Vertrauensperson: Unterschied zwischen den Versionen

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==Ursprung==
==Ursprung==
Auf lokaler Ebene durfte die SPD auch während der Zeit des Verbotes (1878-1890) Ortsvereine gründen oder Wahlvereine zu Reichstags- und anderen Wahlen bilden. Das "Verbindungsverbot" untersagte diesen jedoch, sich überregional zusammenzuschließen. Die Partei löste das Problem über Vertrauenspersonen, die nicht zuletzt die wichtige Verbindung zwischen den Ortsvereinen und dem Parteivorstand aufrecht erhielten. Einzelne Personen konnten weder verboten noch aufgelöst werden.  
Schon vor dem [[Sozialistengesetz]] wurde die Sozialdemokratie durch die staatlichen Behörden verfolgt. Auf lokaler Ebene durften die Vorgängerparteien der SPD noch während der Zeit des Verbotes der [[SAPD]] seit Frühjahr [[1876]] Ortsvereine oder Wahlvereine gründen oder Wahl-Komitees zu Reichstags- und anderen Wahlen bilden. Diese durften jedoch in keiner Weise mit der Gesamtpartei in Verbindung stehen, auch nicht vor deren Verbot. Einen sehr guten Eindruck von dieser Situation vermittelt ein Zeitungsartikel über ein Gerichtsverfahren gegen den Vorstand des sozialdemokratischen Vereins Altona im Dezember [[1875]] in ''[https://collections.fes.de/historische-presse/periodical/zoom/250232?query=Ortsverein Neuer Social-Demokrat 19.12.1875]''.
 
Nach dem Ende des absoluten Verbots aller sozialdemokratischen Aktivitäten ([[1878]]-[[1890]]) konnte nicht nur die SPD als Ganzes, sondern auch örtliche sozialdemokratische Vereine wiedergegründet werden.
 
Das "Verbindungsverbot" untersagte lokalen Vereinen jedoch bis [[1899]], sich überregional zusammenzuschließen. Die Partei löste das Problem über Vertrauenspersonen, die nicht zuletzt die wichtige Verbindung zwischen den Ortsvereinen und dem Parteivorstand aufrecht erhielten. Einzelne Personen konnten weder verboten noch aufgelöst werden. "[So konnten] die äußerst findigen Staatsanwälte keinen Verein im Sinne des Gesetzes konstruieren [...]."<ref>''[https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN1754726119_19020812/page/5 Konferenz für den 8. (Altona-Stormarn) und 10. (Lauenburg) Schleswig-Holsteinischen Wahlkreis]'', ''Hamburger Echo'', 12.8.1902, S. 5</ref>


==Funktion==
==Funktion==
Vertrauenspersonen waren aber nicht notwendigerweise politischen Führungskräfte oder meinungsbildend:
Vertrauenspersonen waren aber nicht notwendigerweise politischen Führungskräfte oder meinungsbildend:


:"Vertrauenspersonen gab es [in Schleswig-Holstein] auf der Ebene der örtlichen Vereine, der Reichstagswahlkreise und der Region bzw. Provinz. Die örtliche Vertrauensperson wurde von den Parteimitgliedern unabhängig von dem am Ort bestehenden offiziellen SPD-Verein "ernannt", also nicht in der Mitgliederversammlung gewählt [...]. Alle örtlichen Vertrauenspersonen eines Wahlkreises versammelten sich zweimal im Jahr zu Wahlkreiskonferenzen, und in der Regel bestimmten sie aus ihrer Mitte eine Kreis-Vertrauensperson bzw. ein "Agitationskomitee", das aus bis zu drei Personen bestehen konnte und für ein Jahr amtierte. Die örtlichen Vertrauenspersonen hatten dafür zu sorgen, daß die Parteiarbeit so durchgeführt wurde, wie es auf den Wahlkreiskonferenzen beschlossen oder von dem Agitationskomitee angeordnet worden war. Ihre vornehmste Aufgabe bestand darin, regelmäßig über den Stand der Organisation zu berichten, die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und Sammlungen zu verwalten und an die Kreisvertrauensperson abzuführen. Die örtlichen Vertrauenspersonen besaßen nicht nur eine Vermittlungs-, sondern im lokalen Verein auch eine Überwachungsfunktion."<ref>Paetau, Rainer: ''Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925'' (Neumünster 1988), S. 54 f.</ref>
<blockquote>"Vertrauenspersonen gab es [in Schleswig-Holstein] auf der Ebene der örtlichen Vereine, der Reichstagswahlkreise und der Region bzw. Provinz. Die örtliche Vertrauensperson wurde von den Parteimitgliedern unabhängig von dem am Ort bestehenden offiziellen SPD-Verein "ernannt", also nicht in der Mitgliederversammlung gewählt [...]. Alle örtlichen Vertrauenspersonen eines Wahlkreises versammelten sich zweimal im Jahr zu Wahlkreiskonferenzen, und in der Regel bestimmten sie aus ihrer Mitte eine Kreis-Vertrauensperson bzw. ein "Agitationskomitee", das aus bis zu drei Personen bestehen konnte und für ein Jahr amtierte. Die örtlichen Vertrauenspersonen hatten dafür zu sorgen, daß die Parteiarbeit so durchgeführt wurde, wie es auf den Wahlkreiskonferenzen beschlossen oder von dem Agitationskomitee angeordnet worden war. Ihre vornehmste Aufgabe bestand darin, regelmäßig über den Stand der Organisation zu berichten, die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und Sammlungen zu verwalten und an die Kreisvertrauensperson abzuführen. Die örtlichen Vertrauenspersonen besaßen nicht nur eine Vermittlungs-, sondern im lokalen Verein auch eine Überwachungsfunktion."<ref>Paetau, Rainer: ''Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925'' (Neumünster 1988), S. 54 f.</ref></blockquote>


==Ende==
Das "Sozialistengesetz" wurde [[1890]] nach dem Abgang Bismarcks nicht erneuert, durch die "[https://de.wikipedia.org/wiki/Lex_Hohenlohe Lex Hohenlohe]" wurde [[1899]] auch das Verbindungsverbot aufgehoben. Die Ortsvereine durften von nun an auch überregional Vereine bilden. Damit wurde die Funktion der Vertrauensperson überflüssig, lebte jedoch noch einige Jahre fort, bis um [[1905]] eine konsolidierte Organisation mit Wahlkreisvereinen und einem [[Bezirksverband Schleswig-Holstein|Bezirksverband]] entstand. Über die Frage der „Zentralisation“ gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten, so befürwortete [[Carl Legien]] die Fortführung des bisherigen Systems, da es sich schließlich bewährt habe. [[Eduard Adler]] sprach sich dafür aus, dass nur ein Amt ausüben dürfe, wer von der Mitgliederversammlung legitimiert sei.<ref>Paetau, Rainer: ''Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925'' (Neumünster 1988), S. 56</ref> Der Historiker [[Rainer Paetau]] geht davon aus, dass es in der Debatte auch schlicht um die Machtfrage ging - darum, ob der örtliche [[Vorsitzender|Vereinsvorsitzende]] oder der Vertrauensmann das Sagen habe.<ref>Paetau, Rainer: ''Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925'' (Neumünster 1988), S. 58</ref>
Das "Sozialistengesetz" wurde [[1890]] nach dem Abgang Bismarcks nicht erneuert, durch die "[https://de.wikipedia.org/wiki/Lex_Hohenlohe Lex Hohenlohe]" wurde [[1899]] auch das Verbindungsverbot aufgehoben. Die Ortsvereine durften sich von nun an überregional organisieren. Damit wurde die Funktion der Vertrauensperson überflüssig.


==Vertrauensfrauen==
==Vertrauensfrauen==
Dies galt jedoch nicht für die Frauenarbeit. Dort wurde das Konzept der Vertrauensperson fortgeführt, weil ihnen noch bis [[1908]] im Deutschen Reich jegliche parteipolitische Betätigung verboten war. Ihre (durchweg weiblichen) Vertrauenspersonen hatten die Aufgabe, unter Berücksichtigung (oder Umgehung) der in der Provinz Schleswig-Holstein geltenden Vereinsgesetze die Verbindung zwischen den der SPD nahestehenden Frauen auf allen Ebenen herzustellen sowie Forderungskataloge zu erarbeiten, die von der Fraktion der SPD im Reichstag eingebracht werden sollten.  
Für die [[SPD Frauen|Frauenarbeit]] überdauerte das Konzept wesentlich länger, nicht zuletzt, weil Frauen noch bis [[1908]] im Deutschen Reich jegliche parteipolitische Betätigung verboten war. Ihre (durchweg weiblichen) Vertrauenspersonen hatten die Aufgabe, unter Berücksichtigung (oder Umgehung) der in der Provinz Schleswig-Holstein geltenden Vereinsgesetze die Verbindung zwischen den der SPD nahestehenden Frauen auf allen Ebenen herzustellen sowie Forderungskataloge zu erarbeiten, die von der Fraktion der SPD im Reichstag eingebracht werden sollten.  


