Gewerkschaftshaus Kiel: Unterschied zwischen den Versionen
Das steht so bei Holger Martens und klingt auch plausibler. |
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Das '''Gewerkschaftshaus in Kiel''' dient seit mehr als einhundert Jahren den Kieler Gewerkschaften und der Kieler SPD als zentrale Anlaufstelle für ihre Aktivitäten. | {{Ort | ||
|Name = Legienhof | |||
|Straße = Legienstraße | |||
|Nr = 22 | |||
|PLZ = 24105 | |||
|Ort = Kiel | |||
|Homepage = http://legienhof.de/ | |||
|LatLon = 54.326998656852,10.132104651789 | |||
|Foto = Legienhof 2015.jpg | |||
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Das '''Gewerkschaftshaus in Kiel''' dient seit mehr als einhundert Jahren den Kieler Gewerkschaften und der [[Kreisverband Kiel|Kieler SPD]] als zentrale Anlaufstelle für ihre Aktivitäten. | |||
== Finanzierung und Bau == | == Finanzierung und Bau == | ||
Mit dem Anwachsen der Gewerkschaftsbewegung reichten die bis zur Jahrhundertwende üblichen Versammlungen in Gaststätten, etwa Baumanns Lokal in der Langen Reihe (später Centralhallen), immer weniger aus. Auch schätzten die | Mit dem Anwachsen der Gewerkschaftsbewegung reichten die bis zur Jahrhundertwende üblichen Versammlungen in Gaststätten, etwa Baumanns Lokal in der Langen Reihe (später Centralhallen), immer weniger aus. Auch schätzten die viele Gastronomen diese "radikale" Kundschaft, die von der preußischen Polizei genau beobachtet wurde, nicht sonderlich und fanden Wege, ihre Räumlichkeiten zu verweigern. Andere wurden von den Behörden unter Druck gesetzt, nicht an die Sozialisten zu vermieten. Aus dieser Schwierigkeit entstand der Plan, ein Gewerkschaftshaus zu bauen. [[1902]] wählte das Kieler Gewerkschaftskartell eine Baukommission, die von der Auswahl und Finanzierung des Grundstücks bis zur Fertigstellung des Gebäudes alle Aufgaben übernahm.<ref>Fischer, Rolf: ''"Mit uns die neue Zeit!" Kiels Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Revolution'' (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band 2, 1900-1920. Kiel 2013), S. 17 f.</ref> | ||
Der Grundstein für das Gewerkschaftshaus wurde am [[4. Oktober]] [[1904]] an der Fährstraße gelegt. Am [[26. Juli]] [[1907]] | Der Grundstein für das Gewerkschaftshaus wurde am [[4. Oktober]] [[1904]] an der Fährstraße gelegt. Am [[26. Juli]] [[1907]] übergab es der Gewerkschaftsführer und langjährige SPD-Reichstagsabgeordnete für den Wahlkreis Kiel, [[Carl Legien]], seiner Bestimmung. Das Haus umfasste eine Herberge für Wanderarbeiter, Büros, Versammlungsräume, eine Bibliothek und eine Gastronomie mit großem Versammlungssaal. Auch die [[Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel|SPD]] hatte hier ihr örtliches Parteibüro in den beiden Räumen mit dem Balkon zur Straße.<ref>Information von [[Martha Riedl]] im [http://www.kurkuhl.de/docs/riedl.pdf Interview mit Klaus Kuhl], S. 17</ref> Das Gewerkschaftshaus war sowohl großzügig als auch zweckmäßig ausgestattet und "galt als eines der schönsten seiner Art in ganz Deutschland"<ref name=":0">Korte/Malterer, ''Gewerkschaftshaus'', S. 515</ref>. Finanziert hatten den Bau zu einem beachtlichen Teil die Gewerkschafter selbst: "Ein Teil der Baukosten war durch den Ankauf von Anteilsscheinen zum Preis von 5 Reichsmark das Stück bestritten worden - ein Werftarbeiter verdiente damals zwischen 28 und 40 Pfennige pro Stunde."<ref name=":0" /> 120.000 Mark brachten die Arbeiter durch die Anteilsscheine selbst auf.<ref>Köpke, Karl-Heinz: ''Zur Geschichte des Kieler Gewerkschaftshauses''. In: ''Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte'' 79 (1995-1999), S. 278</ref> | ||
[[Datei:Fotos 3312.jpg|thumb|350px|left|Gewerkschaftshaus, um 1910]] | |||
Die [[Schleswig-Holsteinische Volkszeitung|VZ]] machte den Zweck des Hauses deutlich: | Die [[Schleswig-Holsteinische Volkszeitung|VZ]] machte den Zweck des Hauses deutlich: | ||
<blockquote>"Das Kieler Gewerkschaftshaus soll für die Kieler Arbeiterschaft der Ort sein, an dem sie nach des Tages Arbeit Erholung und Unterhaltung, Aufklärung und Bildung finden. Aber es soll auch eine Waffenschmiede sein. Hier in diesen Räumen sollen die Waffen geschmiedet und geschärft werden, die [sic] das Kieler Proletariat für seine Kämpfe bedarf und die es nie, nie einrosten lassen wird." <ref>''Schleswig-Holsteinische Volkszeitung'', 28.7.1907, zit. in Korte/Malterer, ''Gewerkschaftshaus'', S. 515</ref></blockquote> | |||
[[Datei | [[Datei:Tafel_am_Kieler_Gewerkschaftshaus_skw.jpg|280px|thumb|right|Gedenktafel am Kieler Gewerkschaftshaus]]Bei mehreren historischen Ereignissen in Kiel stand das Gewerkschaftshaus im Mittelpunkt: So diente es während des [[Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstand|Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstandes 1918]] dem Arbeiter- und Soldatenrat als Versammlungsort, während des Kapp-Putsches von [[1920]] als Hauptquartier der Verteidiger der Weimarer Demokratie, beim [[Metallarbeiterstreik 1956|Metallarbeiterstreik von 1956]] als Zentrum für die Streikenden. Seine Rolle beim Matrosenaufstand wurde zum 60. Jahrestag im November [[1978]] mit einer Gedenktafel gewürdigt: | ||
<blockquote>"In diesem Haus tagte Anfang November 1918 der Kieler Arbeiter- und Soldatenrat. Er gab den entscheidenden Anstoss zur Ausrufung der ersten deutschen Republik am [[9. November]] [[1918]] in Berlin".</blockquote> | |||
[[Datei:Erinnerungsplakette Albert Einstein.jpg|thumb|280px|left|Erinnerungsplakette an den von Albert Einstein 1920 im Gewerkschaftshaus gehaltenen Vortrag]] | |||
Am [[15. September]] [[1920]] sprach [[Albert Einstein]] im Gewerkschaftshaus vor tausenden Arbeitern über seine Relativitätstheorie. Die Christian-Albrechts-Universität hatte ihm keinen Raum für seine Rede geben wollen, weil er Jude war. <ref>''[http://www.shz.de/incoming/warum-kiel-albert-einstein-nach-95-jahren-ehrt-id10719526.html Warum Kiel Albert Einstein nach 95 Jahren ehrt]'', shz.de, 15.9.2015</ref><ref>''[http://www.kn-online.de/News/Aktuelle-Nachrichten-Kiel/Nachrichten-aus-Kiel/Neue-Gedenktafel-Albert-Einstein-war-relativ-gern-in-Kiel Einstein war relativ gern in Kiel]'', ''Kieler Nachrichten'', 15.9.2015</ref> | |||
[[1923]], drei Jahre nach Carl Legiens Tod, | Am [[27. März]] [[1923]], drei Jahre nach Carl Legiens Tod, beschloss die Stadtverordnetenversammlung, die Fährstraße in [https://www.kiel.de/de/kiel_zukunft/stadtgeschichte/_daten_strassenlexikon/_strasse.php?id=1265&x=L&eingabe= Legienstraße] umzubenennen. | ||
[[1926]] erhielt das zu klein gewordene Jugendstilgebäude in Richtung [http://kiel-wiki.de/index.php?title=Muhliusstra%C3%9Fe Muhliusstraße] einen Anbau im markanten Stil des Backsteinexpressionismus.<ref>''[https://library.fes.de/luebeck/pdf/1925/1925-164.pdf Grundsteinlegung zum Erweiterungsbau des Gewerkschaftshauses]'', ''[[Lübecker Volksbote]]'', 17.7.1925</ref> | |||
== Nationalsozialismus == | == Nationalsozialismus == | ||
