Arbeitersport
Die Freien Turnerschaften waren im sportlichen Bereich das Gegenstück zu den bürgerlichen Sportvereinen, die sich an "Turnvater" Jahn und seinem nationalistischen Gedankengut orientierten. Diese nahmen Sportler aus dem Arbeiterstand nur ungern auf; deshalb gründeten die Arbeitersportler ihre eigenen Vereine.
- "Viele der bürgerlichen Strukturen, besonders im Sport, wurden übernommen. Bis 1899 verwandten die Arbeiterturner den Turnergruß der Deutschen Turnerschaft „Gut Heil“. Danach entwickelte sich der Gruß „Frei Heil“. Auch das Emblem der Turnerschaft, die '4 F' für 'Frisch, fromm, fröhlich, frei', behielt der Arbeiter-Turnerbund bis 1907 bei. Dann änderten die Verantwortlichen das Abzeichen in 'Frisch, Frei, Stark, Treu' um".[1]
Der Arbeitersport hatte lange unter staatlicher Repression zu leiden, weil die staatlichen Organe in ihnen - besonders zur Zeit der Sozialistengesetze, aber auch noch danach - Tarnorganisationen für politische Betätigung sahen. Die Arbeitervereine durften die öffentlichen Turnhallen und Sportanlagen nicht benutzen und mit dem Reichsvereinsgesetz von 1908 durften keine Jugendlichen unter 18 Jahren mehr teilnehmen.
- "Das preußische Innenministerium formulierte bereits 1895 einen Erlaß, in dem Jugendlichen das Turnen und Sporttreiben in Arbeitersportvereinen verboten wurde. Da dieses Verbot nicht den gewünschten Erfolg hatte, wurde 1908 mit dem Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes eine neue Hürde aufgebaut. Jetzt bezog sich das Verbot auf alle Arten politischer - insbesondere sozialdemokratischer - Organisationen. Diesen war von nun an verboten, Mitglieder unter 18 Jahren anzuwerben so wie sie an Veranstaltungen u.a. teilnehmen zulassen. Dieses Verbot bezog sich 'nur' auf politische Vereinigungen, doch mit Hilfe eines Kunstgriffes traf man auch alle Arbeitervereine, die sich den unterschiedlichsten Zielen widmeten. Die Behörden erklärten diese Vereine einfach zu politischen Organisationen, verboten die Jugendarbeit und glaubten so, die Vereine von ihrer Jugend abschneiden zu können"[2]
Trotz dieser Widrigkeiten wurde im Mai 1893 der Arbeiter-Turnerbund in Gera gegründet. Schleswig-Holstein war von Anfang an dabei und bildete gemeinsam mit Hamburg einen der ersten fünf Kreise des Arbeiter-Turnerbunds. In mehr und mehr Städten gründeten sich Freie Turnerschaften.
- "Um die Jahrhundertwende wurde auf Bundesebene immer wieder eine mögliche Zentralisation von mehreren Arbeiterturnvereinen an bzw. in einem Ort diskutiert. Die Gewerkschaften spielten in dieser Diskussion eine entscheidende Rolle. Hier löste eine gemeinschaftliche Interessenvertretung die vielen kleinen selbständigen Einzelverbände ab, um eine größere politische Wirkungskraft zu bekommen. Diese Entwicklung diente den Arbeiterturnern als Vorbild für die Gründung von Arbeitersportkartellen. Mit der Wahl des Begriffs 'Kartell' für die neue Organisationsstruktur betonten die Arbeitersportler die kollektiven und solidarischen Elemente in ihrer Bewegung."[1]
Im Jahr 1928 veranstalteten das schleswig-holsteinische Kartell der Arbeiter-Turnvereine ein Arbeiter-Sportfest in Büdelsdorf.
