Heinrich Lienau

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Heinrich Lienau
Heinrich Lienau
Heinrich Lienau
Geboren: 21. November 1855
Gestorben: 21. März 1930

Heinrich Friedrich Bernhard Lienau, *1855 oder 1856[1], † 21. März 1930 in Neumünster; Schlosser, Rendant. Mitglied der SPD ab etwa 1875.

Werdegang

Heinrich Lienau, der "legendäre wie geschäftstüchtige Neumünsteraner [...], von manchen Zeitgenossen als die 'Seele' der schleswig-holsteinischen Sozialdemokratie bezeichnet"[2], war als Vorsitzender der Agitationskommission für Hamburg und Schleswig-Holstein so etwas wie der erste Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein.

Ausschnitt aus der Geburtsurkunde von Heinrich Christian Lienau

Zunächst arbeitete er als Maschinenschlosser in der Eisenbahnreparaturwerkstätte Neumünster, bis er dort 1889[1] "wegen seiner Gesinnung [...] gemaßregelt und genötigt [war], sich als Barbier durchzuschlagen".[3] Er war verheiratet mit Anna Dorothea Lienau, geb. Dittmer[4]; die beiden hatten mindestens einen Sohn, Heinrich Christian Lienau. Als Konfession ist evangelisch angegeben.

Kurz nach dem Vereinigungsparteitag des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) - 1875 - trat er in die Partei ein.[1]

Zeit der Illegalität

Vor 1891 gab es keinen landesweiten organisatorischen Zusammenschluss der Partei. Bis Ende September 1890 war die politische Betätigung für Sozialdemokraten ohnehin durch das Sozialistengesetz von 1878 verboten.

"Überregionale Verbindungen stellten 'Vertrauenspersonen' her, da das Verbindungsverbot für politische Organisationen einen Zusammenschluss der Ortsvereine nicht zuließ."[5]

Kurz nach dem Verbot wählte Ostern 1879 eine geheime Provinztagung in der Umgebung von Neumünster eine dreiköpfige Exekutive für Schleswig-Holstein, die bis zur Aufhebung des Sozialistengesetzes tätig war. Schon hier wurde Heinrich Lienau zum Schriftwart gewählt[6], was laut Osterroth[7] den Vorsitz darstellte.

Was dies bedeuten konnte, hat der Sohn berichtet: Dieser lernte

"in seinem Elternhaus eine Reihe führender Männer persönlich kennen: August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Hasenklever, von Vollmar, von Elm u. a. Die häufigen polizeilichen Haussuchungen empfand bereits der kleine Junge als ständige Bedrohung. Den stärksten Eindruck auf ihn machte aber die Verhaftung des Vaters am Heiligen Abend. Vom brennenden Tannenbaum weg schleppte man ihn ins Gefängnis."[8]

Dies fand vielleicht in der Wohnung Kielerstraße 27 statt, wo Lienaus zur Zeit der Geburt des Sohnes wohnten.[4].

Heinrich Lienau verfügte - wie später sein Sohn - über gute Kontakte zur dänischen Sozialdemokratie. Trotz eigener Bedrängnis

"half er manchem Verfolgten [...], in Dänemark Sicherheit und Arbeit zu finden. Unzählige Male hat ihn zu diesem Zweck der Weg nach Vendrup über die Grenze geführt".[9]

Auch heißt es, er

"verstand[...], die Arbeiter und Mitglieder in den Versammlungen zu begeistern und mit zündenden Worten die Vorstellungskraft [seiner] Zuhörer zu entfesseln".[10]

1889 nahm er als Delegierter am I. Internationalen Sozialistenkongress in Paris teil.[8]

Im selben Jahr verlor er seine Anstellung bei der Staatsbahn und musste sich eine Zeit lang als Friseur durchschlagen, bevor er Rendant (Schatzmeister) der Sterbekasse in Neumünster wurde.[1]

Vorsteher der Agitationskommission

Der Provinzial-Parteitag am 1. und 2. Februar 1891[11] in Neumünster setzte eine dreiköpfige Agitationskommission mit Heinrich Lienau als Vorsteher sowie drei Stellvertreter ein. Er behielt die Funktion des Vorstehers bis 1904.

