Brunhild Wendel

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Brunhild Wendel
Brunhild Wendel
Brunhild Wendel
Geboren: 24. November 1923
Gestorben: 2. Oktober 2009

Brunhild Wendel (geb. Barchmann), * 24. November 1923 in Dresden, † 2. Oktober 2009 in Schacht-Audorf; kfm. Ausbildung, Bürgermeisterin. Mitglied der SPD seit 1962.

Werdegang

Brunhild Barchmann wurde die Neigung zur SPD nicht in die Wiege gelegt. Sie war eine höhere Tochter "mit Klavierunterricht und Gouvernante", Kind eines Firmendirektors und einer schönen und liebenden, aber der Zeit und Schicht gemäß völlig unemanzipierten Mutter. Mit dem Vater ging das Mädchen auf die Jagd.

"Von ihm hat sie das Temperament, ganz sicher auch den Dickschädel geerbt."[1]

Nach dem Besuch der Oberschule und der Höheren Handelsschule in Dresden machte sie eine kaufmännische Ausbildung, anschließend den in der NS-Zeit obligatorischen Reichsarbeitsdienst. Sie geriet in russische Kriegsgefangenschaft, aus der sie erst Ende 1946 entlassen wurde.

Sie wechselte in die britische Zone, arbeitete ab 1947 in Kiel in Anwaltsbüros und einer Großbank. Als Gasthörerin an der Universität lernte sie ihren dritten Ehemann, den Lehramtsstudenten Gerhard Wendel kennen, der sie als "engagierter Linker" politisierte und zur SPD brachte.[1]

Das Ehepaar hatte zwei Kinder. 1956 zog die Familie nach Schacht-Audorf, wo sie sich ab 1958 in der Kommunalpolitik engagierte. 1958 oder 1959 übernahm sie dort die Leitung des Alters- und Pflegeheimes des DRK, von 1963 bis 1965 war sie als Angestellte bei der Gemeindeverwaltung Schacht-Audorf tätig. 1964 gründete sie den Altenclub der AWO in Schacht-Audorf, aus dem sich bald die erste Sozialstation in Schleswig-Holstein entwickelte.

Von 1964 bis 1974 war sie Vorsitzende des AWO-Kreisverbandes Rendsburg-Eckernförde. Daneben gehörte sie den Landesvorständen der Arbeiterwohlfahrt, des Verbandes Deutsche Staatsbürgerinnen und des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge an.

Am 10. Februar 1978 erlitt sie bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen, von denen sie sich jedoch erholte.

Brunhild Wendel war evangelisch. Vielen Menschen blieb ihr Hang zum Rauchen in Erinnerung, ihr sächsischer Akzent, den sie nie verlor, ihre "etwas heisere[...] Stimme, die bis in den hintersten Winkel einer preußischen Kadettenanstalt reichen würde", und ihre Beziehung zum Ehemann Gerhard, vor allem die - von ihr gern erwähnte - Tatsache, dass er neun Jahre jünger war als sie.[1] Es heißt in der Partei, dass sich die beiden nach der gemeinsamen politischen Arbeit irgendwann getrennt hätten, ohne sich scheiden zu lassen.

Partei & Politik

Ab 1962 war Brunhild Wendel Mitglied der SPD, zunächst im Kreisverband Rendsburg, nach der Kreisreform im Kreisverband Rendsburg-Eckernförde. Von 1973 bis 1977 gehörte sie als Beisitzerin dem Landesvorstand an.

1962 kam Gerhard Wendel in den Gemeinderat, war später Fraktionsvorsitzender und übernahm 1965 den Vorsitz des Ortsvereins, ein Amt, das er bis 1990 behielt.[2]

Bürgermeisterin

1966 wurde dann Brunhild Wendel als erste Frau zur ehrenamtlichen Bürgermeisterin gewählt. Wie es dazu kam, verriet sie später der ZEIT:

"'Ich weiß genau, als die Stimmen ausgezählt wurden, stand ich am Bügelbrett in der Küche und hab’ geplättet. Ich war so nervös. Wenn die Leute uns nicht wählen, hab’ ich zu meinem Mann gesagt, ist mein Idealismus hin. Wir hatten uns seit einigen Jahren sehr um die Schacht-Audorfer bemüht und wirklich unser Letztes für diesen Wahlkampf gegeben.'

Schacht-Audorfs Sozialdemokraten hatten zuvor ausgemacht, wer von den neun Direktkandidaten am besten abschneidet, der wird Bürgermeister. Die SPD gewann damals 56 Prozent (bisher 39 Prozent), und das beste persönliche Ergebnis erzielte Brunhild Wendel mit 70 Prozent. Eine Frau als Bürgermeister?

