Konsumverein Lübeck

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Konsumverein Lübeck
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Hansestraße
Lübeck

Der Konsumverein für Lübeck und Umgegend (kurz: "Konsum") war eine Genossenschaft, die Nahrungs- und Genussmittel sowie verwandte Waren des täglichen Bedarfs beschafft und verkauft. Sie wurde am 1904 gegründet.[1]

Vorgeschichte

Im Jahr 1902 gab es einen ersten Anlauf zur Gründung eines Konsumvereins in Lübeck. Der damalige Arbeitersekretär Rudolf Wissell aber riet davon mit Verweis auf die erfolgreiche Vereinsbäckerei vorerst ab. Die Verteiler der Vereinbäckerei fürchteten die Konkurrenz. Einige Interessierte wollten aber nicht warten, gründeten im benachbarten Stockelsdorf einen Konsumverein und versuchten Lübeck von dort zu "erobern".[1]

Gleichzeitig wurde innerhalb der Lübecker Genossenschaftsbäckerei diskutiert, ob man deren Geschäftsfelder nicht zu einem echten Konsumverein ausweiten sollte. Doch dann kamen die Befürworter eines eigenen Konsumvereins ihnen zuvor.

Gründung des Konsumvereins

Am 14. November 1904 war es soweit: Man traf sich im "Vereinshaus", Heinrich Kaufmann vom "Zentralverband der Konsumvereine" war zugegen und die Lübecker Arbeiterschaft gründete den "Konsumverein für Lübeck und Umgegend".

Doch der Start war holperig. Das lag unter anderem an der starken Konkurrenz der Vereinsbäckerei und dem Boykott der bürgerlichen Lieferanten in der Stadt. Erst 1905 wurden die ersten zwei "Warenabgabestellen" eingeweiht und nur 279 Personen waren Mitglied.[1]

Expansion

Dann wurde Albert Henze Geschäftsführer der Genossenschaft. Der umging das schwierige Terrain in Lübeck zunächst und expandierte ins Umland. 1906 wurde eine Warenabgabestelle in Bad Schwartau, 1907 eine in Eutin, und etwas später mehrere auch im Mecklenburgischen sowie im Kreis Oldenburg eröffnet.

1910 hatte die Genossenschaft bereits 3000 Mitglieder und eröffnete das erste Zentrallager in der Nebenhofstraße. 1910 vereinigte sich der Lübecker Konsumverein mit dem in Schönberg. 1916 mit dem in Stockelsdorf, der ursprünglich mal Lübeck aufrollen wollte.[1]

1914 waren es 7500 Mitglieder und die Genossenschaft konnte ein Lager mit Gleisanschluss in der Hansestraße kaufen. 1921 übernahm die Genossenschaft eine Schlachterei in der Großen Burgstraße.

Beim Konsumverein konnten die Mitglieder auch ihr Geld in Sparguthaben anlegen. Das verschaffte der Genossenschaft Liquidität für immer neue Aktivitäten. In der Inflation 1923 verloren viele Mitglieder der Genossenschaften ihre Sparguthaben, gleichzeitig profitierten die Genossenschaften von neuen Mitgliedern, die kamen, weil die Genossenschaften keine Waren zurückhielten.

Außerdem machte sie ab 1923 der Vereinbäckerei mit einer eigenen Großbäckerei in der Hansestraße Konkurrenz. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte es noch Überlegungen für eine Fusion gegeben, die dann aber durch den Krieg auf Eis gelegt wurden.

Ohne Absprachen hatte der Konsumverein seine eigene Produktion aufgebaut und hatte inzwischen 25.000 Mitglieder und achtete bei allen Aktivitäten darauf, immer die modernsten Technologien und Maschinen einzusetzen. Durch die eigene Bäckerei hatte der Konsumverein für Lübeck und Umgegend nunmehr ein vollständiges, eigenes Warenangebot. Sei einigen Jahren bot die Genossenschaft auch Bekleidung, und Haushaltswaren an.[1]

Warenhaus am Klingenberg

Als sich 1924 der Konsumverein Neumünster auflöste, übernahm Lübeck dessen Anteile Bad Oldesloe, Reinfeld und Segeberg. 1928 verschmolz der Konsumverein mit der "Elterngemeinschaft" - einer auf den Verkauf von Bekleidung spezialisierten eigenständigen Genossenschaft.[1]

Die Mitgliederzahl wurde zwischendurch um Karteilleichen bereinigt und pendelte sich bei 20000-22000 Mitglieder ein. 80 % von ihnen nutzten die Genossenschaft auch als Sparkasse, was ihr erhebliche Möglichkeit gab zu investieren. Gemeinsam mit der Lübecker Baugesellschaft baute der Konsumverein Wohnungen und das Warenhaus am Klingenberg. Der Konsumverein Lübeck war damit so groß geworden, dass er einer der ersten Bezirkskonsumvereine wurde.[1]

