1930
Dieses Jahr markiert einen politischen Wendepunkt für die Demokratie in Deutschland: Nicht mehr parlamentarische Mehrheiten entscheiden über die Regierung, sondern der Wille des Reichspräsidenten. Es beginnt die Zeit der "Präsidialkabinette", die drei Jahre später ihren Tiefpunkt in der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler findet.
Nach dem Rücktritt der letzten SPD-geführten Koalition unter Hermann Müller am 27. März ernennt Hindenburg den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning zum Reichskanzler, der mangels parlamentarischer Mehrheit zunehmend mit Hilfe von Notverordnungen regiert.
Parteivorsitzende sind Arthur Crispien und Otto Wels, Distriktsvorsitzender in Schleswig-Holstein ist Willy Verdieck.
Nach dem Börsencrash in New York im Vorjahr, greift die Weltwirtschaftskrise um sich. Betriebe, Geschäfte, Bauerhöfe aber auch die Kommunen gerieten in Schwierigkeiten. Besonders die Werften traf es hart. In Kiel waren allein 5200 Metallarbeiter arbeitslos. Insgesamt waren hier 21000 Menschen ohne Arbeit - eine Verdoppelung im Vergleich zu 1929. Die radikale, antidemokratische Landvolkbewegung terrorisiert Schleswig-Holstein, um bessere Bedingungen für die Landwirtschaft zu erreichen. Sie hängt auch mit dem Nationalsozialismus zusammen. Gleichzeitig greifen auch die Kommunisten immer häufiger an; bspw. die Kieler Verfassungsfeier mit dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Terror von rechts und von links bedroht die Demokratie.
Im Sommer beenden Deutschlands Kriegsgegner vorzeitig die Besetzung des Rheinlandes, wie im Young-Plan vereinbart.
Die Reichstagswahl im September bringt der SPD wieder die relative Mehrheit, aber Verluste von ca. 5%; dagegen steigt die NSDAP von 2,6% auf über 18% an und wird zweitstärkste Fraktion. Die Kommunisten gewinnen nur wenig dazu.
Der Antikriegsfilm Im Westen nichts Neues nach Erich Maria Remarques gleichnamigem Roman führt zu wütenden Gegenaktionen vor allem der Nazis.
Januar
- August Rathmann wird in Berlin Mitherausgeber und Schriftleiter der Neuen Blätter für den Sozialismus. Zeitschrift für geistige und politische Gestaltung.
- 21. Januar - Harald Fojut wird geboren.
Februar
- 22. Februar - Hans-Ulrich Brand kommt in Köthen zur Welt.
- 27. Februar - Berndt Heydemann wird in Kiel geboren.
März
- 16. März - Heinrich Wellenbrink wird zum Bürgermeister von Uetersen gewählt.
- 20. März - Marta Bartsch kommt in Frankfurt am Main zur Welt.
- 21. März - Heinrich Lienau stirbt mit 74 Jahren in Neumünster.
- 21. März - Gerhard E. Gründler wird in Sachsenberg bei Schwerin geboren.
April
- 1. April - Der 75jährige Ferdinand Tönnies und seine Ehefrau Marie Tönnies treten in die SPD ein.
Mai
Juni
- In Wedel-Schulau wird die Arbeitersiedlung des Kraftwerks Schulau eingeweiht. Der Altonaer Oberbürgermeister Max Brauer, der auch Vorsitzender des Aufsichtsrates des Kraftwerks Unterelbe ist, enthüllt am ersten Gebäude der Milichstraße eine Bronzeplakette für Helma Steinbach; Louise Schroeder hält dazu die Festrede.
Juli
- 5. Juli - Die ersten Züge aus Kiel, Hamburg und Breslau treffen zur Kinderrepublik Lübecker Bucht in Lübeck ein. Insgesamt werden 2000 Kinder aus dem ganzen Deutschen Reich, aus der Tschechoslowakei und aus Österreich erwartet.
