Gert Börnsen
Gert Börnsen |
Gert Börnsen, * 10. Februar 1943 in Wilster/Kr. Steinburg, † 10. Mai 2014 in Kiel; Diplom-Politologe und Publizist. Mitglied der SPD seit 1964.
Leben & Beruf
Gert Börnsen wurde 1943 in Wilster im Kreis Steinburg geboren. Sein jüngerer Bruder[1] ist Arne Börnsen. 1964 machte er sein Abitur in Bremen, studierte dann bis 1969 Politischen Wissenschaft, Geschichte und Publizistik an der Freien Universität Berlin.
Er war Mitglied der Gewerkschaft ÖTV, der Arbeiterwohlfahrt, der Humanistischen Union und von amnesty international. Von 1975 bis 1980 gehörte er dem Rundfunkrat des Norddeutschen Rundfunks an. Er setzte sich dabei gegen die Einführung des Privatfernsehens und für Netze in öffentlich-rechtlicher Hand ein.[2]
Nach seiner Zeit im Landtag war Gert Börnsen als Leiter des Verbindungsbüros Nord bei der Deutschen Telekom AG tätig.[3][4]
Er war mit der Betreiberin einer Kieler Modeboutique verheiratet; das Ehepaar hatte ein Kind.[4] In den letzten Jahren lebte er zurückgezogen in einem Kieler Pflegeheim[5], wo er mit 71 Jahren starb.
Partei & Politik
1964 trat Gert Börnsen in die SPD ein. 1968/1969 war er Bundesvorsitzender des Sozialdemokratischen Hochschulbundes, 1972/1973 stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungsozialisten.
Ab 1970 arbeitete er als Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion und des Landesverbandes.[6] Möglicherweise war es Jochen Steffen, der ihn nach Kiel holte. Die beiden hatten sich anlässlich einer Rede des "roten Jochen" vor Berliner Studierenden kennengelernt.[7]
Von 1975 bis 1989 gehörte er dem Landesvorstand der SPD Schleswig-Holstein an.
Landtag
1975 kandidierte der 32-jährige Gert Börnsen zum ersten Mal für den Landtag.
"Die Landtagskandidaten der SPD wollen sich ebenso wenig wie die wählenden Bürger von dem vor der Wahl einsetzenden Wettbewerb der Werbeagenturen überrollen lassen. Als erster Kieler Kandidat setzte Gert Börnsen (Wahlkreis 26 - Kiel-Mitte) eine originelle Idee in die Tat um. Mit einem von dem Kieler Grafiker Karl Rahn entworfenen Poster brachte er eigene Akzente in die Sichtwerbung vor der Wahl ein.
Börnsen [...] stellt sich auf dem Poster, wie sein Wahlkampfbüro formuliert, 'im Spielkarten-Look als pfeife-schmauchender Bube' vor. 'Faust und Rose sowie die auffordernde Handbewegung sollen zum ‚Mitmischen und Auftrumpfen‘ auffordern.'
Der „Börnsen-Bube“ mit dem Aufdruck 'SPD '75' wird von den Kieler Jungsozialisten im Handdruck hergestellt und auch als Autoaufkleber angeboten. Handsigniert von Willy Brandt und Herbert Wehner will Gert Börnsen sein Poster demnächst auf einer Ausstellung von „Politischer Grafik“ versteigern. Er erhofft sich daraus eine gut Stabilisierung seiner Wahlkampfkasse."[8]
Gert Börnsen zog bei den Landtagswahlen 1975, 1979 und 1983 über die Landesliste in den Landtag ein. Er profilierte sich als Sozial- und Finanzpolitiker und setzt sich beispielsweise in der Diskussion um die Reform des Paragraphen 218 für eine generelle Straffreiheit bei Abtreibungen ein.[9]
1980 wurde er Mitglied des Fraktionsvorstands, 1987 Parlamentarischer Geschäftsführer und 1988 Fraktionsvorsitzender. Ab der Landtagswahl 1987 konnte er seinen Wahlkreis Kiel-Mitte jeweils direkt erringen. Er blieb Abgeordneter bis 1996.
