Landesverband - Mitgliederentwicklung
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Die Mitgliederzahl der SPD Schleswig-Holstein hat über die Jahre stark geschwankt.
Waren es in der Anfangszeit nur ein paar hundert Menschen, die sich zum Sozialismus bekannten, so wuchs die SPD nach dem Ende des Sozialistengesetzes und vor allem ab 1908, als auch Frauen Mitglied werden durften, stetig an. Ein Höchststand von über 80.000 Mitgliedern war zu Beginn der 1920er Jahre, der Frühzeit der Weimarer Republik, zu verzeichnen.
Während der Nazi-Diktatur war die SPD vom 22. Juni 1933 an verboten. Sie wurde erst unter der britischen Militärregierung am 1. Mai 1946 wieder zugelassen.
Nach Nazizeit und 2. Weltkrieg erreichte Schleswig-Holstein eine Flüchtlingswelle aus den deutschen Ostgebieten; die Einwohnerzahl verdoppelte sich nahezu. Viele Flüchtlinge suchten eine neue politische Perspektive; die SPD wuchs innerhalb weniger Monate auf über 90.000 Mitglieder an. Dann zogen jedoch viele weg oder wurden auf andere Bundesländer verteilt, um Schleswig-Holstein zu entlasten. Binnen weniger Jahre schrumpfte die SPD wieder auf 38.000 Mitglieder. Bereits gegen Ende der 1950er Jahre wurde der Mitgliederschwund zum Problem. Der spätere Landesvorsitzende Jochen Steffen analysierte 1956 für den Kreisverband Kiel:
"Die Problematik offenbart sich, wenn man die Zahlen der über 70-jährigen Mitglieder mit denen zwischen 31 und 40 vergleicht (1235:1111). Der geringe Anteil der unter 30-jährigen will nicht allzu viel besagen, da dem heutigen Lebensstil entsprechend man generell nicht vor der Verheiratung mit ernsthafter gewerkschaftlicher oder politischer Arbeit rechnen kann. Einen Schluß lassen die Zahlen jedoch zu, daß nämlich unsere Partei in absehbarer Zeit (selbst wenn man mit einer nochmaligen Verstärkung zwischen 41 und 50 rechnet), mindestens 1/3 des jetzigen numerischen Mitgliederbestandes verlieren wird. Das vorliegende Material läßt in seiner Eindeutigkeit diesen Schluß nicht nur zu, sondern drängt ihn auf."[1]
Im Rechenschaftsbericht 1955-1957 heißt es:
"Während fast alle Parteibezirke im letzten Jahr über Mitgliedergewinne berichten können, muß Schleswig-Holstein einen Verlust melden. Das hängt im wesentlichen damit zusammen, daß aus Schleswig-Holstein, dem industriearmen Land, immer noch Parteimitglieder nach Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern mit Vollbeschäftigung und höheren Löhnen abgesaugt werden. Schleswig-Holstein wirkt dadurch für die Aufnahmebezirke praktisch wie eine Art sozialdemokratischer Rekrutenschule. Ein Vergleich der Zugänge und Abgänge läßt das deutlich erkennen. Während der Verlust der Ortsvereine durch Abwanderung in den beiden Jahren 3350 Mitglieder betrug, wurden nur 1794 Parteimitglieder als zugezogen gemeldet. Die Verlustdifferenz zwischen Fortzug und Zuzug beträgt 1556. Sie entspricht fast genau dem Gesamtverlust von 1553 Mitgliedern im Bezirk. Auch die Zahl der Todesfälle ist im Bezirk Schleswig-Holstein wesentlich höher als im Durchschnitt der anderen Parteibezirke. Zweifellos ist in unserem Bezirk eine gewisse Überalterung in der Mitgliedschaft festzustellen, die nur durch Werbung unter der jungen Generation ausgeglichen werden kann."[2]
Der Leitende Bezirkssekretär Albert Schulz hielt das Problem für "unlösbar". 1972 erläuterte er rückblickend:
"Schleswig-Holstein war das letzte Land in Deutschland gewesen, das frei war von fremden Truppen. Die Zahl der Flüchtlinge, die in das Land einströmten, war deshalb besonders groß, darunter auch viele Genossen aus den Städten Ostdeutschlands. Sie gründeten in ihren neuen Aufenthaltsorten Ortsgruppen der Partei. Niemals zuvor hatte Schleswig-Holstein so viele Ortsvereine der Partei wie in diesen ersten Jahren nach dem Krieg. Dann kam die Umsiedlung. Aber nicht nur die gelenkte Umsiedlung brachte Vertriebene und geflüchtete Industriearbeiter, die jetzt in den Dörfern in Schleswig-Holstein untergebracht waren, in andere Länder. Mancher Arbeiter konnte es einfach nicht mehr aushalten, in einem Dorf zu sitzen und durch Arbeit bei den Bauern kärglich sein Brot zu verdienen. Sie fuhren per Anhalter ins Ruhrgebiet, fanden Arbeit und holten ihre Familien nach. Diese Industriearbeiter waren auf dem Lande meistens die Vorstände der neugegründeten Ortsvereine. Wenn sie fort waren, fingen die Ortsvereine in vielen Fällen an zu kränkeln, und nach einer gewissen Zeit war der Ortsverein still und friedlich entschlafen."[3]
Doch es gab Hoffnung: Von der jungen Generation wählten unerwartet viele SPD:
"Die häufig anzutreffende Auffassung, als ob jüngere Menschen nur in geringem Umfange zur SPD tendieren, ist übrigens falsch. Das ist leicht zu beweisen. Bei der letzten Landtagswahl im Jahre 1954 wurde in Schleswig-Holstein in einer repräsentativ ausgesuchten Reihe von Wahllokalen nach Altersgruppen gewählt. Das Statistische Landesamt in Kiel hat das Ergebnis dieser Altersgruppen-Wahl [...] veröffentlicht."[4]
Die beigefügte Statistik zeigte, dass Menschen unter 30 stärker SPD gewählt hatten als ältere. Punkten konnte die SPD aber vor allem bei den jungen Männern.
"Daraus ergibt sich, daß sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen die jüngeren Jahresklassen in stärkerem Maße sozialdemokratisch wählen als die Männer und Frauen im höheren Lebensalter. Dieselbe Beobachtung wurde übrigens bei den letzten Kommunalwahlen in verschiedenen Bundesländern im Herbst 1956 gemacht. Es ist jedoch nicht zu verkennen, daß die jüngere Generation, auch wenn sie stark zur Sozialdemokratie tendiert, unter der Nachwirkung des Organisationszwanges im Dritten Reich organisationsscheu geworden ist. Trotzdem kann erfreulicherweise festgestellt werden, daß die in den Jahren 1955 und 1956 neu gewonnenen 4180 Mitglieder in großem Umfange zur jüngeren Generation gehören."[5]
Man sah es als eine Hauptaufgabe an, neue Mitglieder zu werben:
"Im Jahre 1955 wurde eine besondere Werbeaktion durchgeführt. Obgleich sich leider nicht alle Ortsvereine daran beteiligten, war ein erfreulicher Erfolg festzustellen. Die Aktion wurde vom Bezirkssekretariat dadurch unterstützt, daß an ca. 6000 vorher beschaffte Adressen vor der eigentlichen Werbeaktion viermal Material mit der Post versandt wurde. So konnten im Jahre 1955 über 1100 mehr neue Mitglieder gewonnen werden als im Jahre 1956. Neben der besonderen Werbeaktion wirkte sich im Jahre 1955 die Kommunalwahl in erfreulicher Weise auch in Neuaufnahmen aus. Die Bundestagswahl 1957 und besonders ihre Vorbereitung sollte von allen Mitgliedern, besonders aber von allen Funktionären, intensiv auch zur Werbung neuer Parteimitglieder benutzt werden. Werbung als Daueraufgabe sollte die Parole der nächsten Jahre für alle Organisationsgliederungen sein."[6]
1959 kam das Godesberger Programm, danach Willy Brandt, und die SPD wurde wieder attraktiv auch für junge Menschen. Rund 40.000 Mitglieder hatte sie 1979. Doch für die Jusos gab es bereits Grund zur Klage:
"Angesichts dieser Situation Jugendliche für ein Engagement innerhalb der Jungsozialisten zu gewinnen, ist häufig nicht einfach. Viele Jugendliche gehen den Weg des "Tu nix", das heißt den Rückzug ins Private, da man ja 'doch nichts machen kann'. Andere suchen eine widerspruchsfreie Art des Arbeitens in Bürgerinitiativen, Alternativen, Grünen etc."[7]
Seither sinkt die Zahl der Mitglieder, zunächst langsam und von einer Eintrittswelle 1990 unterbrochen, nach 2000 mit höherer Geschwindigkeit und zuletzt wieder langsamer. Das Problem ist das schon von Jochen Steffen Ende der 1950er Jahre festgestellte: Überalterung. Viele der Austritte sind Todesfälle. Eintritte sind in dieser Zeit der "Politik-" oder "Parteienverdrossenheit" nicht zahlreich genug, um dies auszugleichen.
