Carl Dietrich
Carl Dietrich |
Carl Otto Hermann Dietrich (auch Karl Dietrich oder Carl Dietrich-Liegnitz[Anm.: 1]); * 10. Dezember 1873 in Sächsisch Haugsdorf, Landkreis Lauban, † 13. Oktober 1953 in Bad Elster); Tischler, Gewerkschaftssekretär, Polizeipräsident von Kiel. Mitglied der SPD ab 1893.[1] Ab 1946 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei (SED).
Kindheit und Jugend
Carl Dietrich wurde 1873 als fünftes von sechs Kindern des Viehhirten und Schäfers Johann Karl Gottfried Dietrich (1831-1913) und der Dienstmagd Johanna Christiane Dietrich (geb. Schwob, 1835-1911) geboren. Seine Familie lebte in Armut und zog in seiner Schulzeit bedingt durch den Beruf des Vaters mehrfach um. Sie erfuhr große Not und Ungerechtigkeit.[2]
Um der Armut der Landwirtschaft zu entkommen machte er von 1888 bis 1892 eine Ausbildung als Tischler in Greiffenberg (heute: Gryfów Śląski) und arbeitete danach in Görlitz in verschiedenen Betrieben.[2]
In seiner Ausbildung kam Carl Dietrich mit sozialistischen Ideen in Berührung. Mit 17 Jahren erlebte er August Bebel bei einer Veranstaltung in Görlitz und war fasziniert. Er nahm Kontakt zu ihm auf, trat in die SPD ein, und sie bleiben einander politisch-freundschaftlich bis zu Bebels Tod verbunden.[2]
Carl Dietrich trat auch in die Gewerkschaft der Holzarbeiter ein, engagierte sich für die Rechte der Arbeiter und brachte ihnen in Kursen Buchhaltung und Arbeitsrecht bei.[2]
Gewerkschafter
Er lernte in dieser Zeit die Arbeitertochter Martha Wünsch kennen. Die beiden heirateten am 11. Juli 1896. Er war 23 Jahre alt, seine Frau 18. Das Paar bekam drei Kinder, von denen eines mit nur fünf Jahren starb.[2]
1902 wurde Carl Dietrich zum hauptamtlichen Gauvorsteher des Holzarbeiterverbandes gewählt, für den er bis 1920 arbeitete und mehrfach an Verbandstagen und Gewerkschaftskongressen der Holzarbeiter teilnahm.[3] Auch in dieser Position war er streitbar: So verklagte er einen Vertreter des Arbeitgeberverbandes wegen Beleidigung.[4]
Zur Reichstagswahl 1907 trat Carl Dietrich das erste Mal für den Wahlkreis Liegnitz-Goldberg-Hainau an[5] Er übernahm den Wahlkreis vom späteren SPD-Vorsitzenden Hermann Müller, der in den Wahlkreis nach Görlitz wechselte und konnte das SPD-Wahlergebnis verbessern. In dieser und der nächsten Reichstagswahl kam er in die Stichwahl.[2] Zwischen 1910 und 1919 nahm Carl Dietrich mehrfach an SPD-Parteitagen teil.[3]
Weimarer Republik
1918 erreichte die Novemberrevolution auch Schlesien. Carl Dietrich wurde Mitglied des zentralen Volksrats für die Provinz Schlesien und Volksbeauftragter beim Regierungspräsidenten in Breslau.[3] 1919 wurde er in die Nationalversammlung gewählt. Er arbeitete im Wirtschaftsausschuss mit und meldete sich im Parlament u.a. zu Fragen der Mitbestimmung zu Wort.[6] Bei der Reichstagswahl 1920 kandidierte Carl Dietrich erneut, allerdings erfolglos.[3]
In der Weimarer Republik wurde er Landrat in Sprottau (heute: Szprotawa) östlich von Görlitz und zugleich Mitglied des Preußischen Staatsrats und des Niederschlesischen Provinziallandtags.[3]
1925 bot ihm der preußische Innenminister Carl Severing das Amt des Polizeipräsidenten von Kiel an. Sein Vorgänger Wilhelm Poller war dort gerade in den Ruhestand gegangen. Als Gewerkschafter sei Carl Dietrich besonders geeignet, zwischen Polizei und Werftarbeitern in einem Arbeitskampf zu vermitteln, war das Argument. Er wechselte jedoch erst nach der Drohung des Ministeriums, ihn auf jeden Fall aus Sprottau weg zu versetzen.[2]
Als Kieler Polizeipräsident war ihm auch die Landespolizei unterstellt. Er selbst war dem Innenminister verantwortlich, nicht dem Oberpräsidenten Heinrich Kürbis. Auch wenn die bürgerlichen Kieler Neuesten Nachrichten gegen ihn als einen der "Gebieter auf den roten Polizeithronen Preußens" hetzten[7], setzte er sich in seiner Amtszeit, so gut er konnte, gegen die Umtriebe der Nazis ein.[2]
Als am 20. Juli 1932 durch eine erste Notverordnung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die geschäftsführende und legale Regierung des Freistaates Preußen durch den Reichskanzler Franz von Papen als Reichskommissar ersetzte ("Preußenschlag"), verlor er seinen Posten und wurde - wie bspw. auch Otto Eggerstedt, Hermann Lüdemann und Heinrich Kürbis[8] - in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Ihm wurde aber noch der Umzug nach Görlitz bezahlt. Seine Beziehung zu Kiel endete damit.