1993 wurde bekannt, dass Günther Jansen der Schlüsselfigur der Barschel-Affäre, Reiner Pfeiffer, mit mindestens 40 000 Mark ausgeholfen hatte, die er von verschiedenen Persönlichkeiten des politischen Lebens erhalten hatte. Der ehemalige CDU-Medienreferent hatte sich beklagt, nach der Barschel-Affäre keine Anstellung mehr zu finden. Günther Jansen wollte den Kronzeugen der Affäre nicht im Regen stehen lassen.[10]
Im Zuge dieser "Schubladenaffäre" wurde auch klar, dass die SPD-Spitze 1987 schon einige Tage vor den Veröffentlichungen des SPIEGELS von der Barschel-Affäre gewusste hatte. Bis dahin hatten Günther Jansen und Björn Engholm das immer bestritten. Die beiden Spitzenpolitiker traten zurück, und Heide Simonis setzte sich in der Nachfolge als Ministerpräsidentin gegen den Kieler Bundestagsabgeordneten Norbert Gansel durch. In dieser Zeit drohte die SPD-Landtagsfraktion zu zerreißen - Gert Börnsen hielt sie zusammen.[5] Er blieb Fraktionsvorsitzender, bis er 1995 von seinem Wahlkreis nicht mehr nominiert wurde. Die überraschende Niederlage des langjährigen Abgeordneten gegen den Neuling Jürgen Weber wurde mit Konflikten innerhalb der Kieler SPD erklärt. Danach ging Norbert Gansel und offenbar genügend anderen Mitgliedern die Aufklärung in der Schubladenaffäre nicht weit genug. Der FOCUS bezeichnete Norbert Gansel gar als "Erzfeind" Gert Börnsens.[11] Jürgen Weber hatte einige Jahre als Wahlkreismitarbeiter für Norbert Gansel gearbeitet und galt als dessen "Gefolgsmann"[11].
Bei der Nominierung für die Kandidatur zur Landtagswahl 1996 scheiterte Gert Börnsen im Legienhof gegen Jürgen Weber. Mit 77 zu 72 Stimmen setzte sich der 41-Jährige durch. Wegen eines Formfehlers musste die Wahl wiederholt werden; Jürgen Weber siegte beim zweiten Anlauf mit 118 zu 107 Stimmen.[12]
Stimmen
Der Landesvorsitzende Ralf Stegner würdigte Gert Börnsen zu seinem Tod 2014:
"Er konnte Politik gestalten, Menschen inspirieren und mit äußerster Disziplin für Geschlossenheit in Partei und Fraktion sorgen. […] Es war auch seinem Engagement zu verdanken, dass die SPD bei der Landtagswahl 1988 so gut aufgestellt und vorbereitet war, dass sie die Wahl gewann und die konservative Regierung ablösen konnte. Gert Börnsen wurde von der SPD-Landtagsfraktion, die nun Regierungsfraktion war, zu ihrem Vorsitzenden gewählt und blieb es bis zu seinem Ausscheiden 1996. Er war ein herausragender Parlamentarier und ein Freund klarer Worte. Große Anerkennung erwarb er durch sein Engagement für den demokratischen Wiederaufbau in Mecklenburg-Vorpommern und als Mitglied und Vorsitzender des Sonderausschusses zur Verfassungs- und Parlamentsreform. Gert Börnsen war im besten Wortsinne radikal - ein radikal-demokratischer Bürgerrechtler. Wir verlieren mit Gert Börnsen einen profilierten und streitbaren Politiker der Sozialdemokratie."[13]
Landtagsvizepräsident Bernd Heinemann erinnerte in der folgenden Landtagssitzung an den Verstorbenen:
"Gert Börnsen hatte zwar nie ein Regierungsamt inne, und doch hat er unser Land Schleswig-Holstein über viele Jahre so maßgeblich geprägt, dass er in einigen Medien zum mächtigsten Mann Schleswig-Holsteins ausgerufen wurde. Er war ein Vollblutpolitiker und beherzter Demokrat, der sich mit klaren Worten in die politische Auseinandersetzung einbrachte, ein gestandener Parlamentarier, der der Landespolitik ein scharf geschnittenes Profil verleihen konnte. Wenn Gert Börnsen das Wort ergriff, konnte man sicher sein, dass er Gefühle auslöste und die Dinge auf den Punkt brachte."[14]
Lars Harms stellte für den SSW fest:
"Gert Börnsen war ein Demokrat mit großem „D“. Mit seinem ausgeprägten sozialen Kompass, klarer Worte und dem Kampfgeist, mit Verve für seine Ideale zu kämpfen hat Gert Börnsen die Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein und im Bund über viele Jahre maßgeblich mitgeprägt."[15]
Wolfgang Kubicki sagte für die FDP:
"Wir trauern um einen wirklich großen Politiker des Landes Schleswig-Holstein. Trotz vieler harter Sachauseinandersetzungen pflegte Gert Börnsen als langjähriger Fraktionsvorsitzender der SPD immer einen kollegialen und persönlich nie verletzenden Umgangsstil. Die dadurch stets offene Gesprächsebene hat es ermöglicht, auch tiefgreifende Konflikte mit menschlichem Anstand zu lösen."[16]
Auch die anderen Parteien würdigten den ehemaligen Landtagskollegen in ähnlicher Weise.
