Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold
Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund deutscher Kriegsteilnehmer und Republikaner (kurz: "Reichsbanner") war in der Weimarer Republik eine Vereinigung zum Schutz der Demokratie.
Am 22. Februar 1924, dem Geburtstag August Bebels, wurde das Reichsbanner von ehemaligen Frontsoldaten der SPD, der Deutschen Demokratischen Partei und des Zentrums in Magdeburg gegründet. Seine Gründung war eine Reaktion auf die zahlreichen politischen Morde, Putsch- und Aufstandsversuche in den Anfangsjahren der Weimarer Republik.
Schnell entwickelte sich das Reichsbanner zu einer Massenorganisation mit - nach eigenen Angaben - mehr als drei Millionen Mitgliedern. In der Praxis wurde es trotz der erklärten Überparteilichkeit überwiegend von Sozialdemokraten bestimmt, die die weitaus meisten Mitglieder stellten.
Ziele
"Es gab für uns nur einen Weg zur Rettung der Republik: uns mit den linken Teilen der demokratischen Partei und des Zentrums zum gemeinsamen Vorgehen zu vereinen. Für die sozialdemokratische Partei wäre es wegen der Staatsgewalt unmöglich gewesen, eine rein parteipolitische militärische Organisation zum Schutz der Republik und der Arbeiterschaft gegen den Faschismus aufzustellen."[1]
Aus diesem Zitat werden die wesentlichen Zielsetzungen des Reichsbanners deutlich: die Republik und die demokratischen Parteien vor ihren Feinden am rechten und linken Rand zu bewahren, den militärisch organisierten Formationen der Rechten (nationalsozialistische SA und monarchistischer Stahlhelm) und Linken (Rotfrontkämpferbund der KPD) etwas Wirksames entgegenzustellen und die republikanisch gesinnte Arbeiterschaft, ggf. auch den einzelnen Arbeiter, vor Angriffen zu schützen.
"Um eine breite Koalition zum Schutz der Republik auf die Beine zu stellen, musste das Reichsbanner ein auch außerhalb des SPD-Milieus anschlussfähiges Symbol und Geschichtsbild finden. Die Farben Schwarz-Rot-Gold nebst der Erinnerung an die demokratisch-bürgerliche Revolution von 1848 lösten besonders bei den Linksliberalen der DDP warme Gefühle aus, aber auch bei den katholischen Christdemokraten der Zentrumspartei. So hielt Altkanzler Joseph Wirth (Zentrum) auf Reichsbanner-Veranstaltungen mitreißende Reden. Solche prodemokratischen Feste, Demonstrationen und Gedenktage gab es überall in Deutschland, über die Jahre mit Millionen Teilnehmern."[2]
Schleswig-Holstein
Schon vor der Gründung des Reichsbanners gab es in Schleswig-Holstein, wie in vielen anderen Teilen des Reiches, sozialdemokratische und demokratische Schutzformationen. Hier und in Hamburg nannten sie sich "Vereinigung Republik".[3]
Bereits wenige Wochen nach der Gründung auf Reichsebene wurde am 24. Mai 1924 auch das Reichsbanner Schleswig-Holstein - Bund republikanischer Kriegsteilnehmer in Kiel ins Leben gerufen. Es gliederte sich in Bezirke. Erster Vorsitzender wurde Richard Hansen, erster Gausekretär (=Landesgeschäftsführer) Karl 'Jack' Meitmann.[4]
In einem Aufruf des Vorstandes für den Gau Schleswig-Holstein hieß es über die Ziele und Aufgaben:
"Deutschland darf nicht untergehen […] Es kann sich aber nur erhalten und wieder erstarken als Republik […] Der Bund wird keine eigenen politischen oder wirtschaftlichen Ziele verfolgen, sondern dies den republikanischen Parteien und wirtschaftlichen Organisationen überlassen […] Er will aufklären und werben […] Bei allen gewaltsamen Angriffen auf die republikanische Verfassung wird der Bund der republikanischen Behörden in der Abwehr unterstützen und die Gegner der Republik niederkämpfen mit den selben Mitteln, mit denen sie die Republik angreifen […] In der Erkenntnis, daß die Republik nur durch die Republikaner zur Macht und zu Ansehen gebracht werden kann, verlangt der Bund die Besetzung aller wichtigen Ämter, insbesondere in Verwaltung, Schule, Justiz, Wehrmacht und Polizei mit Republikanern."[5]
Bei der Gründungsfeier am 27. Mai 1924 im Gewerkschaftshaus Kiel übergab Otto Eggerstedt eine Schwarz-Rot-Goldene Fahne an Richard Hansen.
