Ortsverein Eutin
Bis 1970 gehörte der 1945 neu gegründete Ortsverein zum Kreisverein Eutin. Im Zuge der Kreisgebietsreform ging der Kreis Eutin im Kreis Ostholstein auf. Auch die SPD-Gliederungen wurden danach zum Kreisverband Ostholstein zusammengelegt.
Geschichte
Eine Ortsgruppe des ADAV gründete sich in Eutin am 7. November 1869 "im Saal der Eutiner Herberge des Gastwirtes Struck, Am Markt 14". Am 3. November war im Anzeiger für das Fürstentum Lübeck eine Ankündigung für eine Arbeiterversammlung erschienen. Einen Monat später wurden die Mitglieder aufgefordert, die Mitglieds-„Karten und Statuten“ in Empfang zu nehmen.[1]Eutin gehörte damals nicht zu Schleswig-Holstein, sondern zum Fürstentum Lübeck, das wiederum Teil des Großherzogtums Oldenburg war. Der Großherzog von Oldenburg hatte schon 1855 die Gründung von Arbeitervereinen verboten. Auch wenn sich dann in den 1860er Jahren der ADAV gründen durfte - es herrschte in der Region eine Tradition der Unterdrückung der Arbeiterbewegung.
1878 trat im ganzen Deutschen Reich das Sozialistengesetz in Kraft, mit dem Otto von Bismarck die Sozialdemokratie in Deutschland zerschlagen wollte. Es galt bis 1890. Danach versuchte die Obrigkeit, sich bei der Verfolgung der Sozialdemokratie wieder auf das alte Oldenburger Verbot zu berufen, und machte ihr auch weiterhin das Leben schwer.
Es darf vermutet werden, dass die erste ADAV-Gründung das Sozialistengesetz nicht überlebt hatte. Zumindest wusste die SPD in Eutin davon schon 1932 nichts mehr. Damals feierte der Sozialdemokratische Verein Eutin sein 40-jähriges Bestehen. Dieses Datum bezog sich auf die Gründung des Eutiner Arbeiterbildungsvereins am 15. Oktober 1892, dem am Gründungstag 29 Personen beitraten.[2] Franz Osterroth nennt das Jahr 1894 als Gründungsjahr.[3] Auch dies weist darauf hin, dass sich der vor dem Sozialistengesetz existierende Verein aufgelöst hatte, ohne große öffentliche Spuren zu hinterlassen.
"Nach dem grausamen Krieg, nach Revolution und Kapp-Putsch, der auch in Eutin ein Todesopfer gefordert hat, stabilisieren sich die Verhältnisse langsam. Das Parteileben ist in dieser Zeit sehr rege. Etwa alle drei Wochen findet eine Mitgliederversammlung statt, auf der die politische Situation und die wirtschaftliche Lage diskutiert werden. Oft sind auswärtige Referenten anwesend. Bei diesen Treffen spielt die allgemeine Lage der Partei ebenso eine Rolle wie das Selbstverständnis der Sozialdemokratie. Dazu die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung:
'Jeder Sozialdemokrat muss einer Gewerkschaft angehören, dem Konsumverein (um die Sozialisierung zu fördern), seine Versicherung bei Volksfürsorge abschließen, sein Bankkonto bei der Sparkasse des Konsumvereins führen, das Parteiblatt lesen, sich einem Arbeiterturnverein anschließen, …'
Gewerkschaft, Arbeitergesangverein, Konsum, Freie Turnerschaft, Parteizeitung, Baugenossenschaft u. a. m., das sind die Elemente der Arbeiterbewegung, die gemeinsam eine enorme Integrationskraft entfalten. Neben der Partei sind es vor allen der Arbeiter-Radfahrer-Verein 'Pfeil' und der Arbeiter-Turnverein 'Eichenkranz', die regelmäßig in der Öffentlichkeit präsent sind."[1]
Auf dem Bezirksparteitag 1929 in Eutin berichtet der Eutiner Genosse Hensel, dass zu Zeiten des letzten Parteitags in Eutin (1911) der Ortsverein 80 Mitglieder gehabt habe. Inzwischen seien es 360 Mitglieder - die Frauengruppe habe 95 Mitglieder. Gewerkschaftsmitglieder gebe es in Eutin sogar 1200.[4]
Eutin wurde früh eine Nazi-Hochburg, was den Genossinnen und Genossen das Leben schwer machte. So wurde der Maurer und Stadtverordnete Carl Ullrich mehrfach von SA-Leuten krankenhausreif geprügelt. In der Aktion Gewitter gehörte er 1944 zu den Verhafteten und starb im KZ Neuengamme, vermutlich durch Mord.
