Freie Volksbühne Kiel
Die Freie Volksbühne für Kiel und Umgebung, kurz "Kieler Volksbühne", wurde am 17. Mai[1] 1894 gegen erhebliche Widerstände ins Leben gerufen, als dritte Volksbühne in Deutschland überhaupt (nach Berlin und dem damals noch holsteinischen Altona[2]). Gründungsvorsitzender wurde Otto Meyer.[1]
Ziele
Die Volksbühne war ein eingetragener Verein mit dem Zweck, "seinen Mitgliedern erhebende und befreiende Kunstwerke aller Gattungen, insbesondere Theatervorstellungen, Dichtungen und Musikwerke vorzuführen und dieselben durch Vorträge oder Aufsätze zu erläutern"[3]. Ihr Namenszusatz "Freie Bühne für jedermann" weist darauf hin, welchen programmatischen Prinzipien die Gründer folgten: Sie verstanden eine Theateraufführung nicht als ein Mittel der Arbeiterbewegung im Klassenkampf, sondern strebten "die Demokratisierung des Theaterbesuchs, die Öffnung der "bürgerlichen" Institution Theater für alle Schichten der Bevölkerung"[4] an. Die Mitgliedschaft kostete 50 Pfennige im Monat. Während der Theatersaison konnte eine Vorstellung monatlich besucht werden; die Karten wurden - gemäß der Idee der Chancengleichheit - verlost.
Schwierige Zeiten - Selbstauflösung 1898
Der Weg zum hehren Ziel war mit hohen Hindernissen versehen. Dem Verein blieb etwa das Stadttheater - damals noch in privater Hand - verschlossen. Für jede Aufführung mussten die Finanzierung, der Raum und das gesamte Personal auf und hinter der Bühne selbst organisiert werden. Diese Aufgabe oblag einer sechsköpfigen Kommission, die jährlich neu aus der Mitgliederschaft gewählt wurde. Die ersten Vorstellungen fanden im "Colosseum", einem Lokal am Exerzierplatz, statt. Ein Unsicherheitsfaktor war auch, dass Wirte ihre Säle manchmal kurzfristig an andere Kunden vergaben, wenn damit mehr zu verdienen war. Auch der Staat hatte ein Auge auf den Theaterverein; die Behörden fanden Wege, den kulturbegeisterten Arbeiterinnen und Arbeitern Grenzen zu setzen.[5] Da die Obrigkeit ihr als sozialdemokratischer Einrichtung jeden möglichen Stein in den Weg legte, beschloss die Kieler Volksbühne bereits im Oktober 1898 ihre Selbstauflösung.[6]
In den folgenden 12 Jahren gibt es Hinweise, dass die Bemühungen um Zugang der Arbeiterschaft zum Theater weitergingen. Für 1901 ist die Existenz eines "SPD-Vereins für Werftarbeiter" belegt, der zwei Aufführungen von Gerhart Hauptmanns "Die Weber" mit Ensemblemitgliedern des Stadttheaters organisierte. Ab 1907 verpflichtete sich das Theater gegenüber der Stadt, jährlich acht "Volksvorstellungen" zu ermäßigten Eintrittspreisen anzubieten, darunter Klassiker, aber auch moderne Stücke und Autoren aus dem Ausland. Daneben war ein "Ausschuss für Volksbildung" der Gewerkschaften aktiv, der gelegentlich für ihre Mitglieder Aufführungen vollständig buchte.[7]
Neugründung in der Weimarer Republik
Erst nach Ende des Kaiserreichs wurde die "Kieler Freie Volksbühne" von SPD, USPD und KPD gemeinsam wiederbegründet. Auf der Gründungsversammlung am 16. Juli 1920 sprachen neben dem Intendanten des mittlerweile in städtische Regie übergegangenen Stadttheaters, dem Genossen Dr. Max Alberty, der Reichstagsabgeordnete Albert Billian und als Vertreter der USPD der Redakteur Gerhart Seger. Zutritt zur Gründungsversammlung wurde nur gegen Vorlage des Mitgliedsbuches einer der drei Parteien gestattet.[8] Diese Regelung wurde beibehalten; die Beschränkung auf die organisierte Arbeiterschaft verhinderte, dass bürgerliche Kreise über die Mitgliedschaft zum verbilligten Theaterbesuch kamen. Wieder gab es einen künstlerischen Beirat, der die Theaterleitung bei der Auswahl der Stücke für die Volksbühne beriet und ein Beiprogramm aus Vorträgen, Konzerten und Liederabenden organisierte.[7]
Von der Neugründung bis 1926 stand der Verein unter dem Vorsitz von Edmund Söhnker. Sein Sohn Hans erinnert sich:
"Alle Plätze hatten denselben Preis. Das war neu. Man bezahlte einen gewissen Beitrag, griff dann in eine Urne und holte ein Kuvert mit der Karte heraus. Wer mit einem Partner zusammensitzen wollte, ging an eine andere Urne, in der sich die Kuverts mit zwei Karten befanden."[9]
Auf Edmund Söhnker folgte als Vorsitzender der kulturinteressierte Gewerbeaufsichtsbeamte Paul Seegen, der im Oktober 1931 von Dr. Heinrich Weniger, einem Redakteur der VZ, abgelöst wurde.[10]
Erneute Selbstauflösung 1933
1929 erzwang die wirtschaftliche Situation das Abweichen von der bisherigen klassenbewussten Linie. Künftig wurden auch Beamte und Angestellte als Mitglieder aufgenommen. Das Ziel lautete nun - in Vorwegnahme der Sprache, die nach 1933 ganz andere Ziele verschleiern sollte - "als lebendige Zelle beim Aufbau einer wahren Volksgemeinschaft mitzuwirken".[11] Durch den erneuten Beschluss zur Selbstauflösung - am 1. Juli 1933 - kam die Kieler Volksbühne den neuen Machthabern zuvor.