Richard Hansen, der noch 1933 auch in den Bundesvorstand gewählt wurde, blieb Vorsitzender bis zum Verbot im selben Jahr.[6] Auch Willy Verdieck gehörte dem Vorstand die gesamte Zeit seines Bestehens an. Auf Jack Meitmann folgten als Gausekretäre Max Schmidt (1926-1930) und Karl Feldmann (1930-1933); Stellvertreter war die letzten Jahre Eugen Lechner.
Wie die politische Lage schon 1924 gesehen wurde, macht das folgende Zitat deutlich:
"Tausende junge Männer sind zu bewaffneten Sturmhaufen formiert unter Führern, die sich rühmen, die Verfassung von Weimar, welche sie mit Feuer und Schwert bekämpfen, nie gelesen zu haben. Ein Ringen um geistige Probleme ist ihnen fremd, des Gebrauchs geistiger Waffen sind sie ungewohnt; sie sind Opfer wüster Demagogen, die schamlosen Missbrauch mit den Begriffen Vaterland und Nation treiben, ihre eigene Schuld und heimliche Ziele hinter schmachvoller Judenhetze verstecken. Wir Republikaner werden nie vergessen, dass Schulter an Schulter mit Katholiken, Protestanten und Freidenkern jüdische Soldaten gekämpft und geblutet haben. [...] Dieser blöde Antisemitismus, der sogar die Seelen der Kinder vergiftet, macht Deutschland nicht nur in der Welt lächerlich, sondern ist innenpolitisch wie außenpolitisch eine Gefahr."[7]
Der Historiker Jürgen Weber schätzt, dass es in Schleswig-Holstein 30.000-40.000 Mitglieder gab:
"Zumindest in unseren Städten war das Reichsbanner die zahlenmäßig größte politische Kampforganisation – um den zeitgenössischen Begriff einmal zu benutzen – bis die nationalsozialistische SA auch in unserem Land immer größeren Zulauf bekam und aus dem ländlichen Raum heraus auch in den Städten immer mehr Fuß fasste."[8]
Zum Thema Pazifismus und Wehrhaftigkeit schreibt er:
"Gerade in der SPD, die in der Weimarer Republik eine schwierige Debatte zur Wehrfrage führte, war das Verhältnis zu einem politischen Kampfverband wie dem Reichsbanner durchaus ambivalent. [...] In der praktischen Arbeit des Reichsbanners waren durchaus paramilitärische Komponenten vorhanden. [...] So regte zwar der Gauvorstand schon 1926 die Bildung von Kleinkaliber(KK)-Schießsport-Vereinen an. Und in Flensburg bauten Reichsbannerleute einen Schießstand in Sophieminde und gründeten den KK-Schützenverein "Republik". Aber das war und blieb neben den Musikzügen, Mandolinenclubs und Radfahrabteilungen eher Sport und Geselligkeit als militärisches Gehabe."
Der Historiker Sebastian Elsbach erklärt, dass das Reichsbanner vor allem mit Abschreckung durch Masse arbeitetete:
"In der Weimarer Republik gab es ein spezifisches Zeitphänomen, eine Konstellation, die sehr gefährlich ist für das Überleben einer jeden Demokratie: Heute ist unvorstellbar, dass alle großen Parteien über eigene uniformierte Verbände verfügen, die anstelle der Polizei den Schutz von politischen Versammlungen übernehmen. Das Reichsbanner musste sich dieser Situation anpassen und versuchte, durch die eigene Größe eine abschreckende Wirkung zu erzielen, sodass es gar nicht erst zu Gewalt oder gar Toten kam. Diese defensive Strategie, wonach Gewalt nur in Notwehr eingesetzt werden durfte, funktionierte gegen den Stahlhelm oder die Kommunisten sehr gut. Das änderte sich allerdings mit dem Aufstieg der SA, da die NS-Schergen ohne jegliche Rücksicht auf menschliches Leben vorgingen. Hier hätte der Staat eingreifen müssen und auch können – aber das war politisch nicht gewollt."[2]
Reichsbanner IV. Bezirk
Der IV. Bezirk, der offenbar Ostholstein abdeckte, hielt am 5./6.9. 1925 in Ahrensbök eine große republikanische Bezirkskundgebung mit Fahnenweihe ab.[9]
Aus der Chronik der Gemeinde Schmalensee - Jahreschroniken ist auch ersichtlich, dass es in Bornhöved (im IV. Bezirk) mindestens seit dem 9. November 1924 eine Ortsgruppe des Reichsbanners gab, die immer wieder Aktivitäten entwickelte, nicht zuletzt in Konkurrenz zum sehr aktiven rechtsgerichteten "Stahlhelm"-Bund.