Als "Zentralvertrauensperson der Genossinnen Deutschlands" amtierten zum Beispiel [[Ottilie Gerndt]] und von [[1899]] bis [[1908]] [[Ottilie Baader]].<ref>Kühne, Tobias: ''"Willst du arm und unfrei bleiben?" Louise Zietz (1865-1922)'' (SPD-Parteivorstand, Berlin 2015)</ref>
Als "Zentralvertrauensperson der Genossinnen Deutschlands" amtierten zum Beispiel [[Ottilie Gerndt]] und von [[1899]] bis [[1908]] [[Ottilie Baader]].<ref>Kühne, Tobias: ''"Willst du arm und unfrei bleiben?" [[Louise Zietz]] (1865-1922)'' (SPD-Parteivorstand, Berlin 2015)</ref> Diese erläuterte in ihren Erinnerungen:


[[Ottilie Baader]] erläuterte in ihren Memoiren:
<blockquote>"Der Parteitag in Frankfurt a.M. von [[1894]] hatte den Beschluß gefaßt, die Frauenagitationskommission aufzulösen und statt dessen einzelne weibliche Vertrauenspersonen zu wählen, die auch die spitzfindigste Polizeibehörde nicht zu einem »politischen Verein« stempeln konnte."<ref>Baader, Ottilie: ''[http://www.zeno.org/Kulturgeschichte/M/Baader,+Ottilie/Ein+steiniger+Weg.+Lebenserinnerungen+einer+Sozialistin Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen einer Sozialistin]'' (3. Aufl., Bonn 1979), S. 7. ISBN 1483959821. (Erstdruck: Stuttgart/Berlin 1921)</ref></blockquote>


:"Der Parteitag in Frankfurt a.M. von [[1894]] hatte den Beschluß gefaßt, die Frauenagitationskommission aufzulösen und statt dessen einzelne weibliche Vertrauenspersonen zu wählen, die auch die spitzfindigste Polizeibehörde nicht zu einem »politischen Verein« stempeln konnte."<ref>Baader, Ottilie: ''[http://www.zeno.org/Kulturgeschichte/M/Baader,+Ottilie/Ein+steiniger+Weg.+Lebenserinnerungen+einer+Sozialistin Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen einer Sozialistin]'' (3. Aufl., Bonn 1979), S. 7. ISBN 1483959821. Erstdruck: Stuttgart/Berlin 1921</ref>
Am [[15. September]] [[1900]] fand in Mainz die erste SPD-Frauenkonferenz statt. Die Delegierten beschlossen
<blockquote>"den Ausbau des Systems der Vertrauenspersonen, eine straffere Organisation, stärkere Vernetzung der ­Vertrauenspersonen untereinander, bessere Einbindung in die Partei und eine engere Zusammenarbeit mit den Genossen. Denn nur wenn Arbeiterinnen und Arbeiter gemeinsam agieren, sehen sie eine Chance, die Sozialdemokratie weiter erfolgreich auszubauen. […] <br>Tatsächlich gelingt es, die Zahl der Vertrauenspersonen massiv zu steigern. Der Kampf um Verbesserungen in der Lohnfrage, bei Arbeitszeit, Überstundenarbeit sowie bei den sanitären Bedingungen, dem gesetzlichen Schutz, der Gewerkschaftsorganisation, der Kranken­versicherung und für das ­Wahlrecht der Frauen nimmt Fahrt auf. [[1908]] wird das Vereinsrecht reformiert. Von nun an können Arbeiterinnen offiziell der SPD beitreten."<ref>Horsmann, Thomas: ''[https://www.vorwaerts.de/artikel/120-jahren-spd-frauen-aufbegehrten Erste sozialdemokratische Frauenkonferenz - Vor 120 Jahren: Als die SPD-Frauen aufbegehrten]'', vorwaerts.de, 15.9.2020</ref></blockquote>
Langjährige Vertrauensfrauen waren [[Theodora Niendorf]], die Frau des Arbeitersekretärs [[G. Niendorf]], für [[Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel|die Kieler SPD]], [[Linchen Baumann]] aus [[Ortsverein Altona|Altona]] ab [[1908]] für die Provinz. Sie wurde später als erste Frau in den [[Landesvorstand|Bezirksvorstand]] gewählt.<ref name=":0">{{Osterroth-100-Jahre}}, Seite 49</ref>


