Ortsverein Holtenau

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Ortsverein Holtenau
Ortsverein Holtenau
Ortsverein Holtenau
Gegründet: 1903 als Wahlverein für Holtenau und Umgegend
Wiedergegründet: 1946
Vorsitzende/r: N.N.
Homepage: https://www.spd-kiel.de/gruppen/holtenau/

Der Ortsverein Holtenau ist eine Gliederung des Kreisverbandes Kiel. Er besteht seit 1905, sein Vorläufer wurde 1903 gegründet. Seine frühe Geschichte war eng mit den militärischen Einrichtungen in Holtenau und Friedrichsort verknüpft. Am 31. Dezember 2020 hatte er 40 Mitglieder.[1]

Geschichte

1867 gliederte das Königreich Preußen Schleswig-Holstein als Provinz ein. Damit hatte Preußen ein militärisches Interesse auch an der Kieler Förde. Nach der Reichsgründung 1871 wurde Kiel Reichskriegshafen.

In Friedrichsort bestanden schon seit vor der Jahrhundertwende die Kaiserlichen Torpedowerkstätten. Um 1900 beschäftigten sie etwa 1000 Arbeiter, vorwiegend Dreher, Schlosser und Former; während des 1. Weltkrieges wuchs deren Zahl auf zeitweise über 6300 an.

1918, gegen Ende des 1. Weltkrieges, begann man bei Stegelhörn (heute Plüschow-Hafen) mit dem Bau eines seit Jahren geplanten Torpedoboothafens und einer U-Boot-Werft, für die auch ein Güterbahnhof entstehen sollte. Unzählige Arbeiter aus dem ganzen Land wurden für die erforderlichen Erd- und Bauarbeiten herbeigeholt und in Baracken untergebracht. Der Bau war schon weit gediehen, als im November 1918 das Ende des Krieges das Projekt hinfällig machte. Das Gelände blieb lange ungenutzt und verwahrloste, die Arbeiter zogen weg.

Gründung

Schon an der Wahlkreiskonferenz für den 3. Reichstagswahlkreis 1902 nahm ein Delegierter aus Holtenau teil,[2] der vermutlich in einer öffentlichen Volksversammlung gewählt worden war.

Am 25. April 1903, keine zwei Monate vor der anstehenden Reichstagswahl 1903, gründete sich im Dorf Holtenau der sozialdemokratische "Wahlverein für Holtenau und Umgegend". Das Dorf lag im 3. schleswig-holsteinischen Reichstagswahlkreis (Schleswig/Eckernförde). Die Wahl bescherte der SPD einen ihrer größten Erfolge: Carl Legien zog erneut in den Reichstag ein, Sozialdemokraten gewannen fünf von zehn der schleswig-holsteinischen Wahlkreise und im Reich wurde die SPD mit über 3 Mio. Wählerstimmen stärkste Partei. Aus dem "Wahlverein" konstituierte sich am 18. Dezember 1905 mit 41 Mitgliedern der "Ortsverein für Holtenau und Umgegend".

Die Mitgliederzahl wuchs schnell, 1909 waren es 183 Männer und fünf Frauen.[3]

Ziele

Die Ziele des politischen Kampfes der Holtenauer Sozialdemokraten lassen sich aus dem 10-Punkte-Programm ablesen, das 1903 im Norddeutschen Volkskalender veröffentlicht wurde. In der Präambel heißt es:

"Die sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft [...] nicht für neue Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst und für gleiche Rechte und Pflichten aller ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung. Von diesen Anschauungen ausgehend, bekämpft sie in der heutigen Gesellschaft nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede Art der Unterdrückung und Ausbeutung, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, ein Geschlecht oder eine Rasse."

In dem Programm finden sich alle wichtigen Forderungen wieder, die für unseren heutigen demokratisch verfassten Rechtsstaat von grundlegender Bedeutung sind: demokratisches Wahlrecht, das Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, die Gleichstellung von Mann und Frau, das Verbot von Kinderarbeit, die Einordnung der Religion als Privatsache und die Unentgeltlichkeit des Schulunterrichts, des Rechtsbeistandes sowie ärztlicher Hilfeleistungen. Aber die Sozialdemokraten waren auch immer mehr als "nur" eine politische Vereinigung.