Das Gewerkschaftshaus war bis [[1933]] auch Sitz der Geschäftsstelle der [[Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel|Kieler SPD]]. <ref>Holger Martens: ''SPD in Schleswig-Holstein 1945-1959'' | Das Gewerkschaftshaus war bis [[1933]] auch Sitz der Geschäftsstelle der [[Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel|Kieler SPD]].<ref name=":2">[[Holger Martens|Martens, Holger]]: ''SPD in Schleswig-Holstein 1945-1959'' (Malente 1998), S. 26</ref> | ||
Bereits Anfang März [[1933]] drangen SA-Leute zweimal in das Gewerkschaftshaus ein, um "illegales Material sicherzustellen". Sie fanden nichts. Zuverlässige Gewerkschaftsangestellte hatten wichtige Unterlagen (z.B. Mitgliederlisten) vorsorglich bei Freunden in Privatwohnungen versteckt. Sie begingen allerdings den Fehler, sie wenige Tage später wieder zurückzubringen. Am [[10. März]] war in der Kieler NS-Zeitung ''Volkskampf'' (VK) eine unverhohlene Drohung zu lesen: | |||
<blockquote>"Das Gewerkschaftshaus ist in weitem Umkreis abgeriegelt. Schupo, Hilfspolizei [SA und "Stahlhelm"], Beamte der Kriminalpolizei. Hitler wird nicht dulden, daß volksfeindliche Kräfte ihre Versammlungshäuser als Schlupfwinkel benutzen. Die Organisation des nationalen und sozialen Verrats wird zerschlagen werden. Das Gewerkschaftshaus hat unendlich viele Räume: Ein richtiger Bonzenpalast. Gebaut von mühsam zusammengetragenem Geld deutscher Arbeiter. Die Gemeinheit und die Schändlichkeit der 14 Jahre Bonzenwirtschaft wird durch das Gewerkschaftshaus am besten dokumentiert."<ref name=":1">Korte/Malterer, ''Gewerkschaftshaus'', S. 516 ff.</ref></blockquote> | |||
Am [[12. März]] wurde der Kieler Rechtsanwalt [[Wilhelm Spiegel]] von [https://de.wikipedia.org/wiki/Sturmabteilung SA-Leuten] ermordet. Unter dem Vorwand, dass im Gewerkschaftshaus ein "verleumderisches" Flugblatt zu dem Mord gedruckt worden sei, wurde es am [[13. März]] [[1933]] von Nationalsozialisten besetzt. Dabei fielen ihnen die zunächst geretteten Mitgliederkarteien nicht nur der Gewerkschaften, sondern auch der [[Sozialdemokratischer Verein Groß-Kiel|Kieler SPD]] in die Hände. Dies hatte zahlreiche Verhaftungen zur Folge. | |||
Von den Nazis wurde das Haus in "Haus der Arbeit" umbenannt<ref>Klatt, Inga / Peters, Horst: ''Kiel 1933. Dokumentation zur Erinnerung an den 50. Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Kiel'' (Hrsg. Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft, Kiel 1983)</ref> und von der [https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Arbeitsfront Deutschen Arbeitsfront (DAF)] genutzt, von den Arbeitern aber, wo es möglich war, gemieden.<ref name=":1" /> Von der DAF heruntergewirtschaftet, wurde der Komplex [[1935]] zwangsversteigert und von der Stadt Kiel erworben.<ref>Köpke, Karl-Heinz: ''Zur Geschichte des Kieler Gewerkschaftshauses''. In: ''Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte'' 79 (1995-1999), S. 279 f.</ref> | |||
== Neubeginn nach der NS-Diktatur == | |||
Am [[5. Mai]] [[1945]] ab 8:00 Uhr war Frieden in Schleswig-Holstein. Die britische Militärregierung übernahm faktisch die Macht. Am [[5. Mai|5.]]/[[6. Mai]] [[1945]]<ref name=":2" /><ref name=":3">SPD Kiel (Hrsg.): ''Kiel im Mai 1945 - Hell aus dem dunklen Vergangenen leuchtet die Zukunft empor'' (Kiel 1985)</ref> nahm ein Komitee aus ehemaligen [[Antifa|Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionären]] das Gewerkschaftshaus wieder in Besitz, noch bevor britische Truppen am [[7. Mai]] Kiel erreicht hatten.<ref name=":4">Korte/Malterer, ''Gewerkschaftshaus'', S. 520</ref> | |||
<blockquote>"Schon Ende April 1945 hatten sich auf Kieler Werften und in Großbetrieben Betriebsräte gebildet, in einigen Unternehmen waren von den Belegschaften [[Vertrauensperson|Vertrauensleute]] gewählt worden. | |||
Genau 12 Jahre nach der Besetzung des Gewerkschaftshauses durch die Nationalsozialisten am [[2. Mai]] [[1933]] kamen am [[2. Mai]] [[1945]] zahlreiche frühere Gewerkschaftsfunktionäre in ihrem ehemaligen Gerwerkschaftshaus zusammen. Schon während dieses Treffens wurde ein 'Vorbereitendes Komitee zur Bildung von freien Gewerkschaften' gewählt. Das Komitee bestand aus den SPD-Mitgliedern [[Fritz Böttcher|Friedrich Böttcher]], dem ehemaligen geschäftsführenden Vorsitzenden des [https://en.wikipedia.org/wiki/Allgemeiner_Deutscher_Gewerkschaftsbund ADGB] Kiel (bis Juni [[1933]]), [[Heinrich Kähler]], ehemaligem Betriebsrat der [http://home.arcor.de/motorenbau/herstell/buk/buk.htm Fa. Bohn und Kähler], [[Max Hettner]], ehemaligem Betriebsrat der [https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Werke Deutsche Werke AG], und Rudolf Schlarbaum (KPD), dem ehemaligen Bezirkssekretär des Landarbeiter- und Siedlerverbandes. Böttcher und Schlarbaum hatten längere Zeit in Konzentrationslagern und Zuchthäusern zubringen müssen. | |||
Das vorbereitende Komitee erhielt den Auftrag, das Gewerkschaftshaus und die Einrichtungen der "Deutschen Arbeitsfront" zu übernehmen. Es stellte am [[4. Mai]] [[1945]] fest, daß alle verantwortlichen Funktionäre der DAF das Haus verlassen hatten. Am Sonnabend, dem [[5. Mai]], erfolgte die Übernahme. Sämtliche Akten waren vernichtet, 'ein Inventarverzeichnis (lag) nicht vor - ebenso kein Nachweis über das Vermögen der DAF. Nur wenige wertvolle Büromaschinen wie Schreib-, Rechen- und Buchungsmaschinen wurden 'sichergestellt'. Auf dem Hofe spielten Kinder mit den Schreibmaschinen. In den Büros befanden sich fast nur leere Schreibtische und Schränke. Das Komitee bezog die Büroräume des ehemaligen Gauobmannes der DAF, Bannemann, im zweiten Stock des Gewerkschaftshauses. | |||
Für Sonntag, den [[6. Mai]], hatte das vorbereitende Komitee eine Vertrauensmännerversammlung in das Gewerkschaftshaus einberufen. An dieser Eröffnungssitzung nahmen ca. 120 Vertreter aus Kieler Betrieben teil. | |||
Nach dem Bericht [[Fritz Böttcher|Böttchers]] über den Vortrag betonte [[Heinrich Kähler]], 'daß die erste Vorarbeit sein muß, in den verschiedenen Betrieben Betriebsräte zu bestellen. Es kommt hierbei darauf an, nur ganz einwandfreie Genossen als [[Vertrauensperson|Vertrauensleute]] zu bestellen. Als Grundsatz muß gelten, daß in den zu wählenden Betriebsräten keine Mitglieder der NSDAP sein dürfen. | |||
Als Hauptaufgabe für die nächsten Tage wurde angesehen, die Anerkennung der Gewerkschaften durch den englischen Militärgouverneur in Kiel zu erlangen. | |||
Ein Antrag an den Militärgouverneur vom [[16. Juni|16.6.]] kennzeichnet die 'offiziellen' Aufgaben des vorbereitenden Ausschusses: | |||
* Die Erfassung der schon vor dem Jahre [[1933]] freigewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Angestellten | |||
* Die Beratung der Betriebsvertrauensleute | |||
* Die Mitwirkung bei der Regelung des Arbeitseinsatzes | |||
* Die Mithilfe bei der Erfassung früherer nationalsozialistischer Amtsträger | |||
* Die Betreuung der aus den Konzentrationslagern und Zuchthäusern entlassenen Insassen | |||