Am [[15. September]] [[1900]] findet in Mainz die erste SPD Frauenkonferenz statt. Die Delegierten beschließen "den Ausbau des Systems der Vertrauenspersonen, eine straffere Organisation, stärkere Vernetzung der ­Vertrauenspersonen untereinander, bessere Einbindung in die Partei und eine engere Zusammenarbeit mit den Genossen. Denn nur wenn Arbeiterinnen und Arbeiter gemeinsam agieren, sehen sie eine Chance, die Sozialdemokratie weiter erfolgreich auszubauen. […] Tatsächlich gelingt es, die Zahl der Vertrauenspersonen massiv zu steigern. Der Kampf um Verbesserungen in der Lohnfrage, bei Arbeitszeit, Überstundenarbeit sowie bei den sanitären Bedingungen, dem gesetzlichen Schutz, der Gewerkschaftsorganisation, der Kranken­versicherung und für das ­Wahlrecht der Frauen nimmt Fahrt auf. 1908 wird das Vereinsrecht reformiert. Von nun an können Arbeiterinnen offiziell der SPD beitreten."<ref>Horsmann, Thomas: ''[https://www.vorwaerts.de/artikel/120-jahren-spd-frauen-aufbegehrten Erste sozialdemokratische Frauenkonferenz - Vor 120 Jahren: Als die SPD-Frauen aufbegehrten.]'' bei: vorwaerts.de, 15. September 2020</ref>
[[1905]] gab es 16 Vertrauensfrauen. [[1908]] waren es 47.<ref>{{Osterroth-100-Jahre}} Seite 49</ref>


==Spätere Formen==
==Spätere Formen==
Das Konzept der Vertrauenspersonen lebte noch einmal [[1945]] auf, als gegen Ende der Nazi-Herrschaft ehemalige SPD-Mitglieder begannen, sich in den Betrieben und auf lokaler Ebene wieder zu organisieren.
=== Teil der Ortsvereinsarbeit ===
[[Datei:Distrikt Kiel Ost 1927.jpg|thumb|right|600px]]Die [[Ortsverein]]e bzw. in den großen Vereinen die [[Distrikt]]e betreuten ihre Mitglieder in einer kleinteiligen Struktur, z.B. auf der Ebene von Wohnblocks, durch Vertrauenspersonen. Dies ist beispielhaft nachvollziehbar durch das nebenstehende Foto, das den Vorstand und die Vertrauensleute des [[Ortsverein Gaarden|Distrikts Ost]], insgesamt 34 Männer und Frauen, im Jahr [[1927]] zeigt.
 
Daraus entstand möglicherweise später die Rolle als [[Hauskassierer]].
 
=== Neuanfang 1945 ===
Das Konzept der Vertrauenspersonen lebte [[1945]] noch einmal auf, als gegen Ende der Nazi-Herrschaft Sozialdemokrat*innen begannen, sich - zunächst in [[Stubenzirkel|Stubenzirkeln]] oder ähnlich verdeckten Formen - in den Betrieben und in ihrem unmittelbaren Umfeld wieder zu organisieren.


==Quellen==
==Einzelnachweise==
<references />
<references />


[[Kategorie:Sozialistengesetz]]
[[Kategorie:Sozialistengesetz]]
[[Kategorie:Frauen- und Gleichstellungspolitik]]
[[Kategorie:Frauen- und Gleichstellungspolitik]]
[[Kategorie:Organisation]]

Aktuelle Version vom 15. April 2025, 09:16 Uhr

Die Funktion der Vertrauensperson - bis zum Berliner Parteitag[1] von 1882 Vertrauensmann - stammte aus der Zeit der illegalen Arbeit während des "Sozialistengesetzes".

