Aktion Gewitter: Unterschied zwischen den Versionen
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Der Gestapo-Befehl vom [[17. August]] [[1944]] unter dem Decknamen "Aktion Gewitter" stellte keine Reaktion auf das Attentat dar, sondern diente lediglich als Vorwand und Auslöser für die längst geplanten Verhaftungen.<ref>Vgl. Sebastian | Der Gestapo-Befehl vom [[17. August]] [[1944]] unter dem Decknamen "Aktion Gewitter" stellte keine Reaktion auf das Attentat dar, sondern diente lediglich als Vorwand und Auslöser für die längst geplanten Verhaftungen.<ref>Vgl. Haffner, Sebastian: ''Anmerkungen zu Hitler'' (München 1978), S. 188</ref> Ohne Bezug auf das Attentat wurde als "Präventivmaßnahme" befohlen, alle früheren Funktionäre der SPD und KPD, vor allem ehemalige Abgeordnete gleich welcher Ebene, seien festzunehmen, "gleichgültig ..., ob diesen im Augenblick etwas nachzuweisen ist oder nicht"; ausgenommen waren nur Menschen über 70 Jahre, Kranke oder solche, die offensichtlich zu den Nazis übergegangen waren.<ref>Vgl. Korte, ''Präventivmaßnahme'', S. 521; dort auch das Zitat.</ref> | ||
Insgesamt wurden im ganzen Reich 5000 bis 6000 Menschen inhaftiert. Damit sollten die letzten Gegnerinnen und Gegner des Regimes beseitigt werden. Betroffen waren neben Sozialdemokraten und Kommunisten auch Geistliche. | Insgesamt wurden im ganzen Reich 5000 bis 6000 Menschen inhaftiert. Damit sollten die letzten Gegnerinnen und Gegner des Regimes beseitigt werden. Betroffen waren neben Sozialdemokraten und Kommunisten auch Geistliche. |
Version vom 23. Februar 2022, 03:20 Uhr
Die Aktion Gewitter, fälschlich auch als "Aktion Gitter" bezeichnet, nannten die Nazis eine reichsweite Verhaftungswelle vom 22. bis 24. August 1944 im Gefolge des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli.
Verlauf
Der Gestapo-Befehl vom 17. August 1944 unter dem Decknamen "Aktion Gewitter" stellte keine Reaktion auf das Attentat dar, sondern diente lediglich als Vorwand und Auslöser für die längst geplanten Verhaftungen.[1] Ohne Bezug auf das Attentat wurde als "Präventivmaßnahme" befohlen, alle früheren Funktionäre der SPD und KPD, vor allem ehemalige Abgeordnete gleich welcher Ebene, seien festzunehmen, "gleichgültig ..., ob diesen im Augenblick etwas nachzuweisen ist oder nicht"; ausgenommen waren nur Menschen über 70 Jahre, Kranke oder solche, die offensichtlich zu den Nazis übergegangen waren.[2]
Insgesamt wurden im ganzen Reich 5000 bis 6000 Menschen inhaftiert. Damit sollten die letzten Gegnerinnen und Gegner des Regimes beseitigt werden. Betroffen waren neben Sozialdemokraten und Kommunisten auch Geistliche.
Die meisten der in Schleswig-Holstein Verhafteten - ca. 15 Frauen und ca. 150 Männer - fanden sich am 22./23. August zunächst im Kieler Polizeigefängnis wieder, das damit hoffnungslos überfüllt war; daher wurde auch die Polizeibaracke am Drachensee belegt.[3]
Die Frauen entließ man innerhalb der nächsten zwei Monate nach und nach wieder. Die Männer wurden nach Hamburg ins KZ Neuengamme "überstellt". 42 von ihnen kamen im September nach Überprüfung ihrer politischen Zuverlässigkeit und einer schriftlichen Verpflichtung, "nie wieder gegen den nationalsozialistischen Staat und seine Einrichtungen" zu arbeiten, ebenfalls wieder frei.
Einige, wie Heinrich Boschen und Otto Linke, überlebten ihre Entlassung allerdings nur um wenige Tage.[4]
Von den übrigen kehrten nur wenige zurück; etwa 80 von ihnen waren schon Ende Oktober des Jahres nicht mehr am Leben.
