Landessatzung
Die Landessatzung war die erste provisorische Verfassung des Landes Schleswig-Holstein. Sie wurde am 13. Dezember 1949 im Landtag beschlossen und galt im wesentlichen bis zur Verfassungs- und Parlamentsreform 1990 als sie von der heutigen Landesverfassung abgelöst wurde.
Entstehung
Nach dem Ende der Nazi-Diktatur 1945 teilten die Alliierten Deutschland neu auf. Die kleine, ländliche preußische Provinz Schleswig-Holstein wurde zum Bundesland. Die gesamte Konstruktion aber erschien den Menschen provisorisch. So gab sich die Bundesrepublik am 23. Mai 1949 keine Verfassung, sondern ein Grundgesetz, das nur so lange gelten sollte, bis das Land wieder mit dem Teil, der die DDR bildete, vereint wäre. Die Aufteilung der Bundesländer in den Westzonen war so unausgewogen, dass man auch hier von einer späteren Neuordnung ausging. So eine Neuordnung war sogar im Artikel 29 des Grundgesetzes[1] vorgesehen. Entsprechend gab man sich auch in Schleswig-Holstein keine Landesverfassung, sondern nur eine Landessatzung.
Das Wahlrecht hatte bei der Landtagswahl 1947 dafür gesorgt, dass die SPD mit 43,8 % der Stimmen eine absolute Mehrheit der Sitze im Landtag erhielt. Die SPD stellte allein die Regierung unter Ministerpräsident Hermann Lüdemann. Allerdings hatte die SPD vor allem bei der Bundestagswahl 1949 gegenüber der CDU verloren. Sie lehnte es ab, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, denn sie bestand auf einige Punkten, die die CDU ablehnte: Vor allem waren das die sechsjährige Grundschule, die Bodenreform und der Modus von Misstrauenvoten. Außerdem kritisierte sie, dass die Verfassung mit einfacher Mehrheit im Landtag beschlossen, dann aber nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden könne.
Im September 1949 machte sich die Landesregierung als eine der ersten in Deutschland daran, eine Landesverfassung auszuarbeiten. Nachdem Innenminister Wilhelm Käber am 24. Oktober 1949[2] den Entwurf der Landessatzung[3] vorlegte, in dem diese Regelungen enthalten waren, verweigerte die CDU Schleswig-Holstein, auf dieser Basis an den Verfassungsberatungen teilzunehmen, und kündigte an, das Ergebnis vor dem Bundesverfassungsgericht anzufechten.[4] Auch der SSW äußerte scharfe Kritik an der Vorgehensweise und dem Entwurf.
Zur namentlichen Abstimmung am 13. Dezember 1949 verließen alle bis auf zwei Abgeordnete der CDU den Plenarsaal. Die Landessatzung wurde mit 41 Stimmen der SPD und vier des SSW beschlossen, zwei SSW-Abgeordnete enthielten sich und die zwei CDU-Berichterstatter stimmten dagegen.
Ausgewählte Inhalte
Neben den umstrittenen Punkten enthielt die Landessatzung auch mindestens einen interessanten weiteren Punkt.
Artikel 6: Gemeinschaftsschulen, Lehrmittelfreiheit, Wahlfreiheit
→ Hauptartikel: Bildungspolitik
Parlamentspräsident Hermann Lüdemann versuchte im Streit mit der Opposition einen Kompromiss zu finden, indem er vorschlug, den Absatz über die sechsjährige Grundschule zu streichen. Die SPD-Fraktion lehnte diesen Vorschlag mit dem Argument ab, dass künftige andere Mehrheiten diese Regelung wieder abschaffen könnten.
In den ersten 4 Sätzen des Artikel 6 hieß es:
(1) Die Schulpflicht ist allgemein. Die öffentlichen Schulen sind Gemeinschaftsschulen.
(2) Auf eine für alle gemeinsame Grundstufe von sechs Schuljahren bauen sich die weiterführenden Schulen auf. Für die Aufnahme in eine bestimmte Schulart dürfen im Rahmen der Aufnahmefähigkeit der Schule außer dem Wunsche der Erziehungsberechtigten nur Begabung und Leistung maßgebend sein.
(3) Die Erziehungsberechtigten entscheiden, ob ihre Kinder die Schule einer nationalen Minderheit besuchen sollen.
(4) Der Unterricht an allen öffentlichen Schulen soll grundsätzlich unentgeltlich sein. Das Land stellt Lehr- und Lernmittel sowie Erziehungsbeihilfen im Rahmen der Gesetze zur Verfügung.
[…]
Dieses moderne Schulsystem sollte das dreigliedrige Schulsystem aus der Weimarer Republik ablösen. Jedoch strich eine veränderte Landtagsmehrheit nach der Landtagswahl 1950 diesen Passus.