Kiel
[[Datei:{{#setmainimage:Eduard Adler.jpg}}|thumb|right|180px|Eduard Adler]] In Kiel begann die Geschichte des Arbeiterturnens im Juni ]: Mitglieder des Vergnügungsvereins "Arbeiterbund" begannen mit dem Turnen und gründeten dafür eine Abteilung. Aus der Abteilung wurde ein erster eigener Verein gegründet: Am 17. September 1894 gründeten die Arbeiterbund-Mitglieder den Arbeiter-Turnverein "Vorwärts" und schlossen sich dem Arbeiter-Turnerbund an. 1899 musste man nach Problemen mit der Obrigkeit der Vereinsname in "Kieler Turnverein Jahn von 1893" umbenennen. Im Kieler Stadtgebiet entstanden schnell weitere Turnvereine. Besonders in Stadtteilen mit großem Arbeiteranteil wurden Vereine gegründet, so zum Beispiel 1890 der Turnverein "Vorwärts" in Alt-Heikendorf, Anfang Oktober 1893 ein Verein in Neumühlen-Diedrichsdorf, 1899 die Wiker Turnerschaft und 1901 der Gaardener Turnverein.[1]
Der Trend zu Kartell kam auch nach Kiel: Eduard Adler organisierte 1901 in Kiel einen Zusammenschluss der zahlreichen Arbeitersportvereine zur "Freien Turnerschaft an der Kieler Förde", einem Verband von 25 Abteilungen mit insgesamt 2893 Mitgliedern.[3] Am 1. Januar 1902 nahm die "Freien Turnerschaft an der Kieler Förde" ihren Sportbetrieb offiziell auf.
Wassersport
Mitglieder der "Freien Turnerschaft an der Kieler Förde" gründeten am 2. Mail 1919 eine Wassersportabteilung, einen Segel- und Ruderverein für Arbeiter. Die Boote kamen, teilweise leihweise, von der Marine. Sie hießen "Lust" und "Liebe", "Frei", "Stark", "Treu" und "Friedrich Ebert". Die Abteilung hatte prominente Gäste zu Besuch: so Reichstagspräsident Paul Löbe, SPD, und Reichsjustizminister Gustav Radbruch, SPD. Am 12. Mai 1929 weihte der Verein sein erstes Klubhauses an der Wiker Bucht, heute Kiellinie, ein. Im oberen Geschoß war die Jugendherberge untergebracht. 1930 wurde von den Arbeiter-Wassersportlern eine Anlegebrücke für ihre Boote gebaut. "Der altbekannte und verdiente Sportler Gustav Garbe hielt die Weihrede und gab der Brücke den Namen Gustav-Garbe-Brücke", so Peter Ebert, der Abteilungs-Fahrwart in einem Bericht aus dem Juli 1930. Die Ratsversammlung der Landeshauptstadt Kiel hat 2015 mit großer Mehrheit beschlossen, die neue Brücke des Sportboothafens Wik wieder den Namen Gustav-Garbe-Brücke zu geben. Die Wassersportabteilung der Freien Turnerschaft teilte sich. 1930 trennte sich eine Gruppe Segler von der Wassersportabteilung der Freien Turnerschaft und gründete den Verein "Freie Segler Kiel", FSK. 1933 lösten die Nazi die gesamte Freie Turnerschaft auf. Die Wassersportabteilung konnte unter neuer Führung als "Kieler Wassersportvereinigung" und die Freien Segler Kiel als "Kieler Fahrtensegler" weiterbestehen.
Radsport
1896 gründete sich als Ortsgruppe des ebenfalls 1896 gegründeten "Arbeiterrad- und Kraftfahrerbundes Solidarität" der Verein "Frischauf" in Kiel. Gründungsmitglieder waren, soweit heute noch bekannt, Theo Sakmirda, Theo Röstel und Hermann Langfeld. Unter dem Dachverband Arbeiterrad- und Kraftfahrerbund Solidarität sammelten sich viele Ortsgruppen in ganz Deutschland. Man pflegte das Radwandern, Kunstfahren in den Sälen der Gaststätten auch Straßenrennen und sogar Rasenradball. Nach dem 1. Weltkrieg nahm der Radsport einen großen Aufschwung. Fast 900 Radsportler gab es zeitweise in Kiel. Es bildeten sich in den Stadtteilen mehrere Abteilungen, so in Dietrichsdorf, Gaarden und Winterbek. Wie alle Arbeitersportvereine wurde der Verein "Frischauf" 1933 aufgelöst. Als Radfahrer-Verein von 1934 unter neuer Leitung durfte er dann weitermachen.
Nach Kriegsende 1945 kam es nicht mehr zur Wiedergründung der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde. Es wurden aber mehrere Arbeitersportvereine wieder bzw. neu gegründet:
Freie Turn- und Sportvereinigung "Holsatia" v. 1893 e.V.
