Louise Schroeder
Louise Schroeder |
Louise Dorothea Sophie Schroeder, * 2. April 1887 in Altona/Holst.; † 4. Juni 1957 in Berlin; Privatsekretärin, Bürgermeisterin von Berlin. Mitglied der SPD ab 1910.
Werdegang
Louise Schroeder wuchs als jüngstes von vier Kindern in einem Arbeiterhaushalt auf; ihr Vater Karl war Bauhilfsarbeiter, ihre Mutter Dorothea Verkäuferin. Nach Abschluss der Mädchen-Mittelschule konnte sie dank finanzieller Unterstützung von Verwandten 1901/02 noch die Gewerbeschule für Mädchen besuchen. Bis 1918 war sie zunächst als Stenotypistin, dann als Privatsekretärin bei einer europäischen Versicherungsgesellschaft tätig, wo sie unter anderem umfassende Fremdsprachenkenntnisse erwarb. In dieser Zeit engagierte sie sich auch im Zentralverband der Handlungsgehilfen[1]. Danach wechselte sie ins Fürsorgeamt Altona[2], dessen Vorsteherin sie vom Dezember 1923 bis März 1925 war. 1918 übernahm sie auch die Leitung der von ihr mitbegründeten "Notgemeinschaft Altona".[3]
Am 13. Dezember 1919 gehörte Louise Schroeder zu den Mitbegründerinnen der Arbeiterwohlfahrt, deren Landesvorsitz in Schleswig-Holstein sie dann elf Jahre lang innehatte. Sie lehrte in Berlin an der von ihr 1925 ebenfalls mitbegründeten Wohlfahrtsschule der AWO und am Sozialpolitischen Seminar der Deutschen Hochschule für Politik (heute Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin) über sozialpolitische Themen.
Die NS-Herrschaft überstand sie in Hamburg, ab 1938 in Berlin und ab 1944 in Dänemark.
Ab 1946 war sie auch in Berlin wieder eine der Vorsitzenden (das Amt war auf drei offenbar gleichberechtigte Vorsitzende verteilt) der wiedergegründeten AWO.[2]
Partei & Politik
Louise Schroeder trat 1910 in Altona in die SPD ein und blieb auch, trotz ihrer ablehnenden Haltung zur "Burgfriedenspolitik" im 1. Weltkrieg.[2] Von 1915[3] bis zum Verbot 1933 war sie Mitglied im Vorstand der SPD Altona-Ottensen.
1922 leitete sie eine Betirksfrauenkonferenz in Altona mit den Gästen Elfriede Ryneck aus Berlin und Toni Pfülf aus München.[4]
Von 1924 bis 1933 gehörte sie dem Bezirksvorstand der SPD an.
Lange Zeit leitete sie die politische Frauenarbeit in Schleswig-Holstein[5], ab 1924 mit Unterstützung von Anni Krahnstöver.
Parlamente bis 1933
1919 kam sie - mit 31 Jahren als eines der jüngsten Mitglieder - für den Wahlkreis 14 (Schleswig-Holstein) in die Verfassunggebende deutsche Nationalversammlung.
1920 wurde sie in Altona-Ottensen zur Stadtverordneten gewählt.
Von 1920 bis 1933 gehörte sie dem Reichstag an. Sie trat für die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben, in Ehe und Familie ein. Besonders engagierte sie sich für Mutterschutz, Säuglingsfürsorge, Kinder- und Arbeiterinnenschutz, Jugendgerichtsbarkeit und Gesundheitspflege, Invaliden- und Unfallfürsorge sowie Jugendwohlfahrtgesetzgebung.[6] Auch vor heiklen Themen wie der Gleichbehandlung lediger Mütter und unehelicher Kinder[7] oder der Situation von Prostituierten schreckte sie nicht zurück.[2]
1919 war Louise Schroeder zweimal auf Agitationstour in Nordschleswig. Beim zweiten Mal warb sie dafür, dass die Menschen dort in der Volksabstimmung 1920 für den Verbleib im Deutschen Reich stimmten. 1921 berichtete sie von einer dritten Fahrt, diesmal ins "Jung-Dänemark" nach der Abstimmung.[8]
Eine andere Agitationsfahrt zur Reichstagswahl Juli 1932, für die Louise Schroeder in Schleswig-Holstein Spitzenkandidatin war, verlief deutlich gefährlicher. Über den 25. Juli berichtete die Presse:
"In der Provinz Schleswig-Holstein äußert sich die Ruhe und Ordnung der Nazis in ungewöhnlicher Weise. [...] Am Montagabend sollte in Friedrichskoog eine Versammlung der Eisernen Front stattfinden mit der Spitzenkandidatin für Schleswig-Holstein, Reichstagsabgeordnete Luise Schröder [sic!] als Rednerin. Im Versammlungslokal hatten sich Hunderte von auswärtigen SA-Leuten eingefunden in der bewußten Absicht, die Versammlung gar nicht stattfinden zu lassen.