Der Reichstagsabgeordnete Julius Leber sollte am 27. November 1930 auf Einladung des Reichsbanners vor 1500 Personen im Schlosshotel zum Thema "Hitlers großer Betrug"[5] sprechen. Eutin war schon früh eine Hochburg der Nazis. Sie zogen Schutzstaffeln (SS) aus der ganzen Region bis nach Lübeck zusammen. Aus dem Publikum provozieren 250 Nazis eine wüste Schlägerei. Sie setzten dabei auch Gummiknüppel, Stahlstangen, Schusswaffen, Messer und Stuhlbeine ein. 25 Personen wurden schwer verletzt, 5 davon so schwer, dass sie in Krankenhaus mussten. Auch durch das Durchgreifen des Reichsbanners aus Lübeck, konnte die Ruhe wieder hergestellt werden. Weil die Polizei überfordert war, wurde die Reichswehr gerufen, die aber unverrichteter Dinge wieder abzog. Die Versammlung wurde geschlossen.[6][7]Der Lübecker Volksbote kommentierte:Bereits am nächsten Tag überfallen die Nazis Berger, Johann Heinrich Friedrich Wiese und Tenhaft den oldenburgischen Landtagsabgeordneten Karl Broschko morgens um 9 Uhr mitten auf dem Marktplatz und schlagen ihn brutal zusammen. Danach wird auf Anforderung des Reichsbanners die Polizeipräsenz in der Stadt erhöht.[8]"Diese Vorfälle sind unerhört bedauerlich. Aber die Schuld einzig und allein bei der nationalsozialistischen Leitung. Was würde wohl geschehen, wenn in eine große öffentliche Naziversammlung plötzlich zweihundert Reichsbannerleute geschlossen einmarschieren, um sich rechts und links von der Versammlung zu positionieren. Offenbar glaubten die Eutiner Obernazis, sich gerade in ihrer sogenannten Hochburg jede Provokation leisten zu können. Sie haben die Verantwortung eines solchen Experiments auf sich genommen, sie müßten diese Verantwortung jetzt auch tragen. Seit 50 Jahren führt die Arbeiterklasse einen erbitterten Kampf um ihr Recht. Wann aber sind ihre solche Methoden eingefallen? das blieb der geistigen Elite Hitlers vorbehalten: Seitdem Sturmkolonnen unter der Führung von ehemaligen Offizieren und Korpstudenten über die deutschen Straßen ziehen, bekämpft der Deutsche den Deutschen mit brutaler Gewalt, mit Dolch und Revolver. Soll das so bleiben in Deutschland? Die Sozialdemokratie bekämpft diese Methoden solange sie existiert. Aber was bleint in der Notwehr schließlich anders übrig, als mit gleichen Mitteln der blutigen Terror der Hakenkreuzrohlinge abzuwehren? Will das Bürgertum wirklich den Bürgerkrieg unter der Fahne Hitlers, oder will es, daß Vernunft und Ordnung unseren jetzigen Staat regieren? Der Arbeiter weiß, was er will. Der Bürger hat die Wahl."[8]
Friedrich-Ebert-Gedenkstein
Die Ortsgruppe Eutin des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold bat im Frühjahr 1927 den Eutiner Stadtmagistrat um die Genehmigung zum Aufstellen eines Gedenksteins für den 1925 verstorbenen Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Der Stein wurde mit einer großen, vom Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold organisierten Gedenkfeier am 10. und 11. September eingeweiht. Die Weiherede hielt Friedrich Stampfer MdR, Mitglied des Parteivorstandes und Chefredakteur des Vorwärts. Die Bevölkerung nahm regen Anteil an den Veranstaltungen und schmückte die Häuser mit Fahnen.
Die Nazis entfernten den Stein 1933. Er wurde von einem Eutiner Fuhrunternehmen auf den Hof des Bildhauermeisters Stumpff gefahren. Nach Ende der NS-Herrschaft 1945 war der Findling nicht mehr auffindbar.
1946 beschloss die Eutiner Stadtvertretung, einen neuen Gedenkstein für Friedrich Ebert aufzustellen. Der Bildhauermeister Stumpff stellte einen annähernd gleichen Stein zur Verfügung und sorgte auch für die Inschrift. Am 28. Februar 1949, dem 24. Todestag von Friedrich Ebert, wurde der neue Gedenkstein in der Albert-Mahlstedt-Straße aufgestellt, jedoch noch ohne Plakette. 1952 erinnerte die Eutiner SPD-Fraktion daran, dass die Plakette immer noch fehlte. Erst 1954 konnte der Gedenkstein mit der Plakette mit einem Porträt des ehemaligen Reichspräsidenten vervollständigt werden.[9]
In Schleswig-Holstein stehen in Itzehoe, Nortorf, Bad Bramstedt und Wedel ebenfalls Friedrich-Ebert-Gedenksteine.
