Widerstand in der NS-Zeit

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Am Widerstand gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten (1933-1945) beteiligten sich Menschen aus allen Kreisen der Bevölkerung - auch viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - in der einen oder anderen Form. Viele Menschen bezahlten ihr Engagement mit dem Leben oder mit Verletzungen und Schäden durch Misshandlungen in Zuchthaus- oder KZ-Haft.

"Widerstand in der nationalsozialistischen Diktatur war immer die Haltung von sehr wenigen, von einzelnen und oft sehr einsamen Menschen. In diesem System mit totalitärem Anspruch riskierten Menschen, die Widerstand leisteten, ihr Leben. Umgeben waren sie von einer Bevölkerung, die sich in ihrer Mehrheit anpasste, ja vom Nationalsozialismus begeistert zeigte und das Regime trug."[1]

Machtübergabe

Am 30. Januar 1933 übertrug Reichspräsident von Hindenburg ohne Beteiligung des Reichstages das Amt des Reichskanzlers an Adolf Hitler, den "Führer" der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Der Brand des Reichstages am 27. Februar führte zu einer ersten Verhaftungswelle.

In der Reichstagswahl vom 5. März blieben die Nazis mit 43,9% unter der angestrebten absoluten Mehrheit, obwohl viele ihrer politischen Gegner bereits in "Schutzhaft" saßen und der brutalen Einschüchterung durch die SA nichts entgegensetzen konnten. Schon zwei Tage nachdem Hitler zum Reichskanzler gemacht wurde, beklagte der Lübecker Volksbote:

"In Lübeck haben sich inzwischen absolut gesetzlose Zustände entwickelt. Einzeln gehende Sozialdemokraten und Kommunisten wurden bei hellichtem Tage, und vermehrt in der Nacht überfallen und niedergeschlagen. Wo die braunen Banditen in der Mehrzahl waren, schlugen sie blindlings zu - oft zwanzig auf einen. Die Polizei sah in vielen Fällen untätig zu oder ließ die Verbrecher verduften und begnügte sich mit der Feststellung des Ueberfallenen."[2]

Innerhalb weniger Monate wurde mit Hilfe von Notverordnungen und scheindemokratischen Beschlüssen eines entmachteten Reichstages - etwa dem "Ermächtigungsgesetz" - das gesamte politische Leben in Deutschland "gleichgeschaltet". Nach dem 1. Mai verboten die Nazis die Gewerkschaften und gliederten sie in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) ein. Sie verboten die SPD-Zeitungen. Am 22. Juni verboten sie endgültig die SPD und alle Parteien außer der NSDAP.

Auch in Schleswig-Holstein entfernten die Nazis SPD- und KPD-Leute und andere politische Gegner aus Verwaltungen und Selbstverwaltungen, verhafteten Menschen, die Widerstand leisteten, und sperrten sie in die ersten - oft noch "inoffiziellen" - Konzentrationslager, wo sie meist schwer misshandelt und viele von ihnen ermordet wurden. Wenig später erließen die Nazis auch die ersten Gesetze zur Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung.

Widerstand im weitestgehend ländlichen Schleswig-Holstein war schwierig und gefährlich, zumal das Land schon vor 1933 eine braune Hochburg mit Nazi-Strukturen war. Auf dem Dorf kannte jeder jeden; Anonymität wie in Großstädten gab es dort nicht. Diejenigen, die es doch riskierten, konnten nicht auf die Hilfe ihrer Arbeiterorganisationen setzen - diese zerschlugen die Nazis als erste, durch Verhaftungen bekannter Funktionäre, durch Zwangsvereinigung mit NS-Organisationen oder durch Aneignung ihres Eigentums, etwa der Gewerkschaftshäuser.

Noch 1938 beschlagnahmten sie "Vermögen" schleswig-holsteinischer Arbeitervereine, oft nur wenige Reichsmark, mit der demagogischen Begründung, es handle sich um "marxistische Vermögenswerte aus der Zeit vor der nationalsozialistischen Erhebung". In erster Linie waren SPD-Gliederungen oder -Vereine betroffen: Ortsvereine, Arbeitersport-, Arbeitergesangvereine, Frauengruppen, Erziehungsvereine, das Reichsbanner und andere, daneben auch kommunistische Vereine wie der Rotfrontkämpferbund.[3] Die persönlichen Netzwerke allerdings blieben erhalten. Unter einander teilte man Informationen, illegale Schriften aber auch Witze über die Nazi-Größen, beim Spaziergang. dem Handarbeitskränzchen oder beim "Stempeln" im Arbeitsamt.

