Volksverein

Aus SPD Geschichtswerkstatt

Volksverein oder (zuletzt wohl seltener) Wahlverein war eine bis zum Verbot der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands durch das Sozialistengesetz 1878 übliche Bezeichnung für eine selbstständige lokale sozialdemokratische Organisation.

Diese Organisationsform war nötig geworden, weil bereits 1870 in Schleswig-Holstein die lokalen Gemeinden/Sektionen des ADAV als “Zweigvereine“ verboten worden waren,[1] nach einem zwischenzeitlichen Wiederaufleben wurde der ADAV in den meisten preußischen Städten und auch insgesamt im Juni 1874 erneut verboten.

Die Gründung eigenständiger örtlicher Organisationen gehörte allerdings ohnehin schon zu den Vorstellungen der „Eisenacher“, also von Wilhelm Liebknecht und August Bebel als Vorsitzendern der Sozial-Demokratischen Arbeiterpartei - zum Missfallen der ADAV-Führung. Mehr dazu auf der Seite Ortsverein: Vorgeschichte.

Volksvereine gab es in Schleswig-Holstein bis zu ihrem Verbot durch das Sozialistengesetz 1878 u.a. in Wandsbek[2], Ottensen, Altona[3], Flensburg[4], Neumünster[5] und Kiel[6], einen Wahlverein zum Beispiel in Rendsburg[7].

Die Bezeichnung Volksverein scheint vor allem im letzten Jahr vor dem Sozialistengesetz genutzt worden zu sein, als durch den preußischen Obrigkeitsstaat örtliche Wahlvereine bzw. Arbeitervereine und im Frühjahr 1876 auch die ganze Partei verboten wurden. Offenbar hoffte man, mit diesem weniger eindeutigen Namen der Behördenverfolgung zu entgehen. So wurde der ‚Wandsbecker Volksverein‘ im Sommer 1877 gegründet[8], zuvor hatte dort aber nachweislich schon ein ‚Sozialdemokratischer Arbeiterverein‘ bestanden.[9] Auch der Altonaer Verein scheint im selben Zeitraum gegründet worden zu sein.[10]

In Gaarden bei Kiel wurde im August 1877 ein Arbeiter-Wahlverein gegründet[11], über dessen späteres Schicksal (Verbot oder Selbstauflösung) bisher nichts bekannt ist. Hier hatte es zuvor offenbar keine örtliche Organisation gegeben, denn die Gründung soll als Reaktion auf das enttäuschende Wahlergebnis bei der Reichstagswahl 1877 im Frühjahr erfolgt sein.

Diese, letztlich kurzlebig gebliebenen, Gründungen 1877 waren ein Versuch des organisatorischen Neuaufbaus nach einer lokalen Durstrecke. Noch im Juli des Jahres sagte der Altonaer Genosse Walther auf Volksversammlungen in Kiel und Gaarden über die Gründung der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung: „Wir haben es eingesehen, dass wir nur durch die Presse, weil unsere früheren Vereine und Organisationen durch Auflagen der Staatsanwaltschaft und richterliche Erkenntnisse aufgehoben sind, die Idee des Socialismus verbreiten können.“[12]

Stellung

Diese Vereine waren formell unabhängig, da (noch bis 1899) ein überörtliches Verbindungsverbot für politische Vereine bestand. Ihre politische Ausrichtung war jedoch jedermann bekannt und wurde auch in der bürgerlichen Presse genannt. Sie stellten (erfolglos) Kandidaten für die Kommunalwahlen auf, z.B. 1877 in Altona und Kiel.[13] Auch die liberalen und konservativen Parteien waren auf diese Art organisiert, sie wurden allerdings nicht so streng hinsichtlich möglicher Verstöße überwacht.

Einen sehr guten Eindruck von dieser Situation vermittelt ein Zeitungsartikel über ein Gerichtsverfahren gegen den Vorstand des sozialdemokratischen Arbeiter-Vereins Altona wegen des Vorwurfs, einen illegaler Zweigverein der Sozislistischen Arbeiterpartei gebildet zu haben, im Dezember 1875 in Neuer Social-Demokrat 19.12.1875.

Nachfolge

Nach 1890 nannten sich die örtlichen Organisationen meist Sozialdemokratischer Verein, aber mancherorts schienen den Genossen zunächst weiterhin „beschönigende“ Bezeichnungen angeraten, vielleicht weil dort der Repressionsdruck besonders hoch war, beispielsweise der Allgemeine Arbeiterverein für Glückstadt und Umgegend oder der Verein für volkstümliche Wahlen in Gaarden. Auch vor der Gründung des Sozialdemokratischen Vereins Kiel und Umgegend gab es Diskussionen, ob man sich nicht lieber „nur“ Wahlverein oder Arbeiterverein nennen solle. Ihre formell von der Partei unabhängige Stellung entsprach noch für rund ein Jahrzehnt der Zeit vor dem Verbot.

Die Volksvereine und Wahlvereine können als direkte Vorläufer der heutigen Ortsvereine (bzw. in den kreisfreien Städten der Kreisverbände) betrachtet werden.

Einzelnachweise

  1. Altonaer Mercur, 20.5.1870, S. 3
  2. Hamburg-Altonaer Volksblatt, 22.7.1877, S. 4
  3. z.B. Bergedorfer Zeitung und Anzeiger 16.06.1878, S. 1
  4. Harburger Anzeigen und Nachrichten, 28.10.1878, S. 1
  5. Harburger Anzeigen und Nachrichten 12.11.1878, S. 1
  6. Hamburgischer Correspondent, 12.10.1878, S. 3
  7. Harburger Anzeigen und Nachrichten, 28.10.1878, S. 1
  8. Vorwärts 9.9.1877
  9. Der Volksstaat 20.1.1875
  10. Hamburg-Altonaer Volksblatt 20.9.1877, S. 3-4
  11. Vorwärts, 9.9.1877, S. 4
  12. Vorwärts 27.7.1877, S. 4
  13. Hamburg-Altonaer Volksblatt, 6.11.1877, S. 3, Sp. 4