Veröffentlichungen
- Innerparteiliche Opposition. Jungsozialisten und SPD, Hamburg, Runge Verlag (1969)
- Perspektiven des Medieneinsatzes für bildungsintensive Programme aus Sicht der SPD. Für Integration von Medien- und Bildungspolitik, in: Schoeps, Julius H. (Hg.): Weiterbildung durch Medien, Burg-Verlag (1980)
- Erinnerungen an Jochen Steffen. In: Demokratische Geschichte 20(2009), S. 309-326
Literatur
- Die Plapperschlange, Focus, 19.6.1995
- Gaschke, Susanne: Börnsens tiefer Fall, DIE ZEIT, 9.9.1995
- Ahlswede, Elke: Dicke Luft, gute Laune, DIE ZEIT, 15.9.1995
- Björn und die Detektive. Der Sozialdemokrat Engholm im Visier der Geheimdienste, DER SPIEGEL, 7.6.1993
- Ehemaliger SPD-Landtagsfraktionschef Gert Börnsen gestorben, Kieler Nachrichten, 15.3.2014
Links
Einzelnachweise
- ↑ Börnsen, Gert: Erinnerungen an Jochen Steffen, S. 310
- ↑ Contra Privat-TV, Wir - Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein, Heft 7/8 1975, Seite 3
- ↑ SPD-Fraktionschefin Midyatli im Duell um Wahlkreis-Kandidatur in Kiel, Kieler Nachrichten, 28.7.2021 (Bezahlschranke)
- ↑ 4,0 4,1 Lebenslauf von Gert Börnsen, Wirtschaftswoche, Memento: 4.3.2016
- ↑ 5,0 5,1 Gert Börnsen ist tot, sh:z.de, 14.5.2014, 17:46 Uhr
- ↑ Die Neuen in der SPD Landtagsfraktion, Wir - Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein, Heft 4/1975, Seite 9
- ↑ Börnsen, Gert: Erinnerungen an Jochen Steffen, S. 309 ff.
- ↑ Aus den Kreisen, Wir - Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein, Heft 3/1974
- ↑ Paragraph 218, Wir - Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein, Heft 6/1976, Seite 3
- ↑ Dachs, Gisela: Das große Schweigen der Genossen, DIE ZEIT, 1993
- ↑ 11,0 11,1 Die Plapperschlange, Focus, 19.6.1995
- ↑ Susanne Gaschke: Börnsens tiefer Fall, DIE ZEIT, 8.9.1995
- ↑ Stegner, Ralf: Gert Börnsen †, 11.5.2014
- ↑ Plenarprotokoll 18/57 14.05.2014 S 4634
- ↑ Pressemitteilung Nr. 63/2014 Kiel, 14.5.2014
- ↑ Presseinformation: Wolfgang Kubicki, MdLVorsitzender Nr. 211 / 2014, 14.5.2014
Fraktionsvorsitzende: Wilhelm Kuklinski (1946 - 1946) | Andreas Gayk (1946 - 1950) | Bruno Diekmann (1950 - 1953) | Wilhelm Käber (1953 - 1966) | Jochen Steffen (1966 - 1973) | Klaus Matthiesen (1973 - 1983) | Björn Engholm (1983 - 1988) | Gert Börnsen (1988 - 1996) | Ute Erdsiek-Rave (1996 - 1998) | Lothar Hay (1998 - 2008) | Ralf Stegner (2008-2021) | Serpil Midyatli (2021-2022) | Thomas Losse-Müller (2022-2023);| Serpil Midyatli (2023-heute)