Fritz Sänger
Fritz Sänger |
Fritz Paul Sänger, * 24. Dezember 1901 in Stettin (heute Polen), † 30. Juli 1984 in München; Journalist, Bundestagsabgeordneter. Mitglied der SPD seit 1920.
Leben & Beruf
Fritz Sänger wuchs zusammen mit drei Geschwistern in Stettin in einem evangelischen, zunächst gut situierten Elternhaus auf. Nach dem Tod des Vaters 1908, eines Großhandels-Exportkaufmanns, war jedoch bald kein Vermögen mehr vorhanden und die Mutter musste die Familie durch ihre eigene Arbeit ernähren. Die finanziellen Verhältnisse waren sehr knapp.
Er schloss die Schule 1918 mit dem Einjährigen-Freiwilligenzeugnis ab und besuchte dann als Stipendiat das Lehrerseminar in Pyritz (Pommern).
Am 1. Juli 1920 wurde Sänger, der sich auch als Geschäftsführer des Verbandes Preußischer Seminaristen engagierte, Redakteur der vom Preußischen Lehrerverein herausgegebenen Halbmonatsschrift "Der Ruf". Obwohl er im September 1921 noch die Lehrerprüfung ablegte (und auch das Abitur und die Hochschulreife erlangte), ergriff Sänger nicht den Lehrerberuf, sondern den des Journalisten. Volontariat und anschließende Redakteurstätigkeit leistete er vom Oktober 1921 bis November 1922 beim "Generalanzeiger für Stettin und Pommern". Eine beruflich andere Erfahrung war die eines Funktionärs eines Berufsverbandes, nämlich des Sekretärs des Provinzkartells Pommern des Deutschen Beamtenbundes vom Dezember 1922 bis April 1927. Nebenher arbeitete er jedoch beim "Vorwärts" und dem "Sozialdemokratische Pressedienst" mit. Für die SPD wirkte er auch in der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer und im Ausschuss für Jugendfragen des Provinziallandtags.
Durch seine parteipolitischen Aktivitäten wurde Fritz Sängers Position im Deutschen Beamtenbund auf die Dauer schwierig, und seine Ernennung zum Bundessekretär Anfang 1927 wurde nicht dauerhaft wirksam. Er zog es vor, ab Mai 1927 als Redakteur die "Preußische Lehrerzeitung" zu leiten.
Während seiner Tätigkeit für den Preußischen Lehrerverein musste er dann vom Posten des Redakteurs der Verbandszeitung auf den des Verbandssekretärs wechseln, weil der Vorstand des Verbandes der Meinung war, er gebe der Zeitung ein politisch zu einseitiges Gesicht. Nachdem die Nationalsozialisten die Geschicke Deutschlands bestimmten, wurde Sänger am 18. April 1933 vom Preußischen Lehrerverein fristlos entlassen.
Durch die Mitbegründung des Pressebüros "Die Brücke" suchte sich Fritz Sänger finanziell über Wasser zu halten und durch die vom Pressebüro herausgegebenen Korrespondenzen zugleich den Zusammenhalt unter den Angehörigen der ehemaligen sozialdemokratischen Lehrerbewegung und unter sozialistischen Redakteuren zu fördern. Während der Nazi-Diktatur half Fritz Sänger in vielen Fällen dabei, NS-Verfolgte untertauchen zu lassen oder außer Landes zu bringen, so im Fall des sozialdemokratischen Schulstadtrats von Neukölln, Kurt Löwenstein, und der jüdischen Ehefrauen der Journalistenkollegen Dolf Sternberger und Otto Suhr.
Da die Korrespondenzen finanziell nichts einbrachten, war Sänger im Juni 1935 mittellos. Eine Aushilfsstelle als Pressestenograph beim Deutschen Nachrichtenbüro musste er bereits im September 1935 wegen seiner politischen Vergangenheit wieder aufgeben. Sein Lebensunterhalt war erst gesichert, als ihn die Berliner Redaktion der "Frankfurter Zeitung" zum 1. Oktober 1935 aufnahm.