Vereinsleben

Die ersten Mitglieder des Ortsvereins waren Arbeiter der Kaiserlichen Torpedowerkstätten in Friedrichsort, von denen viele in Arbeiterquartieren am Schusterkrug untergebracht waren. Hinzu kamen einige Handwerker aus Holtenau sowie Leute, die am Nord-Ostsee-Kanal beschäftigt waren. Ob Soldaten oder Zivilbeschäftigte der Militärverwaltung der Holtenauer SPD angehörten, ist bisher nicht ermittelt. Auch einige Arbeiterfrauen traten ab 1908 der Partei bei und kämpften erfolgreich für die Verwirklichung sozialer Rechte. So wurde auf Anregung der Genossinnen im Oktober 1910 eine Kinderschutzkommission eingerichtet.

Der Ortsverein hielt vierteljährliche Mitgliederversammlungen ab. Versammlungslokal war das Hotel "Irene" am Schusterkrug. Neben den aktuellen Themen wie Mitglieder-, Kassen- und Abonnementbestand wurde von den Ergebnissen der Parteitage berichtet und darüber kontrovers diskutiert. Eigens eingeladene Referenten reicherten die Versammlungen durch vielfältige Gastvorträge an. Verbürgt sind die Vorträge Der moderne Militarismus - eine Gefahr für das Proletariat, Die Entwicklung des Zeitungswesens, Die Steuerpolitik der Reichsregierung, Das Deutsche Reich in den internationalen Beziehungen sowie ein Lichtbildervortrag über Feuerbestattungen.

Erwähnenswert sind auch die abwechslungsreichen kulturellen Ausflüge und Unternehmungen zum 1. Mai, die zahlreichen Bildungsveranstaltungen und das Betreiben einer eigenen Bibliothek. Ebenso beliebt und gut besucht waren der Arbeiter-Gesangverein Holtenau und die Freie Turnerschaft in Holtenau.

Als Zeugnis eines etablierten demokratischen Selbstverständnisses sei eine Vorkommnis während einer Mitgliederversammlung erwähnt:

"Gerügt wurde, dass Teilnehmer an dem letzten Laufkötter-Vortrag einen in der Diskussion auftretenden Gegner nicht mit derselben Ruhe anhörten wie den Genossen Laufkötter. Es gehöre nicht zum guten Ton, einen Gegner durch Zwischenbemerkungen oder durch Unruhe zu stören, sondern man lege vielmehr Ehre ein, wenn man auch die gegnerische Meinung achte."[4]

Der politische Kampf für eine demokratische und sozial gerechte Gesellschaft wirkte sich positiv auf die Reichstagswahl von 1907 aus. In Holtenau erhielt der sozialdemokratische Kandidat Genosse Hoffmann 237 Stimmen, die Konkurrenten 175 Stimmen (Freisinnige Partei) und 20 Stimmen (Nationalliberale). Bestärkt durch den Zuspruch der Wähler und den großen Zulauf an Parteimitgliedern entwickelte der Holtenauer Ortsverein fünf Jahre nach der Gründung eine selbstbewusste Eigenständigkeit. Ende 1910 betrug der Mitgliederbestand 308 Genossen und 45 Genossinnen.

Der junge Ortsverein in der Krise

Im Angesicht des nahenden 1. Weltkrieges standen zahlreiche Friedenskundgebungen und -versammlungen auf den Aktionsplänen. In einer von der Kieler SPD organisierten Massendemonstration, an der auch viele Genossinenn und Genossen aus dem Dorf Holtenau teilnahmen, wurde am 28. Juli 1914 auf der Waldwiese eine Friedensresolution gefasst:

"Wir geloben, dass wir mit aller Energie uns dafür einsetzen wollen, die deutschen Staatsmänner dahin zu bringen, dass sie sich und ihre ganze Macht ehrlich und restlos gegen den Krieg wenden. Die hier versammelten Tausende fühlen sich mit Millionen in Europa einig darin, für den Frieden und gegen den Krieg das Äußerste leisten zu müssen."[5]

Trotz der reichsweiten Friedenskundgebungen bewilligte am 4. August 1914 auch die sozialdemokratische Reichstagsfraktion (bei zwei Enthaltungen) die Kriegskredite; sie ging davon aus, dass das Reich sich in einem Verteidigungskrieg befand, und vertrauten darauf, dass die vereinbarte parteiübergreifende Burgfriedenspolitik durch eine stärkere Einbeziehung der SPD in politische Entscheidungsprozesse honoriert werden würde. Gegen diese Politik der Reichstagsfraktion regte sich starker innerparteilicher Widerstand, der zur Zerreißprobe für die SPD wurde. In einem Aufruf in der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung wurden der innerparteilichen Opposition harte Konsequenzen angedroht:

"Gruppen und Personen, welche durch bestimmte Handlungen ihr Eintreten für die Opposition bekunden, haben damit im Sinne des Organisationsstatuts ihren freiwilligen Austritt aus dem Verbande der Gesamtpartei erklärt. (...) Sollte sich ein Ortsverein durch Mehrheitsbeschluß zur Opposition bekennen, so hört er auf, sozialdemokratischer Verein zu sein."[6]

Entstehen der USPD

Die Antwort des Ortsvereins Holtenau darauf war von einem bemerkenswerten Selbstbewusstsein geprägt, das bis heute als Selbstverständnis in der Auseinandersetzung mit übergeordneten Parteiinstanzen lebendig ist.

"Genosse B. meinte, ... man wolle die freie Meinung in der Partei unterdrücken. Man könne sich aber doch kein Mitglied denken, daß innerhalb der Organisation [nicht] frei seine Meinung äußern dürfe. Das war ja bisher gerade der Vorzug unserer Partei. ... Nicht die Mitglieder, sondern die Parteiinstanzen wollten die Partei zerreißen. (...) Genosse R. meinte, welches der Standpunkt der Partei sein soll, hätten die Wahlen zu entscheiden und nicht die Vorstände."

Der Ortsverein kam bei nur zwei Gegenstimmen zu folgender Entschließung:

"Der Sozialdemokratische Verein Holtenau teilt den Standpunkt der Arbeitsgemeinschaft. Er verurteilt daß Vorgehen der Parteiinstanzen und wird nach wie vor das tun, was er für richtig hält."[7]

Die grundlegenden Differenzen zwischen Parteiführung und Basis führten in Holtenau zu einem tiefgreifenden Bruch.

"Dem Vorsitzenden wurde dann noch mitgeteilt, daß die gesondert organisierten Anhänger der Opposition, die sich unberechtigterweise noch als 'Sozialdemokratischer Ortsverein für Holtenau und Umgegend' bezeichnen, jedenfalls von der zuständigen Kreisleitung erst gezwungen werden müssen, daß der Kreisorganisation gehörende Vereinsmaterial herauszugeben."[8]

Am 8. April 1917 gründete sich aus Opposition gegen den Parteivorstand und dessen Unterstützung für den Kriegskurs die Unabhängige Sozialdemokratie (USPD). Nach zwölf erfolgreichen Jahren hörte mit der Spaltung der SPD das Ortsvereinsleben auf zu existieren. Zählte der Ortsverein Holtenau im Juli 1914 noch 792 Mitglieder, so versank er nach dem Ausschluss einer großen Mehrheit, die sich überwiegend der USPD anschloss, in der Bedeutungslosigkeit. In der folgenden Zeit wird über den Ortsverein in der VZ nicht mehr berichtet.

Noch 1915 hatte das Blatt gemeldet, dass ca. 90 Mitglieder des Ortsvereins Holtenau "im Felde stehen" - wie viele von ihnen im Krieg zu Tode kamen, ist nicht ermittelt.[9]

Der Weg in die Weimarer Republik

Am 26. Januar 1918 begann auf der Germaniawerft, in den Kaiserlichen Torpedowerkstätten in Friedrichsort und in vielen anderen Kieler Großbetrieben ein von der USPD initiierter Generalstreik. Tausende Arbeiter demonstrierten für bessere Lebensbedingungen, für die Beendigung des Weltkrieges und für die Demokratisierung der Verfassung des Deutschen Kaiserreiches. Im November ging dann von Kiel der Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstand aus, der die Revolution in Deutschland, das Ende des Kaiserreiches und die Entwicklung hin zu einem demokratischen Staatswesen einleitete.

