Widerstand in der NS-Zeit
Am Widerstand gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten (1933-1945) beteiligten sich Menschen aus allen Kreisen der Bevölkerung, auch viele SozialdemokratInnen, in der einen oder anderen Form. Viele Menschen bezahlten ihr Engagement mit dem Leben oder Schäden durch Misshandlungen in Zuchthaus- oder KZ-Haft.
Machtübergabe
Am 30. Januar 1933 übertrug Reichspräsident von Hindenburg ohne Beteiligung des Reichstages das Amt des Reichskanzlers an Adolf Hitler, den "Führer" der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei (NSdAP). Der Brand des Reichstages am 27. Februar führte zu einer ersten Verhaftungswelle.
In der Reichstagswahl vom 5. März blieben die Nazis mit 43,9% unter der angestrebten absoluten Mehrheit, obwohl viele ihrer politischen Gegner bereits in "Schutzhaft" saßen und der brutalen Einschüchterung durch die SA nichts entgegensetzen konnten. Schon zwei Tage nachdem Adolf Hitler zum Reichskanzler gemacht wurde, beklagte der Lübecker Volksbote:
"In Lübeck haben sich inzwischen absolut gesetzlose Zustände entwicklet. Einzeln gehende Sozialdemokraten und Kommunisten wurden bei hellichtem Tage, und vermehrt in der Nacht überfallen und niedergeschlagen. Wo die braunen Banditen in der Mehrzahl waren, schlugen sie blindlings zu - oft zwanzig auf einen. Die Polizei sah in vielen Fällen untätig zu oder ließ die Verbrecher verduften und begnügte sich mit der Feststellung des Ueberfallenen."[1]
Innerhalb weniger Monate wurde mit Hilfe von Notverordnungen und scheindemokratischen Beschlüssen eines entmachteten Reichstages - etwa dem "Ermächtigungsgesetz" - das gesamte politische Leben in Deutschland gleichgeschaltet. Nach dem 1. Mai verbieten die Nazis die Gewerkschaften und gliedern sie in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) ein. Die Nazis verbieten die SPD-Zeitungen. Am 22. Juni verbieten die Nazis endgültig die SPD.
Auch in Schleswig-Holstein entfernten die Nazis SPD- und KPD-Leute und andere politische Gegner aus Verwaltungen und Selbstverwaltungen, verhafteten Menschen, die Widerstand leisteten, und sperrten sie in die ersten - oft noch "inoffiziellen" - Konzentrationslager, wo sie meist schwer misshandelt und viele von ihnen ermordet wurden. Wenig später erließen die Nazis auch die ersten Gesetze zur Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung.
Widerstand im weitestgehend ländlichen Schleswig-Holstein war schwierig und gefährlich, zumal das Land schon vor 1933 eine braune Hochburg mit Nazi-Strukturen war. Auf dem Dorf kannte jeder jeden; Anonymität wie in Großstädten gab es dort nicht. Diejenigen, die es doch riskierten, konnten nicht auf die Hilfe ihrer Arbeiterorganisationen setzen - diese zerschlugen die Nazis als erste, durch Verhaftungen bekannter Funktionäre, durch Zwangsvereinigung mit NS-Organisationen oder durch Aneignung ihres Eigentums, etwa der Gewerkschaftshäuser. Noch 1938 beschlagnahmten sie "Vermögen" schleswig-holsteinischer Arbeitervereine, oft nur wenige Reichsmark, mit der demagogischen Begründung, es handle sich um "marxistische Vermögenswerte aus der Zeit vor der nationalsozialistischen Erhebung". In erster Linie waren SPD-Gliederungen oder -Vereine betroffen: Ortsvereine, Arbeitersport, Arbeitergesangvereine, Frauengruppen, Erziehungsvereine, das Reichsbanner und andere, daneben auch kommunistische Vereine wie der Rotfrontkämpferbund.[2]
Wer Widerstand leistete, riskierte Freiheit, Gesundheit und Leben nicht nur von sich selbst, sondern auch von seiner Familie.[3] Einigen war das Risiko zu groß - sie passten sich an. Andere waren beeindruckend mutig.
Fluchthilfe
So zügig und gnadenlos, wie die Nazis nach der Machtübergabe losschlugen, so zügig setzte die Flucht der verfolgten Gruppen ein - auch zahlreich Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten emigrierten. Das bekanntestes Beispiel dürfte der spätere Bundeskanzler Willy Brandt sein, der damals allerdings der Splitterpartei SAP angehörte.