1936 heiratete Sänger seine zweite Frau Susanne geb. Kühne, nachdem er sich vorher von seiner ersten Frau Charlotte geb. Hintze hatte scheiden lassen. Aus der ersten Ehe ging der Sohn Siegfried (* 1923)hervor, aus der zweiten die Töchter Gisela (* 1938) und Christine (* 1940).
Während seiner Tätigkeit für die "Frankfurter Zeitung" sammelte Sänger systematisch Informationen, Weisungen für die gleichgeschaltete Presse usw., schon im Hinblick auf eine Überlieferung für die Zeit nach einem Ende des NS-Systems.[1] Seine Erfahrungen mit dem NS-Pressewesen hat Sänger in seinen Büchern "Politik der Täuschungen" (1975) und "Der Freiheit dienen" (1985) geschildert. Zum 31. August 1943 wurde die linksliberale "Frankfurter Zeitung" verboten. Fritz Sänger fand aber ein Unterkommen als Mitarbeiter der Berliner Redaktion des "Neuen Wiener Tagblatts".
In Berlin kam Fritz Sänger bald mit sozialdemokratischen NS-Gegnern und Widerstandskreisen in Kontakt. Dies geschah einmal über seinen Rechtsanwalt Walter Menzel, den späteren Innenminister von Nordrhein-Westfalen, der ihn im Rechtsstreit mit dem Preußischen Lehrerverein um ein Arbeitszeugnis vertreten hatte, und über die Beziehungen aus den Korrespondenzdiensten. Nach der Entlassung Carlo Mierendorffs aus dem Konzentrationslager lernte Fritz Sänger durch ihn Theodor Haubach und durch diesen wiederum 1942 Julius Leber kennen. Fritz Sänger sprach mit dieser Gruppe über die geistigen und politischen Grundlagen einer möglichen Opposition gegen die NS-Herrschaft. Er lieferte den Widerstandskreisen aus seiner beruflichen Kenntnis Informationen über den Regierungs- und Propagandaapparat. Schließlich wurde Fritz Sänger für den Fall eines Sturzes des NS-Regimes als neuer Chef des Deutschen Nachrichtenbüros vorgesehen.
Nach der militärischen Zerschlagung des "Dritten Reiches" 1945 half Fritz Sänger in Gifhorn, wohin es ihn und seine Familie verschlagen hatte, als Sonderbeauftragter für die Betreuung der NS-Verfolgten. Schon am 6. Oktober 1945 holte ihn die britische Besatzungsmacht als Chefredakteur der "Braunschweiger Neuen Presse" (später "Braunschweiger Zeitung") zurück in den Journalismus.
Ab Mai 1946 baute Sänger zusammen mit Peter Raunau und Werner Schumann zuerst nebenberuflich, dann ab Oktober 1946 hauptberuflich den "Sozialdemokratischen Pressedienst" wieder auf, dessen Chefredakteur er bis Juli 1947 blieb.
Der Juli 1947 leitete eine kontinuierliche Phase in Sängers Berufsleben ein. Er wurde Chefredakteur und Geschäftsführer des "Deutschen Pressedienstes", der ursprünglich unter britischer Leitung gegründeten Presseagentur in der britischen Besatzungszone. Sein Landtagsmandat legte er nieder. Nach Zusammenlegung der Agenturen der westlichen Besatzungszonen zur "Deutschen Presseagentur" übernahm Sänger auch hier den Posten des Chefredakteurs und eines der Geschäftsführer. Letzteres blieb er bis 1955, während er den Chefredakteursposten am 31. Mai 1959 unfreiwillig aufgab, letztlich aufgrund des Drucks der damaligen Bundesregierung.
Neben seiner beruflichen und politischen Tätigkeit wirkte Fritz Sänger nach 1945 über die Jahre durch Mitgliedschaft oder Vorstandstätigkeit in zahlreichen Verbänden und Gremien. Genannt seien: Deutscher Rat der Europäischen Bewegung, Hauptausschuß des NDWR bzw. Rundfunkrat des NDR, Rundfunkrat des Deutschlandfunks, Beirat der Deutschen Wochenschau, Deutscher Presserat, Kuratorium "Freunde des Israel-Aufbaus", Kuratorium der Friedrich-Ebert-Stiftung, Kuratorium des Internationalen Arbeitskreises Sonnenberg, Kuratorium der Stiftung "Hilfswerk 20. Juli".