Als die Rednerin erschien, begannen die Nationalsozialisten ein wüstes Geschrei. In Anbetracht des Terrors der Nationalsozialisten mußte die Rednerin ihre Fahrt fortsetzen. Als sich das Auto mit der Genossin Schröder wieder in Bewegung setzte, wurde es mit Steinen beworfen und Schüsse darauf abgegeben.
Sodann stürzten sich die auswärtigen SA-Banden mit Pistolen, Dolchen und Totschlägern auf die ortsansässigen Reichsbannerleute. Der Reichsbannerkamerad Jäger aus Friedrichskoog wurde von den Hitler-Mordbestien erstochen, mehrere andere Reichsbannerkameraden schwer verletzt."[9]
NS-Herrschaft
Am 23. März 1933 stimmte sie zusammen mit allen anwesenden Mitgliedern der SPD-Fraktion gegen das "Ermächtigungsgesetz"[10], nachdem sie öffentlich dazu aufgefordert hatte, es abzulehnen. Auch verweigerte sie den "Hitlergruß". Sie verlor alle Ämter, wurde durch die Gestapo überwacht[7] und erhielt Berufsverbot für ihre Lehrtätigkeit.
"Da sie des Hochverrats verdächtig war, wurde ihr eine polizeiliche Meldepflicht auferlegt und ihre Wohnung in Altona mehrmals durchsucht. Nachdem ihr die NS-Machthaber die Arbeitslosenunterstützung verweigerten, eröffnete sie 1934 in Hamburg die Filiale einer Brotfirma und arbeitete seit 1939 als Sekretärin und Sozialarbeiterin in der Sozialabteilung einer Berliner Tiefbaufirma."[2]
Der Brotladen war - wie so viele Tabakläden in dieser Zeit - gleichzeitig ein 'illegaler' Treffpunkt für Genossinnen und Genossen.[1] Da sich Louise Schroeder aber weigerte, die Kundschaft mit "Heil Hitler" zu begrüßen und zu nationalen Feiertagen nicht mit dem Hakenkreuz flaggte, vergrämten ihr die Nazis die Kundschaft und sie musste den Laden schließen.[11]
1938 zog sie nach Berlin in eine Hinterhofwohnung, wo sie zunächst arbeitslos war, dann als Sekretärin und Sozialbetreuerin in dem erwähnten Bauunternehmen unterkam. Während des Zweiten Weltkrieges wurde sie viermal ausgebombt.[12] Ab Frühjahr 1944 war sie im Auftrag ihrer Firma in Dänemark tätig, wo sie das Kriegsende erlebte.[13]
Berlin
1946 übernahm sie den stellvertretenden Landesvorsitz der Berliner SPD. Im selben Jahr wurde sie in die Stadtverordnetenversammlung, zur Bürgermeisterin und zur 3. Stellvertreterin des Regierenden Bürgermeisters gewählt. Sie "trat nach 1945 unermüdlich für die Selbstständigkeit der SPD in den Berliner Westsektoren ein", d.h. stand auf der Seite Kurt Schumachers und gegen die Gruppe um Otto Grotewohl in der Frage des Zusammenschlusses mit der KPD.[6]
Von 1947 bis 1956 gehörte sie dem Bundesvorstand der SPD an.