Dänemark war Fluchtziel, aber auch Transitland. Zu Anfang war es für viele noch relativ einfach, mit dem Ausflugsdampfer nach Dänemark in die Freiheit zu fahren. Auf dem Landweg halfen Genossinnen und Genossen im schleswig-holsteinischen Grenzland bei der Flucht. Die am häufigsten frequentierte "Schleuse" ins dänische bzw. skandinavische Exil organisierten Wilhelm Schmehl und seine Genossen in Harrislee. Seine Gruppe arbeitete eng mit den dänischen Sozialdemokraten zusammen, die in Person von Åge Lassen die Flüchtlinge im dänischen Frøslev übernahmen und nach Kopenhagen weiterleiteten.[4] Auch Eduard Clasen soll sich an dieser Fluchthilfe beteiligt haben, blieb aber offenbar unerkannt.
In Harrislee führten Amandus und Sophie Lützen das Café Waldheim in der Hainstraße 1.[5]
"Das Café Waldheim war aber nicht nur ein Ort für geheime Zusammenkünfte, sondern es war zusätzlich Teil eines Netzwerks, das vom Grenz-Sekretariat in Kopenhagen gesteuert wurde. Dänische Umschlagpunkte des Netzwerks gab es in Padborg und Apenrade, an denen Personalien, Briefe und illegale Schriften geschmuggelt wurden. Über 100 Flüchtlinge sollen sich vom Café Waldheim aus auf den Weg ins skandinavische Exil gemacht haben, darunter auch der ehemalige SPD-Reichstagsabgeordnete Otto Buchwitz. Unter den Sozialdemokraten in Norddeutschland war Lützens Adresse bekannt. Wilhelm Schmehl, ehemaliger SPD-Vorsitzender, brachte sie unter dem Decknamen Paul über die Grenze, wo sie sein dänischer Genosse, der Lokomotivführer Aage Lassen, empfing und ihre Weiterreise nach Kopenhagen organisierte. Dabei war Vorsicht geboten, denn unter den Flüchtlingen waren auch Spitzel der Gestapo."[6]
Amandus Lützen wird als "Seele des SPD-Widerstandes" bezeichnet.[7]
Heinrich Lienau schreibt in seinen Erinnerungen:
"Schon nach wenigen Tagen trafen die ersten politischen Verfolgten aus Nord- und Mitteldeutschland - vorzugsweise Angehörige der Linksparteien, führende Köpfe des politischen Lebens und der Religionsgemeinschaften - in Flensburg ein, um über die Grenze nach Dänemark zu gelangen. Soweit sie sich einwandfrei über ihre Person auszuweisen vermochten, wurden sie von den Vertrauenspersonen sicher hinübergeleitet und dort inzwischen verständigten dänischen Gesinnungsfreunden zugeführt. Unzählige dieser Gefährdeten, darunter viele bekannte politische Persönlichkeiten, waren mir als entschiedene Gegner der Nazis bekannt geworden. Alle Emigranten erreichten ungehindert Dänemark, von wo aus sie zum größten Teil ins weitere Ausland gelangen konnten. Es lassen sich nicht alle Schliche wiedergeben, welche zum Menschenschmuggel in Anwendung kamen, doch soll hier nur bemerkt werden, daß der Drei-Tage-Grenz-Passierschein - sog. 'Groschen-Paß' - vorzügliche Dienste neben dem dänischen Zehn-Öre-Paß leistete."[8]
Der unbürokratisch ausgestellte "Groschenpass" ermöglichte nach der Grenzziehung von 1920 der grenznahen Bevölkerung einen "kleinen Grenzverkehr" - er enthielt kein Lichtbild.[9]
In seinen Beschreibungen über die Fluchthilfe des Netzwerks zitiert Karl-Werner Schunck Magdalene Hansen:
"Ich selbst habe 1933 einmal einen Jungen illegal nach Dänemark gebracht, als Hans noch in Flensburg war. Der Junge war 1918 geboren, also gleich alt wie unser Bruder Ehrhardt. Er kam aus Kiel; an den Namen kann ich mich nicht erinnern. Da haben wir für ihn einen Groschenpass auf den Namen meines Bruders besorgt und ihm Geburtsdatum, Namen und Adresse meines Bruders eingeschärft, damit er bei einer Befragung richtig antworten konnte. Wir sind dann mit dem Fördedampfer nach Kollund gefahren und von dort durch den Wald an der Küste entlang zurück nach Krusaa. Da habe ich ihn dann in den Bus nach Sønderborg oder Haderslev gesetzt."[10]
Der spätere Landesvorsitzende Walter Damm zog damals von Bramfeld nach Wandsbek, da er in Bramfeld von der SA gesucht wurde.