Reichsbanner Kiel
Das Reichsbanner gliederte sich in Kiel in 9 Distrikte und 16 Kameradschaften. Später kamen Schutzformationen hinzu.
Das zentrale Verkehrslokal des Kieler Reichsbanners (die spätere Gaststätte "Zauberlehrling") stand in der Lutherstraße Ecke Lüdemannstraße - heute eine Privatwohnung. Auch die Kieler Gründungsfahne existiert noch und wird bei der Kieler SPD aufbewahrt. Die Fahne des Ortsvereins Kiel-Hassee wurde vor einigen Jahren wieder aufgefunden. Sie entspricht - abgesehen von der Inschrift - der Fahne des Kreisverbandes. Auch die Fahne des Ortsvereins Holtenau ist ähnlich gestaltet und wohl eine ehemalige Reichsbanner-Fahne, die an Stelle oder nach Verlust einer eigenen OV-Fahne verwendet wurde.
Am 3./4. Juli 1926 beging das Reichsbanner Schleswig-Holstein in Kiel den "Tag der Republik" mit einer großen öffentlichen Feier.
Kurz nach dem Kieler Parteitag kam Ende Mai 1927 Reichspräsident von Hindenburg zu einem Staatsbesuch nach Kiel.
"Im Spalier für ihn war in imponierender Stärke das Reichsbanner Schwarzrotgold angetreten. In der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung lautete die Aufforderung dazu: 'Die schwarzrotgoldnen Fahnen des Reichsbanner sollen ihm zeigen, daß in Kiel, der einstigen Hochburg der "Kaiserlichen Marine", die Generation, die im Weltkrieg gekämpft hat, dem Reichsbanner Schwarzrotgold angehört ... Wer fehlt, schadet der Republik'. Die Reichsbannerkolonnen machten auf den Reichspräsidenten einen starken Eindruck, so daß er zu ihrem Führer Richard Hansen einige freundliche Worte über Schwarzrotgold sagte, unter dem man jetzt aufbauen wolle, nachdem man vorher unter Schwarzweißrot im Krieg gekämpft habe. Das Reichsbanner versäumte nicht, Hindenburgs Worte durch Plakatanschlag bekanntzumachen."[10]
Reichsbanner Elmshorn
Die Chronik der SPD Elmshorn berichtet über das Reichsbanner:
"1924 gegründet, konnte der Ortsvereinsvorsitzende H. Arp bald eine ansehnliche Zahl überwiegend sozialdemokratischer Arbeiter in das Reichsbanner aufnehmen. Bedeutende Elmshorner Sozialdemokraten der Weimarer Zeit nahmen wichtige Aufgaben im Reichsbanner wahr. Zu nennen sind Karl Dreyer, der Gewerkschaftler, und Heinrich Fehrs, der spätere Reichsbannerführer. Als sich noch später die Auseinandersetzungen zuspitzen sollten, war es für fast alle jungen Sozialdemokraten Ehrensache und Pflicht, sich dieser Schutzorganisation anzuschließen und ihren Teil zu diesem 'Schutzwall der Republik' beizutragen.
In den ersten Jahren [...] verlief die Arbeit des Reichsbanners allerdings noch eher in ruhigen Bahnen. Die Mitglieder trafen sich einmal in der Woche. Es wurden viele Feste, Ausflüge, Unternehmungen vorbereitet und organisiert, an denen die Familien teilnahmen. Zugleich übten sich die Männer im Auftreten bei Versammlungen, im Ordnungsdienst und im Schutzdienst. Erst nur mit Armbinden gekennzeichnet, kam 1925/26 eine einheitliche Kleidung hinzu. Grüne Hose, graue Windjacke und die Reichsbanner-Mütze waren die Uniform, in der gemeinsam aufgetreten wurde. Man sollte sich zeigen und stolz darauf sein, für die Republik und die sozialdemokratische Arbeiterbewegung einzustehen.
Um 1930 herum brachen dann harte Zeiten für die 80 Mann des Elmshorner Reichsbanners an. Die Störungen von Versammlungen durch SS und Republikfeinde häuften sich. Es kam zu harten Zusammenstößen. SA-Trupps verprügelten einzelne Sozialdemokraten. In Uetersen nahm die SA eine zentrale Veranstaltung der Reichbanner-Mitglieder des Kreises Pinneberg in der Gaststätte Wegener zum Anlaß, mit einer Fahnenweihe der SA zu provozieren. Es kam zu einer Saalschlacht mit zahlreichen Verletzten.