1948 wurde die Freie Turn- und Sportvereinigung "Holsatia" wiedergegründet. Der Verein schloss sich 1971 mit dem Neumühlen-Dietrichsdorfer Turnverein zur Neumühlen-Diedrichsdorfer Turn- und Sportvereinigung Holsatia v. 1887 e.V -NDTSV- zusammen.
- Homepage NDTSV Holsatia
Freie Turnerschaft Ellerbek v. 1905 e.V.
1946 wurde die Freie Turnerschaft Ellerbek wiedergegründet. In den 1970iger Jahren Übertritt in die Ellerbeker Turnvereinigung von 1868 e.V.
- Homepage ETV Kiel
Freie Turnerschaft von Friedrichsort und Umgebung v. 1903 e.V.
1945 wurde die Freie Turnerschaft von Friedrichsort und Umgebung wiedergegründet. Sie schloß sich mit dem Sport-Club Friedrichsort v. 1890 und dem Sportverein von 1908 zunächst zum Reichsbund für Leibesübungen und ab 1950 zum Sportverein Friedrichsort zusammen.
- Homepage SV Friedrichsort
Heute, im Jahre 2016, führen noch drei Kieler Vereine das "FT" im Vereinsnamen:
FT Adler von 1893 e.V.
1946 wurde die Freie Turnerschaft Adler v. 1893 wiedergegründet.
Auf der Jahreshauptversammlung am 15.01.1949 wurde beschlossen, das der Verein zukünftig "Freie Turnerschaft ADLER von 1893" heißen soll. In der Chronik seines Zeltlagers "Adlerhorst" heißt es dazu: "Sein Gesamtwirken für die Öffentlichkeit und vor allem seine großen Verdienste um die Bildung und Erhaltung der "Freien Turnerschaft an der Kieler Förde" bewogen uns anlässlich der Wiedergründung 1946, den Verein FT Adler zu nennen. Unser Vereinsname wird uns immer an Eduard Adler und sein Wirken erinnern."[4]
- Homepage FT Adler
FT Eiche von 1901 e.V.
1947 wurde die Freie Turnerschaft Eiche v. 1901 wiedergegründet
- Homepage FT Eiche
FT Vorwärts Kiel von 1901 e.V.
Bereits 1945 wurde die Freie Turnerschaft Vorwärts v. 1901 wiedergegründet.
- Homepage FT Vorwärts Kiel
Segler-Vereinigung Kiel e.V- SVK
1950 entstand aus der "Kieler Wassersportvereinigung" und den "Kieler Fahrtenseglern" der Zusammenschluss zur "Segler-Vereinigung Kiel e.V SVK".[5]
- Homepage SVK-Kiel e.V.
Radsportgemeinschaft Kiel von 1896 e.V.
Die erste Zusammenkunft überlebender Kieler Radsportler nach dem 2. Weltkrieg fand am 21. Oktober 1945 in der Gaststätte "Zur neuen Welt" in der Lutherstraße statt. Als Verein "Kieler Radsportgemeinschaft Solidarität" fanden die Radsportler sich wieder zusammen. Es war ein Zusammenschluss der alten Vereine "Frischauf Kiel", "Radsportgemeinschaft Solidarität Eckernförde" und dem "Rendsburger Bycicle-Club". Ziel der Vereinsarbeit sollte das Radwandern, Hallenradsport, Radrennen und Rasensport sein. Die Radsportgemeinschaft sollte nach demokratischen Regeln geführt werden, man wollte frei sein von allen politischen Bindungen. Als Sportgruß wurde das traditionelle "Frisch auf" festgelegt. Die Anrede unter den Vereinsmitgliedern wurde von "Sportgenosse" zu "Sportfreund geändert. 1949 beschlossen die Kieler Radsportler dem "Bund Deutscher Radfahrer", BDR, und nicht dem "Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität von 1896", RKB, beizutreten. Der Vereinsname wurde geändert in "Radsportgemeinschaft Kiel von 1896".
Eine eigenständige Organisation der Arbeitersportverbände entstand nach 1945 nicht mehr. Die Vereine wurden Teil der bürgerlichen Sportbewegung.
Die Kieler Arbeiter-Turner hatten es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht, die Idee zu verbreiten und unterstützten zum Beispiel den Aufbau der Freien Turnerschaft Neumünster.
