Otto Engel

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Otto Engel
Otto Engel
Otto Engel
Geboren: 8. April 1906
Gestorben: 28. Mai 1983

Otto Engel, * 8. April 1906 in Rogätz b. Magdeburg, † 28. Mai 1983 in Kiel; Tischler, Parteisekretär. Mitglied der SPD seit 1924.[1]

Leben & Beruf

Nach der Ausbildung zum Tischler in Magdeburg ging Otto Engel auf Wanderschaft, die ihn durch halb Europa führte. Er kehrte zunächst nach Magdeburg zurück, ging aber 1928 mit Julius Bredenbeck nach Kiel.[2] Zunächst arbeitslos, verkaufte er Brot und Margarine und war auch in einem Trio als Straßensänger zu hören. Dann bekam er Arbeit als Tischler im Betrieb eines Genossen.[3] Seine politische Heimat fand er in der Arbeiterjugend und in der SPD.[4] Der Kieler Parteivorstand schickte ihn zur Fortbildung auf die Arbeitervolkshochschule nach Harrisleefeld. Danach war er 1932 bis 1933 als Werbeleiter der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung (VZ) tätig.[5]

Seine Frau Rosa, geb. Schmidt, lernte er 1928 in der Arbeiterjugend kennen.[3] Das Paar hatte zwei Töchter, Gerda, die später Günter Schilling heiratete, und die etwa acht Jahre jüngere Eva.[6] Die Ältere erinnert sich an beide Eltern als freundlich und liberal; in der Erziehung habe es kaum Verbote gegeben, gerade ihr Vater sei den Töchtern gegenüber sehr nachgiebig gewesen. Während der NS-Herrschaft und des 2. Weltkriegs war Gerda allerdings meist in der sogenannten "Kinderlandverschickung", die sie vor dem Bombenkrieg schützen sollte, oder bei den Großeltern im relativ friedlichen Magdeburg. Nach der NS-Herrschaft habe sich ihre Mutter an der Durchführung der AWO-Strandfahrten beteiligt.[2] Rosa Engel starb weit vor ihrem Mann, etwa 1956.

"Der Tod von 'Rößchen' hat ihn hart getroffen und er hat diesen Schlag nie ganz verwinden können, trotz der Fürsorge seiner Kinder und Enkelkinder."[3]

Zu seinen engsten Freunden wurden neben Julius Bredenbeck Rolf Renger, Albert Witte, Hein Wulff, Siegfried Wurbs und über die Kieler Partei hinaus Heinrich Fischer und Heinrich Warstatis gezählt. Darüber hinaus habe er aufgrund seiner Hilfsbereitschaft, seiner "urigen Art mit viel Humor", die aber mit Sensibilität gepaart gewesen sei, viele weitere Freunde gehabt.[3] Er war, wie man heute sagen würde, außerordentlich gut vernetzt.

NS-Herrschaft

Nach der Machtübernahme der Nazis und Verbot der VZ betrieb er zusammen mit seinem ebenfalls in Kiel lebenden Bruder Willi Engel am Schlossgarten einen Zeitungspavillon, der Mittelpunkt der verbotenen Kieler SPD wurde. Er verkaufte auch Zeitungen von Haus zu Haus - ein guter Weg, um unauffällig Kontakte zu halten. Dabei führte er neben Schweizer Zeitungen auch solche, die nicht verboten, aber nicht in jedem Laden erhältlich waren, etwa Blick in die Zeit.[7] "X-mal" sei der Zeitungspavillon von der Polizei geschlossen worden, "x-mal" Otto Engel von der Gestapo verhört worden, aber er sei wie ein "Stehaufmännchen" immer wiedergekommen, bevor der Zeitungsverkauf 1936 endgültig verboten wurde. Diese Rolle sei seine "größte Tat", die Jahre '33 bis '36 seine "Glanzzeit" gewesen.[3]

Weshalb der Dreißigjährige nicht zur Wehrmacht eingezogen wurde, ist nicht ermittelt. Ab 1938 verkaufte er Fahrkarten am Schalter des Kieler Hauptbahnhofs und überstand so die restliche NS-Herrschaft. Aus dieser beruflichen Verbindung heraus beteiligte er sich noch 1945 an der Gründung der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands.[4] 1949 gehörte er zu den Mitbegründern der (dritten) Volksbühne Kiel und blieb bis 1975 ihr 2. Vorsitzender.[3]

Partei & Politik

Als einer der "Menschen der ersten Stunde" wurde Otto Engel schon vor Ende der NS-Herrschaft wieder für die SPD aktiv.