Wer Widerstand leistete, riskierte Freiheit, Gesundheit und Leben - nicht nur sein eigenes, sondern auch das seiner Familie.[4] Einigen war das Risiko zu groß. Sie passten sich an und versuchten "politisch zu überwintern". Sie hofften, dass der Nationalsozialismus nicht allzu lange wüten würde. Sie übten passiven Widerstand, indem sie sich weigerten, mit dem Hakenkreuz zu flaggen oder die Nazi-Zeitung zu abonnieren. Im Betrieb versuchten sie elementare Errungenschaften der Arbeiterschaft auch nach der "Gleichschaltung" der Gewerkschaften zu erhalten.[5] Auch in den Genossenschaften versuchten sie sich unauffällig zu verhalten, um diese Einrichtungen für spätere Zeiten zu sichern. Andere waren beeindruckend mutig.

Hauptartikel: Liste der sozialdemokratischen Todesopfer 1933-1945

Fluchthilfe

So zügig und gnadenlos, wie die Nazis nach der Machtübergabe losschlugen, so zügig setzte die Flucht der verfolgten Gruppen ein - auch zahlreiche Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten emigrierten verließen nur mit dem Nötigsten ausgestattet das Land. Das bekannteste Beispiel dürfte der spätere Bundeskanzler Willy Brandt sein, der damals allerdings der Splitterpartei SAP angehörte.

Dänemark war Fluchtziel, aber auch Transitland. Zu Anfang war es für viele noch relativ einfach, mit dem Ausflugsdampfer nach Dänemark in die Freiheit zu fahren. Auf dem Landweg halfen Genossinnen und Genossen im schleswig-holsteinischen Grenzland bei der Flucht. Die am häufigsten frequentierte "Schleuse" ins dänische bzw. skandinavische Exil organisierten Wilhelm Schmehl und einige Genossen in Harrislee. Seine Gruppe arbeitete eng mit den dänischen Sozialdemokraten zusammen, die in Person von Åge Lassen die Flüchtlinge im dänischen Frøslev übernahmen und nach Kopenhagen weiterleiteten.[4] Auch Eduard Clasen soll sich an dieser Fluchthilfe beteiligt haben, blieb aber offenbar unerkannt. In Kiel waren Theodor Werner und Adolf Drobe Vertrauensleute für Ausreisewillige.[6]

Sophie und Amandus Lützen mit ihrem Neffen Dieter im März 1945

In Harrislee führten Amandus und Sophie Lützen das Café Waldheim in der Hainstraße 1.[7]

"Das Café Waldheim war aber nicht nur ein Ort für geheime Zusammenkünfte, sondern es war zusätzlich Teil eines Netzwerks, das vom Grenz-Sekretariat in Kopenhagen gesteuert wurde. Dänische Umschlagpunkte des Netzwerks gab es in Padborg und Apenrade, an denen Personalien, Briefe und illegale Schriften geschmuggelt wurden. Über 100 Flüchtlinge sollen sich vom Café Waldheim aus auf den Weg ins skandinavische Exil gemacht haben, darunter auch der ehemalige SPD-Reichstagsabgeordnete Otto Buchwitz. Unter den Sozialdemokraten in Norddeutschland war Lützens Adresse bekannt. Wilhelm Schmehl, ehemaliger SPD-Vorsitzender, brachte sie unter dem Decknamen Paul über die Grenze, wo sie sein dänischer Genosse, der Lokomotivführer Aage Lassen, empfing und ihre Weiterreise nach Kopenhagen organisierte. Dabei war Vorsicht geboten, denn unter den Flüchtlingen waren auch Spitzel der Gestapo."[7]

Amandus Lützen wird als "Seele des SPD-Widerstandes" bezeichnet.[8]

Heinrich Lienau schreibt in seinen Erinnerungen:

"Schon nach wenigen Tagen trafen die ersten politischen Verfolgten aus Nord- und Mitteldeutschland - vorzugsweise Angehörige der Linksparteien, führende Köpfe des politischen Lebens und der Religionsgemeinschaften - in Flensburg ein, um über die Grenze nach Dänemark zu gelangen. Soweit sie sich einwandfrei über ihre Person auszuweisen vermochten, wurden sie von den Vertrauenspersonen sicher hinübergeleitet und dort inzwischen verständigten dänischen Gesinnungsfreunden zugeführt. Unzählige dieser Gefährdeten, darunter viele bekannte politische Persönlichkeiten, waren mir als entschiedene Gegner der Nazis bekannt geworden. Alle Emigranten erreichten ungehindert Dänemark, von wo aus sie zum größten Teil ins weitere Ausland gelangen konnten. Es lassen sich nicht alle Schliche wiedergeben, welche zum Menschenschmuggel in Anwendung kamen, doch soll hier nur bemerkt werden, daß der Drei-Tage-Grenz-Passierschein - sog. 'Groschen-Paß' - vorzügliche Dienste neben dem dänischen Zehn-Öre-Paß leistete."[9]

