Nikolaus Ehlers
Nikolaus Ehlers |
Nikolaus Ehlers * 24. September 1907 Westerland/Sylt, † 27. Dezember 1958 Westerland/Sylt; Postler. Mitglied der SPD seit 1931.[1]
Leben & Beruf
Nikolaus Ehlers wurde als siebtes von 10 Kindern des Ehepaares Laura (geb. Brink) und Niels Peter Ehlers in Westerland geboren. Er arbeitete bis 1933 bei der Post.
Während der Nazi-Herrschaft
Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde er aus dem Postdienst entlassen und schlug sich mit anderen Tätigkeiten durch. Wegen seiner kritischen Äußerungen gegen den Nationalsozialismus wurde er denunziert, verhaftet und im April 1940 in Kiel in Untersuchungshaft genommen.[2] Laut Gefängnisakte wurde strengste Einzelhaft angeordnet. Im September 1941 wurde er der Gestapo übergeben, die ihn trotz gerichtlichen Freispruchs im KZ Sachsenhausen (Häftlingsnummer 41592[3]) festhielt.[4] In seinem Nachruf heißt es:
"Die Gestapo gab ihn aber nicht frei, sondern lieferte ihn in das Konzentrationslager Sachsenhausen ein, wo er drei Jahre als Häftling unter der Herrschaft des 'Eisernen Gustavs' und des 'Pistolenschuberts' zu leiden hatte. Überlebende Gefährten aus jener Zeit rühmten Ehlers als ihren 'besten Kameraden', der stets Tapferkeit und Gesinnungstreue bewies."[4]
Vom 28. März 1942 bis zu seiner Entlassung 1945 war er dort Häftling. Da Niko Ehlers Dänisch sprach, hatte er sich beim Internationalen Roten Kreuz ("Rettungsaktion der Weißen Busse") zunächst als Däne ausgegeben und sich in Dänemark niedergelassen. Er überlebte die KZ-Haft nur knapp, wie seine Tochter berichtet: Er habe bei seiner Befreiung nur noch 50 Kilogramm gewogen.
Neuanfang
Er heiratete eine Dänin und betreute deutsche Vertriebene im Flüchtlingslager Oxbüll. Seine Frau hatte bereits eine Tochter aus erster Ehe. Die gemeinsame Tochter Marianne wurde 1947 geboren.
Ende 1949 kehrte er mit seiner Familie nach Sylt zurück. Anlass war laut Auskunft seiner Tochter ein Aufruf von Willy Brandt an die deutschen Sozialdemokraten im Ausland, doch zurückzukehren, um dabei zu helfen, ein neues, demokratisches Deutschland aufzubauen.
Niko Ehlers arbeitete wieder bei der Post in Westerland und engagierte sich erneut in der SPD. Nach den Ereignissen von 1957/58 im Zusammenhang mit dem "Fall Reinefarth" sah er sich außerstande, weiter in Westerland zu bleiben. Die Post versetzte ihn auf seinen Wunsch aufs Festland. Am 24. Dezember 1958 verunglückte Niko Ehlers mit dem Auto auf der Rückfahrt von seinem neuen Arbeitsplatz in Eckernförde zu seiner Familie nach Sylt. Er starb an den Folgen des Autounfalls am 27. Dezember 1958. Er wurde 51 Jahre alt.
Partei & Politik
1931 trat Niko Ehlers in die SPD in Westerland ein.
Nach seiner Rückkehr nach Sylt wurde er 1949 stellvertretender Vorsitzender des Ortsvereins, Kreistagsabgeordneter und Fraktionsvorsitzender der SPD in der Stadtvertretung von Westerland, wo er sich im Wohnungs-, Gesundheits- und Fürsorgeausschuss um drängende kommunalpolitische Aufgaben seiner Zeit kümmerte. Außerdem übernahm er 1953 den Kreisvorsitz der SPD Südtondern[5].