"Er organisierte die ersten Parteiversammlungen im Untergrund noch während der Nazizeit."

[3] Schon im Januar 1945 bildeten sich erste Stubenzirkel, auch in seiner Wohnung, und bereiteten die Neubildung der SPD als einer zukunftweisenden Kraft nach der absehbaren Niederlage Deutschlands vor.

Offiziell erneuerte er am 1. Dezember 1945 seine Parteimitgliedschaft.[8] Von der Wiedergründung in Kiel am 4. Oktober 1945 bis 1971 führte er als hauptamtlicher Sekretär die Geschäfte des Kreisvereins bzw. Kreisverbandes Kiel. Norbert Gansel bezeichnete ihn zu seinem 75. Geburtstag als "Parteisekretär von altem Schrot und Korn" und "einen heimlichen König der Parteiorganisation".[9] Was ihn auszeichnete, seien ein "unbestechlicher Charakter, ungewöhnlich feste Grundauffassung", "politische Zuverlässigkeit", Kontaktfreudigkeit, Organisationsgabe und eine außergewöhnliche Hartnäckigkeit gewesen:

"Er hat immer weitergemacht, auch wenn alle anderen schon aufgaben."[3]

1945/46 gehörte er dem vorläufigen Bezirksvorstand an, bis 1947 dann auch dem ersten gewählten Bezirksvorstand.[5]

Jochen Steffen schilderte seine erste Begegnung mit ihm im Februar 1946:

"Aus dem Nebenzimmer stürzte ein kleiner Mann mit seltsam abstehenden Ohren und Haaren; [...]. Er kaute heftig, hielt in der linken Hand ein Stück Brot, von dem er soviel abgebissen hatte, daß seine Backen so prall abstanden, als hätte er Billardbälle in ihnen verborgen, schüttelte meine Rechte und nuschelte mit leicht sächsischem Akzent: 'Willkommen, Genosse, nu ham wir bald so viele Studenten, daß wir sie organisieren könn!' [...] Er wirkte auf mich zunächst komisch, zumal er auch mit leerem Mund sächselnd nuschelte. Aber ich merkte schnell, daß er "helle", belesen und wendig war. [...] Er fragte sehr präzise nach. Und erklärte mir, daß ich offenbar etliches mehr wisse als er, der Parteisekretär. Daran könne ich sehen, in welchen Verein ich geraten sei. Eigentlich müsse er alles zuerst erfahren [...]. Er fragte mich nach Literatur ab und wie ich sie bewertete. Sein Ergebnis faßte er so zusammen: 'Na, nur Freude werden wir mit dir nicht haben!' Bevor ich mich verabschiedete, wollte ich die Namen der anderen Studenten und SPD-Mitglieder wissen. Er strahlte mich fröhlich an: 'Also, eigentlich bist du der erste Student. Ich wollte dich nur nicht gleich entmutigen.' Er forderte mich auf, immer, wenn es sich so ergäbe, bei ihm hereinzusehen, um über Politik zu diskutieren."[10]

Bundeskanzler Willy Brandt mit Otto Engel 1971

Die Voraussage, man werde an Jochen Steffen nicht "nur Freude" haben, bewahrheitete sich offenbar. Manche Delegierte erinnern sich, dass es während des Landesparteitages in Mölln von 1961 zwischen ihm und Otto Engel auf Grund politischer Differenzen zu nächtlichen Handgreiflichkeiten gekommen sei.[11] U.a. Gerhard Strack soll es gelungen sein, die Wogen zu glätten.

Am 8. April 1971 verabschiedeten der Kreisverband, dessen Geschäfte er 25 Jahre lang geführt hatte, und der Landesverband Otto Engel mit einem Empfang im Garbesaal des Gewerkschaftshauses in den Ruhestand.[4] Sein Nachfolger wurde Gert Günther.

Kommunalpolitik

Von der ersten ernannten Ratsversammlung am 6. Dezember 1945 an war Otto Engel bis zur Kommunalwahl 1970 in der Kieler Selbstverwaltung aktiv. Von 1946 bis 1948 war er als ehrenamtlicher Stadtrat zuständig für das Wohnungswesen.