Nazi-Zeit
1933 strichen die Nazis Carl Dietrich aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" die Pension und stellten ihn unter Polizeiaufsicht. Damals war er 60 Jahre alt. Er eröffnet einen kleinen Papier- und Tabakwarenladen im heute polnischen Teil von Görlitz, in der Pragerstraße 38. Wie viele andere war auch dieser Tabakwarenladen ein Treffpunkt für Andersdenkende in der Nazi-Zeit.[2]
Ob er in dieser Zeit verhaftet wurde oder nicht, ist nicht ganz klar. Das Bundesarchiv dokumentiert Verhaftungen 1937, 1944 und 1945 - er selbst sagte, dass sie nur angeordnet, aber nicht umgesetzt worden seien.[2]
DDR
Als die Rote Armee Görlitz befreite, war für ihn klar, dass er mithelfen wollte, das Land neu aufzubauen, obwohl er offenbar von betrunkenen Rotarmisten zunächst schwer misshandelt wurde.[9] Er meldete sich bei der Kommandantur und wurde 1945 mit 72 Jahren - offenbar jeweils für kurze Zeit - als Leiter des Arbeitsamtes, Landrat von Görlitz und Landrat von Großenhain eingesetzt.
Am 23. Juni 1945 beteiligte er sich an der Neugründung der SPD in Görlitz. Es waren auch Kommunisten dabei, und die Einheit der Arbeiterbewegung wurde beschworen. Allerdings konnte die Görlitzer SPD in der Folgezeit mehr als doppelt so viele Mitglieder binden wie die KPD.[10] Als die SPD zur Vereinigung mit der KPD gezwungen wurde, trat Carl Dietrich in die SED ein.
1947 wurde er Kurdirektor in Bad Elster. Dort setzte er sich dafür ein, dass auch Arbeiter vernünftige Erholungskuren machen konnten. Zwei Jahre später ging er endgültig in den Ruhestand.
1953 starb Carl Dietrich mit 80 Jahren in Bad Elster.[2]
Literatur
- Martin, Sandra: Dietrich (Liegnitz), Carl. Szenen aus dem Leben eines Kieler Polizeipräsidenten (1925–1933). Zur Erinnerung an den Urgroßvater. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 90, Heft 6 (2022), S. 339–357
- Schumacher, Martin (Hrsg.): M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933–1945. Eine biographische Dokumentation. 3., erheblich erweiterte und überarbeitete Auflage (Droste, Düsseldorf 1994) ISBN 3-7700-5183-1, S. 90
Archive
- Carl Dietrich in der Datenbank der Reichstagsabgeordneten
- Carl Dietrich, Akten der Reichskanzlei, Bundesarchiv
Links
- Wikipedia: Karl Dietrich (Politiker, 1873)
Einzelnachweise
- ↑ Biogramm von Carl Dietrich, Bundesarchiv, abgerufen 30.11.2022
- ↑ 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 Martin, Sandra: Dietrich (Liegnitz), Carl. Szenen aus dem Leben eines Kieler Polizeipräsidenten (1925–1933). Zur Erinnerung an den Urgroßvater. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte Band 90, Heft 6 (2022), S. 339–357
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 Biografie von Carl Dietrich. In: Schröder, Wilhelm H.: Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1876–1933 (BIOSOP) (der genaue Datensatz muss mit der Suchfunktion ermittelt werden)
- ↑ Vorwärts, 26.02.1909, Nummer: 48, Jahrgang: 26
- ↑ Vorwärts, 30.12.1906, Nummer: 303, Jahrgang: 23
- ↑ Reichstagsprotokolle, Register 334
- ↑ Göhring, Mario: Vom bürgerlich-nationalistischen Blatt zur "gleichgeschalteten" Zeitung - Die KIELER NEUESTE NACHRICHTEN 1930-1934, In: Informationen der Schlewig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 27 (Juli 1995) S. 20-54.
- ↑ Bundesarchiv: Akten der Reichskanzlei: Band 1, Nr. 76 Sitzung des Preußischen Staatsministeriums vom 21. Juli 1932, Personalangelegenheiten.
- ↑ Kabus, Ronny: "...weine ich täglich um meinen Vater" - In der Gewalt Stalins und der SED (Book on Demand, 2011) ISBN 3842331029, Seite 26
- ↑ Kabus, Ronny: "...weine ich täglich um meinen Vater" - In der Gewalt Stalins und der SED (Book on Demand, 2011) ISBN 3842331029, Seite 93
Anmerkungen
- ↑ Bei Nachnamensgleichheit wurden Abgeordnete durch Anhängen ihres Wahlkreises an den Namen unterschieden.