- 6. Juli - Reichs-Arbeitersport-Tag. In Kiel treffen sich 15 000 Turner. In Lübeck beginnt der Tag um 6 Uhr mit einer Schleppfahrt nach Rothenhusen am Ratzeburger See und endet mit einem Festball im Gewerkschaftshaus Lübeck.
- 6. Juli - In Bad Schwartau findet ein Gewerkschaftsfest statt.
August
- 12. August - Paul Dräger, der spätere Stadtverordnete in Reinbek, wird geboren.
- 24. August - Der Ortsverein Bredstedt begeht sein 25jähriges Stiftungsfest mit einem Festzug und einer Fahnenweihe, die durch Wilhelm Brecour vorgenommen wird.
September
- Nanny Kurfürst gibt wegen der Geburt ihrer Tochter Anni ihr Reichstagsmandat kurz vor Ende der Legislaturperiode auf und betreibt in der Elisabethstraße in Kiel-Gaarden einen kleinen Tabakladen.
- 14. September - Reichstagswahl. Überraschend wird die NSDAP zweitstärkste Kraft nach der SPD.
Oktober
November
- 23. November - Kommunalwahlen im Landesteil Lübeck
- 25. November - Gerhard Staack, späterer Bürgermeister von Schacht-Audorf|, wird geboren.
- 25. November - Saalschlacht anlässlich einer NSDAP[?]-Veranstaltung im Deutschen Haus in Preetz, in deren Rahmen auch Karl Langebeck als Sekretär für den Unterbezirk Ostholstein spricht. Es gibt mindestens 25 Verletzte, der Saal liegt in Trümmern. Neun Personen werden im Anschluss zu Gefängnisstrafen verurteilt.
- 27. November - Anlässlich einer Rede von Julius Leber in Eutin provozieren 250 Nazis eine Saalschlacht. Das Reichsbanner stellt die Ordnung wieder her, doch die Veranstaltung wird auf Bitten der Eutiner Polizei vorzeitig beendet.
- 28. November - Morgens wird der oldenburgische Landtagsabgeordnete Karl Broschko von drei Nazis mitten auf dem Markt brutal zusammengeschlagen.
- 30. November - Wahl zum Landesausschuss im Landesteil Lübeck
Dezember
Nicht datiert
- Erich Arp, Heinrich Fischer, der 17jährige Herbert Frahm und Gerhard Strack treten der SPD bei.
- Paul Bromme beginnt als Journalist für den Lübecker Volksboten zu arbeiten.
- Karl Feldmann wird als Nachfolger von Max Schmidt Gausekretär (Landesgeschäftsführer) des Reichsbanners. Eugen Lechner wird sein Stellvertreter sowie Mitglied der Gaujugendleitung und des Kreisjugendausschusses. Parallel absolviert er ein einjähriges Studium an der Arbeitervolkshochschule Harrisleefeld.
- Rudolf Katz tritt aus der jüdischen Gemeinde aus.
- Lauritz Lauritzen wird Vorsitzender der sozialistischen Studentengruppe an der Kieler Universität.
- Rosa Obloch beginnt ihre Ausbildung zur Verkäuferin beim Kieler "Konsum".
- Max Schmidt wird Parteisekretär im damals noch zu Schleswig-Holstein gehörenden Wandsbek.
- Im Frühjahr errichtet die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Büdelsdorf mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde an der Eider das Louise-Schroeder-Heim für Kindererholungsfürsorge.
- Die Freie Turnerschaft Wassersport (heute Segler-Vereinigung Kiel) benennt ihre neue Schiffsbrücke im heutigen Sportboothafen Wik an der Kiellinie nach Gustav Garbe, der selbst die Weihrede hält.
- Der Kieler Chor-Verein, ein von Edmund Söhnker gegründeter Arbeitergesangverein, feiert sein 20jähriges Bestehen unter anderem mit einer Festschrift.