Gewerkschaftshaus Kiel
Das Gewerkschaftshaus in Kiel dient seit mehr als einhundert Jahren den Kieler Gewerkschaften und der Kieler SPD als zentrale Anlaufstelle für ihre Aktivitäten.
Finanzierung und Bau
Das Gewerkschaftshaus wurde zwischen 1904 und 1907 an der Fährstraße errichtet und am 26. Juli 1907 vom Gewerkschaftsführer und langjährigen SPD-Reichstagsabgeordneten für den Wahlkreis Kiel, Carl Legien, seiner Bestimmung übergeben. Es war sowohl großzügig als auch zweckmäßig ausgestattet und "galt als eines der schönsten seiner Art in ganz Deutschland"[1]. Finanziert hatten den Bau zu einem beachtlichen Teil die Gewerkschafter selbst: "Ein Teil der Baukosten war durch den Ankauf von Anteilsscheinen zum Preis von 5,- Reichsmark das Stück bestritten worden - ein Werftarbeiter verdiente damals zwischen 28 und 40 Pfennige pro Stunde."[2] 120.000 Mark brachten die Arbeiter durch die Anteilsscheine selbst auf.[3]
Die VZ machte den Zweck des Hauses deutlich: „Das Kieler Gewerkschaftshaus soll für die Kieler Arbeiterschaft der Ort sein, an dem sie nach des Tages Arbeit Erholung und Unterhaltung, Aufklärung und Bildung finden. Aber es soll auch eine Waffenschmiede sein. Hier in diesen Räumen sollen die Waffen geschmiedet und geschärft werden, die das Kieler Proletariat für seine Kämpfe bedarf und die es nie, nie einrosten lassen wird." [4]
Bei mehreren historischen Ereignissen in Kiel stand das Gewerkschaftshaus im Mittelpunkt: So diente es während des Matrosenaufstandes 1918 dem Arbeiter- und Soldatenrat als Versammlungsort, während des Kapp-Putsches von 1920 als Hauptquartier der Verteidiger der Weimarer Demokratie, beim Metallarbeiterstreik von 1956 als Zentrum für die Streikenden. Seine Rolle beim Matrosenaufstand wurde zum 60. Jahrestag im November 1978 mit einer Gedenktafel gewürdigt: "In diesem Haus tagte Anfang November 1918 der Kieler Arbeiter- und Soldatenrat. Er gab den entscheidenden Anstoss zur Ausrufung der ersten deutschen Republik am 9. November 1918 in Berlin".
1923, drei Jahre nach Carl Legiens Tod, wurde die Fährstraße umbenannt in Legienstraße. 1926 erhielt das zu klein gewordene Jugendstilgebäude in Richtung Muhliusstraße einen Anbau im markanten Stil des Backsteinexpressionismus.
Nationalsozialismus
Das Gewerkschaftshaus war bis 1933 auch Sitz der Geschäftsstelle der Kieler SPD. [5] Als es am 13. März 1933 von Nationalsozialisten besetzt wurde, fielen ihnen daher die Mitgliederkarteien nicht nur der Gewerkschaften, sondern auch der Partei in die Hände. Dies hatte zahlreiche Verhaftungen zur Folge. Während der Nazizeit wurde das Haus von der "Deutschen Arbeitsfront" genutzt, von den Arbeitern aber, wo es möglich war, gemieden.[6]
Neubeginn nach dem 2. Weltkrieg
Am 2. Mai 1945 besetzte ein Komitee aus ehemaligen Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionären das Gewerkschaftshaus, noch bevor britische Truppen Kiel erreicht hatten und der Krieg in Schleswig-Holstein beendet war.[7] Sie hatten sich seit dem 1./2. Mai in verschiedenen Betrieben organisiert. Die Britische Militärregierung lehnte jedoch Verhandlungen mit dem Komitee ab[8], beschlagnahmte das Gewerkschaftshaus und verbot die Gewerkschaftsaktivitäten - politische Betätigung war zu dieser Zeit noch untersagt.[9] Erst am 1. Mai 1947 konnten die Kieler Gewerkschaften ihr Haus wieder übernehmen, wenn auch zu einem hohen Preis. Sie kauften das von ihren Mitgliedern bezahlte Haus für 423.000 Reichsmark von der Stadt Kiel zurück, die es während der Nazizeit ersteigert hatte. Das Ergebnis war es wert:
- "Während der Rede des Oberbürgermeisters Andreas Gayk schlugen Maurer die Naziinschrift "Haus der Arbeit" und die Hakenkreuze ab und der alte Name "Gewerkschaftshaus" wurde wieder angebracht."[10]
Im Gewerkschaftshaus haben heute der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und zahlreiche seiner Einzelgewerkschaften ihren Sitz. Auch für die Kieler SPD bildet es bis heute einen selbstverständlichen Treffpunkt, in dem Kreisvorstand, Kreisausschuss und Arbeitskreise tagen und öffentliche Veranstaltungen wie Wahlkundgebungen oder 2013 die bundesweite Auftaktfeier zum 150jährigen Parteijubiläum stattfinden.
Nach 100 Jahren wurde das Haus bis 2011 aufwendig saniert und renoviert; seitdem gibt es nicht nur den Garbesaal und den Andreas-Gayk-Saal, sondern auch im Erdgeschoss das Emma-Sorgenfrei-Forum, benannt nach einer Genossin und Gewerkschafterin aus ärmsten Verhältnissen, die sich zeit ihres Lebens energisch für Bildungsarbeit und gewerkschaftliche Organisation einsetzte.
Gastronomie
Die Gaststätte im Gewerkschaftshaus heißt "Legienhof" nach Carl Legien bzw. nach der Legienstraße. Oft wird auch das ganze Haus als "Legienhof" bezeichnet.
Literatur
- Karl-Heinz Köpke: Zur Geschichte des Kieler Gewerkschaftshauses, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 79 (1995-1999), S. 277-288
- Detlef Korte / Holger Malterer: Das Kieler Gewerkschaftshaus in Nazihand, Demokratische Geschichte 3(1988)
- Bruno Verdieck / Gewerkschaftshaus Kiel GmbH (Hrsg.): Unser Haus (Kiel 1957)
Quellen
- ↑ Detlef Korte / Holger Malterer: Das Kieler Gewerkschaftshaus in Nazihand, Demokratische Geschichte 3(1988), S. 515
- ↑ Detlef Korte / Holger Malterer: Das Kieler Gewerkschaftshaus in Nazihand, Demokratische Geschichte 3(1988), S. 515
- ↑ 100 Jahre Gewerkschaftshaus Kiel: Geschichte
- ↑ Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, 28. Juli 1907, zit. in Korte/Malterer, Gewerkschaftshaus, S. 515
- ↑ Martens, Holger: SPD in Schleswig-Holstein 1945-1959. Malente 1998, S. 26
- ↑ Detlef Korte / Holger Malterer: Das Kieler Gewerkschaftshaus in Nazihand, Demokratische Geschichte 3(1988), S. 516 ff.
- ↑ Detlef Korte / Holger Malterer: Das Kieler Gewerkschaftshaus in Nazihand, Demokratische Geschichte 3(1988), S. 520
- ↑ ebd.
- ↑ Martens, Holger: SPD in Schleswig-Holstein 1945-1959. Malente 1998, S. 33
- ↑ Detlef Korte / Holger Malterer: Das Kieler Gewerkschaftshaus in Nazihand, Demokratische Geschichte 3(1988), S. 520