Bezirksverband Schleswig-Holstein: Unterschied zwischen den Versionen
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[[1904]] begann [[Eduard Adler]] aus Kiel die Diskussion über die Reorganisation des bisherigen "Agitationsbezirks". [[1905]] wurden mit einer Organisationsreform zeitgemäße Strukturen eingeführt, die Parteiorganisation in Bezirke eingeteilt. [[1905]]/[[1906|06]] trennte sich Schleswig-Holstein von Hamburg und gründete einen eigenen Bezirksverband: Die lokale Ebene bildeten die [[Ortsverein]]e. Als zweite Ebene gab es die Wahlkreisvereine in den zehn schleswig-holsteinischen Reichstagswahlkreisen (damals noch ohne Lübeck). Darüber hinaus wurde der Bezirksverband Schleswig-Holstein gegründet, der [[1906]] [[Friedrich Bartels]] zu seinem Vorsitzenden wählte.<ref>Martens, S. 24</ref> Damit machte sich Schleswig-Holstein von der Hamburger Organisation unabhängig. Ab [[1912]]/[[1913|13]] nannte sich die Agitationskommission [[Landesvorstand|Bezirksvorstand]]. | [[1904]] begann [[Eduard Adler]] aus Kiel die Diskussion über die Reorganisation des bisherigen "Agitationsbezirks". [[1905]] wurden mit einer Organisationsreform zeitgemäße Strukturen eingeführt, die Parteiorganisation in Bezirke eingeteilt. [[1905]]/[[1906|06]] trennte sich Schleswig-Holstein von Hamburg und gründete einen eigenen Bezirksverband: Die lokale Ebene bildeten die [[Ortsverein]]e. Als zweite Ebene gab es die Wahlkreisvereine in den zehn schleswig-holsteinischen Reichstagswahlkreisen (damals noch ohne Lübeck). Darüber hinaus wurde der Bezirksverband Schleswig-Holstein gegründet, der [[1906]] [[Friedrich Bartels]] zu seinem Vorsitzenden wählte.<ref>Martens, S. 24</ref> Damit machte sich Schleswig-Holstein von der Hamburger Organisation unabhängig. Ab [[1912]]/[[1913|13]] nannte sich die Agitationskommission [[Landesvorstand|Bezirksvorstand]]. Am [[1. November]] [[1913]] wurde [[Heinrich Kürbis]] zum [[Landesvorsitzende/r|Bezirksvorsitzenden]] gewählt.<ref>Paetau, Rainer: ''Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925'' (Neumünster 1988), S. 508</ref> | ||
Die Zeit des Wilhelminismus war gesellschaftlich auch durch die Rüstungs- und Flottenpolitik von Kaiser Wilhelm II. geprägt. Die Sozialdemokratie setzte sich dagegen für eine [[Friedenspolitik]] ein.<ref>[[Wilhelm Brecour|Brecour, Wilhelm]]: ''Die [[Kreisverband Kiel|Sozialdemokratische Partei in Kiel]]. Ihre geschichtliche Entwicklung'' (Kiel o. J. [1932]) (Neudruck in ''Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung'', Kiel 1983), Seite I-71</ref> | Die Zeit des Wilhelminismus war gesellschaftlich auch durch die Rüstungs- und Flottenpolitik von Kaiser Wilhelm II. geprägt. Die Sozialdemokratie setzte sich dagegen für eine [[Friedenspolitik]] ein.<ref>[[Wilhelm Brecour|Brecour, Wilhelm]]: ''Die [[Kreisverband Kiel|Sozialdemokratische Partei in Kiel]]. Ihre geschichtliche Entwicklung'' (Kiel o. J. [1932]) (Neudruck in ''Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung'', Kiel 1983), Seite I-71</ref> | ||
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Reichspräsident [[Friedrich Ebert]] sagte in einer Ansprache vor Sozialdemokraten [[1922]] in Kiel: | Reichspräsident [[Friedrich Ebert]] sagte in einer Ansprache vor Sozialdemokraten am [[4. September]] [[1922]] in Kiel: | ||
<blockquote>"Es war nicht nur meine Auffassung, sondern auch die der gesamten Parteileitung, insbesondere unserer Alten, [[August Bebel|Bebel]], [[Paul Singer|Singer]], daß die Parteibewegung in Schleswig-Holstein eine der besten deutschen Bezirke ist, nicht nur ihrem Umfang und ihrer straffen, in sich gefestigten Organisation nach, sondern auch nach der ganzen geistigen Einstellung der Parteibewegung in Schleswig-Holstein. Es ist hier theoretisch und praktisch immer eine sehr intensive Schulung der Parteigenossen erfolgt und damit sehr früh den staatspolitischen Notwendigkeiten bei der hiesigen Parteigenossenschaft der Weg bereitet worden ... So war es möglich, daß in all den Stürmen ... die Parteiorganisation immer in sich geschlossen und gefestigt blieb und daß sie eine Reihe von Leuten hervorgebracht hat, die auch unseren Pflichten und Aufgaben im staatlichen Leben gerecht zu werden verstanden."