Ursprung

Schon vor dem Sozialistengesetz wurde die Sozialdemokratie durch die staatlichen Behörden verfolgt. Auf lokaler Ebene durften die Vorgängerparteien der SPD noch während der Zeit des Verbotes der SAPD seit Frühjahr 1876 Ortsvereine oder Wahlvereine gründen oder Wahl-Komitees zu Reichstags- und anderen Wahlen bilden. Diese durften jedoch in keiner Weise mit der Gesamtpartei in Verbindung stehen, auch nicht vor deren Verbot. Einen sehr guten Eindruck von dieser Situation vermittelt ein Zeitungsartikel über ein Gerichtsverfahren gegen den Vorstand des sozialdemokratischen Vereins Altona im Dezember 1875 in Neuer Social-Demokrat 19.12.1875.

Nach dem Ende des absoluten Verbots aller sozialdemokratischen Aktivitäten (1878-1890) konnte nicht nur die SPD als Ganzes, sondern auch örtliche sozialdemokratische Vereine wiedergegründet werden.

Das "Verbindungsverbot" untersagte lokalen Vereinen jedoch bis 1899, sich überregional zusammenzuschließen. Die Partei löste das Problem über Vertrauenspersonen, die nicht zuletzt die wichtige Verbindung zwischen den Ortsvereinen und dem Parteivorstand aufrecht erhielten. Einzelne Personen konnten weder verboten noch aufgelöst werden. "[So konnten] die äußerst findigen Staatsanwälte keinen Verein im Sinne des Gesetzes konstruieren [...]."[2]

Funktion

Vertrauenspersonen waren aber nicht notwendigerweise politischen Führungskräfte oder meinungsbildend:

"Vertrauenspersonen gab es [in Schleswig-Holstein] auf der Ebene der örtlichen Vereine, der Reichstagswahlkreise und der Region bzw. Provinz. Die örtliche Vertrauensperson wurde von den Parteimitgliedern unabhängig von dem am Ort bestehenden offiziellen SPD-Verein "ernannt", also nicht in der Mitgliederversammlung gewählt [...]. Alle örtlichen Vertrauenspersonen eines Wahlkreises versammelten sich zweimal im Jahr zu Wahlkreiskonferenzen, und in der Regel bestimmten sie aus ihrer Mitte eine Kreis-Vertrauensperson bzw. ein "Agitationskomitee", das aus bis zu drei Personen bestehen konnte und für ein Jahr amtierte. Die örtlichen Vertrauenspersonen hatten dafür zu sorgen, daß die Parteiarbeit so durchgeführt wurde, wie es auf den Wahlkreiskonferenzen beschlossen oder von dem Agitationskomitee angeordnet worden war. Ihre vornehmste Aufgabe bestand darin, regelmäßig über den Stand der Organisation zu berichten, die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und Sammlungen zu verwalten und an die Kreisvertrauensperson abzuführen. Die örtlichen Vertrauenspersonen besaßen nicht nur eine Vermittlungs-, sondern im lokalen Verein auch eine Überwachungsfunktion."[3]

Das "Sozialistengesetz" wurde 1890 nach dem Abgang Bismarcks nicht erneuert, durch die "Lex Hohenlohe" wurde 1899 auch das Verbindungsverbot aufgehoben. Die Ortsvereine durften von nun an auch überregional Vereine bilden. Damit wurde die Funktion der Vertrauensperson überflüssig, lebte jedoch noch einige Jahre fort, bis um 1905 eine konsolidierte Organisation mit Wahlkreisvereinen und einem Bezirksverband entstand. Über die Frage der „Zentralisation“ gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten, so befürwortete Carl Legien die Fortführung des bisherigen Systems, da es sich schließlich bewährt habe. Eduard Adler sprach sich dafür aus, dass nur ein Amt ausüben dürfe, wer von der Mitgliederversammlung legitimiert sei.[4] Der Historiker Rainer Paetau geht davon aus, dass es in der Debatte auch schlicht um die Machtfrage ging - darum, ob der örtliche Vereinsvorsitzende oder der Vertrauensmann das Sagen habe.[5]

Vertrauensfrauen

Für die Frauenarbeit überdauerte das Konzept wesentlich länger, nicht zuletzt, weil Frauen noch bis 1908 im Deutschen Reich jegliche parteipolitische Betätigung verboten war. Ihre (durchweg weiblichen) Vertrauenspersonen hatten die Aufgabe, unter Berücksichtigung (oder Umgehung) der in der Provinz Schleswig-Holstein geltenden Vereinsgesetze die Verbindung zwischen den der SPD nahestehenden Frauen auf allen Ebenen herzustellen sowie Forderungskataloge zu erarbeiten, die von der Fraktion der SPD im Reichstag eingebracht werden sollten.