In seiner Funktion als Vorsitzender der Agitationskommission wurde Heinrich Lienau vom Provinzial-Parteitag am 11. und 12. Dezember 1892 in Neumünster in die (Wieder-)Gründungskommission der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung gewählt und gehörte auch zu den ersten Gesellschaftern der für die Herausgabe der neuen Zeitung gegründeten Firma Chr. Haase & Co..[12] In dieser Zeit wohnte er in Neumünster in der Johannisstraße 7.[13]

Ebenso gehörte er zu den drei Genossen (mit Wilhelm Brecour und August Fiedler aus Kiel), die im Januar 1893 bei der Suche nach einem Kandidaten für die Reichstagswahl auf Carl Legien aufmerksam wurden[14], der dann im Wahlkreis Kiel-Neumünster-Plön erfolgreich kandidierte.

Bei Bedarf scheint er sich auch als Verleger betätigt zu haben. Eine Broschüre von Karl Frohme, Wehr und Waffen, erschien 1902 im "Verlag H. Lienau, Neumünster".[15]

Dass es in der sich entwickelnden Partei nicht immer einfach war, an der Spitze zu stehen, ist überliefert. Auf dem Provinzialparteitag des Agitationsbezirks am 6. und 7. September 1903 in Husum hatte sich Heinrich Lienau "bitter beschwert, daß die Kreis-Vertrauenspersonen der Wahlkreise, in denen es mitgliederstarke und kapitalkräftige SPD-Vereine gab, ihm zu wenig Geld zur Verfügung gestellt hätten. Darüber hinaus hatte Lienau sich beklagt, daß diese Kreis-Vertrauenspersonen sich zu sehr von der Agitationskommission 'emanzipiert' hätten, so daß er kaum noch Einsicht in die parteiorganisatorischen Verhältnisse dieser Wahlkreise habe."[16]

Im Skandal-Anzeiger, einer satirischen Begrüßungsschrift für die Delegierten zum Provinzial-Parteitag in Neumünster am 4. September 1904 (bei dem er nicht wieder antrat), war mit respektvoller Ironie vom "auf lebenslänglich gewählten Vorsitzenden Lienau" die Rede.[17]

Der weitere politische Weg

1905/06 wurde nach einer Organisationsreform der Bezirksverband Schleswig-Holstein gegründet - er erstreckte sich über die zehn schleswig-holsteinischen Reichstagswahlkreise (damals noch ohne Lübeck). Im ersten Bezirksvorstand von 1906 war Heinrich Lienau nicht mehr vertreten.[18]

Vermutlich in dieser Zeit wurde er zum Stadtverordneten[1] in Neumünster und später zum Stadtverordnetenvorsteher gewählt[8].

Auch sonst war er weiterhin aktiv. Zur Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der Allgemeinen Sterbekasse von 1866 zu Neumünster in Holstein am 8. September 1916 verfasste er ein Geleitwort.[19]

Er beteiligte sich auch mit über 60 noch an der Novemberrevolution 1918 und sorgte unter anderem für die Besetzung der Eisenbahnstation und verschiedener militärischer Einrichtungen.[1]

"In Neumünster erreichte der unter der geistigen Leitung von Heinrich Lienau stehende Arbeiter- und Soldatenrat, daß die Ordnung erhalten blieb."[20]

In der Weimarer Republik wirkte Heinrich Lienau in der Kommunalverwaltung.[1] 1928 brachte das Hamburger Echo unter dem Titel Unter dem Schandgesetz in Schleswig-Holstein einen Artikel über das 50 Jahre zuvor erlassene Sozialistengesetz. Dort erinnerte sich u.a. Heinrich Lienau ausführlich an die Zeit. Am Ende schlug er den Bogen zur Gegenwart:

"Nie war die Partei einiger als in der Zeit der ärgsten Drangsalierung unter dem Sozialistengesetz. Wenn ich heute als alter Genosse, der ein Menschenleben der Partei in vorderster Linie diente, sehen muß, wie die Saboteure der Arbeiterschaft dieses Lebenswerk, an dem auch ich mitarbeitete: die Partei zersplittern, da rufe ich ihnen warnend zu, sich wieder auf sich selbst zu besinnen und dem großen Gedanken der Einigung Geltung zu verschaffen. Was wäre aus der Sozialdemokratie geworden, wenn sich Eisenacher und Lassalleaner nicht 1875 geeinigt hätten! Soweit sie sich nicht gegenseitig aufgerieben hätten, wären sie durch die Schärfe des Sozialistengesetzes in kurzer Zeit zersplittert und aufgerieben worden. Allen möge der 21. Oktober 1878 mahnend und warnend vor Augen schweben und ihnen sagen:
Seid einig und geschlossen, wie es die Alten waren, dann werdet Ihr die Kraft haben, die Sozialdemokratie zum Siege zu führen!"[21]

