in Gesamtschulen und 2007 waren es 16.000 Eltern, die ihre Kinder in Gesamtschulen einschulen wollten und keinen Platz bekamen; in Schleswig-Holstein schicken immer mehr Eltern ihre Kinder auf die privaten Einheitsschulen der dänischen Minderheit.[2]
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ SPD Parteivorstand (Hrsg.) "SPD Jahrbuch 1947", Hannover 1948
- ↑ WDR-Beitrag 17. Februar 2007
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