Ehrungen

Bundesverdienstkreuz für Otto Engel (Mitte)

1970 erhielt Otto Engel für seine kommunalpolitischen Verdienste die Freiherr-vom-Stein-Gedenkmedaille des Landes Schleswig-Holstein.[3]

Am 18. Juni 1973 wurde ihm das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.[12]

Am 8. April 1981 richtete der Kreisverband Kiel einen Empfang zu seinem 75. Geburtstag (nicht 80., wie die KN schrieben!) aus und verlieh ihm die Ehrenmedaille der SPD. Eingeladen waren u.a. Rolf und Helga Renger, Hermann und Ilse Sade, Walter Gelszeit, Alma Köster, Egon Müller und Herbert Schütt.

Zu seiner Trauerfeier am 2. Juni 1983 sandte auch der Parteivorstand in Bonn einen Kranz mit Schleife[13], wohl auch, weil er mit Willy Brandt befreundet gewesen war. Wer die Trauerrede hielt (die in den Akten des Kreisverbandes Kiel handschriftlich vorliegt), ist bisher nicht geklärt.

Literatur

  • Fischer, Rolf: Die dunklen Jahre. Kiels Sozialdemokratie im Nationalsozialismus (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie, Band 4: 1930-1945, Kiel 2017) ISBN 978-3-86935-329-6
  • Martens, Holger: Die Geschichte der SPD in Schleswig-Holstein 1945-1959 (Malente 1998) ISBN 3-933862-24-8
  • Steffen, Jochen (Hrsg. Jens-Peter Steffen): Personenbeschreibung. Biographische Skizzen eines streitbaren Sozialisten (Kiel 1997)
  • Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, 7.4.1966
  • Ph [Gottfried H. Philipp]: Nach 25 Parteisekretärs-Jahren in den wohlverdienten Ruhestand, Kieler Nachrichten, 7.4.1971
  • pdl: Bundesverdienstkreuz an zwei Kommunalpolitiker verliehen, Kieler Nachrichten, 19.6.1973
  • Philipp, Gottfried H.: Von altem Schrot und Korn. Otto Engel (SPD) wird morgen 80 [sic!] Jahre alt, Kieler Nachrichten, 7.4.1981
  • Ph [Philipp, Gottfried H.]: Otto Engel †, Kieler Nachrichten, 30.5.1983
  • ?: Handschriftliche Stichworte zur Trauerrede für Otto Engel, Akten der Kreisgeschäftsstelle Kiel[14]

Einzelnachweise

  1. Laut Mitgliedskarte beim Neueintritt 1945 und der Traueranzeige der SPD, Kieler Nachrichten, 31.5.1983. Die Angabe 1922 bei Martens: Geschichte, S. 550, ist wohl ein Irrtum.
  2. 2,0 2,1 Mündliche Information seiner Tochter Gerda Schilling an Susanne Kalweit und Bernd Löwner, 23.2.2024
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 3,7 3,8 Handschr. Stichworte Trauerrede, Akten Kreisverband Kiel
  4. 4,0 4,1 4,2 Nach 25 Parteisekretärs-Jahren in den wohlverdienten Ruhestand, Kieler Nachrichten, 7.4.1971
  5. 5,0 5,1 Martens: Geschichte, S. 550
  6. Traueranzeige Otto Engel, Kieler Nachrichten, 31.5.1983
  7. Fischer: Jahre, S. 105
  8. Laut Mitgliedskarte beim Neueintritt 1945.
  9. Von altem Schrot und Korn, Kieler Nachrichten, 7.4.1981
  10. Steffen: Personenbeschreibung, S. 130 f.
  11. So u.a. Rosa Wallbaum und Claus Möller, die aber bei diesem Streit nicht selbst anwesend waren, sondern am nächsten Tag davon hörten.
  12. Bundesverdienstkreuz an zwei Kommunalpolitiker verliehen, Kieler Nachrichten, 19.6.1973
  13. Lt. in den Akten des Kreisverbandes Kiel vorliegender Rechnung vom 8.6.1983
  14. Wer sie angefertigt und wer die Rede gehalten hat, ist nicht ermittelt; verm. jemand von der Landesebene - Vorsitzender Günther Jansen? Geschäftsführer Rolf Selzer oder Klaus Rave? Jedenfalls nicht Kreisvorsitzender Claus Möller.