Mit dem Schreiben von [[12. Mai]] [[1945]] an die Militärregierung, Det. 909 in der Düppelstraße 23, bat der vorbereitende Ausschuß um das formelle Recht, die ersten gewerkschaftlichen Vorarbeiten in Kiel zu leisten. | |||
Auf der zweiten Sitzung des Komitees am [[17. Mai]] berichtete [[Heinrich Kähler]] allerdings, daß bisher nur der Militärgouverneur eingetroffen sei und der zivile Sektor noch nicht bearbeitet würde. Alle Versuche, mit der Alliierten Militärkommission in Fühlung zu treten, seien bisher erfolglos geblieben. | |||
Ihre Einschätzung: 'Uns ist klar, daß die Engländer viel Zeit haben. Zunächst einmal soll die Stadt aufgeräumt werden, die öffentlichen Betriebe ihre Arbeit wieder aufnehmen, die Strom-, Wasser- und Gasversorgung muß funktionieren, das Straßenbahnnetz wieder in Ordnung gebracht werden. Die Frage der Gewerkschaftsbewegung ist den Engländern anscheinend noch nicht akut.' | |||
Eine mündliche Zusicherung des Militärgouverneurs sollte jedoch vorliegen, daß in den Betrieben eine Betriebsversammlung geschaffen werden durfte, die mit dem Vorbereitenden Komitee in loser Verbindung stehen sollte. | |||
Als Erfolg konnte jetzt schon verbucht werden, daß in über 45 Kieler Unternehmen eine Betriebsvertretung gebildet war, am [[6. Juni]] waren es bereits über 60 Unternehmen. [[Heinrich Kähler|Kähler]] berichtet am [[1. Juni]], daß regelmäßig jede Woche einmal Betriebsräteversammlungen im Arbeitsamt stattfinden. | |||
Eine wichtige Aufgabe der Arbeitnehmervertreter sollte sein, daß 'kein Nazi sich von einem zum anderen Betrieb schleichen kann.' Um 'eine einheitliche Plattform zu finden', einen 'Unterbau für die kommende Bewegung zu sichern', trafen am [[1. Juni]] ca. 20 Vertreter der früheren Parteien SPD und KPD und der freien Gewerkschaften zusammen. Ihr allgemeines Urteil war, daß die bisherige Entwicklung enttäuschend verlaufen sei. Alle hatten eine freie Betätigung ihrer Kräfte erhofft. Deutlich wurde: 'Die alten reaktionären Kreise werden wieder lanciert.' | |||
Nur unter Schwierigkeiten sei es gelungen, eine beabsichtigte Beschlagnahme des Gewerkschaftshauses und die Aufhebung des Komitees zu verhindern. Trotz der Ansicht des Militärgouverneurs, daß ihre Arbeit ungesetzlich sei, arbeiteten sie 'kraft ihres revolutionären Rechts' weiter.... 'Wir müssen dem Engländer beweisen, daß es ohne uns keinen neuen Aufbau in Deutschland gibt.' | |||
Der Kreis des [[1. Juni]] wurde der erweiterte Aktionsausschuß des vorbereitenden Komitees zur Bildung der freien Gewerkschaften. Eine Aufteilung in 5 Gruppen wurde vorgenommen: | |||
# Ausschuß für Gewerkschaftsfragen. Bearbeiter: [[Heinrich Kähler|Kähler]], [[Max Hettner|Hettner]], Schlarbaum, [[Fritz Böttcher|Friedrich Böttcher]] | |||
# Ausschuß für Wirtschaftsfragen ([[Genosse Andresen|Andresen]]). Der Ausschuß sollte zusammen mit dem Arbeitsamt Fragen der Umstellung auf Friedensproduktion, Einrichtung von Wirtschaftskammern etc. bearbeiten. | |||
# Ausschuß für Personalfragen (Bearbeiter [[Wilhelm Kuklinski|Kuklinski]]) | |||
# Ausschuß für Frauenfragen (Bearbeiterinnen: [[Agnes Nielsen]] (KPD) und [[Gertrud Völcker|Völcker]]). Der Ausschuß sollte das gesamte soziale Gebiet umfassen. | |||
# Ausschuß für Jugendfragen (Bearbeiter [[Rudolf Grube|Grube]] und [[Heinrich Fischer|Fischer]]) | |||
Im Zentrum der Verhandlungen dieser Tage standen Gespräche zwischen dem Kieler Komitee und dem [noch von den Nazis eingesetzten] [https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Hoevermann Oberpräsidenten Hövermann], dem Präsidenten des Landesarbeitsamtes und besonders mit dem [[Max Emcke|Oberbürgermeister Emcke]]. Wichtigstes Thema war die Stellenneubesetzung. Allein bei der Stadtverwaltung Kiel hatte es durch die 'innere Reinigung der Betriebe' bis zum [[6. Juni]] ca. 500 Entlassungen gegeben. | |||
So beschloß der erweiterte Aktionsausschuß sogar am [[8. Juni]], für die Stellenbesetzung Richtlinien herauszugeben."<ref name=":3" /></blockquote> | |||
Die britische Militärregierung lehnte Verhandlungen mit dem Komitee ab<ref name=":3" />, beschlagnahmte das Gewerkschaftshaus und verbot die Gewerkschaftsaktivitäten - politische Betätigung war zu dieser Zeit noch untersagt.<ref>Martens, Holger: ''SPD in Schleswig-Holstein 1945-1959'' (Malente 1998), S. 33</ref> | |||
<blockquote>"Am [[8. Juni]] [[1945]] wurde dem Militärgouverneur erneut vom vorbereitenden Komitee ein formeller Antrag auf Zustimmung zur Bildung der Gewerkschaft überbracht. Einen Tag später, am Sonnabend, dem [[9. Juni]], wurden die bisher benutzen Räume des Gewerkschaftshauses von der 312. Brigade beschlagnahmt und der Zutritt für die Gewerkschafter verboten. Das Haus wurde nun 'Empire-Haus' genannt, im großen Saal fanden für Engländer Filmvorführungen und andere Veranstaltungen statt. | |||
Den Komiteemitgliedern wurde durch den Oberbürgermeister im Auftrag der Militärregierung mitgeteilt, daß sie ihre Arbeit einzustellen hätten. Die Anordnung war vom übergeordneten Bezirksgouverneur erlassen worden. | |||
Offiziell wurde die Arbeit des Ausschusses auch eingestellt. Unabhängig davon wurde jedoch das Büro in das Kieler Arbeitsamt am Wilhelmplatz verlegt. Die Betriebsratsarbeit war von der Anordnung nicht berührt. | |||
Bestärkt wurde das Komitee durch die Veröffentlichung einer englischen Regierungserklärung im ''[http://kiel-wiki.de/index.php?title=Kieler_Nachrichten-Blatt Kieler Nachrichtenblatt]'' Nr. 4 vom [[7. Juni]] [[1945]], wonach der britische [https://de.wikipedia.org/wiki/Percy_James_Grigg Kriegsminister Grigg] betonte, daß die englische Regierung der Bildung und gesetzmäßigen Betätigung freier deutscher Gewerkschaften nichts in den Weg legte."<ref name=":3" /></blockquote> | |||
Erst am [[1. Mai]] [[1947]] konnten die Kieler Gewerkschaften ihr Haus wieder übernehmen, wenn auch zu einem hohen Preis. Sie kauften das von ihren Mitgliedern bezahlte Haus für 423.000 Reichsmark von der Stadt Kiel zurück, die es während der Nazizeit ersteigert hatte. Das Ergebnis war es wert: | |||
<blockquote>"Während der Rede des Oberbürgermeisters [[Andreas Gayk]] schlugen Maurer die Naziinschrift "Haus der Arbeit" und die Hakenkreuze ab und der alte Name ''Gewerkschaftshaus'' wurde wieder angebracht."<ref name=":4" /></blockquote> | |||
In seiner Rede fand der Oberbürgermeister auch kritische Töne: | |||
<blockquote>"Damit ist nicht nur ein Unrecht wieder gutgemacht, das die Nazis nach ihrer Machtübernahme begangen haben, es ist auch ein schwerer Fehler der Besatzungsmacht korrigiert. Nichts hat dem Ansehen der Militärregierung mehr geschadet als die Tatsache, daß sie ausgerechnet das Haus der aufrichtigsten Nazigegner für ihre Armee in Beschlag nahm."<ref>''Weltfeiertag für Frieden und Völkerverständigung'', ''VZ'', 3.5.1947</ref> </blockquote> | |||
Zugleich würdigte er den Einsatz des Militärgouverneurs Marschall de Crespigny für die Rückgabe. | |||