"Die alte Polizei, mit der ich gut bekannt war, wiegelte das ganze ab und erklärte der braunen Meute, wenn er in Wandsbek wohne, dann werde man ihn da schon kriegen. Sie kamen nie; unsere damals noch im Amt befindlichen Freunde verhinderten das."[11]
In diesem Schutz kümmerte sich Walter Damm um Menschen, die aus dem KZ kamen, und um deren Angehörige. Er verhalf gefährdeten Genossen zur Flucht.
"Wir brachten sie weiter nach Flensburg, um da von unserem Freund Schmehl, den ich erst nach dem Kriege persönlich kennenlernte, nach Dänemark weitergeleitet zu werden. In Kopenhagen wurden dann diese Emigranten zusammengefasst und die Fürsorge weiterhin von dort aus vorgenommen."[12]
Ein schleswig-holsteinischer Sozialdemokrat, dessen Flucht allerdings scheiterte, war Willy Verdieck, der letzte SPD-Bezirksvorsitzende vor dem Verbot durch die Nazis:
"Im Februar [1933] erscheint auch in Verdiecks Wohnung am Ziegelteich 17 ein Polizeiaufgebot, um ihn zu verhaften. Er ist zum Glück nicht zu Haus und einer seiner Söhne kann ihn rechtzeitig warnen. So kann er zunächst untertauchen, wird allerdings im März 1933, beim Versuch, sich nach Dänemark abzusetzen, in Flensburg verhaftet."[13]
Sein Begleiter Richard Hansen hatte mehr Glück: Ihm gelang die Flucht über die grüne Grenze nach Dänemark. Seine Familie konnte ihm 1940 dorthin folgen.[14]
Ende 1934 waren bereits rund 3000 Sozialdemokraten ins Ausland geflüchtet.[15]
Wilhelm Schmehl wurde 1938, Amandus und Sophie Lützen wurden 1940 festgenommen. Damit war klar, dass die Gestapo über die Funktion des Café Waldheim Bescheid wusste und sie nicht länger akzeptierte. Mit der Besetzung Dänemarks folgte am 9. April 1940 die Festnahme Åge Lassens. Alle drei verließen das Gefängnis 1941. Åge Lassen durfte sich danach nicht mehr in Südjütland aufhalten. Diese Route war damit geschlossen.
Exil
Der Parteivorstand der SPD ging 1933 ins Exil - zunächst nach Prag, ab 1940 nach Paris und nannte sich dort SoPaDe. Die SoPaDe richtete sogenannte "Grenzsekretariate" ein, die den Kontakt zu unterschiedlichen Regionen in Deutschland halten sollten. Der Parteivorstand ließ den Grenzsekretariaten über regelmäßigen Briefkontakt immer wieder detaillierte Anweisungen, finanzielle Mittel, aber auch Materialien zum illegalen Transport nach Deutschland zukommen. Zusätzlich wurden zahlreiche Schulungen und Kontakte organisiert, wo nach Möglichkeit die Mitarbeiter der Grenzsekretariate, Mitglieder der Exilführung und illegal in Deutschland operierende Genossen zusammentreffen sollten.
Grenzsekretariat Dänemark
Richard Hansen wurde in Kopenhagen Leiter des Grenzsekretariats in Dänemark. Er war für die Koordinierung des Widerstandes in Schleswig-Holstein, Hamburg und Pommern zuständig. Dazu gehörte die Verbreitung von Publikationen, die zu Wasser und zu Lande nach Nazi-Deutschland geschmuggelt wurden. Unter seinen Kontaktleuten in Kiel waren Hans Schröder und Emil Bandholz.[16] Seine Position ermöglichte es ihm auch, viele GenossInnen vor dem Zugriff der Gestapo nach Skandinavien zu retten.[17]
Auch der in Altona lebende Georg Seeler diente als Verbindungsperson zu Emigrierten in Skandinavien.[18] Es ist kaum anzunehmen, dass dies ohne Kontakt mit dem Grenzsekretariat möglich gewesen wäre.