Aus dem Tagebuch eines Offiziers lässt sich entnehmen, wie sich ihm die Situation im Dezember 1918 darstellte:

"Ein Soldatenrat war inzwischen eingesetzt. Neben dem Kommandeur, Kapitän zur See Mehnert, stand der Obermatrose Koch als Kommandeur. Neben dem Stationsleiter, Oberleutnant zur See Dehn, stand ein Matrose. Arbeit war durch den Ausbau der Motoren aus den Maschinen kaum noch vorhanden, und die wenige noch auszuführende Arbeit konnte nie zu Ende verrichtet werden, da der Soldatenrat immer dazwischen funkte. Dafür trat aber eine erhebliche Solderhöhung ein. Nur wenn ein Prahm mit Koks gelöscht werden sollte, waren meistens an erster Stelle die da, die sich sonst vor aller Arbeit drückten, weil in diesem Fall eine Zulage gezahlt wurde."[10]

Der hier genannte Soldatenrat konnte sich nicht behaupten; nach Ende Dezember 1918 wird er nicht mehr erwähnt.

Die Weimarer Republik begann mit hohen Hypotheken. Die Geldentwertung war durch die Kriegsausgaben weit fortgeschritten. Jetzt kam neben den horrenden Reparationszahlungen an die Siegermächte die schwierige Umstellung von der Kriegs- auf die Friedensindustrie dazu. Viele Holtenauer Arbeiter wurden durch die Schließung der Friedrichsorter Rüstungsindustrie arbeitslos. In den Wiederaufbauplänen für Kiel waren die Uferstrecken Holtenaus und Friedrichsorts von besonderer Bedeutung. Auf dem Voßbrooker Gelände sollte nach den Plänen des Magistrats eine Fein- und Veredelungsindustrie samt Hafenanlage entstehen. Die notwendige Eingemeindung von Holtenau, Pries und Friedrichsort nach Kiel 1922 verlief nicht ohne Protest der Einwohner. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre wurde der Bebauungsplan bis auf den Plüschowhafen dann doch nicht umgesetzt. Allerdings wurde nach Abholzung des Voßbrooker Waldes und Abriss der Katen Distelrade, Diken und Eekbrook im Frühjahr 1928 der erweiterte Flugplatz Holtenau in Betrieb genommen.

Wiedervereinigung

Der Ortsverein Holtenau und Umgegend gliederte sich nach der Eingemeindung des Dorfes am 1. Oktober 1922 dem Sozialdemokratischen Verein Groß-Kiel an. Schon am 14. Juli hatten sich die Reichstagsfraktionen von SPD und USPD wieder zusammengeschlossen. Dies führte auch bei den Holtenauer Sozialdemokraten wieder zu einer tatkräftigen Einheit. Unter anderem fand mit maßgeblicher Unterstützung des Ortsvereins im Juli 1927 auf dem ehemaligen Holtenauer Gutsbezirk Seekamp die Kinderrepublik Seekamp statt.

Daneben standen die stetige Radikalisierung der politischen Stimmung, vor allem infolge der Weltwirtschaftskrise von 1929 und der wachsenden Arbeitslosigkeit, und der Aufstieg der Nationalsozialisten. Die Gründung der Eisernen Front Ende 1931 war der letzte Vesuch der demokratischen Kräfte, sich den Rechten entgegenzustellen.

Nationalsozialismus

Am 22. Juni 1933 wurde die SPD offiziell verboten. Da waren viele Mitglieder bereits verhaftet, im Konzentrationslager, im Untergrund oder im Exil. Von außen und auch von innen wurde jedoch weiterhin versucht, über ein europäisches Netz von Verbindungen die Arbeit der Partei im Untergrund fortzuführen. Zu diesem Netz gehörten auch Holtenauer Parteimitglieder. Der Holtenauer Richard Hansen, Mitglied der Bezirksleitung Kiel, flüchtete mit weiteren Genossen über die Anlaufstelle "Café Lützen", wo unzählige Genossen bei ihrer Flucht über die "grüne Grenze" nach Dänemark unterstützt wurden.

Von Kopenhagen aus leitete Richard Hansen das Grenzsekretariat; er war für die Koordinierung des Widerstandes in Schleswig-Holstein, Hamburg und Pommern und für die Verbreitung von Druckschriften wie Sozialistische Aktion oder Vorwärts zuständig, die zu Wasser und zu Lande nach Nazi-Deutschland geschmuggelt wurden. Als "Briefkästen" zur Weiterverbreitung dienten unter anderem alte Motorradschläuche; gelegentlich wurden Schriften in Arbeitsämtern, Wohlfahrtsstellen oder Straßenbahnen hinterlassen. In Kiel gehörten neben anderen die Genossen Hans Schröder und Emil Bandholz zu den Verteilern; beide wurden im Januar 1937 zu langen Zuchthausstrafen verurteilt.