Der unbürokratisch ausgestellte "Groschenpass" ermöglichte nach der Grenzziehung von 1920 der grenznahen Bevölkerung einen "kleinen Grenzverkehr" - er enthielt kein Lichtbild.[10]

In seinen Beschreibungen der Fluchthilfe des Netzwerks zitiert Karl-Werner Schunck Magdalene Hansen:

"Ich selbst habe 1933 einmal einen Jungen illegal nach Dänemark gebracht, als Hans noch in Flensburg war. Der Junge war 1918 geboren, also gleich alt wie unser Bruder Ehrhardt. Er kam aus Kiel; an den Namen kann ich mich nicht erinnern. Da haben wir für ihn einen Groschenpass auf den Namen meines Bruders besorgt und ihm Geburtsdatum, Namen und Adresse meines Bruders eingeschärft, damit er bei einer Befragung richtig antworten konnte. Wir sind dann mit dem Fördedampfer nach Kollund gefahren und von dort durch den Wald an der Küste entlang zurück nach Krusaa. Da habe ich ihn dann in den Bus nach Sønderborg oder Haderslev gesetzt."[11]

Der spätere Landesvorsitzende Walter Damm zog damals von Bramfeld nach Wandsbek, da er in Bramfeld von der SA gesucht wurde.

"Die alte Polizei, mit der ich gut bekannt war, wiegelte das ganze ab und erklärte der braunen Meute, wenn er in Wandsbek wohne, dann werde man ihn da schon kriegen. Sie kamen nie; unsere damals noch im Amt befindlichen Freunde verhinderten das."[12]

In diesem Schutz kümmerte sich Walter Damm um Menschen, die aus dem KZ kamen, und um deren Angehörige. Er verhalf gefährdeten Genossen zur Flucht.

"Wir brachten sie weiter nach Flensburg, um da von unserem Freund Schmehl, den ich erst nach dem Kriege persönlich kennenlernte, nach Dänemark weitergeleitet zu werden. In Kopenhagen wurden dann diese Emigranten zusammengefasst und die Fürsorge weiterhin von dort aus vorgenommen."[13]

Ein schleswig-holsteinischer Sozialdemokrat, dessen Flucht allerdings scheiterte, war Willy Verdieck, der letzte SPD-Bezirksvorsitzende vor dem Verbot durch die Nazis:

"Im Februar [1933] erscheint auch in Verdiecks Wohnung am Ziegelteich 17 ein Polizeiaufgebot, um ihn zu verhaften. Er ist zum Glück nicht zu Haus und einer seiner Söhne kann ihn rechtzeitig warnen. So kann er zunächst untertauchen, wird allerdings im März 1933, beim Versuch, sich nach Dänemark abzusetzen, in Flensburg verhaftet."[14]

Sein Begleiter Richard Hansen hatte mehr Glück: Ihm gelang die Flucht über die grüne Grenze nach Dänemark. Seine Familie konnte ihm 1940 dorthin folgen.[15]

Ende 1934 waren bereits rund 3000 Sozialdemokraten ins Ausland geflüchtet.[4]

Wilhelm Schmehl wurde 1938, Amandus und Sophie Lützen wurden am 7. Mai 1940 zusammen mit Adolf Drobe und Julius Gregersen festgenommen[16]. Damit war klar, dass die Gestapo über die Funktion des Café Waldheim Bescheid wusste und sie nicht länger akzeptierte. Mit der Besetzung Dänemarks folgte am 9. April 1940 die Festnahme Åge Lassens. Alle drei verließen das Gefängnis 1941. Åge Lassen durfte sich danach nicht mehr in Südjütland aufhalten. Diese Route war damit geschlossen.