Allerdings blieben noch Dienststellen der Militärregierung im Haus, und es musste weiteres Geld in die Einrichtung investiert werden, denn die Briten waren mit dem Haus nicht pfleglich umgegangen und hatten beim Auszug kaum etwas dagelassen. | |||
Auch die SPD bezog ihre alten Räume wieder, sowohl der [[Landesverband|Bezirksverband]] ("in den Zimmern 21-26 links vom Treppenaufgang") als auch der [[Kreisverband Kiel|Kreisverein]] ("Zimmer 30 rechts des Aufganges"). Die [[AWO]] konnte aus der Bergstraße umziehen; das [[AWO|Bezirksbüro]] erhielt die Räume 27/28, der [[AWO-Kreisverband Kiel|Ortsausschuß]] Raum 31.<ref>''Die SPD zog ins Gewerkschaftshaus'', ''VZ'', 26.4.1947</ref> | |||
Am [[5. Dezember]] sprach [[Erich Ollenhauer]], stellvertretender SPD-Vorsitzender, im wieder genutzten Gewerkschaftshaus.<ref>Arbeitskreis "Demokratische Geschichte": ''Wir sind das Bauvolk. Kiel 1945 bis 1950'' (Kiel 1985), Seite 61</ref> | |||
=== Weitere Baumaßnahmen === | |||
[[Datei:Fotos 3472.jpg|thumb|right|280px|Der Brand am 7./8. April 1975]]In den Räumen des ehemaligen Reichshallen-Kinos im Gewerkschaftshaus befand sich seit den 1960er Jahren das Teppichgeschäft "Teppichstraße". In der Nacht vom [[7. April|7.]] auf den [[8. April]] [[1975]] brach dort ein Feuer aus, das rasch auf das ganze Gewerkschaftshaus übergriff. Dieses und auch die Gaststätte Legienhof wurden schwer beschädigt. | |||
[[Datei:Fotos 27613.jpg|thumb|left|280px|Richtfest am 26. April 1978]] | |||
[[Datei:Tina Schwichtenbergs Roter Frauensalon.JPG|280px|thumb|left|MEIN ROTER FRAUENSALON von Tina Schwichtenberg im Kieler Gewerkschaftshaus]]Am [[26. April]] [[1978]] konnten die Gewerkschaften im Hof Richtfest für die Wiederherstellung und den Erweiterungsbau des Gewerkschaftshauses nach der Zerstörung durch den Großbrand feiern. | |||
== | == Heute == | ||
[[Datei:Das Band der Solidarität.jpg|thumb|280px|right|Metallplastik "Das Band der Solidarität", gestiftet vom DGB-Fortbildungswerk, aufgestellt im Innenhof des Gewerkschaftshauses 1982]] | |||
Im Gewerkschaftshaus haben heute der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und zahlreiche seiner Einzelgewerkschaften ihren Sitz. Auch für die [[Kreisverband Kiel|Kieler SPD]], die mittlerweile ins [[Walter-Damm-Haus]] umgezogen ist, bildet es bis heute einen selbstverständlichen Treffpunkt, in dem Kreisvorstand, Kreisausschuss und Arbeitskreise tagen und viele öffentliche Veranstaltungen stattfinden, etwa [[Kreisverband Kiel - Kreisparteitag|Kreisparteitage]], Wahlkundgebungen oder [[2013]] die Feier mit [[Sigmar Gabriel]] zum bundesweiten Auftakt des [[Kreisverband Kiel - 150 Jahre SPD|150jährigen Parteijubiläums]]. | |||
Nach 100 Jahren wurde das Haus - mit Ausnahme der Gastronomie - bis [[2011]] aufwendig saniert und renoviert. Seitdem werden nicht nur mit dem [[Gustav Garbe|Garbesaal]], dem [[Andreas Gayk|Andreas-Gayk-Saal]] und dem [[Otto Brenner|Otto-Brenner-Zimmer]] herausragende Gewerkschafter geehrt, sondern mit dem [[Emma Sorgenfrei|Emma-Sorgenfrei-Forum]] im Erdgeschoss auch eine Genossin und Gewerkschafterin aus ärmsten Verhältnissen, die sich zeit ihres Lebens energisch für Bildungsarbeit und gewerkschaftliche Organisation einsetzte. | |||
Seit dem [[8. März]] [[2017]] hängt an der Haupttreppe zwischen dem 3. und 4. Stockwerk ein 5 Meter hoher roter Wandteppich mit dem Titel ''Mein roter Frauensalon''. [[Tina Schwichtenberg]] fertigte ihn [[2013]] für das Ausstellungsprojekt ''Schwestern zur Sonne zur Gleichheit..'' des Frauenmuseums Bonn, mit dem an das 150. Parteijubiläum der SPD im selben Jahr erinnert wurde. In den Teppich sind 32 Namen von Sozialdemokratinnen und Gewerkschafterinnen (und der eines Mannes!) eingewebt, die für die [[Frauen- und Gleichstellungspolitik|Emanzipation der Frau]] in diesen 150 Jahren eine Rolle gespielt haben.<ref>Die 33 Namen lassen sich beim Anklicken des Fotos der Dateibeschreibung entnehmen.</ref> Wenigstens sie wolle diesen Frauen "den roten Teppich ausrollen", sagte die Künstlerin bei der Einweihung.<ref>''Ein Denkmal für 32 starke Frauen'', ''Schleswig-Holsteinische Landeszeitung'', 9.3.2017</ref> Den Ort - fast der einzige in Kiel mit ausreichender Höhe - hatte die [[Kreisverband Kiel - Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF)|Kieler ASF]] mit dem DGB ausgehandelt. | |||
== Gastronomie == | === Gastronomie === | ||
Oft wird das Gewerkschaftshaus als "Legienhof" bezeichnet. Dies ist aber eigentlich - nach der [[Carl Legien|Legienstraße]] - nur der Name der Gaststätte mit den Sälen, die unzählige Versammlungen, Parteitage und Streiktreffen beherbergt haben. Seit Juli [[2019]] ist die Gaststätte geschlossen und wartet mitsamt den Sälen auf ihre Renovierung. Im Zuge dieses Projekts wechselte das ganze Haus den Besitzer: Statt der Immobilienholding des DGB gehört es seit dem [[1. Februar]] [[2022]] der IGEMET, der immobilienwirtschaftlichen Vermögensverwaltung der IG Metall<ref>''[https://igemet.de/neues-gewerkschaftshaus-der-igemet-in-kiel/ Neues Gewerkschaftshaus der IGEMET in Kiel]'', abgerufen 27.8.2024</ref>, die damit auch die Verantwortung für die Renovierung des Gaststättenbereichs übernommen hat, der sich aktuell im Rohbauzustand befindet. Ziel ist es, das Restaurant mit Terrasse und die Säle zum [[1. Mai]] [[2026]] wieder in Betrieb zu nehmen. Es wird mit Kosten in Höhe von etwa 3,5 Mio Euro gerechnet.<ref>Aussage von [[Wolfgang Mädel]] während einer Baustellenbesichtigung auf Initiative von [[Mathias Stein]] MdB am 26.08.2024</ref> DER zentrale Treffpunkt der Kieler Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung würde dann wieder für die Öffentlichkeit nutzbar sein. | |||
== | == Fotos == | ||
Klicken auf den rechten Pfeil zeigt weitere Fotos. | |||
<gallery mode="slideshow"> | |||
Datei:Gewerkschaftshaus Kiel Fährstrasse.jpeg|Gewerkschaftshaus, um 1909 | |||
Datei:Fotos 3312.jpg|Gewerkschaftshaus, um 1910 | |||
Datei:Gewerkschaftshaus Kiel Lichtsaal.jpeg|Gewerkschaftshaus Lichtsaal, um 1959 | |||
Datei:Fotos 13049.jpg|DGB Maikundgebung, 1953 | |||
Datei:Fotos 13015.jpg|DGB Maikundgebung, 1967 | |||
Datei:Fotos 13017.jpg|DGB Maikundgebung, 1967 | |||
Datei:Fotos 29269.jpg|75 Jahre Freie Turnerschaft Adler Kiel, 1968 | |||
Datei:Fotos 3531.jpg|SPD Kreiswahlkonferenz, 1973 | |||
Datei:Fotos 3472.jpg|Großbrand 1975: Blick in den Hinterhof, nachts | |||
Datei:Fotos 3456.jpg|Großbrand 1975: Blick in den Hinterhof am Morgen | |||
Datei:Fotos 3479.jpg|Großbrand 1975: Straßenansicht | |||
Datei:Fotos 3596.jpg|Großbrand 1975: Der ausgebrannte Saal des Legienhofs | |||
Datei:Fotos 27608.jpg|Gewerkschaftshaus, 1978 | |||
Datei:Fotos 27611.jpg|Gewerkschaftshaus-Erweiterungsbau aus den 1920er Jahren, 1978 | |||
Datei:Fotos 27612.jpg|Richtfest für den Erweiterungsbau von 1978 | |||
Datei:Fotos 27613.jpg|Richtfest für den Erweiterungsbau von 1978 | |||
Datei:Fotos 27615.jpg|Richtfest für den Erweiterungsbau von 1978 | |||