Die Widerstandsaktionen in Schleswig-Holstein beschränkten sich bis zum 2. Weltkrieg im Wesentlichen auf die Aufrechterhaltung der Informationsnetze und auf Fluchthilfe für Genossen aus ganz Deutschland, die nach Dänemark und Skandinavien gebracht wurden. Diese Aktionen waren äußerst riskant. Am 6. Mai 1938 wurden in einer groß angelegten Razzia 59 Kieler Genossen verhaftet und ihre Wohnungen, Keller- und Bodenräume nach verdächtigen Schreibmaschinen, Vervielfältigungsapparaten und Radiosendeanlagen durchsucht. In Holtenau traf es die Genossen Karl Mäder (* 22. Mai 1905) aus dem Schusterkrug 16 und Wilhelm Noack (* 7. Juni 1879) aus der Richthofenstr. 35.

Bemerkenswert ist in jener Zeit die ungebrochene Solidarität. So fanden sich beim Tod eines früheren SPD-Mitglieds noch im Januar 1936 300 Genossen zu einem Trauermarsch zusammen.

Mit dem Beginn des 2. Weltkrieges am 1. September 1939 kamen diese Verbindungen fast vollständig zum Erliegen. Bei der Besetzung Dänemarks am 9. April 1940 fielen der Gestapo die Akten der dänischen Polizei über die Emigranten in die Hände. Viele wurden verhaftet und in Lager deportiert, darunter Adolf Drobe, Oskar Nielsen und der dänische Verbindungsmann Åge Lassen. Nur wenigen gelang wie Richard Hansen und Kurt Heinig noch in derselben Nacht die Flucht über den Öresund nach Schweden. Richard Hansen emigrierte später weiter in die USA, von wo er 1947 nach Kiel zurückkehrte.[11]

Siehe auch: Widerstand in der NS-Zeit

Neubeginn

Nach Ende des Krieges lag die "Reichsmarinestadt" Kiel in Schutt und Asche. Aber immerhin durfte sich die SPD auf Ortsebene wieder versammeln. Am 29. Januar 1946 fand die Gründungsversammlung des Ortsvereins Holtenau statt. Die etwa 50 anwesenden Genossinnen und Genossen wählten Kurt Wiese[12] zum Vorsitzenden. In den folgenden Mitgliederversammlungen (mit durchschnittlich 60 anwesenden Mitgliedern) ging es sowohl um praktische Dinge wie Bau oder Sanierung von Wohnungen als auch um Demokratisierungsprozesse (Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Schulfragen). Der Aufbau einer Frauengruppe und die Einrichtung einer Nähstube wurden angeregt.[13]

Auch der Schlosser Hermann Adler, der mit seiner Familie in einer umgebauten Flakbaracke am Flugplatz wohnte, trat in die neu gegründete SPD ein. Er war von der Militärregierung kurzzeitig zum "Bürgermeister" von Holtenau eingesetzt[14]. Diese Funktion kann es nicht gegeben haben, da Holtenau seit 1922 nach Kiel eingemeindet war; welche Funktion er übernahm, ist bisher nicht geklärt, auch nicht, welche Aktivitäten er im Ortsverein entwickelte. Er war hauptberuflich bei der Stadt Kiel angestellt; vor 1933 hatte er in Gaarden gelebt und auf der Werft gearbeitet.

Der ersten Kommunalwahl im August 1946 wurde hohe Bedeutung beigemessen. Als Kandidaten für die (damals noch so genannte) Stadtverordnetenversammlung wählte der Ortsverein Walter Kowalewski, Hans Stade und Kurt Wiese. Fehler wie vor 1933 sollten sich nicht wiederholen. Die Macht der Großgrundbesitzer müsse gebrochen werden, lautete eine zentrale Forderung an die Landesebene. Den Beschluss des Bezirksparteitages in Neumünster gegen eine Vereinigung von KPD und SPD begrüßten die Holtenauer Mitglieder.

Zählte der Verein bei seiner Gründung 1946 insgesamt 80 Mitglieder, so waren es ein Jahr später zur Mitgliederversammlung am 25. Januar 1947 schon 180 Mitglieder, davon 30 Frauen.