Exil

Der Parteivorstand der SPD ging 1933 ins Exil - zunächst nach Prag, ab 1940 nach Paris und nannte sich dort SoPaDe. Die SoPaDe richtete sogenannte "Grenzsekretariate" ein, die den Kontakt zu unterschiedlichen Regionen in Deutschland halten sollten. Der Parteivorstand ließ den Grenzsekretariaten über regelmäßigen Briefkontakt immer wieder detaillierte Anweisungen, finanzielle Mittel, aber auch Materialien zum illegalen Transport nach Deutschland zukommen. Zusätzlich wurden zahlreiche Schulungen und Kontakte organisiert, wo nach Möglichkeit die Mitarbeiter der Grenzsekretariate, Mitglieder der Exilführung und illegal in Deutschland operierende Genossen zusammentreffen sollten.

Grenzsekretariat Dänemark

Richard Hansen wurde in Kopenhagen Leiter des Grenzsekretariats in Dänemark. Er war für die Koordinierung des Widerstandes in Schleswig-Holstein, Hamburg und Pommern zuständig. Dazu gehörte die Verbreitung von Publikationen, die zu Wasser und zu Lande nach Nazi-Deutschland geschmuggelt wurden. Unter seinen Kontaktleuten in Kiel waren Hans Schröder und Emil Bandholz[17], in Hamburg gehörte Karl Jahr dazu. Seine Position ermöglichte es ihm auch, viele Genossinnen und Genossen vor dem Zugriff der Gestapo nach Skandinavien zu retten.[18]

Auch der in Altona lebende Georg Seeler diente als Verbindungsperson zu Emigrierten in Skandinavien.[19] Es ist kaum anzunehmen, dass dies ohne Kontakt mit dem Grenzsekretariat möglich gewesen wäre.

Matteotti-Komitee

Richard Hansen war gleichzeitig Geschäftsführer des 1933 von führenden dänischen Sozialdemokraten und Gewerkschaftern gegründeten "Matteotti-Komitees". Es trug es seinen Namen nach Giacomo Matteotti, dem Generalsekretär der italienischen Sozialdemokraten, der 1924 von Faschisten ermordet worden war. Die Organisation hatte sich zur Aufgabe gesetzt, deutschen Flüchtlingen, die aus der Arbeiterbewegung kamen, bei ihrem Exil in Dänemark oder bei der Weiterreise in ein Drittland behilflich zu sein. Neben der Hilfe bei Behördengängen und anderen administrativen Dingen wurde auch finanzielle Unterstützung gegeben.[20]

Bei der Besetzung Dänemarks durch deutsche Truppen am 9. April 1940 entkam Richard Hansen mit knapper Not nach Schweden und konnte die Namenskartei des Matteotti-Komitees mitnehmen, so dass sie den Nazis nicht in die Hände fiel.[21]

Weißbuch

Hauptartikel: Liste der sozialdemokratischen Todesopfer 1933-1945 Bereits 1934 war Franz Osterroth mit seiner Familie in die Tschechoslowakei geflohen. Als die Nazis 1938 das Sudetenland besetzten und die Tschechoslowakei zerschlugen, flohen die Osterroths weiter nach Schweden. Nach einem Sprach- und Facharbeiterkurs arbeitete er als Zahnradfräser in Stockholm. Gleichzeitig war er in politischen und kulturellen Gruppierungen tätig, hielt Vorträge in der Arbeiter- und Erwachsenenbildung und schrieb für schwedische Zeitungen. Ab 1943 arbeitete er an dem Weißbuch der deutschen Opposition gegen die Hitlerdiktatur - einer Zusammenstellung ermordeter, hingerichteter oder zu Freiheitsstrafen verurteilter deutscher Gegner des Nationalsozialismus. Es wurde 1946 als vorläufige Sammlung von der SoPaDe in London veröffentlicht.

Franz Osterroth soll auch von Schweden aus als Kurier des Grenzsekretariats illegal nach Deutschland gefahren sein, wie sich Rosa Wallbaum erinnert. "Das hat er aufgegeben, weil einer der Leute, bei denen er zuletzt gewesen war, von den Nazis verhaftet und hingerichtet worden ist."[22]

Illegale Publikationen

Bis 1935 konnte noch die Zeitschrift Blick in die Zeit von Berlin aus erscheinen. Sie stellte in- und ausländische Pressemeldungen derart zusammen, dass man zwischen den Zeilen die Verhältnisse im NS-Staat herauslesen konnte. Kopf war der ehemalige Redakteur der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung, Andreas Gayk. Er war im Sommer 1933 in das anonymere Berlin gezogen, weil er in Kiel der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt war. Nach dem Verbot seiner Zeitschrift nutzte er ab Frühjahr 1941 die Möglichkeiten seiner neuen Tätigkeit als Ärztebesucher, um Kontakte zu anderen Widerständlern zu halten und Informationen zu sammeln.[23]

Von 1934 bis 1940 gab die SoPaDe die Deutschland-Berichte heraus. Diese Zeitschrift sammelte Informationen von in Deutschland lebenden Zuträgern und veröffentlichte sie. Die Informationen mussten dafür außer Landes und die Zeitschriften ins Land geschmuggelt und anschließend verteilt werden.