Datei:Fotos 22878.jpg|Stadtpräsident Rolf Johanning spricht zu Einweihung des Legiensaals, 1979 | |||
Datei:Gewerkschaftshaus Kiel Legiensaal entkernt 08 2024.jpg|Der entkernte Legiensaal im August 2024 | |||
Datei:Gewerkschaftshaus Kiel Lichtsaal entkernt 08 2024.jpg|Der entkernte Lichtsaal im August 2024 | |||
Datei:Gewerkschaftshaus Kiel Restaurant entkernt 08.2024.jpg|Der entkernte Restaurantbereich im August 2024 | |||
Datei:Gewerkschaftshaus Kiel historische Decke 08 2024.jpg|Die freigelegte historische Decke im Restaurantbereich soll restauriert werden, August 2024 | |||
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Datei:Gewerkschaftshaus Kiel Fährstrasse.jpeg|Gewerkschaftshaus, um 1909 | |||
Datei:Fotos 3312.jpg|Gewerkschaftshaus, um 1910 | |||
Datei:Gewerkschaftshaus Kiel Lichtsaal.jpeg|Gewerkschaftshaus Lichtsaal, um 1959 | |||
Datei:Fotos 13049.jpg|DGB Maikundgebung, 1953 | |||
Datei:Fotos 13015.jpg|DGB Maikundgebung, 1967 | |||
Datei:Fotos 13017.jpg|DGB Maikundgebung, 1967 | |||
Datei:Fotos 29269.jpg|75 Jahre Freie Turnerschaft Adler Kiel, 1968 | |||
Datei:Fotos 3531.jpg|SPD Kreiswahlkonferenz, 1973 | |||
Datei:Fotos 3472.jpg|Großbrand 1975: Blick in den Hinterhof, nachts | |||
Datei:Fotos 3456.jpg|Großbrand 1975: Blick in den Hinterhof am Morgen | |||
Datei:Fotos 3479.jpg|Großbrand 1975: Straßenansicht | |||
Datei:Fotos 3596.jpg|Großbrand 1975: Der ausgebrannte Saal des Legienhofs | |||
Datei:Fotos 27608.jpg|Gewerkschaftshaus, 1978 | |||
Datei:Fotos 27611.jpg|Gewerkschaftshaus-Erweiterungsbau aus den 1920er Jahren, 1978 | |||
Datei:Fotos 27612.jpg|Richtfest für den Erweiterungsbau von 1978 | |||
Datei:Fotos 27613.jpg|Richtfest für den Erweiterungsbau von 1978 | |||
Datei:Fotos 27615.jpg|Richtfest für den Erweiterungsbau von 1978 | |||
Datei:Fotos 22878.jpg|Stadtpräsident Rolf Johanning spricht zu Einweihung des Legiensaals, 1979 | |||
Datei:Gewerkschaftshaus Kiel Legiensaal entkernt 08 2024.jpg|Der entkernte Legiensaal im August 2024 | |||
Datei:Gewerkschaftshaus Kiel Lichtsaal entkernt 08 2024.jpg|Der entkernte Lichtsaal im August 2024 | |||
Datei:Gewerkschaftshaus Kiel Restaurant entkernt 08.2024.jpg|Der entkernte Restaurantbereich im August 2024 | |||
Datei:Gewerkschaftshaus Kiel historische Decke 08 2024.jpg|Die freigelegte historische Decke im Restaurantbereich soll restauriert werden, August 2024 | |||
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== Links == | == Literatur & Links == | ||
* [http://www.gewerkschaftshaus-kiel.de | * [[Ralph Müller-Beck|Müller-Beck, Ralph]] / Deutscher Gewerkschaftsbund, Region KERN (Hrsg.): ''Unser Haus. 100 Jahre Zeuge Kieler Gewerkschaftsgeschichte'' (Kiel 2007) | ||
* [[Rolf Fischer|Fischer, Rolf]]: ''"Mit uns die neue Zeit!" Kiels Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Revolution'' (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band 2, 1900-1920, Kiel 2013) | |||
* [[Karl-Heinz Köpke|Köpke, Karl Heinz]]: ''Zur Geschichte des Kieler Gewerkschaftshauses''. In: ''Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte'' 79 (1995-1999), S. 277-288 | |||
* [[Detlef Korte|Korte, Detlef]] / [[Holger Malterer|Malterer, Holger]]: ''Das Kieler Gewerkschaftshaus in Nazihand''. In: ''Demokratische Geschichte'' 3 (1988), S. 515-520 | |||
* [[Bruno Verdieck|Verdieck, Bruno]] / Gewerkschaftshaus Kiel GmbH (Hrsg.): ''Unser Haus'' (Kiel 1957) | |||
* Homepage: [http://www.gewerkschaftshaus-kiel.de Gewerkschaftshaus Kiel] | |||
* Homepage: [http://www.legienhof.de Legienhof] (mit einem Überblick über die Baumaßnahmen) | |||
* [https://kielregion.dgb.de/++co++270064bc-448d-11e4-b244-52540023ef1a Geschichte des Gewerkschaftshauses] auf den Seiten des DGB (nach dem genannten Aufsatz von Karl-Heinz Köpke) | |||
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Aktuelle Version vom 28. August 2024, 03:16 Uhr
Legienhof |
|
Legienstraße 22 |
24105 Kiel |
http://legienhof.de/ |
Das Gewerkschaftshaus in Kiel dient seit mehr als einhundert Jahren den Kieler Gewerkschaften und der Kieler SPD als zentrale Anlaufstelle für ihre Aktivitäten.
Finanzierung und Bau
Mit dem Anwachsen der Gewerkschaftsbewegung reichten die bis zur Jahrhundertwende üblichen Versammlungen in Gaststätten, etwa Baumanns Lokal in der Langen Reihe (später Centralhallen), immer weniger aus. Auch schätzten die viele Gastronomen diese "radikale" Kundschaft, die von der preußischen Polizei genau beobachtet wurde, nicht sonderlich und fanden Wege, ihre Räumlichkeiten zu verweigern. Andere wurden von den Behörden unter Druck gesetzt, nicht an die Sozialisten zu vermieten. Aus dieser Schwierigkeit entstand der Plan, ein Gewerkschaftshaus zu bauen. 1902 wählte das Kieler Gewerkschaftskartell eine Baukommission, die von der Auswahl und Finanzierung des Grundstücks bis zur Fertigstellung des Gebäudes alle Aufgaben übernahm.[1]
Der Grundstein für das Gewerkschaftshaus wurde am 4. Oktober 1904 an der Fährstraße gelegt. Am 26. Juli 1907 übergab es der Gewerkschaftsführer und langjährige SPD-Reichstagsabgeordnete für den Wahlkreis Kiel, Carl Legien, seiner Bestimmung. Das Haus umfasste eine Herberge für Wanderarbeiter, Büros, Versammlungsräume, eine Bibliothek und eine Gastronomie mit großem Versammlungssaal. Auch die SPD hatte hier ihr örtliches Parteibüro in den beiden Räumen mit dem Balkon zur Straße.[2] Das Gewerkschaftshaus war sowohl großzügig als auch zweckmäßig ausgestattet und "galt als eines der schönsten seiner Art in ganz Deutschland"[3]. Finanziert hatten den Bau zu einem beachtlichen Teil die Gewerkschafter selbst: "Ein Teil der Baukosten war durch den Ankauf von Anteilsscheinen zum Preis von 5 Reichsmark das Stück bestritten worden - ein Werftarbeiter verdiente damals zwischen 28 und 40 Pfennige pro Stunde."[3] 120.000 Mark brachten die Arbeiter durch die Anteilsscheine selbst auf.[4]
Die VZ machte den Zweck des Hauses deutlich:
"Das Kieler Gewerkschaftshaus soll für die Kieler Arbeiterschaft der Ort sein, an dem sie nach des Tages Arbeit Erholung und Unterhaltung, Aufklärung und Bildung finden. Aber es soll auch eine Waffenschmiede sein. Hier in diesen Räumen sollen die Waffen geschmiedet und geschärft werden, die [sic] das Kieler Proletariat für seine Kämpfe bedarf und die es nie, nie einrosten lassen wird." [5]
Bei mehreren historischen Ereignissen in Kiel stand das Gewerkschaftshaus im Mittelpunkt: So diente es während des Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstandes 1918 dem Arbeiter- und Soldatenrat als Versammlungsort, während des Kapp-Putsches von 1920 als Hauptquartier der Verteidiger der Weimarer Demokratie, beim Metallarbeiterstreik von 1956 als Zentrum für die Streikenden. Seine Rolle beim Matrosenaufstand wurde zum 60. Jahrestag im November 1978 mit einer Gedenktafel gewürdigt:
"In diesem Haus tagte Anfang November 1918 der Kieler Arbeiter- und Soldatenrat. Er gab den entscheidenden Anstoss zur Ausrufung der ersten deutschen Republik am 9. November 1918 in Berlin".