Aufbruchstimmung in den 70ern und 80ern

Im OV Holtenau herrschte in den 1970ern eine positive Grundstimmung vor. 1970 gründete sich eine Juso-Gruppe des Ortsvereins.[15]

Bei den vorgezogenen Bundestagswahlen am 19. November 1972 gelang der SPD unter Willy Brandt mit knapp 46% der Stimmen der größte Wahlerfolg ihrer Geschichte. 91,2% der wahlberechtigten Kielerinnen und Kieler gingen zur Wahl und bescherten Norbert Gansel einen grandiosen Sieg.

Umfangreichere Informationen über die Aktivitäten des Ortsvereins gibt es erst wieder ab 1985. Viele der Einladungen und Rundschreiben liegen in den Akten des Kreisverbandes vor. Vorsitzende waren in dieser Zeit Hans Nielsen und ab Mai 1985 die vorherige Stellvertreterin Lotti Krabbenhöft. Ihr Stellvertreter wurde Frank Irmisch. Man machte gemeinsame Sommerausflüge, Grillfeste, Weihnachtsfeiern u.a.. Aktiv bei der Organisation waren in dieser Zeit Gerda und Hermann Doose, deren Namen immer wieder fallen. Zu den Mitgliederversammlungen, die in der Regel im "SPD-Heim" (s.u.) stattfanden, wurden häufig Redner aus der Partei und den Gewerkschaften eingeladen, etwa Jens Haass zum Thema "Zukunft der Arbeit", Jens Loewer (Bildungsausschuss IG Metall) zu "Arbeit und Technik", Claus Möller zu "Kommunaler Umweltschutz. Möglichkeiten und Grenzen", Rolf Schrödter zu "Neue Armut", Reinhold Stein zu "Zukunft der Sozialpolitik" (als Vorbereitung auf den kommenden Kreisparteitag), Norbert Gansel berichtete aus Bonn.

Der Kommunalwahlkampf 1986 wurde mit besonderer Energie und letztlich erfolgreich geführt, auch wenn schon hier die Klage laut wurde, es seien leider nur wenige Wahlkämpfer und Wahlkämpferinnen gewesen[16].

Das "SPD-Heim"

Südlich vom Flughafen Holtenau, in der Straße Eekbrook, stand seit dem 2. Weltkrieg eine Holzbaracke. Nach Ende der Nazizeit diente sie Flüchtlingen und Vertriebenen als Notunterkunft, später auch als Klassenraum der Volksschule, denn in Holtenau waren mehr als 1000 Schulkinder unterzubringen. Haus und Grundstück gehörten der Stadt Kiel und waren Bestandteil des Selbstverwaltungsvertrages der Kleingärtner mit der Stadt.

Noch unter Andreas Gayk wurde dies geändert; am 31. Oktober 1954 übernahm der Bezirksverband der Kieler SPD das Grundstück; ein Pachtvertrag mit der Stadt regelte die Einzelheiten. Nun wurde die Baracke zum Treffpunkt für die Mitglieder des OV Holtenau, für die Falken, die Arbeiterwohlfahrt, den Reichsbund, die Holtenauer Briefmarkenfreunde und andere Vereine sowie für unzähligen Bürgerinnen und Bürger, die hier die Möglichkeit zu privaten Feiern hatten. Es war also ein Ort für Versammlungen und auch für Frohsinn.

1970 forderte die Stadt einen Anschluss des Grundstücks an die städtische Abwasseranlage, zu zahlen vom Pächter. Der Kreisvorstand konnte diese Summe nicht aufbringen; er nahm das Angebot an, das Jugendheim dem OV zu überlassen. Am 1. Januar 1971 trat dieser unter seinem Vorsitzenden Adolf Wittkowski in das bestehende Pachtverhältnis mit der Stadt ein. Aber auch bei den Holtenauern war das Geld knapp. Es wurde nach einer Lösung gesucht. 