"In dieser Hinsicht folgte sie zwar einem generellen Trend, der etwas mit Synergie- und Rationalisierungseffekten sowie mit einem inhärenten Konzentrationsprozess zu tun hatte, doch im konkreten Zuschnitt ihres Einzugsgebiets war bemerkenswert, dass die Genossenschaft, die sich in einem Radius von 45 km von der Innenstadt ausbreitete, insgesamt fünf Länder berührte, nämlich die Hansestadt Lübeck mit ihren Exklaven, den oldenburgischen Landesteil Lübeck (Kreis Eutin), beide mecklenburgischen Länder sowie Preußen mit den Kreisen Herzogtum Lauenburg, Stormarn und Oldenburg. 1929 waren 36 der 100 Warenabgabestellen, also mehr als ein Drittel, außerhalb des Lübeckischen Staatsgebiets gelegen."[1]

Die Weltwirtschaftskrise nach dem Schwarzen Freitag 1929 macht auch dem Konsumverein zu schaffen. Die Mitglieder kaufen weniger und hoben das Geld von ihren Sparkonten beim Konsumverein ab und beraubten den Konsumverein seiner Liquidität. Die Arbeitslosigkeit stieg in der Handelsstadt Lübeck noch stärker als in anderen Teilen des Reichs. Die Löhne und Gehälter von öffentlich Bediensteten wurden gekürzt. Gleichzeitig nahmen die Auseinandersetzungen mit den Nazis zu. Sie waren erklärte Feinde des Genossenschaftswesens und machten Stimmung gegen den Konsumverein. In Eutin verübten die Nazis sogar einen Bombenanschlag auf die Warenverteilstelle des Lübecker Konsumvereins.[1]

Nicht nur der Konsumverein in Lübeck kam in massive wirtschaftliche Schieflage. Die Reichsregierung musste die Vereine finanziell stützen und sie taten sich zu einer "Notgemeinschaft" zusammen. In Lübeck wurden Warenausgabestellen geschlossen und Personal entlassen.[1]

Nazi-Zeit

In dieser wirtschaftlich bedrohlichen Situation gelangten die Nazis an die Macht und das Schicksal der Konsumvereine lag in der Hand ihrer Feinde. Um nicht direkt zerschlagen zu werden ließen die Konsumvereine Nazis in die Vorstände. Albert Henze trat zurück, um dem NSDAP-Mann Hans Heise Platz zu machen. Der stellte die Organisation schnell auf das Führerprinzip um, und diktierte den zukünftigen Weg. Er selbst wiederum agierte auf Weisung des Bezirksbeauftragten der Nazis für die Konsumvereine, Paul Senger, in Hamburg. Wie bei anderen Konsumvereinen hatten der Nazi-Vertreter in der Regel keine Ahnung vom Geschäft, so dass ihnen gestanden Genossenschaftler zur Seite gestellt waren.[1]

Der Nazi-Führung war klar, dass sie die Konsumvereine nicht einfach zerschlagen konnten, ohne die Gesamtwirtschaftliche Lage noch mehr zu verschlechtern. Also bauten sie die Organisationen nach und nach um. Sie fassten schon im August 1933 alle Konsumvereine im "Reichsbund der deutschen Verbrauchergenossenschaften" (GEG) zusammen; die genossenschaftliche Mitwirkung wurde beschnitten. Trotzdem wurden die Genossenschaften vor Ort weiter von den Nazis angegriffen und die Mitglieder verunsichert. Beamten verboten die Nazis den Einkauf bei Konsumvereinen. Die wirtschaftliche Lage wurde immer schwieriger.

1934 erklärte Adolf Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß den Kampf gegen die Konsumgenossenschaften für beendet, was die Lage für die Konsumvereine - auch in Lübeck auf schlechtem Niveau stabilisierte. Paul Senger ordnete harte Kürzungsmaßnahmen an: "[…] außer weiteren Entlassungen und Rückstufungen u.a. die sofortige Schließung von Schlachterei, Schrotmühe, Selterei und Tischlerei sowie, in Bezug auf das Kaufhaus, die Schließung der Maßschneiderei, die Reduzierung der Verkaufsflächen auf zwei Etagen, die Umstrukturierung des Warensortiments, den Abbau des Lagerbestandes und den Ausverkauf von Ladenhütern […]." Es half wenig.[1]

Die Nazis spielten über Bande, um nicht die Gunst der Arbeiter zu verspielen. Sie machten ihnen mit dem "Gesetz über Verbrauchergenossenschaften" ein perfides Angebot: "Sie garantierten die Auszahlung der Spareinlagen unter der Bedingung, dass sich die betreffende Konsumgenossenschaft zu Ende 1935 auflösen würde. Dafür stellte das Reichswirtschaftsministerium einen Fonds von 60 Mio. RM zur Verfügung. Zugleich wurde für die weiterbestehenden Konsumvereine die Auflösung der Sparkonten bis Ende 1940 verfügt."[1]