<ref>Zitiert nach: Osterroth, S. 3</ref></blockquote> | <blockquote>"Es war nicht nur meine Auffassung, sondern auch die der gesamten Parteileitung, insbesondere unserer Alten, [[August Bebel|Bebel]], [[Paul Singer|Singer]], daß die Parteibewegung in Schleswig-Holstein eine der besten deutschen Bezirke ist, nicht nur ihrem Umfang und ihrer straffen, in sich gefestigten Organisation nach, sondern auch nach der ganzen geistigen Einstellung der Parteibewegung in Schleswig-Holstein. Es ist hier theoretisch und praktisch immer eine sehr intensive Schulung der Parteigenossen erfolgt und damit sehr früh den staatspolitischen Notwendigkeiten bei der hiesigen Parteigenossenschaft der Weg bereitet worden ... So war es möglich, daß in all den Stürmen ... die Parteiorganisation immer in sich geschlossen und gefestigt blieb und daß sie eine Reihe von Leuten hervorgebracht hat, die auch unseren Pflichten und Aufgaben im staatlichen Leben gerecht zu werden verstanden."<ref>Zitiert nach: Osterroth, S. 3</ref></blockquote> | ||
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*[[Holger Martens|Martens, Holger]]: ''Die Geschichte der [[Landesverband|Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Schleswig-Holstein]] 1945 - 1959'' (2 Bde., Malente 1998), ISBN 3993862248 (liefert trotz des Titels viele Informationen über die Zeit der Weimarer Republik) | *[[Holger Martens|Martens, Holger]]: ''Die Geschichte der [[Landesverband|Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Schleswig-Holstein]] 1945 - 1959'' (2 Bde., Malente 1998), ISBN 3993862248 (liefert trotz des Titels viele Informationen über die Zeit der Weimarer Republik) | ||
*[[Franz Osterroth|Osterroth, Franz]]: ''100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick'' (Kiel o. J. [1963]) | *[[Franz Osterroth|Osterroth, Franz]]: ''100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick'' (Kiel o. J. [1963]) | ||
*Paetau, Rainer: ''Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925'' (Neumünster 1988) | |||
*Rüdel, Holger: ''[http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay05.pdf Ein schwieriger Start. Zur Frühgeschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein]'', in: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 77-85 | *Rüdel, Holger: ''[http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay05.pdf Ein schwieriger Start. Zur Frühgeschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein]'', in: ''Demokratische Geschichte'' 3(1988), S. 77-85 | ||
*[[Rolf Schulte|Schulte, Rolf]] / [[Jürgen Weber|Weber, Jürgen]]: ''[http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay23.pdf Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) in Schleswig-Holstein]'', in: ''Demokratische Geschichte'', 3(1988), S. 307-317 | *[[Rolf Schulte|Schulte, Rolf]] / [[Jürgen Weber|Weber, Jürgen]]: ''[http://www.beirat-fuer-geschichte.de/fileadmin/pdf/band_03/Demokratische_Geschichte_Band_03_Essay23.pdf Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) in Schleswig-Holstein]'', in: ''Demokratische Geschichte'', 3(1988), S. 307-317 |
Version vom 22. September 2020, 16:08 Uhr
Der Bezirksverband Schleswig-Holstein war die Vorgängerorganisation des Landesverbandes. Er umfasste bis 1933 das Gebiet des Landesverbandes ohne Lübeck, aber mit den Städten Altona und Wandsbek im Randgebiet von Hamburg sowie dem Gebiet, das nach der Volksabstimmung von 1920 dauerhaft dänisch wurde. Auch nach der Neugründung 1945 trug der Verband - jetzt in den heutigen Grenzen Schleswig-Holsteins - zunächst noch die Bezeichnung "Bezirksverband".
Kaiserreich
Bereits nach der gescheiterten Märzrevolution 1848/1849 begannen Handwerker und Arbeiter sich zu organisieren. Stephan Born gründete die Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung. Allerdings hatte die Industrialisierung Deutschland noch nicht wirklich erreicht; es gab also noch keine größere Arbeiterschaft.