Zahlen
Jahr | Zahl | Bemerkungen |
---|---|---|
2024 | 14.482 | Quelle: Delegiertenschlüssel für die Landeswahlkonferenz 2024, Neumünster. Stichtag 5.9.2024 |
2022 | 15.167 | Quelle: Rechenschaftsbericht 2022-2023 |
2021 | 16.039 | Quelle: Rechenschaftsbericht 2019-2021 |
2019 | 17.224 | Quelle: Rechenschaftsbericht 2017-2019 |
2017 (Okt.) | 17.387 | Quelle: Müller, Kay: Abwärtstrend gestoppt. Mitglieder-Boom bei den Parteien in SH, shz.de, 18.10.2017 |
2016 | 17.207 | Quelle: Rechenschaftsbericht 2015-2017 |
2015 | 17.733 | Quelle: Rechenschaftsbericht 2013-2015 |
2013 | 18.493 | Quelle: Rechenschaftsbericht 2011-2013 |
2011 | 19.171 | Quelle: Rechenschaftsbericht 2009-2011 |
2009 | 20.085 | Quelle: Rechenschaftsbericht 2007-2009 |
2007 | 21.437 | Quelle: Rechenschaftsbericht 2005-2007 |
2005 | 23.357 | Quelle: Rechenschaftsbericht 2003-2005 |
2003 | 26.833 | Quelle: Rechenschaftsbericht 2001-2003 |
2000 | 28.471 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1999-2001 |
1999 | 30.430 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1997-1999 |
1998 | 30.337 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1997-1999 |
1997 | 31.121 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1997-1999 |
1996 | 32.280 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1995-1997 |
1995 | 34.009 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1995-1997 |
1994 | 35.012 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1993-1995 |
1993 | 35.657 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1993-1995 |
1992 | 36.518 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1991-1993 |
1991 | 38.466 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1989-1991 |
1990 | 39.442 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1989-1991 |
1989 | 38.896 | Quelle: Rechenschaftsbericht 1987-1989 |
1987 | 37.325 | Quelle: Politik und Organisation 1985-1987 |
1985 | 37.940 | Quelle: Politik und Organisation 1983-1985 |
1983 | 38.507 | Quelle: Politik und Organisation 1981-1983 |
1979 | 40.008 | Quelle: Politik und Organisation 1977-1979 |
1978 | 39.738 | Quelle: Politik und Organisation 1977-1979 |
1977 | 39.663 | Quelle: Rechenschaftsbericht des Landesvorstandes 1975-1976 |
1976 | 39.682 | Quelle: Rechenschaftsbericht des Landesvorstandes 1975-1976 |
1975 | 39.258 | Quelle: Rechenschaftsbericht des Landesvorstandes 1975-1976 |
1974 | 39.511 | Quelle: Rechenschaftsbericht des Landesvorstandes 1975-1976 |
1973 | 39.265 | Quelle: Politik und Organisation 1977-1979 |
1960 | 36.955 | Quelle: Jahrbuch 1959-1960 |
1958 | 36.965 | Quelle: Jahrbuch 1957-1958 |
1957 | 38.579 | Quelle: Jahrbuch 1957-1958 |