Das Elmshorner Reichsbanner intensivierte seine Agitation und seine Schutztätigkeit im Umland. Es beteiligte sich an zahlreichen Demonstrationen hin bis nach Dithmarschen, das damals schon ein 'brauner Bereich' in Schleswig-Holstein war, in dem die Nazis große Erfolge feierten. Alte Reichsbanner-Leute erinnern sich noch an die großen Auseinandersetzungen in Wesselburen und anderen Orten auf der anderen Seite des Kanals. Die Fahrzeuge für diese Aktivitäten stellte Hermann Schinkel der spätere SPD-Landrat, der ein Fuhrunternehmen betrieb. Redner für das Reichsbanner war Karl Dreyer, Stadverordneter und Gewerkschafter.
Als sich die Überfälle von SA-Trupps auf Reichsbanner-Leute häuften und die Brutalität in den politischen Auseinandersetzungen zunahm, wurde noch mit dem Aufbau besonderer Schutzformationen (Schufo) als Gegengewicht gegen SA und SS begonnen. Vor allem körperlich kräftige jüngere Offiziere der Polizei, die in großen Teilen in der Republik von Weimar zumal im sozialdemokratisch regierten Preußen, kämpferisch demokratisch eingestellt war, beteiligten sich an der Ausbildung dieser Organisationen [...]."[11]
Reichsbanner Kronshagen
Aus Kronshagen erinnert sich Günther Widulle an die Jugendzeit von Karl Mückenheim (geb. 1902):
"Im Jahre 1923[12] wurde bei uns das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Kameradschaft Kronshagen-Suchsdorf, gegründet, Franz Piehozki, Tegelkuhle, war 1. Vorsitzender und Johann Mückenheim, der Vater von Karl, der Fahnenträger. Nach und nach wuchs die Gruppe auf 120 Mann an, ein eigener Spielmannszug mit Trommlern und Pfeifern sorgte bei weiten Propagandamärschen und Ausflügen für Musik und gute Laune. Unser Karl war immer dabei, auch bei den großen Aufmärschen in Hamburg und Berlin. Und wenn dem Vater die Fahne zu schwer wurde, dann übernahm sie der Sohn und trug sie weiter. [...]
Jeder in Kronshagen wußte, wer zuletzt die Fahne gehabt hatte und so kam eines Tages ein Polizist, um sie einzuziehen. Unser Karl behielt die Nerven. Er behauptete, er hätte die Fahne schon längst im Gewerkschaftshaus abgegeben - und der Polizist verzichtete auf Hausdurchsuchung und kam nie wieder [...]." [13]
Die Fahne überstand, in einem Kissen eingenäht, die NS-Zeit. 1978 übergab Karl Mückenheim sie an den Ortsverein Kronshagen, wo sie bis zum Umzug 2023 im Fraktionszimmer der SPD im Rathaus hing.
1927 wurde der "Kleinkaliber Schützenverein Republik, Ortsverein Kronshagen" gegründet. Vorsitzender war auch hier Franz Piehozki, Karl Mückenheim war der Kassierer und Hans Nissen und Eduard Markowski waren Revisoren. Das Kassenbuch des Schützenvereins ist im Nachlass von Karl Mückenheim erhalten.
Kritische Stimmen
Es gibt andererseits Hinweise, dass auch innerhalb der SPD das Reichsbanner nicht von allen hochgeschätzt wurde.
"Es waren zwar viele prominente Sozialdemokraten nominell auch Mitglieder des Reichsbanners, aber in der Führungsetage dieser Organisation waren sie nicht sichtbar. 'Diejenigen von uns, die weniger Interesse an politischen Debatten hatten und lieber uniformiert durch die Straßen zogen, sind eben beim Reichsbanner gelandet. Für mich war das nichts.' So Albert Witte, Ende der 1920er Jahre Vorsitzender der Kieler Arbeiterjugend, dem auch noch im hohen Alter von 95 Jahren das Nase-Rümpfen anzusehen war, wenn er über die Genossen beim Reichsbanner sprach."[14]
Wie verbreitet diese Haltung in Schleswig-Holstein war, lässt sich von heute aus schwer sagen. Immerhin gehörten Otto Eggerstedt, Richard Hansen und Karl Meitmann zu den führenden SPD-Funktionären der Provinz.