Wiedergründung 1949
Ihre dritte Gründung fand nach dem Ende der Naziherrschaft im Dezember 1949 unter dem Vorsitz von Max Wittmaack statt[1]; Otto Engel war bis 1975 Stellvertreter. Auch Bruno Verdieck, Richard Thiede, der CDU-Politiker Dr. Arthur Schwinkowski oder der Kieler Buchhändler Harald Eschenburg gehörten dem ersten Vorstand an. Es folgten im Vorsitz
- der ehemalige SPD-Ratsherr Hans Jeske - langjähriger Vorsitzender, "der mit unermüdlichem Einsatz die dritte Kieler Volksbühne zu dem gemacht hat, was sie heute ist"[12],
- 1986 bis 1994 die erste Frau, Uschi Schuckenböhmer[12],
- bis 2018 der frühere Geschäftsführer der Ratsfraktion, Gerd Müller[13] und
- ab 2018 der ehemalige Kieler Kulturdezernent Wolfgang Röttgers.[14]
Es lässt sich eine deutliche Linie ziehen von der ersten Gründung 1894 an, und so werden auch die Jahrestage gefeiert. Das 75jährige Bestehen der Volksbühne wurde 1969 mit einer Festschrift und einer Festveranstaltung im Rathaus begangen, auf der Edmund Söhnkers Sohn, der Schauspieler Hans Söhnker, aus den Werken von Erich Kästner las.[9] Auch das 90. und 100. Jubiläum wurden entsprechend begangen, und zum 120jährigen Bestehen bot die Kieler Volksbühne 2014 ein umfangreiches Programm.
Literatur
- Jeske, Marlies: 90 Jahre Kieler Volksbühne, in Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 69 (1983-1985) S. 101-140
- Jeske, Marlies/Gerchow, Sabine: Entstehung und Entwicklung der Kieler Volksbühne - Ein kulturgeschichtlicher Rückblick über fast ein Jahrhundert. In: Demokratische Geschichte, Band 3(1988), S. 319-334
Links
- Homepage: Volksbühne Kiel
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Homepage der Kieler Volksbühne, abgerufen am 27.2.2015
- ↑ Carl, Rolf-Peter: Die Kunst dem Volke. Die Volksbühne Kiel wird 120 Jahre alt, in: inKultur. Das Magazin der Volksbühne Kiel e.V., Nr. 10/2014, S. 25
- ↑ Vereinssatzung § 2
- ↑ Carl, Rolf-Peter: Die Kunst dem Volke. Die Volksbühne Kiel wird 120 Jahre alt, in: inKultur. Das Magazin der Volksbühne Kiel e.V., Nr. 10/2014, S. 26 f.
- ↑ Vgl. Carl, Rolf-Peter: Die Kunst dem Volke. Die Volksbühne Kiel wird 120 Jahre alt, in: inKultur. Das Magazin der Volksbühne Kiel e.V., Nr. 10/2014, S. 26
- ↑ Vgl. Jeske, Marlis: 90 Jahre Kieler Volksbühne, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 69 (1984), S. 104 ff.
- ↑ 7,0 7,1 Vgl. Carl, Rolf-Peter: Die Kunst dem Volke. Die Volksbühne Kiel wird 120 Jahre alt, in: inKultur. Das Magazin der Volksbühne Kiel e.V., Nr. 10/2014, S. 27
- ↑ Laut öffentlicher Einladung in der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung, 12.6.1920
- ↑ 9,0 9,1 Söhnker, Hans: ... und kein Tag zuviel (Hamburg 1974), S. 13
- ↑ Jeske, Marlies/Gerchow, Sabine: Entstehung und Entwicklung der Kieler Volksbühne - Ein kulturgeschichtlicher Rückblick über fast ein Jahrhundert. In: Demokratische Geschichte, Band 3(1988), S. 328 ff.
- ↑ Zit. bei Carl, Rolf-Peter: Die Kunst dem Volke. Die Volksbühne Kiel wird 120 Jahre alt, in: inKultur. Das Magazin der Volksbühne Kiel e.V., Nr. 10/2014, S. 28
- ↑ 12,0 12,1 Jeske, Marlies/Gerchow, Sabine: Entstehung und Entwicklung der Kieler Volksbühne - Ein kulturgeschichtlicher Rückblick über fast ein Jahrhundert. In: Demokratische Geschichte, Band 3(1988), S. 333
- ↑ Lt. Uschi Schuckenböhmer
- ↑ Kieler Nachrichten, 2.5.2018