Neumünster
Die Neumünsteraner Arbeiter hatten die gleichen Probleme, wie die Kieler: In den bürgerlichen Vereinen "MTSV Olympia" und "ETSV Gut Heil" waren sie nicht akzeptiert. Die Gründung eines eigenes Arbeiter-Turnvereins aber nahm aber erst Ostern 1899 Fahrt auf, als Kieler Arbeiterturner zur Hilfe kamen.[2]
Da auch in Neumünster die Arbeiterturnvereine kein Recht hatte, die öffentlichen Sporteinrichtungen zu benutzen oder Eigentum an Grund zu erwerben, blieben die Möglichkeiten eingeschränkt. 1912 beschloss der Verein einen eigenen Sportplatz einzurichten. Gekauft werden sollte der von den ehemaligen Vorsitzenden Jochen Langmaak und Martin Schaar und das Verbot zu umgehen. Über eine Spendenaktion unter seinen Mitgliedern wurde der Kauf finanziert:
- "So waren dann sämtliche Vereinsmitglieder aufgerufen, für den Kauf (im Jahre 1912) 10 Goldmark zu spenden, angesichts der niedrigen Löhne und der sonstigen Verpflichtungen ein großes Verlangen. Diese 10 Goldmark wurden trotzdem von allen Aktiven aufgebracht. Aber ein finanzielles Opfer für den Kauf reichte nicht aus. Daneben mußten die Sportler noch erhebliche Freizeit investieren,um aus dem ungepflügten Acker eine Sportanlage zu schaffen. Viele Vereinsmitglieder waren dabei, den Platz 'auszubauen'. Nun darf man sich aber keinen Sportplatz heutiger Prägung mit Aschenbahn,Sprunganlage u.a. vorstellen; damals schuf man kleine hölzerne Umkleideräume, umpflanzte und planierte das Gelände und hatte so einen ausreichenden Platz zum Turnen."[2]
1913 wurde "Unser Platz" neben der noch heute existierenden Kummerfelder Wassermühle eingeweiht. Und so heißt es im Vereinslied, das Martin Schaar um 1912 gedichtet hat[2]:
- Dwischen Gahdeland und Groot Kummerfeld
- dor ligt een Wotermöhl,
- dor ligt een Platz in grööne Feld,
- dor goht wi hin toS peel,
- dat schal ja nichts,dat mokt ja nichts,
- von uns'n Platz dor lot wi nich,
- denn he let uns ja, denn he let uns ja,
- he let uns keene Ruh',
- auf uns'n Platz geiht dat lustig to,
- un dann geiht dat wedder op dat Letter,
- Heini Müller ümmer düller,
- Düsselkop, Düsselkop, paß dochup,paß dochup,
- un so geiht de Kummerfelder Marsch Marsch Marsch,
- un so geiht de Kummerfelder Marsch Marsch Marsch.
Literatur
- Detlefs, Birte und Löhndorf, Rolf: Festschrift 100 Jahre Freie Turnerschaft Eiche v. 1901 e.V.
- Döhring, Rolf: Die Anfänge der Freien Turnerschaft Neumünster, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 173-179
- Erinnerungsschrift zur Feier des 25jährigen Bestehens der Freien Turnerschaft an der Kieler Förde, 1902-1926, herausgegeben vom Vereinsvorstand im November 1926, Buchdruckerei Chr. Haase & Co., Kiel, Bergstr. 11
- Freie Turnerschaft ADLER von 1893 e.V., Festschrift zum 75jährigen Bestehen, Druck: Martin Clausen, Kiel
- Heed, Levke: Arbeitersport in Kiel. In: Demokratische Geschichte 13(2000), S. 147-198
- Körner, Gustav: Radsportgemeinschaft Kiel von 1896 e.V., Chronik der 100 Jahre, Mai 1996, Nr. 248, Jubiläumssonderheft
- Rickers, Karl: Eduard Adlers Friedenspolitik 1914. Der Vorabend des Ersten Weltkrieges in den Leitartikeln der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung. In: Demokratische Geschichte 1(1986), S. 83-121
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Heed, Levke: Arbeitersport in Kiel. In: Demokratische Geschichte 13(2000), S. 147-198
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 Döhring, Rolf: Die Anfänge der Freien Turnerschaft Neumünster, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 173-179
- ↑ Rickers: Friedenspolitik, S. 113
- ↑ Zeltlager Adlerhorst
- ↑ Geschichte der SVK