Georg Winter

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Georg Winter
Geboren: 22. November 1842

Georg Winter (* 1842[1] in Ottensen[2]), † um 1915 in den USA;[3] Zigarrenmacher, Agitator und Gewerkschafter. Mitglied von ADAV und SDAP.

Seine Wohnadresse war "Am Felde 22" in Ottensen.[4] Offenbar lebte er in der Wohnung, in der er geboren war, auch als erwachsener Mann mit seiner Frau, bis er Deutschland verließ. Ob das Ehepaar Kinder hatte, ist nicht ermittelt. Mindestens ein Zimmer wurde vermietet; unter anderen wohnte Otto Reimer einige Jahre bei ihnen.[5]

Partei & Politik

Georg Winter war ursprünglich Demokrat, Mitglied der Landespartei, und war begeistert von der Dithmarscher Bauernrepublik. Er beteiligte sich jedoch nicht, wie Heinrich Laufenberg meint, an der Schleswig-Holsteinischen Erhebung[2] - 1848 war er 6 Jahre alt - sondern nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 an der Agitation für den Herzog aus dem Haus Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, die sich spätestens mit der Annexion der Herzogtümer durch Preußen erledigte.[6]

1866 wandte er sich der Sozialdemokratie zu. Er trat dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) bei, wurde 1869 dessen Bevollmächtigter in Altona und war ab 1871 Mitglied im ADAV-Vorstand, ab 1872 als Vizepräsident, bis er 1874 Deutschland verließ.[3] Für die Information, er sei 1869 zur SDAP gewechselt, gibt es keine Bestätigung.[7]

Horst Rößler gibt einen kurzen Überblick über seine politische Haltung:

" [...] Schon 1869 war er Präsident der ATZG [Allgemeine Tabak- und Zigarrenarbeitergewerkschaft] geworden. Obwohl in der Gewerkschaftsbewegung aktiv, stand er diesen Organisationen eher skeptisch gegenüber. Winter war in dieser Zeit orthodoxer Lasalleaner [sic!], für den auf Grund des 'ehernen Lohngesetzes' die Arbeiterschaft ihre Lage nicht mittels ökonomischer Kämpfe wie Streiks, sondern letztlich allein auf politischem Wege verbessern konnte: mit Hilfe des allgemeinen Wahlrechts und eines daraus resultierenden entscheidenden Einflusses der Arbeiterklasse auf die Ausübung der Staatsgeschäfte und der Gesetzgebung. Gewerkschaften hatten in seinem Verständnis deshalb allenfalls eine der sozialdemokratischen Partei strikt untergeordnete Rolle zu erfüllen [...]"[8]

Als Vorsitzender des örtlichen Zweiges der Tabak- und Zigarrenarbeitergewerkschaft schrieb er regelmäßig Ankündigungen für Mitgliederversammlungen sowie Berichte über das Parteileben und die Gewerkschaftsarbeit im Social-Demokrat. Außerdem leitete er in Altona eine Agitatorenschule.[9]

Hermann Molkenbuhr erzählt die dramatische Geschichte des Gründungsabends der ATZG: Der Hauptredner habe sich, weil empörte Gegner der Neugründung den Saal blockierten, auf die Bühne abseilen müssen und seinen Gehrock eingebüßt, der "dabei zur Jacke" geworden sei. Er schließt lakonisch:

"In der Versammlung wurde dann die Allgemeine Deutsche Tabakarbeitergewerkschaft gegründet und Winter zum Präsidenten gewählt."[10]

An anderer Stelle berichtet er, Frauen aus der Partei hätten so erfolgreich Geld für eine Parteifahne gesammelt, "daß sie sich keine großen Beschränkungen aufzuerlegen brauchten. Es wurde teure Seide gekauft und eine der vornehmsten Fahnenstickerinnen mit der Ausführung betraut. Im November sollte Fahnenweihe sein. [...] Die ganze Sache paßte Winter nicht. Er war Gegner, daß so großer Luxus getrieben werde. Er glaubte, eine einfache Wollfahne hätte denselben Zweck erfüllt." Erst die Einnahme von über 1000 Mark für die Parteikasse hatte ihn versöhnt.[11] Dies war wohl die Fahne, die Otto Reimer dann mit sich nach Amerika nahm, damit sie nicht der Polizei in die Hände fiel.[12]

Agitation

"Georg Winter war einer der herausragenden Agitatoren des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) im Vierstädtegebiet [Hamburg, Altona, Ottensen und Wandsbek] und in Ostholstein gegen Ende der sechziger und in der ersten Hälfte der siebziger Jahre."[8]

Neben ihm galt Otto Reimer als weiterer hervorragender Agitator dieser Zeit.[2] Hermann Molkenbuhr lernte früh, wie Georg Winter seine Aufgabe sah. Der Abend seines Parteieintritts war