Matteotti-Komitee
Richard Hansen war gleichzeitig Geschäftsführer des 1933 von führenden dänischen Sozialdemokraten und Gewerkschaftern gegründeten "Matteotti-Komitees". Es trug es seinen Namen nach Giacomo Matteotti, dem Generalsekretär der italienischen Sozialdemokraten, der 1924 von den Faschisten ermordet worden war. Die Organisation hatte sich zur Aufgabe gesetzt, deutschen Flüchtlingen, die aus der Arbeiterbewegung kamen, bei ihrem Exil in Dänemark oder bei der Weiterreise in ein Drittland behilflich zu sein. Neben der Hilfe bei Behördengängen und anderen administrativen Dingen wurde auch finanzielle Unterstützung gegeben.[19]
Bei der Besetzung Dänemarks durch deutsche Truppen am 9. April 1940 entkam Richard Hansen mit knapper Not nach Schweden, konnte allerdings die Namenskartei des Matteotti-Komitees mitnehmen, so dass sie den Nazis nicht in die Hände fiel.[20]
Weißbuch
→ Hauptartikel: Liste der sozialdemokratischen Todesopfer 1933-1945 Bereits 1934 war Franz Osterroth mit seiner Familie in die Tschechoslowakei geflohen. Als die Nazis 1938 das Sudentenland besetzten und die Tschechoslowakei zerschlugen, flohen die Osterroths weiter nach Schweden. Nach einem Sprach- und Facharbeiterkurs arbeitete er als Zahnradfräser in Stockholm. Gleichzeitig war er in politischen und kulturellen Gruppierungen tätig, hielt Vorträge in der Arbeiter- und Erwachsenenbildung und schrieb für schwedische Zeitungen. Ab 1943 arbeitete er an dem Weißbuch der deutschen Opposition gegen die Hitlerdiktatur - einer Zusammenstellung ermordeter, hingerichteter oder zu Freiheitsstrafen verurteilter deutscher Gegner des Nationalsozialismus. Es wurde 1946 als vorläufige Sammlung von der SoPaDe in London veröffentlicht.
Franz Osterroth soll auch von Schweden aus als Kurier des Grenzsekretariats illegal nach Deutschland gefahren sein, wie sich Rosa Wallbaum erinnert. "Das hat er aufgegeben, weil einer der Leute, bei denen er zuletzt gewesen war, von den Nazis verhaftet und hingerichtet worden ist."[21]
Illegale Publikationen
Bis 1935 konnte noch die Zeitschrift Blick in die Zeit von Berlin aus erscheinen. Sie stellte in- und ausländische Pressemeldungen derart zusammen, dass man zwischen den Zeilen die Verhältnisse im NS-Staat herauslesen konnte. Kopf war der ehemalige Redakteur der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung, Andreas Gayk. Er war im Sommer 1933 in das anonymere Berlin gezogen, weil er in Kiel der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt war. Nach dem Verbot seiner Zeitschrift nutzte er ab Frühjahr 1941 die Möglichkeiten seiner neuen Tätigkeit als Ärztebesucher, um Kontakte zu anderen Widerständlern zu halten und Informationen zu sammeln.[22]
Von 1934 bis 1940 gab die SoPaDe die Deutschland-Berichte heraus. Diese Zeitschrift sammelte Informationen von in Deutschland lebenden Zuträgern und veröffentlichte sie. Die Informationen mussten dafür außer Landes und die Zeitschriften ins Land geschmuggelt und anschließend verteilt werden.
Weitere Veröffentlichungen waren das Diskussions-Magazin Neu Beginnen und der Neue Vorwärts. Diese Zeitschriften wurden in kleinen Zirkeln herumgereicht und diskutiert - oft in Privatwohnungen, in Kiel aber zum Beispiel auch im Café Brüel am Dreiecksplatz[23].