Im Dezember 1972 gründete sich vor Ort der Verein "Jugend- und Gemeinschaftsheim Eekbrook, Kiel-Holtenau e.V.". Die Gründungsmitglieder gehörten allesamt der SPD an; deshalb wird das Jugend- und Gemeinschaftsheim Eekbrook auch heute noch im Volksmund "SPD-Heim" genannt. Sie waren der Malerpolier Peter Albertsen, der Schmied Adolf Brüggmann, der Schiffsführer Karl Behrend, der Installateurmeister Rudolf Drews, der Magistratsdirektor Erhard Hedrich, der Heizungsbaumeister Horst Henkel, der Bauingenieur Werner Holm, die Hausfrau Margarethe Prüß, der Maurerpolier Emil Schneider, der Kraftfahrer Dieter Weidel, der Auslandswissenschaftler Adolf Wittkowski und der Verwaltungsangestellte Paul Zöllkau - viele von ihnen bereits im Ruhestand. Hermann-Claudius von Samson-Himmelstjerna diente dem Verein als Schriftführer, Reinhold Stein vertrat die Arbeiterwohlfahrt. Den Vorsitz übernahm Paul Zöllkau, der das Amt 25 Jahre lang ausübte. Erst 1997 trat Jürgen Bruhn seine Nachfolge an.

Mit viel ehrenamtlichem Einsatz wurde das Haus in den 1970er und 1980er Jahren umfangreich saniert und erweitert, um es zeitgemäßen Anforderungen anzupassen. Im Erbbaurechtsvertrag mit der Landeshauptstadt Kiel vom 22. November 1976 hatte sich der Verein unter anderem verpflichtet, "das Bauwerk und die Anlagen stets in einem guten baulichen Zustand zu erhalten".

Die Anzahl der Vermietungen im Jahr stieg teilweise auf über 180 im Jahr an, also jeden 2. Tag eine. Das war nicht nur eine Herausforderung für die Verantwortlichen, sondern auch eine große Belastung für die "neuen" Anwohner, acht Familien, die sich in direkter Nachbarschaft zum Heim auf Brachland angesiedelt hatten. Es gab zahlreiche Beschwerden, meist über den Lärm, die heute allerdings größtenteils beigelegt sind.

Die Heimverwaltung lag über viele Jahre in den Händen von Karl Behrend und Margarethe Prüß sowie bei Gerda und Hermann Doose. Ab 2003 übernahmen andere die Aufgabe. Althergebrachtes wurde mit neuen Ideen bereichert, doch wenige Jahre später gingen die Vermietungen dramatisch zurück, auf 30 jährlich. Dies deckte nicht mehr die Kosten und gefährdete den Verein und den Erhalt des Gebäudes. Von den regelmäßigen Nutzern war nur noch der SoVD (Reichsbund) übergeblieben.

Im August 2008 übernahm Bernd Vogelsang den Vorsitz von Jürgen Bruhn. Es gelang, den Verein wieder attraktiv zu machen und die Finanzen zu konsolidieren. 2010 wurde eine neue Küche eingebaut. Zuletzt wurde das Dach des Gebäudes saniert und abgedichtet. Die Nutzung lag zuletzt bei etwa 60 Vermietungen jährlich.[17]

Am 15. September 2020 löste sich der Verein Jugend- und Gemeinschaftsheim Eekbrook Kiel-Holtenau e.V. wegen personeller und finanzieller Probleme auf. Es gab nicht mehr genügend Vereinsmitglieder, die bereit und in der Lage waren, Vermietung und Instandhaltung der Räume zu übernehmen. Zudem gingen durch die wegen der Covid-19-Pandemie notwendigen Einschränkungen des öffentlichen Lebens die Vermietungen drastisch zurück. Das Erbbaurecht wird von der Stadt Kiel weiterverwaltet.

Traditionsfahne und anderes

Fahnenstockverbindung aus Holtenau

Der Ortsverein verfügt über eine Traditionsfahne. Sie war vermutlich zunächst die örtliche Fahne des Reichsbanners, die aus Mangel an oder nach Verlust einer ursprünglichen Fahne als Traditionsfahne verwendet wurde.[18] 2016 wurde außerdem ein Protokollbuch wiedergefunden, das die Zeit von der Wiedergründung bis 1957 abdeckt und von Gerda und Hermann Doose aufbewahrt wurde.