Weitere Veröffentlichungen waren das Diskussions-Magazin Neu Beginnen und der Neue Vorwärts. Diese Zeitschriften wurden in kleinen Zirkeln herumgereicht und diskutiert - oft in Privatwohnungen, in Kiel aber zum Beispiel auch im Café Brüel am Dreiecksplatz[24].

"Die Schriften wurden in erster Linie von Emil Bandholz [nach Kiel] mitgebracht, der des öfteren nach Dänemark zu Freunden fuhr - mit Schiffen des KdF ('Kraft durch Freude'), einer Unterabteilung der Deutschen Arbeitsfront. Zu seinen Freunden zählte das Ehepaar Anneliese und Walter Raabke, die aus Kiel emigriert waren, und die Geschwister Lina und Vera Nicolaysen, die vorher in Flensburg gewohnt hatten und 1933/34 als grenzüberschreitende Kuriere tätig waren. [...] Indem Emil Bandholz die Untersuchungsmechanismen beim Zoll genauer beobachtete, gelang ihm die Einführung der Schriften, ohne je belangt zu werden. Bei Kofferkontrollen lagen die Presseerzeugnisse oben auf, so daß er sie schnell mit dem Bemerken 'Reiseliteratur' hochnahm. Die Zollbeamten suchten nämlich immer nur nach einem doppelten Boden, den sie natürlich nie fanden."[25]

Oft warfen dänische Seeleute verlötete Kanister mit illegaler Literatur im Nord-Ostsee-Kanal über Bord, wo informierte Sozialdemokraten sie auffischten.[26] Der "Neue Vorwärts" wurde in Kiel vor allem von Genossinnen in Einkaufstaschen und Kinderwagen transportiert. Die Nazis beachteten Frauen nicht so genau.[27]

Untereinander ausgetauscht wurde auch Gerhart Segers aufsehen aufsehenerregenden Bericht über seine Erlebnisse im KZ Oranienburg.[28]

1934 standen in Kiel 21 Reichsbannerleute vor Gericht, weil sie illegale Zeitschriften verbreitet haben sollten. Zu ihnen gehörten Kurt Funke, Karl Ratz, Wilhelm Rave und Franz Hebling. Sie wurden zu bis zu 2 Jahren und 3 Monaten Zuchthaus verurteilt.

Organisation & Aktion

Widerstandsgruppen gab es bspw. in Kiel, Altona, Wandsbek, Neumünster, Flensburg, Glückstadt, Pinneberg, Eckernförde, Lübeck.[29] Im November 1934 erneuerten SPD-Mitglieder die Schrift des Gedenksteins an den Gräbern der Novemberrevolution auf dem Eichhof-Friedhof und wurden dabei verhaftet.[30] Und noch im Januar 1936 sollen sich in Kiel-Holtenau beim Tod eines früheren SPD-Mitglieds 300 Genossen zu einem Trauermarsch versammelt haben.[17]

Tabakläden als Treffpunkte

Die ehemalige Reichstagsabgeordnete Nanny Kurfürst führte seit ihrem Ausscheiden aus dem Reichstag im September 1930 in der Elisabethstraße in Kiel-Gaarden einen kleinen Tabakladen. Dies war in den "illegalen" Zeiten bei SPD und KPD eine häufig anzutreffende Tätigkeit, der auch Theodor Werner (Kieler Westufer), Paul Dölz (Flensburg), Karl Panitzki (Oldenburg), August Haut (Lübeck), Carl Dietrich (Görlitz) und Max Richter (Neumünster) nachgingen.[31]. Die Funktion von Tabakläden beim Aufbau illegaler Netze war nicht auf die NS-Diktatur und nicht auf Widerstand beschränkt. Ein Stasi-Offizier erläuterte sie so:

"[…] da steckt man sich erstmal einen Glimmstengel an, und zu einem Schwatz ist auch noch Zeit. Man hört dies und das. Es trifft sich Hinz und Kunz. Und wenn dann der Kunz dein Mann ist, weil, du hast es erkannt, er eine Zigarettensorte verlangte, die es gar nicht gibt, es war dein Stichwort, dann kannst du ihm mit der Schachtel, die du ihm nun empfiehlst, jeden Kassiber mit rüberschieben, und wenn noch zehn andere im Laden rumstehen und paffen und quatschen, kein Aas merkt was."[32]

Kleineberg-Gruppe, Kiel

In Kiel existierte bis zum Jahr 1936 ein illegales Netzwerk aus 300 jungen Sozialdemokraten[33], das sich an der Zellenstruktur der KPD zu dieser Zeit orientierte: Jede Zelle bestand aus nur fünf oder sechs Personen, die sich gegenseitig namentlich bekannt waren. Nur die Gruppenleiter kannten sich untereinander. Organisiert wurde dieses System von dem Genossen Kleineberg, der Polizeioffizier in Kiel war.