- "Die Schriften wurden in erster Linie von Emil Bandholz [nach Kiel] mitgebracht, der des öfteren nach Dänemark zu Freunden fuhr - mit Schiffen des KdF ('Kraft durch Freude'), einer Unterabteilung der Deutschen Arbeitsfront. Zu seinen Freunden zählte das Ehepaar Anneliese und Walter Raabke, die aus Kiel emigriert waren, und die Geschwister Lina und Vera Nicolaysen, die vorher in Flensburg gewohnt hatten und 1933/34 als grenzüberschreitende Kuriere tätig waren. [...] Indem Emil Bandholz die Untersuchungsmechanismen beim Zoll genauer beobachtete, gelang ihm die Einführung der Schriften, ohne je belangt zu werden. Bei Kofferkontrollen lagen die Presseerzeugnisse oben auf, so daß er sie schnell mit dem Bemerken 'Reiseliteratur' hochnahm. Die Zollbeamten suchten nämlich immer nur nach einem doppelten Boden, den sie natürlich nie fanden."[24]
Der "Neue Vorwärts" wurde in Kiel vor allem von Genossinnen in Einkaufstaschen und Kinderwagen transportiert. Die Nazis beachteten Frauen nicht so genau.[25]
Organisation & Aktion
Im November 1934 erneuerten SPD-Mitglieder die Schrift des Gedenksteins an den Gräbern der Novemberrevolution auf dem Eichhof-Friedhof und wurden dabei verhaftet.[26] Und noch im Januar 1936 sollen sich in Kiel-Holtenau beim Tod eines früheren SPD-Mitglieds 300 Genossen zu einem Trauermarsch versammelt haben.[27]
Tabakwaren-Läden als Treffpunkte
Die ehemalige Reichstagsabgeordnete Nanny Kurfürst führte seit ihrem Ausscheiden aus dem Reichstag im September 1930 in der Elisabethstraße in Kiel-Gaarden einen kleinen Tabakladen. Dies war in den "illegalen" Zeiten bei SPD und KPD eine häufig anzutreffende Tätigkeit, der auch Theodor Werner(Kieler Westufer), Paul Dölz (Flensburg), Karl Panitzki (Oldenburg), August Haut (Lübeck) und Max Richter (Neumünster) nachgingen.[28]. Die Funktion von Tabakläden beim Aufbau eines illegalen Netzes erläuterte ein Stasi-Offizier so:
- "[…] da steckt man sich erstmal einen Glimmstengel an, und zu einem Schwatz ist auch noch Zeit. Man hört dies und das. Es trifft sich Hinz und Kunz. Und wenn dann der Kunz dein Mann ist, weil, du hast es erkannt, er eine Zigarettensorte verlangte, die es gar nicht gibt, es war dein Stichwort, dann kannst du ihm mit der Schachtel, die du ihm nun empfiehlst, jeden Kassiber mit rüberschieben, und wenn noch zehn andere im Laden rumstehen und paffen und quatschen, kein Aas merkt was."[29]
Kleineberg-Gruppe, Kiel
In Kiel existierte bis zum Jahr 1936 ein illegales Netzwerk aus Sozialdemokraten, das sich an der Zellenstruktur der KPD zu dieser Zeit orientierte: Jede Zelle bestand aus nur fünf oder sechs Personen, die sich gegenseitig namentlich bekannt waren. Nur die Gruppenleiter kannten sich untereinander. Organisiert wurde dieses System von dem Genossen Kleineberg, der Polizeioffizier in Kiel war.
- "Auf Anweisung des Generalsekretärs der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF), Edo Fimmen, schuf Adolph Kummernuss bis Anfang 1934 Gruppen von Hafenarbeitern und Seeleuten in Flensburg, Kiel, Lübeck und Hamburg. Eine ca. 2-300 Personen starke Gruppe um den ehemaligen Polizeilehrer Kleineberg existierte, in Fünfergruppen operierend, einige Jahre recht effektiv. Sie leistete Unterstützung für Familien von Inhaftierten, sie verbreitete selbsterstellte Informationsschriften auch in das Kieler Umland und diskutierte über eine programmatische Erneuerung der Sozialdemokratie 'im Geiste eines jungen, militanten Sozialismus, wie er in den Neuen Blättern für den Sozialismus und durch Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Kurt Schumacher und Julius Leber vertreten wurde'. Die Gruppe blieb bis zu ihrer Auflösung 1936 unentdeckt, trotz gelegentlicher Verhaftungen von Mitgliedern durch die Gestapo."[30]
Am 6. Mai 1938 wurden in einer groß angelegten Razzia 59 Kieler Genossen verhaftet und ihre Wohnungen, Keller- und Bodenräume nach verdächtigen Schreibmaschinen, Vervielfältigungsapparaten und Radiosendeanlagen durchsucht. In Kiel-Holtenau traf es die Genossen Karl Mäder (* 22. Mai 1905) aus dem Schusterkrug 16 und Wilhelm Noack (* 7. Juni 1879) aus der Richthofenstr. 35.[31] Von anderen weiß man:
- "In der Gruppe von Kurt Salau befand sich unter anderem der spätere ÖTV-Sekretär Emil Bendfeldt; er selbst war Verbindungsmann zu einer Gruppe, der der spätere Landtagsabgeordnete Eugen Lechner vorstand. [...] Im Prozeß gegen Kurt Salau wurde er unter anderem auf seine Bekanntschaft zu Eugen Lechner angesprochen. Er konnte diese gefahrlos zugeben und machte die Angabe, daß Lechner als Handelsreisender für Rasierschaum an seiner Haustür gewesen sei - was stimmte. Einige Sozialdemokraten ergriffen (oft nach Entlassung als Betriebsräte) den Vertreterberuf, um illegal weiterzuwirken. Oft waren sie für Volksfürsorge oder Karlsruher Versicherung (im Vorstand 'Genosse Generaldirektor' Alex Möller) tätig."[32]
Mit dem Weggang Kleinebergs aus Kiel brach dieses Netzwerk zusammen.