Eiserne Front
Die Reichstagswahl 1930 hatte die NSDAP überraschend zur zweitstärksten Kraft gemacht. Die Arbeiterbewegung ahnte, was da auf sie zukam. In fast 30 Orten wurden neue Ortsvereine des Reichsbanners gegründet. Es gab Dörfer, in denen die ganze Jugend zum Reichsbanner gehörte. Gleichzeitig nahm der Terror der Nazis zu.[15]
Die Gründung der Eisernen Front am 16. Dezember 1931 war die Antwort auf die Gründung der "Harzburger Front" der Rechten und auf den Fund der "Boxheimer Dokumente", die die Absichten der Nazis für den Fall, dass sie an die Regierung kämen, deutlich machten. Die Eiserne Front war im Wesentlichen ein Zusammenschluss von Gewerkschaften, SPD, Reichsbanner und Arbeitersportorganisationen unter dem Symbol der drei Pfeile; sie standen für die politische, wirtschaftliche und körperliche Kraft der Arbeiterklasse.[16]
Zum Jahreswechsel 1932 warben die sozialdemokratischen Zeitungen zur Beteiligung an der "Eisernen Front". Am 4./5. Januar fanden im ganzen Land 40 Veranstaltungen der neuen Organisation statt. Am 25. Januar rief die Reichskampfleitung der "Eisernen Front" zur Rüstwoche und reichsweiten Kundgebungen auf.[17]
Am 21. Februar 1932 fanden tatsächlich im ganzen Reich Kundgebungen der "Eisernen Front" statt.[18] In Lübeck reichte die Veranstaltungshalle nicht aus. Viele Formationen mussten draußen warten. Otto Passarge begrüßte sie zum Appell. Der SPD-Vorsitzende Hans Vogel hielt eine Rede, die der Lübecker Volksbote am folgenden Tag in Auszügen abdruckte.[19]
Der Sozialdemokrat Jonny Rohwer erinnerte sich:
"Das Reichsbanner, die Partei SPD, Gewerkschaften, Arbeitersportler und Arbeitersamariter und alle sonstigen Arbeiterverbände bildeten die Eiserne Front. Ihr Banner war Rot mit drei Pfeilen. Die aktivste Truppe davon war das Jungbanner und vor allen Dingen die Sportriege. Fast jeden Abend machten diese Felddienstübungen, Patroulliengänge durch die Stadt, um den politischen Gegner zu beobachten. Im Gewerkschaftshaus saß jede Nacht eine Wache, dasselbe auch in der Volkszeitung, um zu verhüten, daß sie nicht verwüstet würden. Die Nazi hatten sich zu Terrorgruppen zusammengetan, in sogenannten SA-Heimen, von wo aus die Terrorakte ausgingen. Es wurden Passanten überfallen, Schaufenster im KONSUM, Gewerkschaftshaus, Volkszeitung u.s.w. eingeworfen. Dieser Straßenpöbel saß in Last- oder Personenwagen, um möglichst schnell zu verschwinden. Daß ein Arbeiter von 50-60 Mann dieser Raufbolde ermordet oder zum Krüppel geschlagen wurde, war keine Seltenheit. So kam es oft zu harten Kämpfen, wo es auch auf Seiten der Nazi Verwundete und mitunter auch Tote gab. Revolver, Pistolen, Gummiknüppel, Totschläger und allerhand Säuren waren die Waffen. Ja, man ging so weit, daß unsere Genossen in ihren Wohnungen überfallen wurden, getötet, und das ganze Haus glich einem Trümmerhaufen, oder es wurden Handgranaten in die Fenster unserer Kameraden geworfen, so zum Beispiel in Hohenwestedt[20], Rendsburg, Elmshorn u.s.w."[21]
1932 verübten Nazis eine Serie von Anschläge mit Handgranaten vor allem gegen Einrichtungen der KPD - aber auch bspw. gegen Geschäfte der Konsumgenossenschaften in Uetersen und Pinneberg. Am 8. November 1932 berichtete der Sozialdemokratische Pressedienst über den Prozess gegen die Täter.[22] Ihr Verteidiger war der später berüchtigte Nazi-Richter Roland Freissler.