Schon 1956 trat Sänger vom Deutschen Journalistenverband in die Deutsche Journalistenunion im DGB / IG Druck und Papier über. Aus dem Kuratorium für den Theodor-Wolff-Preis zog er sich wegen dessen zu enger Bindung an das Haus Springer zurück.
Er wurde 1958 in die Hamburger Freimaurerloge Die Brückenbauer aufgenommen.
Nach dem Verlassen der aktiven Politik widmete sich Sänger wieder freier journalistischer Tätigkeit, wirkte dabei aber auch bis 1972 als Herausgeber des von SPD und DGB getragenen Informationsdienstes "Funkreport". Zu Sängers 80. Geburtstag stiftete der Parteivorstand der SPD den alle zwei Jahre zu verleihenden "Fritz-Sänger-Preis für mutigen Journalismus".
Fritz Sänger schrieb auch unter den Pseudonymen Günther Friebe, Matthias Monten und Paul Pommer.
Nach dem Tod seiner zweiten Frau Susanne 1981 heiratete Sänger im März 1984 die Dolmetscherin Irmgard Schäfer in München. Dort starb er am 30. Juli 1984.
Partei & Politik
Durch einen Schulfreund, den Sohn eines Sekretärs des Metallarbeiterverbandes, kam Fritz Sänger in Verbindung mit sozialdemokratischem Gedankengut und trat am 1. April 1920 der SPD bei.
1946 wurde Fritz Sänger Mitglied des Gemeinderates von Gifhorn und Vorsitzender der SPD-Fraktion im Kreistag. Ab August 1946 folgte in der praktischen Politik die Mitgliedschaft im hannoverschen bzw. dann niedersächsischen Landtag.
Mit nun 58 Jahren legte Fritz Sänger keine Ruhepause ein. Angebote zur Übernahme des Kultusministeriums in Niedersachsen (wie schon einmal 1948) oder des Ministeriums für Erziehung, Bildung und Wissenschaft in Hessen lehnte er ab. Als ihm Erich Ollenhauer aber antrug, einen beschlussreifen Entwurf für das neue Parteiprogramm der SPD zu redigieren, griff er zu. Als Mitglied der Redaktionskommission des Parteivorstands und schließlich als Sekretär der Redaktionskommission auf dem Godesberger Parteitag im November 1959 konnte Sänger entscheidenden Einfluss auf die Formulierung des Programms nehmen. Aus dieser Arbeit am Parteiprogramm entstand 1960 Sängers Veröffentlichung "Grundsatzprogramm der SPD. Kommentar", die 1964 in dritter Auflage unter dem Titel "Soziale Demokratie. Bemerkungen zum Grundsatzprogramm der SPD" erschien.
Ab Januar 1960 widmete sich Sänger freier journalistischer Tätigkeit. 1961 saß er in den Monaten vor der Bundestagswahl am 19. September in Bonn als Sekretär der damals eingerichteten "Zentralen Wahlkampfleitung", die den Wahlkampf Willy Brandts koordinierte. Über die Landesliste Schleswig-Holstein zog Fritz Sänger, der im Wahlkreis Herzogtum Lauenburg/Storman kandidiert hatte, 1961 und noch einmal 1965 in den Bundestag ein. Auf eine weitere Kandidatur 1969 verzichtete er von sich aus.
Den Bundestag hatte Fritz Sänger schon von Anfang an mit seiner Arbeit begleitet: Zum Zusammentritt des ersten Bundestages im September 1949 hatte er unter dem Titel "Die Volksvertretung" die erste Auflage eines Handbuches des deutschen Bundestages herausgegeben, das Auskunft über die Abgeordneten, die Organisation und Arbeitsweise des Parlaments und die rechtlichen Grundlagen gab.
Die vierte Auflage erschien zum Zusammentritt des dritten Bundestags 1957. Für die Vermittlung der Arbeit des Parlaments gegenüber den Wählern ebenso wichtig war sein "Wahlhandbuch 1965", eine Sammlung von Texten, Daten, Dokumenten zu Wahlrecht, Wahlkampf, Wahlergebnisse und Wahlkreisen.