Am 15. September 1920 sprach Albert Einstein im Gewerkschaftshaus vor tausenden Arbeitern über seine Relativitätstheorie. Die Christian-Albrechts-Universität hatte ihm keinen Raum für seine Rede geben wollen, weil er Jude war. [6][7]
Am 27. März 1923, drei Jahre nach Carl Legiens Tod, beschloss die Stadtverordnetenversammlung, die Fährstraße in Legienstraße umzubenennen.
1926 erhielt das zu klein gewordene Jugendstilgebäude in Richtung Muhliusstraße einen Anbau im markanten Stil des Backsteinexpressionismus.[8]
Nationalsozialismus
Das Gewerkschaftshaus war bis 1933 auch Sitz der Geschäftsstelle der Kieler SPD.[9]
Bereits Anfang März 1933 drangen SA-Leute zweimal in das Gewerkschaftshaus ein, um "illegales Material sicherzustellen". Sie fanden nichts. Zuverlässige Gewerkschaftsangestellte hatten wichtige Unterlagen (z.B. Mitgliederlisten) vorsorglich bei Freunden in Privatwohnungen versteckt. Sie begingen allerdings den Fehler, sie wenige Tage später wieder zurückzubringen. Am 10. März war in der Kieler NS-Zeitung Volkskampf (VK) eine unverhohlene Drohung zu lesen:
"Das Gewerkschaftshaus ist in weitem Umkreis abgeriegelt. Schupo, Hilfspolizei [SA und "Stahlhelm"], Beamte der Kriminalpolizei. Hitler wird nicht dulden, daß volksfeindliche Kräfte ihre Versammlungshäuser als Schlupfwinkel benutzen. Die Organisation des nationalen und sozialen Verrats wird zerschlagen werden. Das Gewerkschaftshaus hat unendlich viele Räume: Ein richtiger Bonzenpalast. Gebaut von mühsam zusammengetragenem Geld deutscher Arbeiter. Die Gemeinheit und die Schändlichkeit der 14 Jahre Bonzenwirtschaft wird durch das Gewerkschaftshaus am besten dokumentiert."[10]
Am 12. März wurde der Kieler Rechtsanwalt Wilhelm Spiegel von SA-Leuten ermordet. Unter dem Vorwand, dass im Gewerkschaftshaus ein "verleumderisches" Flugblatt zu dem Mord gedruckt worden sei, wurde es am 13. März 1933 von Nationalsozialisten besetzt. Dabei fielen ihnen die zunächst geretteten Mitgliederkarteien nicht nur der Gewerkschaften, sondern auch der Kieler SPD in die Hände. Dies hatte zahlreiche Verhaftungen zur Folge.
Von den Nazis wurde das Haus in "Haus der Arbeit" umbenannt[11] und von der Deutschen Arbeitsfront (DAF) genutzt, von den Arbeitern aber, wo es möglich war, gemieden.[10] Von der DAF heruntergewirtschaftet, wurde der Komplex 1935 zwangsversteigert und von der Stadt Kiel erworben.[12]
Neubeginn nach der NS-Diktatur
Am 5. Mai 1945 ab 8:00 Uhr war Frieden in Schleswig-Holstein. Die britische Militärregierung übernahm faktisch die Macht. Am 5./6. Mai 1945[9][13] nahm ein Komitee aus ehemaligen Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionären das Gewerkschaftshaus wieder in Besitz, noch bevor britische Truppen am 7. Mai Kiel erreicht hatten.[14]
"Schon Ende April 1945 hatten sich auf Kieler Werften und in Großbetrieben Betriebsräte gebildet, in einigen Unternehmen waren von den Belegschaften Vertrauensleute gewählt worden.
Genau 12 Jahre nach der Besetzung des Gewerkschaftshauses durch die Nationalsozialisten am 2. Mai 1933 kamen am 2. Mai 1945 zahlreiche frühere Gewerkschaftsfunktionäre in ihrem ehemaligen Gerwerkschaftshaus zusammen. Schon während dieses Treffens wurde ein 'Vorbereitendes Komitee zur Bildung von freien Gewerkschaften' gewählt. Das Komitee bestand aus den SPD-Mitgliedern Friedrich Böttcher, dem ehemaligen geschäftsführenden Vorsitzenden des ADGB Kiel (bis Juni 1933), Heinrich Kähler, ehemaligem Betriebsrat der Fa. Bohn und Kähler, Max Hettner, ehemaligem Betriebsrat der Deutsche Werke AG, und Rudolf Schlarbaum (KPD), dem ehemaligen Bezirkssekretär des Landarbeiter- und Siedlerverbandes. Böttcher und Schlarbaum hatten längere Zeit in Konzentrationslagern und Zuchthäusern zubringen müssen.
Das vorbereitende Komitee erhielt den Auftrag, das Gewerkschaftshaus und die Einrichtungen der "Deutschen Arbeitsfront" zu übernehmen. Es stellte am 4. Mai 1945 fest, daß alle verantwortlichen Funktionäre der DAF das Haus verlassen hatten. Am Sonnabend, dem 5. Mai, erfolgte die Übernahme. Sämtliche Akten waren vernichtet, 'ein Inventarverzeichnis (lag) nicht vor - ebenso kein Nachweis über das Vermögen der DAF. Nur wenige wertvolle Büromaschinen wie Schreib-, Rechen- und Buchungsmaschinen wurden 'sichergestellt'. Auf dem Hofe spielten Kinder mit den Schreibmaschinen. In den Büros befanden sich fast nur leere Schreibtische und Schränke. Das Komitee bezog die Büroräume des ehemaligen Gauobmannes der DAF, Bannemann, im zweiten Stock des Gewerkschaftshauses.
Für Sonntag, den 6. Mai, hatte das vorbereitende Komitee eine Vertrauensmännerversammlung in das Gewerkschaftshaus einberufen. An dieser Eröffnungssitzung nahmen ca. 120 Vertreter aus Kieler Betrieben teil.
Nach dem Bericht Böttchers über den Vortrag betonte Heinrich Kähler, 'daß die erste Vorarbeit sein muß, in den verschiedenen Betrieben Betriebsräte zu bestellen. Es kommt hierbei darauf an, nur ganz einwandfreie Genossen als Vertrauensleute zu bestellen. Als Grundsatz muß gelten, daß in den zu wählenden Betriebsräten keine Mitglieder der NSDAP sein dürfen.
Als Hauptaufgabe für die nächsten Tage wurde angesehen, die Anerkennung der Gewerkschaften durch den englischen Militärgouverneur in Kiel zu erlangen.
Ein Antrag an den Militärgouverneur vom 16.6. kennzeichnet die 'offiziellen' Aufgaben des vorbereitenden Ausschusses:
- Die Erfassung der schon vor dem Jahre 1933 freigewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Angestellten
- Die Beratung der Betriebsvertrauensleute
- Die Mitwirkung bei der Regelung des Arbeitseinsatzes
- Die Mithilfe bei der Erfassung früherer nationalsozialistischer Amtsträger
- Die Betreuung der aus den Konzentrationslagern und Zuchthäusern entlassenen Insassen
Mit dem Schreiben von 12. Mai 1945 an die Militärregierung, Det. 909 in der Düppelstraße 23, bat der vorbereitende Ausschuß um das formelle Recht, die ersten gewerkschaftlichen Vorarbeiten in Kiel zu leisten.