Fall Reinefarth
1951 war der ehemalige SS-General Heinz Reinefarth auf Vorschlag von Bürgervorsteher Andreas Nielsen (SPD), aber gegen die Stimmen der SPD-Gemeindevertreter zum Bürgermeister von Westerland gewählt worden:
"Unter maßgeblicher Orchestrierung des sozialdemokratischen Urgesteins Andreas Nielsen rückte Reinefarth rasch als Hoffnungsträger [für das Bürgermeisteramt] in den Mittelpunkt. Ihm wurde weit herum zugetraut, über die notwendigen Eigenschaften und Fähigkeiten zu verfügen, die Stadtverwaltung im bestmöglichen Interesse der gesamten Einwohnerschaft Westerlands auszuüben und das Nordseebad in eine bessere Zukunft zu führen. Störfeuer waren lediglich von Seiten des SSW und der SPD zu verzeichnen, mit unterschiedlichen Konnotationen: Kam der Opposition der SPD eher der Charakter einer alltagspolitischen Routineaktion zu, hatte das Insistieren des SSW schon eher eine persönliche Note. Dabei wurde auch Reinefarths SS-Vergangenheit für viele Jahre zum ersten und zugleich letzten Mal öffentlich thematisiert. Dies verhinderte letztendlich nicht die Wahl, sorgte aber dafür, dass sich der Betroffene am Abend der Kür am 5. November 1951 im Westerländer Kursaal vor zahlreich aufmarschiertem Publikum zu einigen Klarstellungen veranlasst sah. Bezeichnenderweise war es mitnichten das geschichtsmächtige Wirken während des Warschauer Aufstandes, das einer Minderheit der Zuhörerschaft überhaupt erklärungsbedürftig schien, sondern der hohe SS-Rang und der 1942 im Vorfeld seiner Initiation in den Kreis von Himmlers Führungskorps erfolgte Kirchenaustritt. [...] Daraufhin wurde Reinefarth - gegen zwei auswärtige Mitbewerber, die sich der Form halber ebenfalls hatten präsentieren dürfen - von Andreas Nielsen zur Wahl vorgeschlagen. Die fünf SPD-Stadtvertreter sowie zwei der vier SSW-Abgeordneten stimmten gegen ihn. Dazu kamen zwei Enthaltungen der beiden anderen SSW-Vertreter sowie seine eigene als zur Wahl stehender Kandidat. Die anderen elf Stimmen hingegen entfielen auf Reinefarth.'"[6]
Ende 1957 griff der SPIEGEL den Vorwurf wieder auf[7], der Westerländer Bürgermeister sei maßgeblich an der blutigen Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 beteiligt gewesen. Reinefarth sollte als hoher SS-Offizier mitverantwortlich für die Ermordung tausender Zivilisten gewesen sein.
Niko Ehlers, für den seine Opposition gegen Reinefarth keineswegs eine "alltagspolitische[...] Routineaktion" war, versuchte daraufhin, in der Westerländer Stadtvertretung eine Beurlaubung des Bürgermeisters bis zur Klärung dieser Vorwürfe zu erreichen. In seiner Fraktion konnte er sich damit nicht durchsetzen; die Mehrheit unterstützte den Bürgermeister, denn man wollte "keine Unruhe".[8]
Rücktritt
Im Februar 1958 trat Niko Ehlers aus Protest von allen Ämtern in Stadt und Partei zurück. Als Opfer des Nationalsozialismus war es für ihn unmöglich, weiter mit diesem Bürgermeister zusammenzuarbeiten. Aus den Protokollen der SPD-Fraktions- und Vorstandssitzungen des Jahres 1958 läßt sich ablesen, wie stark betroffen Niko Ehlers vom in Westerland - auch in seiner Partei - vorherrschenden Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit war. Verharmlosung, Vertuschung und Ausgrenzung der Störenfriede statt Aufklärung war die Regel.
Ehrungen
Am 1. Juli 2020 wurde ein Stolperstein für Nikolaus Ehlers vor dem Haupteingang des Rathauses von Westerland verlegt.[9] Gerd Nielsen, Mitglied der Westerländer SPD-Fraktion, erinnerte noch einmal an die Ereignisse, die zu Niko Ehlers' Rücktritt geführt hatten. Er schloss mit den Worten:
"Niko Ehlers' Eintreten für Menschlichkeit und Gerechtigkeit hatte einen hohen Preis. Aber Menschen wie er können sich nicht anders entscheiden."[10]
Einzelnachweise
- ↑ Dieser Lebenslauf basiert maßgeblich auf den Recherchen von Anke Roßberg, Westerland, anlässlich der Verlegungs des Stolpersteins.
- ↑ Frost, Simon: Neuer Stolperstein ehrt Sylter Niko Ehlers, shz.de, 1.7.2020
- ↑ BLHA, Rep. 35H KZ Sachsenhausen Nr. 11/3, Bl. 1-101; Bl. 127-150, Potsdam, Brandenburgisches Landeshauptarchiv
- ↑ 4,0 4,1 Schleswig-Holstein-Post: Nikolaus Ehlers †. Nr. 2/59, Seite 4
- ↑ Martens, Holger: Die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Schleswig-Holstein 1945 - 1959 (Malente 1998), ISBN 3-933862-24-8Kurzbiografien
- ↑ Danker, Uwe / Lehmann-Himmel, Sebastian: Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive (Schleswig-Holsteinischer Landtag 2016) (Drucksache 18/4464)
- ↑ Urlaub auf Sylt, DER SPIEGEL, 11.12.1957
- ↑ Eine detaillierte Darstellung der Vorgänge gab Gerd Nielsen anlässlich der Verlegung des Stolpersteins: Stolpersteinniederlegung Niko Ehlers 01.07.20
- ↑ Frost, Simon: Neuer Stolperstein ehrt Sylter Niko Ehlers, shz.de, 1.7.2020
- ↑ Nielsen, Gerd: Stolpersteinniederlegung Niko Ehlers 01.07.20