Als "Zentralvertrauensperson der Genossinnen Deutschlands" amtierten zum Beispiel Ottilie Gerndt und von 1899 bis 1908 Ottilie Baader.[6] Diese erläuterte in ihren Erinnerungen:

"Der Parteitag in Frankfurt a.M. von 1894 hatte den Beschluß gefaßt, die Frauenagitationskommission aufzulösen und statt dessen einzelne weibliche Vertrauenspersonen zu wählen, die auch die spitzfindigste Polizeibehörde nicht zu einem »politischen Verein« stempeln konnte."[7]

Am 15. September 1900 fand in Mainz die erste SPD-Frauenkonferenz statt. Die Delegierten beschlossen

"den Ausbau des Systems der Vertrauenspersonen, eine straffere Organisation, stärkere Vernetzung der ­Vertrauenspersonen untereinander, bessere Einbindung in die Partei und eine engere Zusammenarbeit mit den Genossen. Denn nur wenn Arbeiterinnen und Arbeiter gemeinsam agieren, sehen sie eine Chance, die Sozialdemokratie weiter erfolgreich auszubauen. […]
Tatsächlich gelingt es, die Zahl der Vertrauenspersonen massiv zu steigern. Der Kampf um Verbesserungen in der Lohnfrage, bei Arbeitszeit, Überstundenarbeit sowie bei den sanitären Bedingungen, dem gesetzlichen Schutz, der Gewerkschaftsorganisation, der Kranken­versicherung und für das ­Wahlrecht der Frauen nimmt Fahrt auf. 1908 wird das Vereinsrecht reformiert. Von nun an können Arbeiterinnen offiziell der SPD beitreten."[8]

Langjährige Vertrauensfrauen waren Theodora Niendorf, die Frau des Arbeitersekretärs G. Niendorf, für die Kieler SPD, Linchen Baumann aus Altona ab 1908 für die Provinz. Sie wurde später als erste Frau in den Bezirksvorstand gewählt.[9]

1905 gab es 16 Vertrauensfrauen. 1908 waren es 47.[10]

Spätere Formen

Teil der Ortsvereinsarbeit

Die Ortsvereine bzw. in den großen Vereinen die Distrikte betreuten ihre Mitglieder in einer kleinteiligen Struktur, z.B. auf der Ebene von Wohnblocks, durch Vertrauenspersonen. Dies ist beispielhaft nachvollziehbar durch das nebenstehende Foto, das den Vorstand und die Vertrauensleute des Distrikts Ost, insgesamt 34 Männer und Frauen, im Jahr 1927 zeigt.

Daraus entstand möglicherweise später die Rolle als Hauskassierer.

Neuanfang 1945

Das Konzept der Vertrauenspersonen lebte 1945 noch einmal auf, als gegen Ende der Nazi-Herrschaft Sozialdemokrat*innen begannen, sich - zunächst in Stubenzirkeln oder ähnlich verdeckten Formen - in den Betrieben und in ihrem unmittelbaren Umfeld wieder zu organisieren.

Einzelnachweise

  1. Siehe: Sozialdemokratische Parteitage (1890 - 1899)
  2. Konferenz für den 8. (Altona-Stormarn) und 10. (Lauenburg) Schleswig-Holsteinischen Wahlkreis, Hamburger Echo, 12.8.1902, S. 5
  3. Paetau, Rainer: Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925 (Neumünster 1988), S. 54 f.
  4. Paetau, Rainer: Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925 (Neumünster 1988), S. 56
  5. Paetau, Rainer: Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925 (Neumünster 1988), S. 58
  6. Kühne, Tobias: "Willst du arm und unfrei bleiben?" Louise Zietz (1865-1922) (SPD-Parteivorstand, Berlin 2015)
  7. Baader, Ottilie: Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen einer Sozialistin (3. Aufl., Bonn 1979), S. 7. ISBN 1483959821. (Erstdruck: Stuttgart/Berlin 1921)
  8. Horsmann, Thomas: Erste sozialdemokratische Frauenkonferenz - Vor 120 Jahren: Als die SPD-Frauen aufbegehrten, vorwaerts.de, 15.9.2020
  9. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 49
  10. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]) Seite 49