Nach der NS-Herrschaft
"Die erste Stadtvertretung von 1945 wird von der britischen Militärregierung ernannt. Aus 81 Vorschlägen werden 28 Personen ausgewählt. In der ersten Sitzung am 5. Dezember 1945 wird Hinrich Steenbock zum Bürgermeister und Reinhold Ihlenfeldt zum Stadtdirektor gewählt. 12 Vertreter der SPD stehen 14 Bürgerlichen, einem parteilosen und einem KPD-Mitglied gegenüber. Die SPD wird in dieser ersten Eutiner Stadtvertretung durch die Herren: Dr. Leopold Enzian, Hermann Petersen, Otto Friedrichs, Hugo Roggenkamp, Paul Weidemann, Walter Knickrehm, Hans Grage, Bernhard Runge, Heinrich Lubb, Otto Priess, Albert Diegmann und Reinhard Prehn vertreten. Studienrat Enzian wird stellvertretender Bürgermeister, gleichzeitig werden sieben Ausschüsse besetzt. Vor dem Eintritt in die Tagesordnung widmen die neuen Stadtvertreter dem im KZ ermordeten Stadtvertreter Carl Ullrich eine Gedenkminute. Diese Stadtvertretung tritt insgesamt 1945/46 zu acht Sitzungen zusammen."[1]
Bundesrepublik
"Am 8. und 22. Januar 1966 findet in Eutin ein außerordentlicher Landesparteitag unter der Leitung des Landesvorsitzenden Jochen Steffen statt. Die bis heute unter der Bezeichnung Eutin I und Eutin II bekannten Entschließungen zur Deutschland- und zur Gesellschaftspolitik erregen in der gesamten Bundesrepublik Aufsehen. Die in der 'Eutiner Erklärung' aufgestellte Forderung nach direkten Verhandlungen mit der DDR findet viel später in der Politik von Willy Brandt und Egon Bahr ihren Niederschlag. Auch in der Presse außerhalb der Landesgrenze stoßen die Ergebnisse dieses Parteitages auf Resonanz."[1]
Auch in der Kommunalpolitik gab es spannende Momente.
"Zur bevorstehenden Kommunalwahl haben sich die sehr aktiven Jusos schon frühzeitig positioniert.
Der stellvertretende Landesvorsitzende Günther Jansen [...] sorgt dafür, dass in der Juso-Zeitung Junger Politiker die im Wahlbezirk Fissau-Sielbeck gegeneinander antretenden Kandidaten Intendant und Oberstleutnant a.D. Kurt Brinck (CDU) und der 30-jährige Polizeibeamte Egon Thormann (SPD) skizziert werden. Allerdings wird mit dem Artikel Toleranz und Humor [von Herrn Brink] deutlich überstrapaziert. Nach einer einstweiligen Verfügung und einer Strafanzeige wegen Ehrverletzung auf Antrag des CDU-Manns dürfen die Jusos nicht mehr erklären: 'Brinck von der Polizei verfolgt'.[1]
Am 7. November 2009 feierte der Ortsverein sein 140jähriges Bestehen mit der Veröffentlichung 140 Jahre - 1869-2009 - SPD Eutin (Eutin 2009).
Am 27. Februar 2022 konnte Christoph Gehl sich in der Bürgermeisterwahl noch nicht gegen den parteilosen Amtsinhaber durchsetzen, sicherte sich aber mit 44,2 % einen unerwartet hohen Stimmenanteil. Der dritte Bewerber erreichte knapp 10 % und rief dazu auf, im zweiten Wahlgang den Sozialdemokraten zu wählen.[10] Am 20. März 2022 gewann Christoph Gehl die Stichwahl mit 54,4 % der Stimmen.[11] Er sollte sein Amt im August antreten.