"Auf Anweisung des Generalsekretärs der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF), Edo Fimmen, schuf Adolph Kummernuss bis Anfang 1934 Gruppen von Hafenarbeitern und Seeleuten in Flensburg, Kiel, Lübeck und Hamburg. Eine ca. 2-300 Personen starke Gruppe um den ehemaligen Polizeilehrer Kleineberg existierte, in Fünfergruppen operierend, einige Jahre recht effektiv. Sie leistete Unterstützung für Familien von Inhaftierten, sie verbreitete selbsterstellte Informationsschriften auch in das Kieler Umland und diskutierte über eine programmatische Erneuerung der Sozialdemokratie 'im Geiste eines jungen, militanten Sozialismus, wie er in den Neuen Blättern für den Sozialismus und durch Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Kurt Schumacher und Julius Leber vertreten wurde'. Die Gruppe blieb bis zu ihrer Auflösung 1936 unentdeckt, trotz gelegentlicher Verhaftungen von Mitgliedern durch die Gestapo."[4]

Am 6. Mai 1938 wurden in einer groß angelegten Razzia 59 Kieler Genossen verhaftet und ihre Wohnungen, Keller- und Bodenräume nach verdächtigen Schreibmaschinen, Vervielfältigungsapparaten und Radiosendeanlagen durchsucht. In Kiel-Holtenau traf es die Genossen Karl Mäder (* 22. Mai 1905) aus dem Schusterkrug 16 und Wilhelm Noack (* 7. Juni 1879) aus der Richthofenstr. 35.[17] Von anderen weiß man:

"In der Gruppe von Kurt Salau befand sich unter anderem der spätere ÖTV-Sekretär Emil Bendfeldt; er selbst war Verbindungsmann zu einer Gruppe, der der spätere Landtagsabgeordnete Eugen Lechner vorstand. [...] Im Prozeß gegen Kurt Salau wurde er unter anderem auf seine Bekanntschaft zu Eugen Lechner angesprochen. Er konnte diese gefahrlos zugeben und machte die Angabe, daß Lechner als Handelsreisender für Rasierschaum an seiner Haustür gewesen sei - was stimmte. Einige Sozialdemokraten ergriffen (oft nach Entlassung als Betriebsräte) den Vertreterberuf, um illegal weiterzuwirken. Oft waren sie für Volksfürsorge oder Karlsruher Versicherung (im Vorstand 'Genosse Generaldirektor' Alex Möller) tätig."[34]

Mit dem Weggang Kleinebergs aus Kiel brach dieses Netzwerk zusammen. Die Nazis kamen aber nie hinter die Existenz des Netzwerks.[33]

Revolutionäre Arbeiterjugend (RAJ), Lübeck

In Lübeck organisierten sich sozialdemokratische Jugendliche unter der Führung des Seemanns Edmund Fülscher - eines jungen KPD-Mannes, der Verbindung auch zum Reichsbanner hielt:

"Ende 1934 gründete er zusammen mit sechs Kameraden, die er aus dem Kommunistischen Jugendverband kannte, die Revolutionäre Arbeiterjugend (RAJ), deren Leiter er wurde. Diese Organisation sammelte in den nächsten Monaten etwa 40 bis 50 Jugendliche, die vor 1933 hauptsächlich in der Sozialistischen Arbeiterjugend, der Jugendorganisation der SPD, organisiert waren. Aber auch Mitglieder der kommunistischen Jugendorganisation oder kirchlicher Jugendgruppen beteiligten sich. Die Jugendlichen waren zwischen 16 und 25 Jahre alt, zwei Drittel waren Lehrlinge und Jungarbeiter, ein Drittel Schüler."[35]

Die Gruppe unterstützte die Familien von Verhafteten und verteilte zum Teil hunderte Exemplare illegaler Zeitschriften, die von Seeleuten nach Lübeck geschmuggelt wurden.