In Quaal bei Segeberg überfielen 40 Nazis die letzten Teilnehmer einer solchen Kundgebung. Sechs Reichsbannerleute wurden dabei schwer verletzt. Der Fahrer des Krankenwagens, der gerufen wurde, begrüßte die Anwesenden mit "Heil Hitler". Zwei der Nazis schleppten einen Verletzten wie Vieh zum Auto und warfen ihn hinein, wie der Lübecker Volksbote berichtete.[23]
In der Chronik der SPD Elmshorn heißt es:
"Nicht vergessen werden darf an dieser Stelle, daß Reichsbanner und "Eiserne Front" nicht nur gegen die Nazis, sondern auch gegen kommunistische Grupperungen einen harten Stand hatten. Noch heute [Anm.: 1983] wirkt die Verbitterung nach, als Sozialdemokrat auf der Straße von SA und Rotfront-Kämpferbund oder im Betrieb von NSBO, der Betriebsorganisation der Nazis, und der RGO, der Roten Gewerkschaftsorganisation der Kommunisten gleichermaßen attackiert worden zu sein."[11]
Das Ende der Weimarer Republik konnte aber auch die "Eiserne Front" nicht mehr verhindern. Zu schlecht ausgestattet war sie und zu aussichtslos der bewaffnete Aufstand nach dem Papen-Staatsstreich 1932. Albert Schulz, Reichbanner-Gauleiter für Lübeck-Mecklenburg und späterer Landesgeschäftsführer der SPD Schleswig-Holstein, erinnerte sich:
"Ein bewaffneter Aufstand von uns würde als Putsch gegen die bestehende Ordnung angesehen werden. Selbst wenn ich bereit war anzunehmen, daß eine Anzahl preußischer Polizeioffiziere mitmachen würde, wie standen die Chancen? Gegen uns standen SA und SS, Stahlhelm, Polizei der nicht-preußischen Länder, soweit sie rechtsgerichtete Regierungen hatten, und schließlich die Reichswehr. Die mangelhafte Bewaffnung des Reichsbanners, die fehlenden technischen Hilfsmittel usw. waren bekannt."[24]
Für die Kämpfer in Elmshorn war das eine Enttäuschung:
"Noch deprimierender war für die Reichsbanner-Mitglieder dann die von der Führung befohlene Passivität nach dem Papen-Staatsstreich am 20. Juli 1932, der mit den politischen Zusammenstößen vom 13. Juli 1932 [Anm.: Es war der 17. Juli.] in Altona als der Altonaer Blutsonntag in die Geschichte eingegangen ist. Auch in Elmshorn hatten sich die Reichsbanner-Leute in dieser Nacht des 20. Juli bei Fritz Petersen im Lokal versammelt, um auf die Einsatzbefehle aus Berlin zu warten. Es mußte doch etwas passieren. Aber nichts geschah. Am nächsten Morgen gingen die versammelten Reichsbanner-Männer resigniert nach Hause. Aus Berlin waren keine Instruktionen gekommen. Ohne Strategie der Gegenwehr nahmen es die Sozialdemokraten und ihre Schutzorganisationen hin, daß das rote Preußen im Staatstreich von rechts übernommen wurde. Otto Braun, der preußische Ministerpräsident zog sich in die Schweiz zurück. Karl Severing, der preußische Innenminister und 'Liebling' der Arbeiter, ließ sich von seiner eigenen Polizei festnehmen. Die Arbeiterschaft, die kämpfen wollte, hatte eine Führung, die nicht kämpfen wollte und nicht kämpfen konnte. Das Reichsbanner vermochte dann zwar noch bis ins Jahr 1932 hinein Massen für die Sozialdemokratie zu mobilisieren, die Offensivkraft der Phase vom Herbst 1930 bis zum Sommer 1932 aber war gebrochen, auch wenn es in einigen Orten, und dazu zählt Elmshorn, noch weitere große Aktionen der Arbeiterschaft gegen die Nazis geben sollte."[11]
Durch den Zusammenschluss der Arbeiterorganisationen in der "Eisernen Front" wurde der unmittelbare Bezug zur Sozialdemokratie dominant - auch wenn im Gauvorstand ein Sitz für ein Mitglied einer bürgerlichen Partei frei gehalten wurde. Dieser Sitz wurde auch genutzt, aber aus den Organisationen vor Ort traten unter dem Eindruck immer mehr gewalttätiger Auseinandersetzungen vermehrt bürgerliche Mitglieder aus.[25]
Vor der Kommunalwahl 1933 zog das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold ein letztes Mal Kräfte u.a. in Neumünster zusammen, um sich einem vermuteten Putsch der Nazis zu widersetzen. Der Sozialdemokrat Jonny Rohwer aus Innien erinnerte sich später:
"Die Wahl am 13. März (sic!) und die Wahlen gleich darauf waren alle von den Nazis auf einen Putsch eingestellt. Die Landbevölkerung wurde von den Nazis eingeschüchtert, ich und mein alter Genosse mußten nach Neumünster flüchten und wurden da unserer Hundertschaft zugeteilt, wo wir dann von unseren Kameraden verpflegt wurden, mußten berichten, was auf dem Lande los sei und warteten, was nun kommen sollte. Die ganzen Nächte lagen wir in unseren Quartieren und auf unseren Sammelplätzen, keiner durfte fortgehen, alle mußten noch mal antreten, es wurde abgezählt. Meldefahrer auf Motorrädern brachten Meldungen in die Hauptquartiere. Radfahrerpatroullien fuhren ohne Licht an den Grenzen der Stadt und beobachteten den Feind. Die einheimischen Nazis hatten die Stadt verlassen und sich den Nazis von auswärts angeschlossen und hatten die Stadt belagert, leisteten aber noch keinen Widerstand und machten auch noch keine Angriffe. Die Straßen waren leer, es herrschte eine Totenstille in den sonst noch nächtlich belebten Straßen.