Am 13. April 2022 machte der Kreisvorstand Ostholstein Unregelmäßigkeiten in der Kassenführung des Kreisverbandes öffentlich. Schatzmeister Christoph Gehl habe demnach fast 44.000 Euro veruntreut. Dies habe sich einige Tage zuvor bei der Prüfung von Kontoauszügen herausgestellt.[12] Nach erheblichem Druck von Orts-, Kreis- und Landesebene der SPD erklärte Christoph Gehl am 21. April 2022 seinen Verzicht auf das Eutiner Bürgermeisteramt.[13] Bereits vorher hatte er alle Parteiämter niedergelegt und war aus der SPD ausgetreten - was er, wie er angab, als Bürgermeister ohnehin vorgehabt habe.[12]
Literatur
- Franck, Klaus: Wie ein vaterländischer Geometer ins Gefängnis kam. Ein Sozialistengesetz vor Bismarck in Eutin. In: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 117-121
- Hug, Paul: Mein Dienst in der Parteibewegung des ehemaligen Fürstentums Lübeck. In: Rathkamp/Broscho: Geschichtlicher Überblick über die Vereins- und Organisationsbewegung der Eutiner Arbeiterschaft, (Eutin, o.J. [verm. 1929]), 5.47.
- Nauke, Gerhard: Die Geschichte des Friedrich-Ebert-Steines in Eutin. In: Verband zur Pflege und Förderung der Heimatkunde im Eutinischen e.V. (Hg.): Jahrbuch für Heimatkunde (Eutin 1982), S. ?-?
- SPD Eutin: 140 Jahre - 1869-2009 - SPD Eutin (Eutin 2009)
- Stokes, Lawrence D.: Sozialdemokratie contra Nationalsozialismus in Eutin 1925 bis 1933. In: Demokratische Geschichte 2(1987), S. 173-210
- Stokes, Lawrence D.: Die Anfänge des Eutiner Reichsbanners (1924-1929/30). In: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 335-343
Links
- Weitere Vorstände
- Homepage: https://www.spd-eutin.de/
Ortsverein Eutin |
Gegründet: 1869 als Sozialdemokratischer Verein Eutin |
Vorsitzende/r: Uwe Tewes |
Homepage: https://www.spd-eutin.de/ |
Überblick
Personen
Vorsitzende
Uwe Tewes (2022-heute) | Christoph Gehl (ca. 2020-2022) | Uwe Tewes (2005-2012?) | Benno Orlick (2003-2005) | Hans Rech (1999-2003) | Almut Pohlmann (1994-1999) | Birgit Hannemann-Röttgers (1993-1994) | Gisela Poersch (1983-1993) | Hans Rech (1983) | Helmut Mohrmann (1978-1983) | Uwe Schramm (1973-1978) | Friedrich Rehm (1971-1973) | Dietrich Karl Nooke (1968-1971) | Heinrich Lubb (1963-1968) | Heinz König (1962-1963) | Paul Ketzner (1959-1962) | Helmut Grünewald (1948-1959) | Karl Knickrehm (1946-1948) | Paul Hensel (1925-1933) |
Bekannte Persönlichkeiten
Alwin Saenger | Wilhelm Dittmann | Heinrich Hüttmann | Günther Jansen
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Jepp, Regine und Karlheinz: Eutiner SPD - historisch, abgerufen 24.3.2022; dort auch alle Zitate
- ↑ Franck, Klaus: Wie ein vaterländischer Geometer ins Gefängnis kam. Ein Sozialistengesetz vor Bismarck in Eutin. In: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 118
- ↑ Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 27
- ↑ Lübecker Volksbote vom 7. Oktober 1929
- ↑ Sozialdemokrat vom 29.11.1930, Nummer: 280, Jahrgang: 10
- ↑ Der Abend - Spätausgabe des "Vorwärts" vom 28.11.1930, Nummer: 558, Jahrgang: 47
- ↑ Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 99
- ↑ 8,0 8,1 Lübecker Volksbote vom 28.11.1930
- ↑ Nauke, Gerhard: Die Geschichte des Friedrich-Ebert-Steines in Eutin. In: Verband zur Pflege und Förderung der Heimatkunde im Eutinischen e.V. (Hg.): Jahrbuch für Heimatkunde (Eutin 1982), S. 141
- ↑ Emde, Constanze: Behnk gewinnt knapp vor Gehl: Doch das reicht nicht, um Bürgermeister zu bleiben, Ostholsteiner Anzeiger, 27.2.2022
- ↑ NDR.de: Neue Bürgermeister für Eutin, Mölln und Wedel stehen fest. 20.03.2022
- ↑ 12,0 12,1 Krauskopf, Achim: SPD fordert neuen Eutiner Bürgermeister Christoph Gehl zum Amtsverzicht auf, shz.de, 13.4.2022
- ↑ Benthien, Ulrike: Griff in die Parteikasse: Gehl gibt auf, Kieler Nachrichten, 22.4.2022
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