"Im Frühjahr 1935 klebten die Nazis in Lübeck und Umgebung Plakate mit einem Judenkopf in Stürmer-Manier und der Unterschrift 'Lübeck will Euch nicht!' In der RAJ gab es zwei talentierte Zeichner, die in derselben Größe zwölf Plakate anfertigten mit dem Hitlerkopf in gleicher Manier und der Unterschrift 'Lübeck will Dich nicht!' Diese Plakate wurden in der Innenstadt und beim Hafen an zentralen Stellen geklebt. Eine zweite große Aktion der RAJ fand in der Nacht zum 1. August 1935, dem Antikriegstag, statt. Auf das Dach eines 100 Meter langen Hafenschuppens beim Holstentor malten sie in großen Buchstaben die Parole: 'Brüder in eins nun die Hände, bildet die antifaschistische Einheitsfront gegen Faschismus und Krieg'. Diese Parole war von der Innenstadt her sehr gut sichtbar. Selbst als die Nazis das Dach schwarz überstrichen, konnten Eingeweihte sie noch lesen, da die Jugendlichen die Farbe sehr dick aufgetragen hatten."[36]

1935 wurde große Teile der Gruppe von der Gestapo verhaftet und bei den Verhören misshandelt. 12 RAJ-Mitglieder kamen vor Gericht. Sie wurden zu einem bis vier Jahren Gefängnis verurteilt und anschließend im KZ Buchenwald weiter gefangen gehalten.

Auch der 26-Jährige Lübecker Karl Regling blieb nach 1933 der Sozialdemokratie treu und organisierte eine Widerstandsgruppe, die sich aus SAJ-Kreisen rekrutierte. Er war Kontaktperson für Julius Leber, der seit seiner Haftentlassung 1935 in Berlin lebte und dort Teil des Kreisauer-Widerstandskreise war.[37] Der Exil-Vorstand in Prag hielt über Franz Osterroth Kontakt zu Karl Regling.[38]

Kieler Frauengruppe

Sozialdemokratinnen in Kiel hielten Kontakt über unauffällige Handarbeitskränzchen. 1934 organisierten Emma Drewanz und Nanny Kurfürst gesellige Fahrten nach Mölln, Lauenburg und ins Alte Land. Unterwegs und im Grünen konnten sie sich "die Seele frei singen". Dem Fuhrunternehmer Kletscher untersagten die Nazis dann diese Ausfahrten. 1937 wurden viele der beteiligten Frauen verhaftet und allein in Kiel-Gaarden 80 Frauen verhört. Eine verurteilte Frau nahm sich in der Haft das Leben.[39]

Aktion Gewitter

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 gab es eine Verhaftungswelle unter dem Namen "Aktion Gewitter". Allerdings war sie keine "Vergeltung" für das Attentat, das lediglich den Auslöser für dieses längst geplante Vorgehen bildete.[40] Es wurden ca. 6000 Personen im ganzen Reich inhaftiert. Damit sollten letzte verdeckte Gegnerinnen und Gegner des Regimes beseitigt werden. Betroffen waren auch zahlreiche Menschen aus der schleswig-holsteinischen Sozialdemokratie. → Hauptartikel: Aktion Gewitter

Stubenzirkel

Anfang 1945 zeichnete sich das Ende der Nazi-Herrschaft ab und vor allem in Kiel und Lübeck begannen sich Sozialdemokrat*innen vorsichtig wieder zu treffen - in sogenannten Stubenzirkeln. Dort besprachen sie den Wiederaufbau von Partei in Stadt und Land.

Hauptartikel: Stubenzirkel

Krieg

Nachdem Hitler am 1. September 1939 den Krieg startete veränderte sich die Situation für die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten erneut. Denn die Verbindungen zu den den Genossinnen und Genossen im Ausland wurde schwieriger. Am 9. April 1940 überfielen die Nazis Dänemark und Norwegen und sie mussten auch von dort fliehen - so wie bspw. Willy Brandt von Norwegen nach Schweden floh.