Artikel 8: Bodenreform
In Schleswig-Holstein waren nach dem Zweiten Weltkrieg hunderttausende Flüchtlinge aus dem gesamten ehemaligen Deutschen Reich angekommen. Der Artikel 8 sollte ihnen eine Chance zur Eingliederung geben:
(1) Um den berechtigten sozialen Notwendigkeiten der Heimatvertriebenen, der landlosen und landarmen Bauern, der Siedler und Kleinsiedler zu genügen, ist das in privater Hand befindliche über eine Landfläche von 100 ha oder einen Bodenwert von 50 000 DM hinausgehende Grundeigentum gegen Entschädigung in Höhe des Einheitswerts zur Siedlung heranzuziehen. In diesem Rahmen wird das bäuerliche Eigentum gewährleistet. […]
"Für die SPD war das die Einlösung eines Wahlversprechens. Zur Landtagswahl 1947 hatte die SPD darüber hinaus versprochen, Großbanken und Großindustrie zu verstaatlichen. Diese Idee scheiterte aber bereits am britischen Gouverneur."[5]
Die CDU-geführte Landesregierung nach der Landtagswahl 1950 strich diesen Artikel.
Artikel 10: Dauer der Wahlperiode
Die Dauer der Legislaturperiode wurde gegenüber dem Entwurf von drei auf vier Jahre verlängert, wobei diese Regelung erst ab der nächsten Wahl gelten sollte (Artikel 51).
Artikel 53: Neugliederung des Bundesgebiets
→ Hauptartikel: Nordstaat
Das gerade erst gegründete Land Schleswig-Holstein betrachtete sich nicht nur als Provisorium. Innenminister Wilhelm Käber erinnerte sich:
"Wir gingen davon aus, dass Schleswig-Holstein als Land auf Dauer kaum lebensfähig sein werde. Mit der Schaffung eines Landes Nordrhein-Westfalen durch die Briten schien uns das Gleichgewicht unter den Ländern der westlichen Zonen aus der Balance gebracht zu sein. [...] Uns war bewusst, dass Schleswig-Holstein in seinen engen Grenzen und aufgrund seiner spezifischen Wirtschaftsstruktur auf Dauer dazu verurteilt sein würde, Kostgänger des Bundes und der anderen Bundesländer zu sein. Warum, so fragten wir, sollte man sich mit den durch die Selbstständigkeit Schleswig-Holsteins als Bundesland hervorgerufenen Problemen lange herumquälen; es müsse in einem größeren Verband eingebracht werden, in dem es ein nützliches Glied sein könne. Hermann Lüdemann schwebte ein Land "Unterelbe" vor, das Hamburg und Teile Niedersachsens am linken Elbufer mit umfasste. Aber damit hat er tauben Ohren gepredigt."[6]
Im Artikel 53 (2) der Landessatzung hieß es: "Die Landessatzung verliert vorbehaltlich anderweitiger bundesgesetzlicher Regelung ihre Gültigkeit an dem Tage, an dem die von Schleswig-Holstein erstrebte Neugliederung des Bundesgebiets in Kraft tritt."[7]
Änderungen 1950
Die Landtagswahl 1950 verlor die SPD. Es regierte eine Koalition aus CDU, Deutscher Partei (DP) und dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE). Ministerpräsident wurde nach einigem Hin und Her Walter Bartram (CDU). Der neue Landtag strich die sechsjährige Grundschule und die Bodenreform wieder aus der Landessatzung, obwohl 1946 ihr Ministerpräsident Theodor Steltzer beide Reformvorhaben noch in einer Regierungserklärung befürwortet hatte.[5] Sie ließ die Landessatzung ansonsten unangerührt.
Ablösung 1990
Die CDU verzichtete bis zum Schluss auf die angekündigte Verfassungsbeschwerde. Die von der ersten sozialdemokratischen Landesregierung erarbeitete Landessatzung bestand im Großen und Ganzen bis 1990 weiter. In den 1970ern führte die CDU mit der Orientierungsstufe sogar so etwas wie eine sechsjährige Grundschule ein.
Nach der Barschel-Affäre und dem Regierungswechsel von 1988 war eine Modernisierung der Landessatzung dringend nötig geworden. Darüber hinaus vereinigten sich die beiden deutschen Staaten 1990. Auch 1988 stellte die SPD alleine die Regierung, jedoch band sie diesmal die Opposition über die Enquete-Kommission für die Verfassungs- und Parlamentsreform in die Entwicklung der neuen Verfassung ein. Das Provisorium der Landessatzung wurde durch die Landesverfassung ersetzt, die bis heute gilt.
Links
- Wikipedia: Verfassung des Landes Schleswig-Holstein
Einzelnachweise
- ↑ Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
- ↑ 1. Lesung PlPr 1/26 24.10.1949, 25.10.1949 S 47
- ↑ Schleswig-Holsteinischer Landtag, 1. Wahlperiode: Drucksache 1/263
- ↑ 1. Lesung PlPr 1/26 24.10.1949, 25.10.1949 S 56
- ↑ 5,0 5,1 25 Jahre Landessatzung - Sozialdemokraten schufen die Verfassung des Landes, Wir - Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein, Heft 3/1974
- ↑ Lubowitz, Frank: Wilhelm Käber. Regierung und Opposition (Kiel 1986), S.
- ↑ Landessatzung für Schleswig-Holstein vom 13. Dezember 1949