Heinrich Lienau starb 1930 nach längerer Krankheit mit 74 Jahren in Neumünster in der Vicelinstraße 14. Er muss da schon Witwer gewesen sein, denn auf seine Frau nahm die Todesanzeige der Familie keinen Bezug.[22]

Er wurde am 24. März 1930 in seiner Heimatstadt beigesetzt.[1] Das Hamburger Echo berichtete:

"Am Montag wurde in Neumünster unter starker Beteiligung die Leiche des für die sozialdemokratische Bewegung in Schleswig-Holstein verdienstvollen Kämpfer Heinrich Lienau zur letzten Ruhe gebettet. An der Trauerfeier nahmen Parteifreunde aus nah und fern, Vertreter des Bezirksvorstandes, ferner des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung teil. An der Bahre des Verstorbenen sprach Landtagsabgeordneter Brecour Worte des Gedenkens und des Dankes für die Verdienste des Dahingeschiedenen. Sodann hielt der Stadtverordnetenvorsteher Jürs am Grabe eine ebenfalls sehr herzlich gehaltene Gedenkrede. Das Reichsbanner beteiligte sich mit einer starken Abordnung und mit einer Fahne an der Trauerfeier. Die vielen Beileidskundgebungen zeugten davon, daß sich der Verstorbene allgemeiner Wertschätzung erfreute."[23]

Literatur

  • Brecour, Wilhelm: Die sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung (Kiel 1932), Neudruck in Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung (Kiel 1983), S. I-1 - I-96
  • Lienau, Heinrich (jun.): Zwölf Jahre Nacht. Mein Weg durch das "tausendjährige Reich" (Flensburg 1949)
  • Martens, Holger: Die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Schleswig-Holstein 1945-1959 (2 Bde., Malente 1998), ISBN 3-933862-24-8
  • Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o.J. [1963])
  • Paetau, Rainer: Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925 (Neumünster 1988), ISBN 3-529-02914-9

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 Ein alter Kämpfer ist gestorben, Hamburger Echo, 22.3.1930, S. 7
  2. Paetau, S. 55
  3. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), S. 24
  4. 4,0 4,1 Vgl. Geburtsurkunde von Heinrich Christian Lienau.
  5. Paetau, S. ?
  6. SPD-Kreisverband Neumünster (Hrsg.): 125 Jahre SPD in Neumünster (o.O. o.J. [1992])
  7. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), S. 21
  8. 8,0 8,1 8,2 Lienau, S. 260 (biogr. Abriss von Albrecht Janssen)
  9. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), S. 24
  10. Paetau, S. 411
  11. Martens, S. 24 u. Anm. 7. In anderen Veröffentlichungen ist 1892 angegeben; 1891 ist jedoch als erster Provinzialparteitag belegt, auch stimmen für 1892 die Daten nicht.
  12. Brecour, S. I-61
  13. An die Parteigenossen, Hamburger Echo', 24.12.1892, S. 5
  14. Brecour, S. I-62
  15. Nach der Ortsangabe ist es wenig wahrscheinlich, dass der Verleger Heinrich Christian Lienau war. Der 19-Jährige war zu dieser Zeit beim Konsum in Hamburg als Kaufmann tätig.
  16. Protokoll des SPD-Provinzialparteitages Schleswig-Holstein 1903, S. 22 u. 24, zit. in Paetau, S. 422 Anm. 34
  17. Blitzdrahtmeldung, abgedruckt in Demokratische Geschichte 3(1988), S. 39
  18. Danker, Uwe: Die Geburt der Doppelstrategie in der "Roten Hochburg", in Demokratische Geschichte 3(1988), S. 35 f.
  19. Vgl. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek.
  20. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), siehe auch Bilderblock zwischen S. 48 u. 49, drittes Bild.
  21. Unter dem Schandgesetz in Schleswig-Holstein, Hamburger Echo, 21.10.1928
  22. Traueranzeige der Familie, Hamburger Echo, 22.3.1930
  23. Lienaus letzte Fahrt, Hamburger Echo, 25.3.1930, S. 6