Unseren jungen Kameraden fehlte es nicht an Kampfesmut. Militärisch ausgebildet waren sie, und unerfahren waren sie auch nicht, das hatten sie von der Not der Zeit gelernt. Alles war ins kleinste vorbereitet, alles war da. Die Stunden wurden uns zu lange, es wurde nichts gerührt. In den nächsten Tagen erfuhren wir, daß in verschiedenen Städten die Häuser der Arbeiterschaft durch Handgranaten und Bomben zerstört waren. Unsere Presse war verboten, Uniformen, Umzüge, alles war verboten, keine Wahlversammlungen, Flugblätter, Plakate - nichts durfte gemacht werden, während die Nazis unumschränkt agitieren konnten. So etwas nannte sich noch immer Republik.
So gelang es dann den Nazis, unsere einst so stolze Republik zu vernichten, und wir mußten zusehen, alles kampflos preisgeben."[21]
Im März 1933 wurde das Reichsbanner von den Nazis verboten - Mitglieder von Reichsbanner und "Eiserner Front" wurden von diesem Zeitpunkt an systematisch verfolgt, in Konzentrationslager deportiert und zum Teil ermordet, andere flüchteten ins Ausland oder gingen in den Widerstand.
"Dem Verband kam eine zentrale Rolle beim Schutz der Weimarer Zivilgesellschaft zu. Ohne das Reichsbanner wäre der Aufstieg rechtsradikaler Parteien wohl schon Mitte der 1920er-Jahre nicht zu stoppen gewesen, und das hätte die erste deutsche Republik kaum überlebt."[2]
Ende
Mit Hilfe von Uwe Hansen konnten die Trommeln und Fanfaren des Reichsbanners und der Sozialistischen Arbeiterjugend nach Dänemark geschafft werden.[26]
Heute
Das Reichsbanner wurde 1953 als Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V. wiedergegründet und existiert bis heute mit ein paar hundert Mitgliedern.
Aus Anlass des 100. Jahrestages der Gründung des Reichsbanners luden das Kulturforum Schleswig-Holstein e.V. und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V. am 24. Mai 2024 zu einer Vortragsveranstaltung im Kieler Forum für Baukultur ein. Dort sprach der Hamburger Politologe Wolfgang Kraushaar unter dem Titel: Keine falsche Toleranz. Warum sich die Demokratie stärker als bisher zur Wehr setzen muss. Einleitendend gab Jürgen Weber einen Einblick in die Geschichte des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in Kiel.
Das Reichsbanner-Jubiläum war der Anlass der Veranstaltung, mit dem Vortrag von Wolfgang Kraushaar stand aber auch ein höchst aktueller Beitrag zur politischen Situation in Deutschland im Mittelpunkt.
Bilder
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Reichsbanner Fahnenabordnungen. Postkarte "Frei Licht" E. Meyer, Elisabethstr. 21, Kiel
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Postkarte Tambourkorps des Reichsbanners in Aufstellung zum Ausmarsch. Ort und Datum unbekannt.
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Postkarte "Junge Republik" Jugend-Tambourkorps des Reichsbanners Lichtenberg.