Revolutionäre Arbeiterjugend (RAJ), Lübeck
In Lübeck organisierten sich sozialdemokratische Jugendliche unter der Führung des Seemanns Edmund Fülscher - eines jungen KPD-Mannes, der Verbindung auch zum Reichsbanner hielt:
- "Ende 1934 gründete er zusammen mit sechs Kameraden, die er aus dem Kommunistischen Jugendverband kannte, die Revolutionäre Arbeiterjugend (RAJ), deren Leiter er wurde. Diese Organisation sammelte in den nächsten Monaten etwa 40 bis 50 Jugendliche, die vor 1933 hauptsächlich in der Sozialistischen Arbeiterjugend, der Jugendorganisation der SPD, organisiert waren. Aber auch Mitglieder der kommunistischen Jugendorganisation oder kirchlicher Jugendgruppen beteiligten sich. Die Jugendlichen waren zwischen 16 und 25 Jahre alt, zwei Drittel waren Lehrlinge und Jungarbeiter, ein Drittel Schüler."[33]
Die Gruppe unterstützte die Familien von Verhafteten und verteilte zum Teil hunderte Exemplare illegaler Zeitschriften, die von Seeleuten nach Lübeck geschmuggelt wurden.
- "Im Frühjahr 1935 klebten die Nazis in Lübeck und Umgebung Plakate mit einem Judenkopf in Stürmer-Manier und der Unterschrift 'Lübeck will Euch nicht!' In der RAJ gab es zwei talentierte Zeichner, die in derselben Größe zwölf Plakate anfertigten mit dem Hitlerkopf in gleicher Manier und der Unterschrift 'Lübeck will Dich nicht!' Diese Plakate wurden in der Innenstadt und beim Hafen an zentralen Stellen geklebt. Eine zweite große Aktion der RAJ fand in der Nacht zum 1. August 1935, dem Antikriegstag, statt. Auf das Dach eines 100 Meter langen Hafenschuppens beim Holstentor malten sie in großen Buchstaben die Parole: 'Brüder in eins nun die Hände, bildet die antifaschistische Einheitsfront gegen Faschismus und Krieg'. Diese Parole war von der Innenstadt her sehr gut sichtbar. Selbst als die Nazis das Dach schwarz überstrichen, konnten Eingeweihte sie noch lesen, da die Jugendlichen die Farbe sehr dick aufgetragen hatten."[34]
1935 wurde große Teile der Gruppe von der Gestapo verhaftet und bei den Verhören misshandelt. 12 RAJ-Mitglieder kamen vor Gericht. Sie wurden zu einem bis vier Jahren Gefängnis verurteilt und anschließend im KZ Buchenwald weiter gefangen gehalten.
Aktion Gewitter
→ Hauptartikel: Aktion Gewitter Nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 gab es eine Verhaftungswelle unter dem Namen "Aktion Gewitter". Allerdings war sie keine "Vergeltung" für das Attentat, das lediglich den Auslöser für dieses längst geplante Vorgehen bildete.[35] Es wurden ca. 6000 Personen im ganzen Reich inhaftiert. Damit sollten verdeckte Gegnerinnen und Gegner des Regimes beseitigt werden. Betroffen waren auch zahlreiche SozialdemokratInnen aus Schleswig-Holstein.
Stubenzirkel
→ Hauptartikel: Stubenzirkel Anfang 1945 zeichnete sich das Ende der Nazi-Herrschaft ab und vor allem in Kiel und Lübeck begannen sich SozialdemokratInnen vorsichtig wieder zu treffen - in sogenannten Stubenzirkeln. Dort besprachen sie den Wiederaufbau von Partei, Stadt und Land.