Im Bundestag saß Fritz Sänger für seine Partei in den Ausschüssen für Kulturpolitik und Publizistik, für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, im Auswärtigen Ausschuss sowie im Postausschuss. Sein Hauptaugenmerk als Abgeordneter galt der Presse- und Medienpolitik allgemein sowie der Pressegesetzgebung im besonderen. Während der Diskussion um die Notstandsgesetze sorgte er soweit möglich für die Berücksichtigung der Belange der Presse auch im Notstandsfall.
Ehrungen
- Am 26. Juni 1969 wurde Fritz Sänger mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
- Zu seinem 80. Geburtstag stiftete der SPD-Parteivorstand 1981 den "Fritz-Sänger-Preis für mutigen Journalismus". Der Preis wurden bis 1998 vergeben.
Veröffentlichungen
- Sänger, Fritz: Der Freiheit dienen, Steidl, (1985)
- Sänger, Fritz: Der Deutschen Fernsehens unglückliche Liebe zur Kartographie (1984?)
- Sänger, Fritz: Verborgene Fäden, Verlag Neue Gesellschaft, Bonn (1978)
- Sänger, Fritz: Politik der Täuschungen, Europaverlag, Wien (1975)
- Sänger, Fritz: Politik für Deutschland, Vorst. d. Sozialdemokrat. Partei Deutschl., Bonn (1964)
- Sänger, Fritz: Soziale Demokratie, Verl. J. H. W. Dietz Nachf., Hannover (1962)
- Sänger, Fritz: Grundsatzprogramm der SPD, J. H. W. Dietz Nachf., Berlin (1960)
Archive
- Archiv der Sozialen Demokratie - Signatur: 1/FSAC, Laufzeit: 1921 - 1984, Umfang: 10,40 lfm - Korrespondenz; Publikationen; Unterlagen zu Presse, Rundfunk, Fernsehen (u.a. Presserecht, Pressefreiheit, Konzentration im Pressewesen); Deutscher Presserat; Spiegel-Affäre; Notstandsgesetzgebung; Prozesse betr. Kurt Ziesel und "Deutschland-Stiftung"; SPD; SPD-Programmatik; Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung (u.a. Bundespresse- und Informationsamt); Bundestagswahlkampf 1961; Stiftung "Hilfswerk 20. Juli 1944"
- Institut für Zeitgeschichte, München - Signatur: ED 140
- Deutsche Nationalbibliothek - Literatur von und über Fritz Sänger
- Bundesarchiv - Signatur: N 1261
Literatur
- Norbert Frei: Sänger, Fritz Paul. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 350 f. (Digitalisat).
- Walter Henkels: 99 Bonner Köpfe, durchgesehene und ergänzte Ausgabe, Fischer-Bücherei, Frankfurt am Main 1965, S. 207ff.
- Rätsch, Birgit: „Der Tätige ist stets wichtiger als der Tote oder auch nur der Gefesselte.“ Das Dilemma fritz Sängers zwischen Mittun und Opposition. in: Studt, Christoph [Hrsg.]: „Diener des Staates“ oder „Widerstand zwischen den Zeilen“? : Die Rolle der Presse im „Dritten Reich“. XVIII. Königswinterer Tagung Februar 2005. Königswinter 2005, Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli; 8, 2007, S. 183–194
- Barbara Simon: Abgeordnete in Niedersachsen 1946–1994. Biographisches Handbuch. Hrsg. vom Präsidenten des Niedersächsischen Landtages. Niedersächsischer Landtag, Hannover 1996, S. 320.
- Volmerich, Oliver: Widerstand oder Propaganda? : zur Beurteilung journalistischer Ethik im Dritten Reich - am Beispiel der Frankfurter Zeitung und des Streits um den "Fritz-Sänger-Preis", Dortmund (1992)
- Eckhard Wendt: Stettiner Lebensbilder (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern. Reihe V, Band 40). Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2004, ISBN 3-412-09404-8, S. 393–395.
Weblinks
- Landtagsinformationssystem: Fritz Sänger
- Wikipedia: Fritz Sänger
Einzelnachweise
- ↑ Eidesstattliche Erklärung, 16.10.1947, im: Archiv für Zeitgeschichte, München, Signatur: ZS 1403