Auf der zweiten Sitzung des Komitees am 17. Mai berichtete Heinrich Kähler allerdings, daß bisher nur der Militärgouverneur eingetroffen sei und der zivile Sektor noch nicht bearbeitet würde. Alle Versuche, mit der Alliierten Militärkommission in Fühlung zu treten, seien bisher erfolglos geblieben.
Ihre Einschätzung: 'Uns ist klar, daß die Engländer viel Zeit haben. Zunächst einmal soll die Stadt aufgeräumt werden, die öffentlichen Betriebe ihre Arbeit wieder aufnehmen, die Strom-, Wasser- und Gasversorgung muß funktionieren, das Straßenbahnnetz wieder in Ordnung gebracht werden. Die Frage der Gewerkschaftsbewegung ist den Engländern anscheinend noch nicht akut.'
Eine mündliche Zusicherung des Militärgouverneurs sollte jedoch vorliegen, daß in den Betrieben eine Betriebsversammlung geschaffen werden durfte, die mit dem Vorbereitenden Komitee in loser Verbindung stehen sollte.
Als Erfolg konnte jetzt schon verbucht werden, daß in über 45 Kieler Unternehmen eine Betriebsvertretung gebildet war, am 6. Juni waren es bereits über 60 Unternehmen. Kähler berichtet am 1. Juni, daß regelmäßig jede Woche einmal Betriebsräteversammlungen im Arbeitsamt stattfinden.
Eine wichtige Aufgabe der Arbeitnehmervertreter sollte sein, daß 'kein Nazi sich von einem zum anderen Betrieb schleichen kann.' Um 'eine einheitliche Plattform zu finden', einen 'Unterbau für die kommende Bewegung zu sichern', trafen am 1. Juni ca. 20 Vertreter der früheren Parteien SPD und KPD und der freien Gewerkschaften zusammen. Ihr allgemeines Urteil war, daß die bisherige Entwicklung enttäuschend verlaufen sei. Alle hatten eine freie Betätigung ihrer Kräfte erhofft. Deutlich wurde: 'Die alten reaktionären Kreise werden wieder lanciert.'
Nur unter Schwierigkeiten sei es gelungen, eine beabsichtigte Beschlagnahme des Gewerkschaftshauses und die Aufhebung des Komitees zu verhindern. Trotz der Ansicht des Militärgouverneurs, daß ihre Arbeit ungesetzlich sei, arbeiteten sie 'kraft ihres revolutionären Rechts' weiter.... 'Wir müssen dem Engländer beweisen, daß es ohne uns keinen neuen Aufbau in Deutschland gibt.'
Der Kreis des 1. Juni wurde der erweiterte Aktionsausschuß des vorbereitenden Komitees zur Bildung der freien Gewerkschaften. Eine Aufteilung in 5 Gruppen wurde vorgenommen:
- Ausschuß für Gewerkschaftsfragen. Bearbeiter: Kähler, Hettner, Schlarbaum, Friedrich Böttcher
- Ausschuß für Wirtschaftsfragen (Andresen). Der Ausschuß sollte zusammen mit dem Arbeitsamt Fragen der Umstellung auf Friedensproduktion, Einrichtung von Wirtschaftskammern etc. bearbeiten.
- Ausschuß für Personalfragen (Bearbeiter Kuklinski)
- Ausschuß für Frauenfragen (Bearbeiterinnen: Agnes Nielsen (KPD) und Völcker). Der Ausschuß sollte das gesamte soziale Gebiet umfassen.
- Ausschuß für Jugendfragen (Bearbeiter Grube und Fischer)
Im Zentrum der Verhandlungen dieser Tage standen Gespräche zwischen dem Kieler Komitee und dem [noch von den Nazis eingesetzten] Oberpräsidenten Hövermann, dem Präsidenten des Landesarbeitsamtes und besonders mit dem Oberbürgermeister Emcke. Wichtigstes Thema war die Stellenneubesetzung. Allein bei der Stadtverwaltung Kiel hatte es durch die 'innere Reinigung der Betriebe' bis zum 6. Juni ca. 500 Entlassungen gegeben.
So beschloß der erweiterte Aktionsausschuß sogar am 8. Juni, für die Stellenbesetzung Richtlinien herauszugeben."[13]
Die britische Militärregierung lehnte Verhandlungen mit dem Komitee ab[13], beschlagnahmte das Gewerkschaftshaus und verbot die Gewerkschaftsaktivitäten - politische Betätigung war zu dieser Zeit noch untersagt.[15]
"Am 8. Juni 1945 wurde dem Militärgouverneur erneut vom vorbereitenden Komitee ein formeller Antrag auf Zustimmung zur Bildung der Gewerkschaft überbracht. Einen Tag später, am Sonnabend, dem 9. Juni, wurden die bisher benutzen Räume des Gewerkschaftshauses von der 312. Brigade beschlagnahmt und der Zutritt für die Gewerkschafter verboten. Das Haus wurde nun 'Empire-Haus' genannt, im großen Saal fanden für Engländer Filmvorführungen und andere Veranstaltungen statt.
Den Komiteemitgliedern wurde durch den Oberbürgermeister im Auftrag der Militärregierung mitgeteilt, daß sie ihre Arbeit einzustellen hätten. Die Anordnung war vom übergeordneten Bezirksgouverneur erlassen worden.
Offiziell wurde die Arbeit des Ausschusses auch eingestellt. Unabhängig davon wurde jedoch das Büro in das Kieler Arbeitsamt am Wilhelmplatz verlegt. Die Betriebsratsarbeit war von der Anordnung nicht berührt.
Bestärkt wurde das Komitee durch die Veröffentlichung einer englischen Regierungserklärung im Kieler Nachrichtenblatt Nr. 4 vom 7. Juni 1945, wonach der britische Kriegsminister Grigg betonte, daß die englische Regierung der Bildung und gesetzmäßigen Betätigung freier deutscher Gewerkschaften nichts in den Weg legte."[13]
Erst am 1. Mai 1947 konnten die Kieler Gewerkschaften ihr Haus wieder übernehmen, wenn auch zu einem hohen Preis. Sie kauften das von ihren Mitgliedern bezahlte Haus für 423.000 Reichsmark von der Stadt Kiel zurück, die es während der Nazizeit ersteigert hatte. Das Ergebnis war es wert:
"Während der Rede des Oberbürgermeisters Andreas Gayk schlugen Maurer die Naziinschrift "Haus der Arbeit" und die Hakenkreuze ab und der alte Name Gewerkschaftshaus wurde wieder angebracht."[14]
In seiner Rede fand der Oberbürgermeister auch kritische Töne:
"Damit ist nicht nur ein Unrecht wieder gutgemacht, das die Nazis nach ihrer Machtübernahme begangen haben, es ist auch ein schwerer Fehler der Besatzungsmacht korrigiert. Nichts hat dem Ansehen der Militärregierung mehr geschadet als die Tatsache, daß sie ausgerechnet das Haus der aufrichtigsten Nazigegner für ihre Armee in Beschlag nahm."[16]
Zugleich würdigte er den Einsatz des Militärgouverneurs Marschall de Crespigny für die Rückgabe.
Allerdings blieben noch Dienststellen der Militärregierung im Haus, und es musste weiteres Geld in die Einrichtung investiert werden, denn die Briten waren mit dem Haus nicht pfleglich umgegangen und hatten beim Auszug kaum etwas dagelassen.
Auch die SPD bezog ihre alten Räume wieder, sowohl der Bezirksverband ("in den Zimmern 21-26 links vom Treppenaufgang") als auch der Kreisverein ("Zimmer 30 rechts des Aufganges"). Die AWO konnte aus der Bergstraße umziehen; das Bezirksbüro erhielt die Räume 27/28, der Ortsausschuß Raum 31.[17]
Am 5. Dezember sprach Erich Ollenhauer, stellvertretender SPD-Vorsitzender, im wieder genutzten Gewerkschaftshaus.[18]
Weitere Baumaßnahmen
In den Räumen des ehemaligen Reichshallen-Kinos im Gewerkschaftshaus befand sich seit den 1960er Jahren das Teppichgeschäft "Teppichstraße". In der Nacht vom 7. auf den 8. April 1975 brach dort ein Feuer aus, das rasch auf das ganze Gewerkschaftshaus übergriff. Dieses und auch die Gaststätte Legienhof wurden schwer beschädigt.
Am 26. April 1978 konnten die Gewerkschaften im Hof Richtfest für die Wiederherstellung und den Erweiterungsbau des Gewerkschaftshauses nach der Zerstörung durch den Großbrand feiern.