Im Besitz von Bernd Vogelsang befindet sich außerdem eine Fahnenstock-Verbindung, die gemäß der Aufschrift aus Holtenau stammt. Peter Pfister M.A., Referent im Archiv der sozialen Demokratie / Kunstsammlung der Friedrich-Ebert-Stiftung, ordnet das Stück so ein:

"Bei dem Fundstück handelt es sich um eine Fahnenstockverbindung, wie sie bei Tragefahnen üblich waren bzw. heute noch sind. Die Fahnenstöcke waren zu Transport- und Lagerungszwecken ein- oder mehrfach geteilt, wobei sich die Teilung der Fahnenstöcke nach der Größe des Fahnenblattes richtete. Ihre Fahnenstockverbindung deutet demnach auf eine Tragefahne mit einem vergleichsweise großen Fahnenblatt hin.
Der Fahnenstock selber ist aller Wahrscheinlichkeit nach vernichtet worden, da sich das Amulett mit der Widmung (hier: "Gewidmet v. d. U.S.P.D. Groß-Kiel Distrikt Holtenau") mit bei der Fahnenstockverbindung befindet. Diese Art der Widmungen wurden auf den Fahnenstock selber geschraubt und besitzen keine inhaltliche, sondern nur eine provinziale Beziehung zu der Fahnenstockverbindung. Die Fahnenstockverbindung gehörte sicher der USPD Holtenau, die sich im Sommer 1917 von der SPD abgespalten hatte."[19]

Bernd Vogelsang sagt dazu:

"Nach meinen Recherchen beschloss die Generalversammlung des USPD-Ortsvereins Holtenau im Januar 1919 den Übertritt zur KPD, hier hatte später auch die linksradikale KAPD ihre Hochburg. Somit hatte die Fahne wohl ausgedient und ihr Verbleib ist unbekannt. Es waren eben stürmische Kriegszeiten auch für die SPD."[20]

Nähere Betrachtung des Fotos oben links eröffnet noch eine andere Möglichkeit: Wenn der Buchstabe vor den Buchstaben "S.P.D." nicht als "U", sondern als "V" zu lesen wäre, würde es sich um eine Fahnenstockverbindung handeln, die in der kurzen Zeit nach der Wiedervereinigung der SPD mit den nicht zur KPD gewechselten Resten der USPD zwischen dem Reichsparteitag in Nürnberg am 24. September 1922 und 1924 entstand. In dieser Zeit nannte sich die Partei "V.S.P.D" - Vereinigte SPD.

Ratsmitglieder

Ortsbeirat

Siehe auch

Literatur & Links

  • Wilhelm Brecour: Die Sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung (Kiel o. J. [1932]) (Neudruck in Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung, Kiel 1983)
  • Maik Schuhknecht: Zur Geschichte des SPD-Ortsvereins Kiel-Holtenau. Teil 1: Vom Anfang bis zum Ende? (Kiel 2008)

Einzelnachweise

  1. Laut Jahresbericht 2020 zur Mitgliederentwicklung.
  2. Hamburger Echo, 7.8.1902
  3. [https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN1754726119_19090810/page/6 Hamburger Echo 10.8.1909, S. 6
  4. VZ, 13.11.1910
  5. Brecour, S. I-90
  6. VZ, 7.2.1917
  7. Beide Zitate VZ, 15.2.1917
  8. VZ, 29.3.1917
  9. VZ, 18.1.1915
  10. Zit. bei Duppler, Jörg (Red.): Marineflieger. Von der Marineluftschiffabteilung zur Marinefliegerdivision (Herford u.a. 1988), S. 111 f.
  11. Dieser historische Abriss des Ortsvereins beruht im Wesentlichen auf der 2008 von Maik Schuhknecht verfassten Ortsvereinschronik bis 1945. Wo die Darstellung über Holtenau hinausgeht, wurde gekürzt und ggf. auf andere Artikel der Geschichtswerkstatt verwiesen.
  12. Lt. Mitteilung von dessen Sohn Wolfgang vom 21.4.2016 nicht identisch mit dem späteren Ratsherrn Kurt Wiese.
  13. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des OV Holtenau vom 12.4.1946.
  14. So erinnert sich sein Sohn Klaus.
  15. Vgl. Juso-Ortsgruppe Holtenau gegründet, Kieler Nachrichten, 17.12.1970
  16. Einladung vom 6.3.1986, Akten Kreisverband
  17. Zu diesem Abschnitt vgl. Über 40 Jahre Jugend- und Gemeinschaftsheim Eekbrook Kiel-Holtenau e. V., abgerufen 14.12.2015
  18. Lt. Jürgen Weber, der darüber geforscht hat, war das Motiv für Reichsbanner-Fahnen üblich, für SPD-Fahnen völlig unüblich, so dass man diesen Schluss ziehen kann.
  19. Mitteilung der FES an Bernd Vogelsang
  20. Maik Schuhknecht: Geschichte des SPD Ortsvereins Kiel-Holtenau, S. ?