Gegen die vorherige Abmachung fand auf der ersten Gemeindevertretersitzung mit neuer SPD-Mehrheit eine geheime Bürgermeisterwahl statt. Brunhild Wendel gewann die Wahl mit knapper Mehrheit. Mit der CDU stimmte ein SPD-Mann gegen sie."[1]

Sie versah das Amt 27 Jahre lang, war zeitweise Mitglied des Landesvorstandes des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetages und schied erst im November 1993 als damals dienstälteste Bürgermeisterin Deutschlands aus.[3] Dies war offenbar so ungewöhnlich, dass sie am 12. September 1986 zur ARD-Talkshow Leute eingeladen wurde, die aus dem Café Kranzler in Berlin ausgestrahlt wurde. Ihre Mitgäste waren die Sängerin Cornelia Froboess, der Satiriker Eckhard Hachfeld und der Gastronom Friedrich 'Wienerwald' Jahn.[4]

In ihrer Amtszeit brachte Brunhild Wendel unter anderem 1969 die Gründung des Schulverbandes auf den Weg, dem sie bis 1993 vorstand, die Erweiterung des Schulzentrums, und am 14. April 1977 folgte die Eröffnung einer der ersten Sozialstationen des Landes, betrieben von der AWO.[5] Sie schrieb mindestens einmal im Jahr einen Informationsbrief an die Gemeinde, lud zu Bürgerversammlungen ein, in denen Bürger*innen ihre Beschwerden und Anregungen vortragen konnten, und diskutierte in Anliegerversammlungen über anstehende Erschließungsmaßnahmen, bevor darüber im Gemeinderat Beschlüsse gefasst wurden.[2] Selbst das Gemeindewappen soll sie selbst entworfen haben. Der Ort gehörte außerdem zu den ersten, die sich als "atomwaffenfreie Zone" auswiesen, sehr zum Ärger der Landesregierung, die damals noch von der CDU gestellt wurde. Eins der Schilder stand im Vorgarten der Bürgermeisterin.[1] Und sie vertrat Chancengleichheit für Frauen und Männer - nicht allein für sich selbst:

"Die Gemeindeverwaltung ist geschlechtsparitätisch besetzt und nicht die Sekretärin bringt der Bürgermeisterin den Tee, sondern der Wohngeld-Sachbearbeiter."[6]

"Die 50prozentige Frauen-Quote – wohl einmalig in der Bundesrepublik – ist das Werk der Chefin."[1]

Sie führte "das Unternehmen Schacht-Audorf [...] mit einem deutlichen Geschäftssinn", schloss die ZEIT.[1] Wir - Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein berichtete ebenfalls über die außerordentlich gute Bilanz der Bürgermeisterin:

"In der 4500-Einwohner-Gemeinde gibt es dank der Krögerwerft keine Arbeitslosen. Geschäftszusammenbrüche waren nicht zu erzeichnen. Die Gemeinde hat eine eigene Trinkwasserversorgung, die mindestens zehn Jahre reicht. Sie hat eine eigene Kläranlage mit noch freier Kapazität. Und Schacht-Audorf kennt keine Wohnungsnot, die Behelfsheime stehen schon seit drei Jahren leer. Auch im Bildungs- und Sozialbereich ist die Welt in der sozialdemokratisch geführten Gemeinde in Ordnung: 960 Kinder werden im Schulzentrum (16 Klassen Grundschule, 10 Klassen Realschule) unterrichtet. Wohlfahrtverbände betreiben eine Gemeindeschwesterstation, eine Hauspflegestation, einen Kindergarten mit 75 Plätzen, ein Pflegeheim, einen Altenklub und eine Fußpflegestation. Bei der Kommunalwahl im vergangenen Frühjahr gewann die SPD in Schacht-Audorf 61 % (plus 2 %)."[7]

Das Ehepaar Wendel arbeitete fast die gesamte Zeit ihres politischen Engagements "im Tandem". Dass dies nicht zu ungesunder Harmonie führte, belegt folgende kleine Szene:

"Es meldet sich ein Mann zu Worte und schlägt recht gewandt eine kleine Lösung vor [...]. Über die Hälfte der Versammelten stimmt ihm sofort zu. Da brüllt es vom Vorstandstisch durch den Raum: 'Also, Herr Wendel! Nu, so kann mer nimmer. An die Gesetze müss’ mer uns halten. Ich soll das schließlich vorm Kreis vertreten.' Im Saal lacht niemand über den Ausbruch der Bürgermeisterin.
'Im Amte, da siezen wir uns. Das ist ja wohl selbstverständlich', erklärt sie später und fügt zu ihrem Mann gewandt hinzu: 'Wie kannste mir so in de Pfanne hau’n vor all den Leuten? Das darf ich als Bürgermeisterin so nicht machen.' Er zuckt ungerührt mit den Schultern: 'Als Fraktionsvorsitzender habe ich andere Interessen.'"[1]

Kreisebene

Um 1984 war Brunhild Wendel auch stellvertretende Kreisvorsitzende der SPD Rendsburg-Eckernförde.

Von 1966 bis 1991 gehörte sie dem Kreistag an, war zeitweise Vorsitzende des Bau- und Planungsausschusses und zum Schluss 1. stellvertretende Kreispräsidentin.[8]

Landtag

In der Landtagswahl 1971 wurde sie Mitglied des Landtags und blieb dies bis 1983, immer über die Landesliste. Sie war aktiv im Agrarausschuss (später Agrar- und Umweltausschuss), und im Ausschuss Kommunaler Investitionsfonds, als Stellvertreterin auch im Innen- (später Innen- und Rechts-), Sozial-, Landesplanungs-, Eingabenausschuss sowie im Untersuchungsausschuss "Universitäts-Frauenklinik".

Ehrungen

Auf viele weitere hohe Auszeichnungen aus dem ehrenamtlichen Bereich verwies Alterspräsident Lothar Hay in seinem Nachruf. Er sagte auch:

"[...] Brunhild Wendel war eine zupackende, durchaus streitbare Sozialdemokratin, die sich voller Leidenschaft und aus tiefer Überzeugung für ihre Mitmenschen einsetzte. Sie vertrat starke Werte und ist ihren Weg gradlinig - auch gegen zum Teil erhebliche Widerstände - gegangen. [...] Menschen wie Brunhild Wendel sind es, die mit ihrem ganz besonderen Stil der Politik Authentizität verleihen - und das über den Tag hinaus, wie wir den Traueranzeigen entnehmen konnten. Brunhild Wendel hinterlässt eine spürbare Lücke. [...]
Auch [nach ihrem Ausscheiden] war die resolute, wortgewaltige und bodenständige Politikerin, die sich unermüdlich und mit großer Hingabe für das Wohl der Bürgerinnen und Bürger eingesetzt hat, eine gefragte Ratgeberin, die bis zuletzt am öffentlichen Leben ihrer Gemeinde teilgenommen hat. Sie gehörte tatsächlich zum politischen Urgestein der Region, und es besagt alles über die Anerkennung, die sie genoss, dass sie [...] noch im November vergangenen Jahres, 15 Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Amt, mit einem Fackelzug und einem Feuerwehrmusikkorps so geehrt wurde. [...] Der Schleswig-Holsteinische Landtag gedenkt seiner ehemaligen Abgeordneten Brunhild Wendel in Dankbarkeit."[10]

Literatur

Links

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 Roggenkamp, Viola: Gar nischt ohne die Bürger, DIE ZEIT, 30.11.1987 (hier werbefrei)
  2. 2,0 2,1 Der Ortsverein Schacht-Audorf von 1945 bis 1989, abgerufen 10.1.2017
  3. Der Ortsverein Schacht-Audorf von 1989 bis 2003, abgerufen 10.1.2017, wo auf einen Artikel in der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung vom November 1993 Bezug genommen wird.
  4. Fernsehen Fr. 12.9., DER SPIEGEL, 8.9.1986
  5. Vgl. ihren Artikel zum Thema in WIR, neu abgedruckt in Rund um den Roland. SPD-Information für Bad Bramstedt, 02/1977, S. 3 f.
  6. Stock, Ulrich: Moin, moin, Brunhild, Ute, Gertrud, Elke, Antje, Sünje, Ingtraud, Barbara, DIE ZEIT, 21.2.1986
  7. Schacht-Audorf vorn, Wir - Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein, Heft 1/1975, Seite 10
  8. Vgl. Ortsverein Neuwittenbek, wo auf einen Artikel in der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung von 1991 Bezug genommen wird.
  9. Ehrenbürgerin von Schacht-Audorf, abgerufen 10.1.2017
  10. Nachruf von Alterspräsident Lothar Hay, konstituierende Sitzung der 17. Wahlperiode des Landtages, 27.10.2009