Literatur
- Bringmann, Fritz / Diercks, Herbert: Die Freiheit lebt! Antifaschistischer Widerstand und Naziterror in Elmshorn und Umgebung 1933-1945 (Frankfurt/Main 1983) ISBN 3876820405
- Colmorgen, Eckhard / Liesching, Bernhard: Ein Denkmal der Novemberrevolution 1918 in Kiel, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 241-258
- Fischer, Rolf: Die dunklen Jahre. Kiels Sozialdemokratie im Nationalsozialismus (Geschichte der Kieler Sozialdemokratie Band 4: 1930 - 1945, Kiel 2017) ISBN 978-3-86935-329-6
- Lienau, Heinrich: "Zwölf Jahre Nacht". Mein Weg durch das "tausendjährige Reich" (Flensburg 1949)
- Martens, Holger: Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Schleswig-Holstein von 1945 bis 1959, 2 Bände (Malente 1998)
- Muth, Wolfgang: Ein Lübecker im Widerstand. Trauerrede für Edmund Fülscher, 21. Februar 2007, in: Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte, Heft 49 (2007), S.
- Nissen, Hans Christian: 1933-1945 – Widerstand, Verfolgung, Emigration, Anpassung, in: Demokratische Geschichte, 3(1988), S. 473-494
- Omland, Frank: "Du wählst mi nich Hitler!" Reichstagswahlen und Volksabstimmungen in Schleswig-Holstein 1933-1938 (Hamburg 2006) ISBN 3833448946
- Paul, Gerhard: Widerstand an der Grenze. Das „Café Waldheim“ und das Ehepaar Lützen, in: Zwischen Konsens und Kritik. Facetten kulturellen Lebens in Flensburg 1933-1945 (Flensburger Beiträge zur Zeitgeschichte, Bd. 4, Flensburg 1999), S. 331-354.
- Peters, Horst: Zuchthausstrafen für Volksschädlinge. Eine Gruppe Kieler Sozialdemokraten im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in: Wir sind das Bauvolk (Kiel 1985), S. 11-29
- Petersen, Hans Uwe (Hrsg.): Hitlerflüchtlinge im Norden. Asyl und politisches Exil (Kiel 1991)
- Pusch, Thomas: Politisches Exil als Migrationsgeschichte. Schleswig-Holsteiner EmigrantInnen und das skandinavische Exil 1933-1960 (Dissertation, 2003)
- Schunck, Karl-Werner: Anneliese Raabke und Martin Krebs – Zwei Emigrantenschicksale. Zur sozialdemokratischen Emigration nach Skandinavien, in: Demokratische Geschichte 1(1986), S. 237-290
- Schunck, Karl-Werner: Exil in Skandinavien: Martin Krebs, in: Demokratische Geschichte 2(1987), S. 329-348
- Schunck, Karl-Werner: Hans E. Hansen – Hans Flensfelt: Widerständler, Emigrant, Unternehmensgründer, in: Grenzfriedenshefte Heft 4/2009
- Stokes, Lawrence D.: Sozialdemokratie kontra Nationalsozialismus in Eutin 1925 bis 1933, in: Demokratische Geschichte 2(1987), S. 173-210
- Völcker, Gertrud: Erinnerungen. 50 Jahre Öffentlichkeitsarbeit. Teil I: Bis 1945 (Unveröff. Typoskript, Kiel 1974) [Stadtarchiv Kiel]
Einzelnachweise
- ↑ Lübecker Volksbote, Ausgabe vom 2.2.1933
- ↑ Peter Hartmann: Eine Karte zur Arbeiterbewegung 1933 bei Kiel, Demokratische Geschichte 3(1988), S. 511-514
- ↑ Hans Christian Nissen: 1933–1945: Widerstand, Verfolgung, Emigration, Anpassung In: Demokratische Geschichte, Band 3(1988), S. 493
- ↑ Hans Christian Nissen: 1933–1945: Widerstand, Verfolgung, Emigration, Anpassung In: Demokratische Geschichte, Band 3(1988), S. 493
- ↑ Ludwig, Tina: Im Zentrum des Widerstands, Flensburger Tageblatt, 23.7.2015
- ↑ Ludwig, Tina: Im Zentrum des Widerstands, Flensburger Tageblatt, 23.7.2015
- ↑ Jacobsen, Jens Christian: Widerstand im Flensburger Norden. Didaktische Anmerkungen zu einer historischen Stadtwanderung. In: Demokratische Geschichte 28(2018), S. 399-422
- ↑ Lienau, S. 14
- ↑ Schunck, Karl-Werner: Hans E. Hansen – Hans Flensfelt: Widerständler, Emigrant, Unternehmensgründer, Grenzfriedenshefte, Heft 4/2009, S. ??