Weil die Nazis die Konsumvereine absehbar weiter ruinieren würden, entschloss sich der Konsumverein Lübeck, wie auch der Konsumverein Kiel zusammen mit 70 weiteren Konsumvereinen dazu, für ihre Mitglieder zu retten, was zu retten war, auf das Angebot einzugehen und sich selbst aufzulösen. Am 31. Dezember 1935 wurde der Verein liquidiert.[1]

Da sich keine privaten Käufer für die Betriebe des Konsumvereins fanden, wurde eine Auffanggesellschaft gegründet. Die wurde wiederum teilweise von alten Genossenschaftlern geführt: Josef Bodden und Gustav Borgner. Die gaben sich alle Mühe, das konsumgenossenschaftliche Vermögen zusammenzuhalten. Bereits am 28. Januar 1936 schlossen sie den Gesellschaftsvertrag der "Lübecker Lebensmittelgesellschaft". Auch hier wurde dem Nazi-Geschäftsführer ein kompetenter Genossenschaftler zu Seite gestellt. In diesem Fall war es Hans Frederiksen, der vom Lübecker Konsumverein kam, unter den Nazis aber beim Konsumverein Schleswig gearbeitet hatte. Die Auffanggesellschaft arbeitete weiter bis in den Zweiten Weltkrieg.

Viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gingen davon aus, dass die Nazis nur vorübergehend an der Macht sein würden. Sie versuchten deswegen deren Schaden zu reduzieren und wurden Mitglied in NS-Organisation, um weniger angreifbar zu sein.

"Angesichts der Tatsache, dass nach Auflösung der Konsumgenossenschaften Belegschaften und Führungskräfte ihre Tätigkeit unter anderen Firmenbezeichnungen bruchlos fortsetzten, scheint es plausibel, dass sich diese in der Grauzone zwischen Arrangierung und Selbstbehauptung anzusiedelnden Verhaltensweisen auch in den Auffanggesellschaften und deren späteren Nachfolgern bemerkbar machten. Hierfür gaben die fortbestehenden Kontakte im Betrieb – in Lübeck bei immerhin 350 Personen –, ebenso Gelegenheit wie das Zusammentreffen mit ehemaligen Mitgliedern, die weiterhin die Filialen des „Konsums“ zum Einkauf aufsuchten. Milieuspezifische Kommunikationsmöglichkeiten, über die sich Konsumgenossenschafter gegenseitig ihrer Identität und ihrer „Gesinnungsgemeinschaft“ versichern konnten,122 bestanden aber auch in den durch die Arbeiterbewegung dominierten Wohnquartieren im Umfeld der Betriebszentralen, wo, wie in Lübeck, die geschäftsführenden Personen und eine Reihe von Mitarbeitern traditionell ihren Lebensmittelpunkt hatten."[1]

Literatur

Reklame, 1970
  • Bickelmann, Hartmut: Konsumverein und Konsumgenossenschaft Lübeck. Vom Lebensmittelversorger der Arbeiterbewegung zur regionalen Einzelhandelskette, in: Zeitschrift für Lübeckische Geschichte, Band 98 (2018)
  • Bickelmann, Hartmut: Ein herausragendes Zeugnis der Arbeiterbewegung – Das Kaufhaus des Lübecker Konsumvereins am Klingenberg, Der Wagen (2018), S. 151–165
  • Vieth, Ferdinand: 1869–1946. Leben und Wirken eines Genossenschafters in Selbstzeugnissen und Beiträgen. Ausgewählt, bearbeitet und kommentiert sowie durch eigene Beiträge ergänzt von Hartmut Bickelmann, Norderstedt (2018)
  • Festschrift zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der Lübecker Genossenschafts-Bäckerei e.G.m.b.H. am 24. Febr. 1914, Lübeck (1914)
  • 25 Jahre Konsumverein in Lübeck und Umgegend. Festschrift, Lübeck (1929)
  • 40 Jahre Lübecker Genossenschaftsbäckerei e.G.m.b.H. 1889–1929, Lübeck (1929)
  • 50 Jahre Lübecker Genossenschaftsbäckerei, Lübeck (1939)
  • Grabowsky, Jürgen: Vom Konsum zum Konzern. Ein Unternehmen im Wandel der Zeit 1899–1999, Coop Schleswig-Holstein Kiel (1999)
  • Hasselmann, Erwin: Geschichte der deutschen Konsumgenossenschaften, Frankfurt a. M. (1971)

Links

Einzelnachweise

  1. 1,00 1,01 1,02 1,03 1,04 1,05 1,06 1,07 1,08 1,09 1,10 1,11 1,12 1,13 1,14 Bickelmann, Hartmut: Konsumverein und Konsumgenossenschaft Lübeck. Vom Lebensmittelversorger der Arbeiterbewegung zur regionalen Einzelhandelskette, in: Zeitschrift für Lübeckische Geschichte, Band 98 (2018)