"gleichzeitig seine Geburtsstunde als Agitator. Denn der Bevollmächtigte der Altonaer Parteisektion, Georg Winter, verpflichtete ihn dazu, bereits am kommenden Tag den Agitator Eduard Meier zu einer Versammlung nach Oldesloe zu begleiten, um dort über das "Offene Antwortschreiben" Ferdinand Lassalles zu referieren. Den Widerspruch Molkenbuhrs wies Winter mit der Bemerkung zurück, 'jedes Mitglied müsse tun, was im Interesse des Vereins geboten sei'."[13]

In seinen Erinnerungen zeichnete Hermann Molkenbuhr ein lebendiges Bild von dem Mann, der ihn gefördert und gefordert hatte:

"Ein sehr praktischer Agitator und Organisator war Georg Winter. Das Pathetische lag ihm ganz fern. Er war Satiriker von Geburt und verstand es meisterhaft, seine Gegner der Lächerlichkeit preiszugeben. Winter war länger im politischen Leben tätig, als er Sozialdemokrat war. 1864 hatte er in Neumünster gearbeitet, und als damals Schleswig-Holstein von Dänemark losgerissen wurde, beteiligte er sich an der Agitation für den Augustenburger. Später als Sozialdemokrat sagte er uns Jungen immer: 'Ihr dürft nichts sagen, was die Leute nicht verstehen. Wenn Ihr in Versammlungen sprechen wollt, dann geht so früh, als es geht, in den Ort und unterhaltet Euch mit den Arbeitern. Dann werdet Ihr hören, was diese Leute denken, über was sie sich unterhalten und daran müßt Ihr anknüpfen. In einer Versammlung wird nie aus einem Mucker oder Patrioten ein Sozialdemokrat. Wenn Ihr ihn nur dahin bringt, daß er an seiner bisherigen Auffassung anfängt zu zweifeln, dann bekommen wir ihn bald.'"[14]

Doch das Bild hatte auch Schattenseiten:

"Winters Leidenschaft war weniger der Schnaps als die Weiber. Obwohl er eine recht hübsche Frau hatte, so schielte er nicht nur nach schönen Weibern [...]. Wurden ihm in Genossenkreisen über seine Liebesabenteuer Vorwürfe gemacht, dann führte er zur Entschuldigung an, daß die Frauen die schlimmsten Gegner seien. Erst wenn die Frauen sehen, daß die Agitatoren genießbare Menschen sind, dann halten sie ihre Männer nicht von der Bewegung zurück."[15]

1870 begab sich Georg Winter auf Agitationsreise an die Westküste und sprach in Glückstadt am 18. Februar, Heide am 19. Februar und Itzehoe am 24. Februar.[16] Bei seinem Auftritt in Heide belebte er den dortigen ADAV nicht nur wieder neu, inklusive neuer Mitglieder. Er überzeugte auch den örtlichen Verein der Zigarrenarbeiter, sich der Tabak- und Zigarrenarbeitergewerkschaft anzuschließen.

Bei solchen Agitationsreisen hatte er den Vorteil, dass er aus der Region kam und die Geschichte kannte. Andere Agitatoren wurden gerne als "Reisejünger" und "Wanderapostel" belächelt. Georg Winter kannte sich aus - vor allem auch mit der Geschichte Dithmarschens.[7]

"Mit großem Geschick knüpfte er an die Nachteile an, welche die Einverleibung in Preußen der Provinz brachte, wußte er die positiven Forderungen Lassalles herauszuheben und die von diesem an der Fortschrittspartei geübte Kritik durch eine Kritik an der Politik der Herrschenden der Provinz zu ersetzen."[2]

Dabei war er ein gemäßigter und gewitzter Redner.[7]

"In einem seiner zahlreichen Prozesse erschien er kranker Füße wegen in Pantoffeln; auf die erstaunte Frage des Richters, was Winter wohl sagen würde, wenn er, der Richter, in Pantoffeln im Gerichtssale erschiene, erfolgte die prompte Antwort: Ich würde Sie ebenso achten wie in Uniform."[2]

Reichstagskandidat

Er war Mitglied im Wahlcomité, verließ es aber im Juni 1870.[17] Bei der Reichstagswahl 1871 kandidierte er erfolglos im Wahlkreis 5 (Norderdithmarschen, Süderdithmarschen, Steinburg)[3], ebenso 1874, als er außerdem in den Wahlkreisen 1 (Hadersleben, Sonderburg), 2 (Apenrade, Flensburg) und 6 (Pinneberg, Segeberg) antrat.[18] Im 5. Wahlkreis erreichte er immerhin die Stichwahl.[19]

Auswanderung

In Preußen war die Ära Tessendorf angebrochen. Georg Winter standen 1874 mehrere Anklagen ins Haus.