Nach Auflösung des KZ kurz vor Ende des Krieges wurden die verbleibenden Gefangenen auf Todesmärsche Richtung Lübeck geschickt. Um die Spuren der Naziverbrechen in Neuengamme zu verwischen, brachte man die Überlebenden auf Schiffe in der Lübecker Bucht, die möglicherweise versenkt werden sollten.[5]
Zwei der Schiffe, die CAP ARCONA und die THIELBEK, wurden am 3. Mai 1945 von alliierten Fliegern möglicherweise für Truppentransporter gehalten und versenkt. Ein großer Teil der Menschen an Bord kam ums Leben, darunter einige Schleswig-Holsteiner (Namen); von ca. 7.000 Häftlingen überlebten nur etwa 600. Die anderen kamen im Feuer um, ertranken oder erfroren in der kalten Ostsee, oder sie wurden von Bewachern aus SS und Marine erschossen, die von Booten und vom Ufer aus Rettungsversuche verhinderten.
Die Schwierigkeiten bei der Recherche nach den Opfern beschreibt Rudi Goguel:
"Etwa 450 [Verhaftete] kamen nach Neuengamme, aber nach der Befreiung konnten nur noch die Namen von 107 und deren Schicksal festgestellt werden. Von diesen kamen auf den Schiffen allein dreizehn namentlich bekannte [...] Häftlinge um [...]. Von ihnen gehörten acht der SPD und einer der KPD an. Die meisten stammten aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen [...]. Diese Gefangenen, denen die Naziorgane keinerlei staatsfeindliche Tätigkeit nachweisen konnten, mußten unter den gleichen fürchterlichen Bedingungen im Lager vegetieren wie die übrigen Lagerinsassen. Nur einige wenige wurden vor der Zeit entlassen, den meisten war die Vernichtung zugedacht wie allen übrigen Häftlingen. [Auch] fünf Jahre nach der Katastrophe blieb das Schicksal von fast 350 Menschen ungeklärt."[6]
"Hauptsorge [des Lagerkommandanten] war, in Neuengamme sorgfältig die Spuren seiner und seiner Komplicen Verbrechen zu verwischen. Auf seinen Befehl und unter der Kontrolle von SS-Leuten mußte, nach dem Abgang der Transporte, das im Lager verbliebene Häftlingskommando sämtliche belastenden Akten - Namenslisten, Totenscheine, Gestapoakten, insgesamt etwa vierhundert Kilogramm - im Krematorium verbrennen."[7]
Hermann Lüdemann lebte bei seiner Verhaftung in Berlin. Er gehörte zu den ganz wenigen, die vom Volksgerichtshof aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden; allerdings wurde er anschließend sofort ins KZ Sachsenhausen gebracht, überlebte später den Todesmarsch nach Mecklenburg und wurde 1947 Schleswig-Holsteins erster gewählter Ministerpräsident.[8]
Betroffene
Zu den wegen "politischer Unzuverlässigkeit" Verhafteten oder zur Wehrmacht Eingezogenen, die für die Geschichte der SPD in Schleswig-Holstein eine Rolle spielen, gehörten u.a.:
Verhaftet
- Karl Baade aus Neustadt[9]
- Louis Biester aus Hoisdorf
- Heinrich Boschen aus Pinneberg
- Heinrich de Buhr aus Heide
- Carl Bung aus Geesthacht
- Marie Clasing aus Elmshorn
- Hermann Clausen aus Schleswig
- Bruno Diekmann aus Kiel
- Paul Dölz aus Flensburg/Tönning
- Emma Drewanz aus Kiel
- Auguste Ebeling aus Heide
- Johannes Feddersen aus Bredstedt
- Max Feddersen aus Westerland/Sylt
- Karl Fick auch Stockelsdorf
- Hans Flatterich aus Schleswig
- Berta Friedrichsen aus Neustadt[10]
- Genosse Hansen aus Bredstedt
- Emilie Helm aus Pinneberg
- Karl Herdegen aus Westerland/Sylt
- Hermann Hinrichs aus Quickborn[11]
- Walter Hohnsbehn aus Neumünster[12]
- Anna Ipsen aus Pinneberg
- Hans Jastorff aus Westerland/Sylt
- Carl Jessen aus Westerland/Sylt
- Thord Jibsen aus Heide
- Robert Kersten aus Bad Oldesloe
- Richard Köhn aus Pinneberg
- Peter Krey aus Schleswig
- Heinrich Lempfert aus Pinneberg
- Johann Lerchl aus Geesthacht
- Georg Leu aus Danzig (früher Schwartau)
- Otto Linke aus Kellinghusen[13]
- Peter Lohmann aus Pinneberg
- Hermann Lüdemann aus Berlin und seine Ehefrau Margarete
- Friedrich Martens aus Bad Schwartau[14]
- Ernst Möller aus Schleswig
- Andreas Nielsen aus Westerland/Sylt
- Karl Nolte aus Bad Schwartau[15]
- Wilhelm Ott aus Schleswig
- Karl Panitzki aus Oldenburg
- Karl Peters aus Westerland/Sylt
- Hans Prox aus Wilster
- Otto Ralfs aus Kellinghusen
- Karl Quaas aus Westerland/Sylt
- Max Richter aus Neumünster
- August Roßburg aus Neustadt/Holstein
- Emil Schmekel aus Heide
- Wilhelm Schmitt aus Pinneberg
- Wilhelm Schnoor aus Bredstedt
- Albert Schulz aus Rostock
- Karl Seewe aus Bad Schwartau[16]
- August Streufert aus Raisdorf
- Carl Ullrich aus Eutin
- Willy Verdieck aus Kiel
- Gertrud Völcker aus Kiel
- Richard Vosgerau aus Borby[17]
- Fritz Weber aus Lübeck
- Johannes Weiss aus Schleswig
- Heinrich Wilckens aus Pinneberg
Anderes
- Walter Damm aus Hamburg und Hans Schröder aus Kiel wurden zur Wehrmacht eingezogen.