Die Gestapo suchte eifrig nach den Exil-Netzwerken und fasste bspw. den wichtigen Verbindungsmann Adolf Drobe in Kiel. Er wurde zu 4 Jahren Zuchthaus in Fuhlsbüttel verurteilt.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Bundeszentrale für politische Bildung: Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Informationen zur politischen Bildung, Heft 330, 2/2016, S. 3 f.
  2. Lübecker Volksbote vom 2.2.1933
  3. Hartmann, Peter: Eine Karte zur Arbeiterbewegung 1933 bei Kiel, Demokratische Geschichte 3(1988), S. 511-514
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 Nissen, Hans Christian: 1933–1945: Widerstand, Verfolgung, Emigration, Anpassung In: Demokratische Geschichte, Band 3(1988), S. 493
  5. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 111
  6. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 133
  7. 7,0 7,1 Ludwig, Tina: Im Zentrum des Widerstands, Flensburger Tageblatt, 23.7.2015
  8. Jacobsen, Jens Christian: Widerstand im Flensburger Norden. Didaktische Anmerkungen zu einer historischen Stadtwanderung. In: Demokratische Geschichte 28(2018), S. 399-422
  9. Lienau, S. 14
  10. Schunck, Karl-Werner: Hans E. Hansen – Hans Flensfelt: Widerständler, Emigrant, Unternehmensgründer, Grenzfriedenshefte, Heft 4/2009, S. ??
  11. Schunck, Karl-Werner: Hans E. Hansen – Hans Flensfelt: Widerständler, Emigrant, Unternehmensgründer, Grenzfriedenshefte, Heft 4/2009, S. ??
  12. Krohn, Claus-Dieter (Hrsg.): Walter Damm. Arbeiter, Landrat und Flüchtlingsminister in Schleswig-Holstein (Bonn 1978), S. ??
  13. Krohn, Claus-Dieter (Hrsg.): Walter Damm. Arbeiter, Landrat und Flüchtlingsminister in Schleswig-Holstein (Bonn 1978), S. ??
  14. Petersen, Sönke: Der Poggendörper, Mai 2009
  15. Schultheiß, Nicole: Geht nicht gibt's nicht (Kiel 2007), S. 33
  16. Paul, Gerhard: Landunter: Schleswig-Holstein und das Hakenkreuz, Westfälisches Dampfboot (2001), Seite 133
  17. 17,0 17,1 17,2 Schuhknecht, Maik: Zur Geschichte des SPD-Ortsvereins Kiel-Holtenau. Teil 1: Vom Anfang bis zum Ende? (Kiel 2008)
  18. Richard Hansen 80 Jahre alt, Kieler Nachrichten, 2.8.1967
  19. Danker, Uwe / Lehmann-Himmel, Sebastian: Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive nach 1945 - Drucksache 18/1144 (neu), S. 334
  20. Diedrichsen, Jan: Exil in Skandinavien (1933-1945), (Facharbeit, Kiel 2000)
  21. Martens, Geschichte der SPD, S. 245, S. 248, S. 645 Anm. 553
  22. Kalweit, Susanne (Hrsg.): "Ich hab mich niemals arm gefühlt!" Die Kielerin Rosa Wallbaum berichtet aus ihrem Leben (Berlin / Hamburg 2010), S. 153. Dies wurde ihr vermutlich von Franz Osterroth selbst mitgeteilt, mit dem sie ab 1963 im Landesverband zusammenarbeitete.
  23. Weisbecker, Ludwig: Ärztebesucher im Dritten Reich, in: Jensen, Jürgen/Rickers, Karl: Andreas Gayk und seine Zeit. Erinnerungen an den Kieler Oberbürgermeister (Neumünster 1974), S. 75 f.
  24. Adresse damals Holtenauer Straße 2, heute Dreiecksplatz 8 - vgl. Pizzeria San Remo
  25. Peters, S. 14 f.
  26. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 113
  27. Peters, S. 15
  28. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 113
  29. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 113
  30. Colmorgen / Liesching: Denkmal, S. 244
  31. Korte, Detlef: "Aktion Gewitter" in Schleswig-Holstein. Eine Präventivmaßnahme der Gestapo: Verhaftung von Sozialdemokraten und Kommunisten im August 1944 || PDF
  32. Boom, Pierre/ Haase-Hindenberg, Gerhard: Der fremde Vater. Der Sohn des Kanzlerspions Guillaume erinnert sich (Berlin 2005), S. 102
  33. 33,0 33,1 Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 113f
  34. Peters, S. 15 f.
  35. Muth, S. ?
  36. Muth, S. ??
  37. Hans Christian Nissen: 1933–1945: Widerstand, Verfolgung, Emigration, Anpassung In: Demokratische Geschichte, Band 3(1988), S. 493
  38. Imberger, Elke: Widerstand „von unten“. Widerstand und Dissens aus den Reihen der Arbeiterbewegung und der Zeugen Jehovas in Lübeck und Schleswig-Holstein 1933-1945. Neumünster: Wachholtz, 1991.
  39. Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 114f
  40. Vgl. Haffner, Sebastian: Anmerkungen zu Hitler (München 1978), S. 188