1956 | 39.344 | Quelle: Jahrbuch 1955-1956 |
1955 | 40.250 | Quelle: Jahrbuch 1955-1956 |
1947 | 90.415 | Quelle: Jahrbuch der SPD 1947 |
1947 | 83.293 | 31.3.1947. Quelle: 83000 Mitglieder ..., VZ, 11.6.1947 |
1946 | 60.000 | August 1946. Quelle: Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 124 |
1946 | 39.700 | 31.3.1946. Quelle: 83000 Mitglieder ..., VZ, 11.6.1947 |
Anfang 1930er | 55.000 | |
1929 | 52714 | Quelle: Lübecker Volksbote[8] |
1927 | 47.000 | Quelle: Protokoll des SPD-Parteitags in Kiel 1927 |
1926 | 43.795 | |
1925 | 44622 | Quelle: Lübecker Volksbote[9] |
1920 | 86.287 | MSPD am 1.4.20. Quelle: Schulte/Weber, S. 307 |
1920 | ca. 20.000 | USPD. Quelle: Schulte/Weber, S. 307 |
(1919) | 82.064 | Quelle: Danker, S. 35[10] |
1917 | 30463 | Davon Frauen: 8752. Quelle: Lübecker Volksbote[11] |
1914 | 55.037 | Davon Frauen: 12711. Quelle: Lübecker Volksbote[12] |
1912 | 50.821 | Quelle: Lübecker Volksbote 26.9.1912, S. 3 |
1911 | 44.527 | Quelle: Danker, S. 35 |
1910 | 40.000 | "über 40.000" berichte der Lübecker Volksbote. Der Bezirk Schleswig-Holstein inkl. Fürstentum Lübeck stehe damit prozentual damit an zweiter Stelle.[13] |
1908 | 30.381 | Quelle: Danker, S. 35 |
1905 | 17.744 | Quelle: Danker, S. 35 |
1904 | 16.676 in Schleswig-Holstein und 563 im Fürstentum Lübeck | Quelle: Lübecker Volksbote, 3.9.1904 |
1903 | 16.328 in Schleswig-Holstein und 535 im Fürstentum Lübeck | Quelle: Lübecker Volksbote, 3.9.1904 |
1902 | 12.211 | Quelle: Danker, S. 35 |
1875 | 3.293 | |
1871 | 1000 | Quelle: Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), S. 13 |
1869 | In einer Auflistung der ADAV-Ortsvereine mit mehr als 100 Mitglieder finden sich Neumünster (280), Altona (164), Wandsbek (137) und Kiel (111)[14] |
Einzelnachweise
- ↑ Schilf, Ulrich / Schulte, Rolf / Weber, Jürgen / Wilke, Uta: Der Wiederaufbau der SPD nach dem Krieg, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 551
- ↑ Rechenschaftsbericht 1955-1957
- ↑ Schulz, Albert: Erinnerungen eines Sozialdemokraten (Oldenburg 2000), ISBN 3814207580, S. 146
- ↑ Rechenschaftsbericht 1955-1957
- ↑ Rechenschaftsbericht 1955-1957
- ↑ Rechenschaftsbericht 1955-1957
- ↑ Rechenschaftsbericht 1979-1981
- ↑ Lübecker Volksbote vom 7. Oktober 1929
- ↑ Lübecker Volksbote vom 7. Oktober 1929
- ↑ Danker, Uwe: Die Geburt der Doppelstrategie in der "Roten Hochburg". Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein 1863-1918. In: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 21-62
- ↑ Lübecker Volksbote, 6.11.1917
- ↑ Lübecker Volksbote, 6.11.1917
- ↑ Lübecker Volksbote, 3.10.1910]
- ↑ Social-Demokrat - Tagesausgabe, 6.10.1869