"Nebenbei hatte er das Gefühl, daß die junge Generation ihm geistig über den Kopf wuchs. Das brachte ihn zu dem Entschluß, Deutschland zu verlassen und nach Amerika zu gehen. Eines Tages kam er [...] und sagte, er wisse genau, daß er zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt werden würde. Diese Strafe würde er nicht ertragen. Auch würde er der [sic!] Partei viel Geld kosten. Würde man ihm das Geld zur Reise nach Amerika und etwas Taschengeld geben, dann würde er vorläufig nach England gehen und dort die Urteile abwarten. Seien es mehr als zwei Jahre Gefängnis, dann gehe er nach Amerika, sonst kehre er zurück, wobei dann das Geld als gegebener Vorschuß verrechnet werden könne. Winter wurde in Abwesenheit verurteilt, aber die Strafe fiel viel gelinder aus, als er erwartet hatte. Er kam aber nicht zurück."[20]

Ob seine Frau mit ihm ging, ist nicht ermittelt. Horst Rößler skizziert Georg Winters politischen Werdegang in den USA und seine Wandlung zum überzeugten Gewerkschafter. Zunächst lebte er in New York, wo er einen Zigarrenladen betrieb, später in St. Louis, auch kurzzeitig in Milwaukee. Er war als Agitator für die Socialist (oder Socialistic) Labor Party (SLP) aktiv und wurde auch der Herausgeber ihres Organs Arbeiter-Stimme. Allerdings war die Bedeutung der Partei in der US-Politik eher marginal, die der Gewerkschaften dagegen sehr hoch. Georg Winter engagierte sich daher ab 1880 verstärkt in der Cigar Makers International Union (CMIU), kritisierte allerdings, dass alle Gewerkschaften sich allein auf Tagesfragen und die Interessen der von ihnen vertretenen Berufsgruppe konzentrierten. Für ihn war es weiterhin wichtig, die Interessen der Arbeiter als Klasse sowie die Aufhebung des kapitalistischen Lohnsystems als Endzweck aller Arbeitskämpfe nicht aus den Augen zu verlieren.[21]

Über Georg Winters weiteres Schicksal nach 1886 ist offenbar wenig bekannt. Am 2. Februar 1915 hielt er in St. Louis die Trauerrede für den dort verstorbenen Hamburger Genossen Max Stöhr. Wann und wo er selbst starb, ist bisher nicht ermittelt.[3]

Literatur

  • Braun, Bernd: "Ich wollte nach oben!" Die Erinnerungen von Hermann Molkenbuhr 1851-1880 (Dietz, Bonn 2006), ISBN 3-8012-4163-7
  • Hirt, Gunter: Soziale Probleme und Sozialismus in Dithmarschen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrunderts, in: Dithmarschen - Zeitschrift für Landeskunde und Heimatpflege, Heft 4 (Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens & Co., Heide 1971)
  • Laufenberg, Heinrich: Geschichte der Arbeiterbewegung in Hamburg, Altona und Umgebung (1911, Neudruck Hamburg 1977)
  • Rößler, Horst: "Amerika, du hast es besser" - Zigarrenarbeiter aus dem Vierstädtegebiet wandern über den Atlantik, 1868-1886, in: Demokratische Geschichte 4(1989), S. 87-119

Einzelnachweise

  1. Rößler: Amerika, S. 101
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Laufenberg: Geschichte der Arbeiterbewegung, Seite 408 f.
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 Braun: Erinnerungen, S. 141 f., Fußnote 151
  4. Social-Demokrat - Tagesausgabe, 24.9.1869
  5. Braun: Erinnerungen, S. 232
  6. Siehe Wikipedia: Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, abgerufen 11.11.2024
  7. 7,0 7,1 7,2 Hirt: Soziale Probleme, Seite 93
  8. 8,0 8,1 Rößler: Amerika, S. 101 f.
  9. Braun: Erinnerungen, S. 16
  10. Braun: Erinnerungen, S. 141
  11. Braun: Erinnerungen, S. 174
  12. Braun: Erinnerungen, S. 302
  13. Braun, Bernd: Hermann Molkenbuhr (1851-1927). Eine politische Biographie (Droste, Düsseldorf 1999), ISBN 3-7700-5220-X, S. 69
  14. Braun: Erinnerungen, S. 159
  15. Braun: Erinnerungen, S. 182
  16. Social-Demokrat - Tagesausgabe, 4.3.1870
  17. Social-Demokrat - Tagesausgabe, 19.6.1870
  18. Neuer Social-Demokrat - Tagesausgabe, 11.2.1874
  19. Braun: Erinnerungen, S. 195
  20. Braun: Erinnerungen, S. 200 f.
  21. Rößler: Amerika, S. 103