- ↑ Schunck, Karl-Werner: Hans E. Hansen – Hans Flensfelt: Widerständler, Emigrant, Unternehmensgründer, Grenzfriedenshefte, Heft 4/2009, S. ??
- ↑ Krohn, Claus-Dieter (Hrsg.): Walter Damm. Arbeiter, Landrat und Flüchtlingsminister in Schleswig-Holstein (Bonn 1978), S. ??
- ↑ Krohn, Claus-Dieter (Hrsg.): Walter Damm. Arbeiter, Landrat und Flüchtlingsminister in Schleswig-Holstein (Bonn 1978), S. ??
- ↑ Sönke Petersen: Der Poggendörper, Mai 2009
- ↑ Nicole Schultheiß: Geht nicht gibt's nicht (Kiel 2007), S. 33
- ↑ Hans Christian Nissen: 1933–1945: Widerstand, Verfolgung, Emigration, Anpassung, Demokratische Geschichte, Band 3(1988), S. 493
- ↑ Vgl. Maik Schuhknecht: Zur Geschichte des SPD-Ortsvereins Kiel-Holtenau. Teil 1: Vom Anfang bis zum Ende? (Kiel 2008)
- ↑ Richard Hansen 80 Jahre alt, Kieler Nachrichten, 2.8.1967
- ↑ Danker, Uwe / Lehmann-Himmel, Sebastian: Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive nach 1945 - Drucksache 18/1144 (neu), S. 334
- ↑ Jan Diedrichsen: Exil in Skandinavien (1933-1945), (Facharbeit, Kiel 2000)
- ↑ Martens, Geschichte der SPD, S. 245, S. 248, S. 645 Anm. 553
- ↑ Susanne Kalweit (Hrsg.): "Ich hab mich niemals arm gefühlt!" Die Kielerin Rosa Wallbaum berichtet aus ihrem Leben (Berlin / Hamburg 2010), S. 153. Dies hat ihr vermutlich Franz Osterroth selbst erzählt, mit dem sie vor 1963 im Landesverband zusammenarbeitete.
- ↑ Ludwig Weisbecker: Ärztebesucher im Dritten Reich, in: Jürgen Jensen/Karl Rickers: Andreas Gayk und seine Zeit. Erinnerungen an den Kieler Oberbürgermeister (Neumünster 1974), S. 75 f.
- ↑ Adresse damals Holtenauer Straße 2, heute Dreiecksplatz 8 - vgl. Pizzeria San Remo
- ↑ Peters, S. 14 f.
- ↑ Peters, S. 15
- ↑ Colmorgen / Liesching: Denkmal, S. 244
- ↑ Maik Schuhknecht: Zur Geschichte des SPD-Ortsvereins Kiel-Holtenau. Teil 1: Vom Anfang bis zum Ende? (Kiel 2008), S. ?
- ↑ Detlef Korte: "Aktion Gewitter" in Schleswig-Holstein. Eine Präventivmaßnahme der Gestapo: Verhaftung von Sozialdemokraten und Kommunisten im August 1944 || PDF
- ↑ Pierre Boom / Gerhard Haase-Hindenberg: Der fremde Vater. Der Sohn des Kanzlerspions Guillaume erinnert sich (Berlin 2005), S. 102
- ↑ Hans Christian Nissen: 1933–1945: Widerstand, Verfolgung, Emigration, Anpassung In: Demokratische Geschichte, Band 3(1988), S. 493
- ↑ Maik Schuhknecht: Zur Geschichte des SPD-Ortsvereins Kiel-Holtenau. Teil 1: Vom Anfang bis zum Ende? (Kiel 2008), S. ?
- ↑ Peters, S. 15 f.
- ↑ Muth, Wolfgang: Ein Lübecker im Widerstand gegen Hitler: Zur Biographie von Edmund Fülscher (1915-2007), in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 87 (2007), S. 229-40
- ↑ Muth, Wolfgang: Ein Lübecker im Widerstand gegen Hitler: Zur Biographie von Edmund Fülscher (1915-2007), in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 87 (2007), S. 229-40
- ↑ Vgl. Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler (München 1978), S. 188