Vom 8. Mai 1947 bis 7. Dezember 1948 versah sie - offiziell als Stellvertreterin - das Amt des Regierenden Bürgermeisters: Sie vertrat den bisherigen Amtsinhaber Otto Ostrowski nach dessen Rücktritt bis zur Wahl eines Nachfolgers, anschließend den gewählten Ernst Reuter, der wegen des Vetos der sowjetischen Seite in der Alliierten Kommandantur sein Amt erst Ende 1948 antreten konnte. Allerdings musste sie die von der sowjetischen Blockade betroffene Stadt ab August 1948 aus Krankheitsgründen für drei Monate verlassen.[2]
Bis zum 18. Januar 1951 war sie als Bürgermeisterin weiterhin Ernst Reuters Stellvertreterin.
Bundespolitik
Von 1949 bis zu ihrem Tod 1957 gehörte sie dem Bundestag und ab 1950 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates an[13].
Im Vorfeld der ersten Bundespräsidentenwahl im September 1949 wurden sowohl Louise Schroeder als auch Max Brauer für das Amt ins Gespräch gebracht, und zwar aus Teilen der CDU, mit deren Gedanken sich auch Sozialdemokraten anfreunden konnten. Der Vorschlag bildete eine Reaktion auf die Ablehnung einer großen Koalition - die bei dem Ergebnis der Bundestagswahl 1949 möglich gewesen wäre - durch beide Parteivorsitzenden, Kurt Schumacher und Konrad Adenauer. Eine gemäßigt sozialdemokratische Persönlichkeit im höchsten Staatsamt sollte zeigen,
"dass der neue Staat mit seinem parlamentarischen System von den großen Parteien gemeinsam getragen werde. Auch die Alliierten, welche die Staatsgründung Bundesrepublik gern auf festen Fundamenten wüßten, befürworten ein solches Symbol sozialdemokratischer Mitverantwortung."
Kurt Schumacher fand
"den Gedanken jedoch, daß ein 'gemäßigter' Sozialdemokrat die Gesetze einer von der SPD im Parlament erbittert bekämpften Wirtschaftspolitik unterzeichnen könnte, [...] geradezu pervers."
Er verhinderte dies, indem er selbst kandidierte, wohl wissend, dass er für viele politische Gegner unwählbar war.[14]
Ehrungen
1949 wurde Louise Schroeder mit der Goldenen Médaille de la Ville de Paris[15] ausgezeichnet, 1952 mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland.
Am 2. April 1957 wurde sie, als erste Frau, zur Ehrenbürgerin der Stadt Berlin ernannt. Ein Saal im Roten Rathaus in Berlin-Mitte trägt ihren Namen.
Seit 1998 verleiht der Berliner Senat für „Verdienste um Demokratie, Frieden, soziale Gerechtigkeit und die Gleichstellung von Frauen und Männern“ jährlich um ihren Geburtstag herum die Louise-Schroeder-Medaille.[16]
Nach ihr benannt sind außerdem eine Straße und eine Grundschule im mittlerweile zu Hamburg gehörenden Altona, der Louise-Schröder-Weg in Kaltenkirchen, den Louise-Schroeder-Weg in Lübeck, der Louise-Schroeder-Stieg in Norderstedt und viele weitere Straßen, Schulen und Plätze in Berlin und ganz Deutschland.
Die AWO hat ein Mutter-Kind-Heim in Keitum auf Sylt nach ihr benannt.[17]
Veröffentlichungen
- Die Geißel der Menschheit, Vorwärts, 16.7.1919, und Die Gleichheit, 16.8.1919
- Neue Hilfe für Mutter und Kind, Die Gleichheit, 6.9.1919
- Unsere Wohnungsnot, Die Gleichheit, 20.3.1920
- Sie töten den Geist nicht, Ihr Brüder!, Die Gleichheit, 1.2.1921
- Die Ausgestaltung unserer Frauenabende, Die Gleichheit, 15.6.1921
- Verbesserung der Reichswochenhilfe, Die Gleichheit, 1.1.1922
- Unsere Agitation und die Mütter, Die Gleichheit, 1.9.1922
- Fürsorge für gefährdete Frauen, Frauenstimme - Beilage zum Vorwärts Nr. 60, 5.2.1925
- Arbeitskonferenzen in Schleswig-Holstein - [Electronic ed.]. In: Arbeiterwohlfahrt 4(1929), H. 21, S. 668-669 (Electronic ed.: Bonn: FES Library, 2008)
- Schleswig-Holstein: Tagung der sozialistischen Fürsorger - [Electronic ed.]. In: Arbeiterwohlfahrt 4(1929), H. 16, S. 508-509 (Electronic ed.: Bonn: FES Library, 2008)
- Schulungskursus des Bezirks Schleswig-Holstein - [Electronic ed.]. In: Arbeiterwohlfahrt 4(1929), H. 3, S. 91 (Electronic ed.: Bonn: FES Library, 2008)
- Tagung des Bezirks Schleswig-Holstein - [Electronic ed.]. In: Arbeiterwohlfahrt 1(1926), H. 2, S. 63 (Electronic ed.: Bonn: FES Library, 2008)
Literatur & Links
- Bake, Rita: Ein Gedächtnis der Stadt, Bd. 2. Frauenbiographien von A-Z (Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2015), ISBN 978-3-929728-91-0
- Dertinger, Antje: Frauen der ersten Stunde. Aus den Gründerjahren der Bundesrepublik (Bonn 1989) S. 167 ff.