- Richard Reuter wurde nach Aussage des NS-Bürgermeisters von Lauenburg nur deswegen nicht verhaftet, weil 1941 sein einziger Sohn als Soldat gestorben war.
Literatur & Links
- Goguel, Rudi: Cap Arcona. Report über den Untergang der Häftlingsflotte in der Lübecker Bucht am 3. Mai 1945 (2. Auflage Frankfurt/M. 1982) ISBN 3-87682-756-6
- Korte, Detlef: "Aktion Gewitter" in Schleswig-Holstein. Eine Präventivmaßnahme der Gestapo: Verhaftung von Sozialdemokraten und Kommunisten im August 1944, Demokratische Geschichte 3(1988), S. 521-526
- Lange, Wilhelm: Cap Arcona (Eutin 1988) ISBN 3-923457-08-1
- Liste der sozialdemokratischen Todesopfer 1933-1945
- Widerstand in der NS-Zeit
- Museum Cap Arcona in Neustadt/Holstein
- Wikipedia: Aktion Gewitter mit weiterer Literatur
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. Haffner, Sebastian: Anmerkungen zu Hitler (München 1978), S. 188
- ↑ Vgl. Korte, Präventivmaßnahme, S. 521; dort auch das Zitat.
- ↑ Vgl. Korte, Präventivmaßnahme, S. 522 f.
- ↑ Vgl. Korte, Präventivmaßnahme, S. 525; dort auch das Zitat.
- ↑ Es gibt mehrere Theorien dazu, was die Nazis mit den Schiffen planten. Für eine Übersicht vgl. CAP ARCONA.
- ↑ Goguel: Cap Arcona, S. 87 f.
- ↑ Goguel: Cap Arcona, S. 31
- ↑ Fischer, Rolf: Hermann Lüdemann und die deutsche Demokratie (Neumünster 2006), S. 118 ff.
- ↑ Korte: Präventivmaßnahme, S. 523
- ↑ SPD-Ortsverein Neustadt: 1903-3002 100 Jahre SPD Neustadt in Holstein (2003)
- ↑ Spurensuche Kreis Pinneberg und Umgebung: Hermann Hinrichs – Verhaftung nach dem Attentat auf Hitler
- ↑ Döring, Uwe: Ehrung für Walter Hohnsbehn, Roter Schwan 3/95, S. 12
- ↑ Korte: Präventivmaßnahme, S. 525
- ↑ Bannow-Lindtke, Manfred: Spurensuche – Weltwirtschaftskrise und Nationalsozialismus in Bad Schwartau-Rensefeld (1929-1945) (Bad Schwartau 1993)
- ↑ Nolte, Hans, Jg. 1928: „Mir war das alles verhasst!“. In: Geschichtswerkstatt Herrenwyk: „Das war eine wunderschöne Zeit“ – Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus (Lübeck 2002)
- ↑ Bannow-Lindtke, Manfred: Spurensuche – Weltwirtschaftskrise und Nationalsozialismus in Bad Schwartau-Rensefeld (1929-1945) (Bad Schwartau 1993)
- ↑ Richard Vosgerau - ein Leben für die Sozialdemokratie, Eckernförder Zeitung, 3.5.2010