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Postkarte Reichsbanner mit Musikzug beim Frauentag in Büdelsdorf
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Postkarte Reichsbanner zum Ausmarsch mit Fahne und Musikzug
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Programm der Reichsverfassungsfeier am 10. August 1924 in Weimar des Reichsbanners
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Mitgliedsbuch Reichsbanner Deckblatt
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Mitgliedsbuch Reichsbanner von Theodor Sakmirda II
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Fahne der Eisernen Front
Literatur
- Unterlagen des Gauvorstandes wurden zu Beginn des "Dritten Reichs" beschlagnahmt und befinden sich heute im Bestand des Landesarchivs Abt. 384.1[27]
- Stokes, Lawrence D.: Die Anfänge des Eutiner Reichsbanners (1924-1929/30), in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 335-343
- Weber, Jürgen: Das Reichsbanner im Norden: Ein Bollwerk der Demokratie?, in: Demokratische Geschichte 20(2010)
- Müller, Kay: Kämpfer für die Demokratie – Reichsbanner SH reloaded, 10. September 2018
- Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o.J. [1963])
- Ziemann, Benjamin: Die Zukunft der Republik? Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold 1924 - 1933, Bonn (2011)
Links
- Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V.
- Wikipedia: Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold
Einzelnachweise
- ↑ Karl Höltermann, 2. Bundesvorsitzender des Reichsbanners, 1926 auf einer Tagung antifaschistischer Verbände in Wien, zit. in Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V., abgerufen 10.8.2014
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Cypionka, Arne: "Die Weimarer Republik hätte gerettet werden können", Interview mit dem Historiker Sebastian Elsbach, spiegel.de, 3.2.2022, 16.39 Uhr
- ↑ Brejora, Sascha: Gewalt für die Demokratie? Die Kampfverbände von SPD und SDAP (1932-1934) im Vergleich (Magisterarbeit, GRIN Verlag 2008, Auflage: 1)
- ↑ Weber, Jürgen: Das Reichsbanner im Norden: Ein Bollwerk der Demokratie?, in: Demokratische Geschichte 20(2010), S. 130 f.
- ↑ Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 88
- ↑ Kutz-Bauer, Helga / Martens, Holger: Verfolgung als politische Erfahrung. Hamburger Sozialdemokraten nach 1945 (Hamburg 2013), S. 70
- ↑ Zit. in Hamer, Kurt u.a. (Hrsg.): Vergessen und verdrängt. Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus in den Kreisen Rendsburg und Eckernförde (Eckernförde 1985), S. 84
- ↑ Weber, Jürgen: Das Reichsbanner im Norden: Ein Bollwerk der Demokratie?, in: Demokratische Geschichte 20(2010), S.127
- ↑ Gemeinde Schmalensee: Jahreschronik 1925, 05.-06.09.1925
- ↑ Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 92
- ↑ 11,0 11,1 11,2 SPD-Ortsverein Elmshorn: 120 Jahre SPD Elmshorn. Eine Chronik (Elmshorn 1983)
- ↑ Dies war entweder eine der erwähnten Vorgänger-Organisationen, oder der Schreiber hat sich im Jahr vertan.
- ↑ Widulle, Günther: Das ist Kronshagener Geschichte, Kronshagen aktuell, 1/78, S.7
- ↑ Weber, Jürgen: Das Reichsbanner im Norden: Ein Bollwerk der Demokratie?, in: Demokratische Geschichte 20(2010), S. 143
- ↑ Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 99
- ↑ Nach Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V., abgerufen 10.8.2014
- ↑ Eiserne Front für Volksrechte gegen Diktatur!, Lübecker Volksbote, 26.1.1932
- ↑ Deutschland gehört der Eisernen Front!, Lübecker Volksbote, 22.2.1932, S. 1
- ↑ Eiserne Front in Lübeck, Lübecker Volksbote, 22.2.1932, 1. Beilage, S. 1
- ↑ 1932 verübten mehrere SS-Männer in Glüsing ein Handgranaten-Attentat auf das Haus eines SPD-Anhängers.
- ↑ 21,0 21,1 Rohwer, Jonny: Der Untergang des deutschen Proletariats, ohne Datierung
- ↑ Sozialdemokratischer Pressedienst: 8. November 1932
- ↑ Bestialische Mißhandlung von Jungbannerkameraden, Lübecker Volksbote, 22.2.1932, S. 2
- ↑ Albert Schulz: Erinnerungen eines Sozialdemokraten, Bibliotheks- und Informationssystem der Carl von Ossietzky-Universität, Oldenburg 2000 (Schriftenreihe des Fritz-Küster-Archivs), ISBN 3814207580
- ↑ Weber, Jürgen: Das Reichsbanner im Norden: Ein Bollwerk der Demokratie?, in: Demokratische Geschichte 20(2010), S. 130
- ↑ Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 109
- ↑ Schreiben 395/2016 des Leitenden Archivdirektors Prof. Dr. Dr. Rainer Hering an den SPD- Landesverband, Ralf Stegner, vom 10. Februar 2016