Heute
Im Gewerkschaftshaus haben heute der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und zahlreiche seiner Einzelgewerkschaften ihren Sitz. Auch für die Kieler SPD, die mittlerweile ins Walter-Damm-Haus umgezogen ist, bildet es bis heute einen selbstverständlichen Treffpunkt, in dem Kreisvorstand, Kreisausschuss und Arbeitskreise tagen und viele öffentliche Veranstaltungen stattfinden, etwa Kreisparteitage, Wahlkundgebungen oder 2013 die Feier mit Sigmar Gabriel zum bundesweiten Auftakt des 150jährigen Parteijubiläums.
Nach 100 Jahren wurde das Haus - mit Ausnahme der Gastronomie - bis 2011 aufwendig saniert und renoviert. Seitdem werden nicht nur mit dem Garbesaal, dem Andreas-Gayk-Saal und dem Otto-Brenner-Zimmer herausragende Gewerkschafter geehrt, sondern mit dem Emma-Sorgenfrei-Forum im Erdgeschoss auch eine Genossin und Gewerkschafterin aus ärmsten Verhältnissen, die sich zeit ihres Lebens energisch für Bildungsarbeit und gewerkschaftliche Organisation einsetzte.
Seit dem 8. März 2017 hängt an der Haupttreppe zwischen dem 3. und 4. Stockwerk ein 5 Meter hoher roter Wandteppich mit dem Titel Mein roter Frauensalon. Tina Schwichtenberg fertigte ihn 2013 für das Ausstellungsprojekt Schwestern zur Sonne zur Gleichheit.. des Frauenmuseums Bonn, mit dem an das 150. Parteijubiläum der SPD im selben Jahr erinnert wurde. In den Teppich sind 32 Namen von Sozialdemokratinnen und Gewerkschafterinnen (und der eines Mannes!) eingewebt, die für die Emanzipation der Frau in diesen 150 Jahren eine Rolle gespielt haben.[19] Wenigstens sie wolle diesen Frauen "den roten Teppich ausrollen", sagte die Künstlerin bei der Einweihung.[20] Den Ort - fast der einzige in Kiel mit ausreichender Höhe - hatte die Kieler ASF mit dem DGB ausgehandelt.
Gastronomie
Oft wird das Gewerkschaftshaus als "Legienhof" bezeichnet. Dies ist aber eigentlich - nach der Legienstraße - nur der Name der Gaststätte mit den Sälen, die unzählige Versammlungen, Parteitage und Streiktreffen beherbergt haben. Seit Juli 2019 ist die Gaststätte geschlossen und wartet mitsamt den Sälen auf ihre Renovierung. Im Zuge dieses Projekts wechselte das ganze Haus den Besitzer: Statt der Immobilienholding des DGB gehört es seit dem 1. Februar 2022 der IGEMET, der immobilienwirtschaftlichen Vermögensverwaltung der IG Metall[21], die damit auch die Verantwortung für die Renovierung des Gaststättenbereichs übernommen hat, der sich aktuell im Rohbauzustand befindet. Ziel ist es, das Restaurant mit Terrasse und die Säle zum 1. Mai 2026 wieder in Betrieb zu nehmen. Es wird mit Kosten in Höhe von etwa 3,5 Mio Euro gerechnet.[22] DER zentrale Treffpunkt der Kieler Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung würde dann wieder für die Öffentlichkeit nutzbar sein.
Fotos
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Gewerkschaftshaus, um 1909
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Gewerkschaftshaus, um 1910
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Gewerkschaftshaus Lichtsaal, um 1959
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DGB Maikundgebung, 1953
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DGB Maikundgebung, 1967
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DGB Maikundgebung, 1967
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75 Jahre Freie Turnerschaft Adler Kiel, 1968
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SPD Kreiswahlkonferenz, 1973
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Großbrand 1975: Blick in den Hinterhof, nachts
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Großbrand 1975: Blick in den Hinterhof am Morgen
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Großbrand 1975: Straßenansicht
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Großbrand 1975: Der ausgebrannte Saal des Legienhofs
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Gewerkschaftshaus, 1978
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Gewerkschaftshaus-Erweiterungsbau aus den 1920er Jahren, 1978
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Richtfest für den Erweiterungsbau von 1978
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Richtfest für den Erweiterungsbau von 1978
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Richtfest für den Erweiterungsbau von 1978
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Stadtpräsident Rolf Johanning spricht zu Einweihung des Legiensaals, 1979
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Der entkernte Legiensaal im August 2024
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Der entkernte Lichtsaal im August 2024
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Der entkernte Restaurantbereich im August 2024
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Die freigelegte historische Decke im Restaurantbereich soll restauriert werden, August 2024
Literatur & Links
- Müller-Beck, Ralph / Deutscher Gewerkschaftsbund, Region KERN (Hrsg.): Unser Haus. 100 Jahre Zeuge Kieler Gewerkschaftsgeschichte (Kiel 2007)
- Fischer, Rolf: "Mit uns die neue Zeit!" Kiels Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Revolution (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band 2, 1900-1920, Kiel 2013)
- Köpke, Karl Heinz: Zur Geschichte des Kieler Gewerkschaftshauses. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 79 (1995-1999), S. 277-288
- Korte, Detlef / Malterer, Holger: Das Kieler Gewerkschaftshaus in Nazihand. In: Demokratische Geschichte 3 (1988), S. 515-520
- Verdieck, Bruno / Gewerkschaftshaus Kiel GmbH (Hrsg.): Unser Haus (Kiel 1957)
- Homepage: Gewerkschaftshaus Kiel
- Homepage: Legienhof (mit einem Überblick über die Baumaßnahmen)
- Geschichte des Gewerkschaftshauses auf den Seiten des DGB (nach dem genannten Aufsatz von Karl-Heinz Köpke)
Einzelnachweise
- ↑ Fischer, Rolf: "Mit uns die neue Zeit!" Kiels Sozialdemokratie im Kaiserreich und in der Revolution (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band 2, 1900-1920. Kiel 2013), S. 17 f.
- ↑ Information von Martha Riedl im Interview mit Klaus Kuhl, S. 17
- ↑ 3,0 3,1 Korte/Malterer, Gewerkschaftshaus, S. 515
- ↑ Köpke, Karl-Heinz: Zur Geschichte des Kieler Gewerkschaftshauses. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 79 (1995-1999), S. 278
- ↑ Schleswig-Holsteinische Volkszeitung, 28.7.1907, zit. in Korte/Malterer, Gewerkschaftshaus, S. 515
- ↑ Warum Kiel Albert Einstein nach 95 Jahren ehrt, shz.de, 15.9.2015
- ↑ Einstein war relativ gern in Kiel, Kieler Nachrichten, 15.9.2015
- ↑ Grundsteinlegung zum Erweiterungsbau des Gewerkschaftshauses, Lübecker Volksbote, 17.7.1925
- ↑ 9,0 9,1 Martens, Holger: SPD in Schleswig-Holstein 1945-1959 (Malente 1998), S. 26
- ↑ 10,0 10,1 Korte/Malterer, Gewerkschaftshaus, S. 516 ff.
- ↑ Klatt, Inga / Peters, Horst: Kiel 1933. Dokumentation zur Erinnerung an den 50. Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Kiel (Hrsg. Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft, Kiel 1983)
- ↑ Köpke, Karl-Heinz: Zur Geschichte des Kieler Gewerkschaftshauses. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 79 (1995-1999), S. 279 f.
- ↑ 13,0 13,1 13,2 13,3 SPD Kiel (Hrsg.): Kiel im Mai 1945 - Hell aus dem dunklen Vergangenen leuchtet die Zukunft empor (Kiel 1985)
- ↑ 14,0 14,1 Korte/Malterer, Gewerkschaftshaus, S. 520
- ↑ Martens, Holger: SPD in Schleswig-Holstein 1945-1959 (Malente 1998), S. 33
- ↑ Weltfeiertag für Frieden und Völkerverständigung, VZ, 3.5.1947
- ↑ Die SPD zog ins Gewerkschaftshaus, VZ, 26.4.1947
- ↑ Arbeitskreis "Demokratische Geschichte": Wir sind das Bauvolk. Kiel 1945 bis 1950 (Kiel 1985), Seite 61
- ↑ Die 33 Namen lassen sich beim Anklicken des Fotos der Dateibeschreibung entnehmen.
- ↑ Ein Denkmal für 32 starke Frauen, Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, 9.3.2017
- ↑ Neues Gewerkschaftshaus der IGEMET in Kiel, abgerufen 27.8.2024
- ↑ Aussage von Wolfgang Mädel während einer Baustellenbesichtigung auf Initiative von Mathias Stein MdB am 26.08.2024