- Ferner, Elke (Hg.): 90 Jahre Frauenwahlrecht! Eine Dokumentation (Berlin 2008), S. 119 (Kurzbiografie)
- Koerfer, Marthina: Louise Schroeder. Eine Frau in den Wirren deutscher Politik. In: Presse- und Informationsamt des Landes Berlin (Hrsg.): Berliner Forum 4/87 (Berlin 1987)
- Koerfer, Marthina: Louise Schroeder (Sozialpädagogisches Institut Berlin 1987) ISBN 3-924061-15-7
- Martens, Holger: Die Geschichte der SPD in Schleswig-Holstein 1945 - 1958 (Malente 1998) ISBN 3-933862-24-8
- Schulz, Horst-Peter: Einleitung zur Online-Edition der Zeitschrift Arbeiterwohlfahrt in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 23.4.2008
- Schumacher, Martin (Hrsg.): M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933 – 1945. Eine biographische Dokumentation (3., erheblich erweiterte und überarbeitete Auflage, Düsseldorf 1994)
- Weber, Petra: Schroeder, Louise Dorothea Sophie, in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 569-571 [Online-Version]
- Wikipedia: Louise Schroeder
- Datenbank sozialdemokratischer Parlamentarier in den deutschen Reichs– und Landtagen 1867–1933 (BIOSOP)
- Gedenkstätte Deutscher Widerstand: Louise Schroeder
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Ferner, Elke (Hg.): 90 Jahre Frauenwahlrecht! Eine Dokumentation (Berlin 2008), S. 119
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 Weber, Petra: Schroeder, Louise Dorothea Sophie, in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 569 ff. [Online-Version]
- ↑ 3,0 3,1 BIOSOP
- ↑ Die Gleichheit, 1.1.1922, S. 10
- ↑ Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 82
- ↑ 6,0 6,1 Schulz, Horst-Peter: Einleitung zur Online-Edition der Zeitschrift Arbeiterwohlfahrt in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 23.4.2008
- ↑ 7,0 7,1 Gedenkstätte Deutscher Widerstand: Louise Schroeder
- ↑ Schroeder, Louise: "Sie töten den Geist nicht, Ihr Brüder!", Die Gleichheit, 1.2.1921
- ↑ Ordnung in Preußen?, Vorwärts, 26.7.1932, S. 1
- ↑ SPD-Bundestagsfraktion: Otto Wels - Mut und Verpflichtung. 23. März 1933 - Nein zur Nazidiktatur, Juli 2008
- ↑ Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 112
- ↑ Vgl. Bake, Rita: Ein Gedächtnis der Stadt, Bd. 2. Frauenbiographien von A-Z (Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2015), ISBN 978-3-929728-91-0, S. 286. Dort auch die Zitate.
- ↑ 13,0 13,1 Omnibus salutem!, abgerufen 22.3.2016
- ↑ Merseburger, Peter: Der schwierige Deutsche. Kurt Schumacher. Eine Biographie (Stuttgart 1995), ISBN 3-421-05021-X, S. 449. Dort auch beide Zitate.
- ↑ Wikipedia: Médaille de la Ville de Paris
- ↑ Wikipedia: Louise-Schroeder-Medaille
- ↑ Wikipedia: Louise Schroeder, abgerufen 20.12.2023