Vorgeschichte
Die Sozialdemokratie breitete sich mit der entstehenden Arbeiterbewegung langsam aus und kam aus Hamburg, wo sich bereits 1862 ein Arbeiterkommitee gegründet hatte, nach Schleswig-Holstein. Der Hamburger Parteiorganisator Theodor Yorck und der Redakteur des Nord-Stern, Karl von Bruhn, waren zum Beispiel die führenden Köpfe der Agitation im Kreis Pinneberg.[1]
"Am Gründungskongreß des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) am 23.5. 1863, dem Ausgangspunkt der organisierten Sozialdemokratie in Deutschland, nahmen drei Delegierte aus Hamburg teil. Die Hamburger Gemeinde des ADAV brachte lassalleanische Ideen nach Schleswig-Holstein. Bis 1905 stellten Hamburg und Schleswig-Holstein einen gemeinsamen Agitationsbezirk der Sozialdemokratie dar [...]".[2]
"Zur Ungunst dieser politischen Umstände während des Vordringen der lassalleanischen Bewegung von Hamburg nach Schleswig-Holstein kamen wirtschaftliche Verhältnisse, die keine großen Werbeerfolge versprachen. Das vorwiegend konservativ gesonnene Agrarland, in dem der Adel noch eine führende Rolle innehatte, war kein idealer Entwicklungsboden für eine moderne sozialistische Bewegung. Es fehlte an einer lebhaft voranschreitenden Industrialisierung. Von der knapp einen Million Einwohner lebten noch 70 % au dem Lande. Das Land besaß weder industriell verwertbare Rohstoffe noch lag es verkehrsmäßig günstig. Kiel, das um diese Zeit 18000 Einwohner besaß, hatte die einzige Schiffswerft der Provinz, in der es mehr als 200 Beschäftige gab. Neumünster, das - mit 7000 Einwohnern - eine gute Verkehrslage hatte, konnte eine alte Tuchindustire aus 82 kleinen Fabriken und Manufakturen und einigen Maschinenbau aufweisen. In Rendsburg war die 'Karlshütte', in Krusau eine Kupfermühle, in Flensburg und Hadersleben gab es Eisengießereien. Altona, mit 30000 Einwohner, die größte Stadt der Provinz, lag im Schatten des Hamburger Wirtschaftsausfstieges. Einige industrielle Ansätze waren in Ottensen und Wandsbek und Elmshorn vorhanden."[3]
In der Broschüre zum Reichsparteitag 1927 in Kiel schrieb der Bezirksvorsitzende Willy Verdieck, dass bereits in den 1860er Jahren in vielen Orten der Provinz Ableger des ADAV gegründet worden seien. Er zählte Altona, Wandsbek, Krempe, Itzehoe, Pinneberg, Kiel, Elmshorn, Neumünster, Flensburg, Eutin, Rendsburg, Plön und Glückstadt auf. Und auch die Anhänger der "Eisenacher" Wurzel der SPD, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), gründeten einige Vereine - allerdings deutlich weniger.
"Mit der Vereinigung beider Richtungen im Jahre 1875 stieg die Schlagkraft der Organisation. Auf dem Sozialistenkongreß zu Gotha im Jahre 1876 wurden 37 Wahlkreise für offizielle Reichstagswahlkreise erklärt. Darunter befanden sich fünf in Schleswig-Holstein, und zwar: 1. Itzehoe-Meldorf, 2. Glückstadt-Elmshorn, 3. Kiel-Neumünster, 4. Altona-Wandsbek, 5. Plön-Segeberg. Schon im Jahre 1874 konnten die Lassalleaner die Wahlkreise Altona-Wandsbek und Plön-Segeberg erobern. Bei der Reichstagswahl im Jahre 1877 zeigte sich der Aufschwung der Partei durch erhöhte Abgabe von sozialistischen Stimmen.
Am 24. Juni 1877 wurde in Neumünster auf einer Parteikonferenz die Gründung einer Parteizeitung für die Provinz beschlossen. Diese, die Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung, hatte ein Jahr später rund 8000 Abonnenten. Mit dem Inkrafttreten des Sozialistengesetzes stellte die Zeitung ihr Erscheinen ein."[4]
Sozialistengesetz
→ Hauptartikel: Sozialistengesetz
War die Arbeit der Sozialisten vorher schon durch Bürgertum und Obrigkeit nicht besonders gern gesehen, wurde sie zwischen 1878 und 1890 komplett verboten. Das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie störte die mühsam aufgebaute Parteiorganisation, zerstörte sie jedoch nicht. In der Illegalität wurde sie durch Vertrauensmänner aufrecht erhalten. Sozialdemokraten wurden verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt oder zur Emigration gezwungen.
Selbst diese Unterdrückung konnte nichts ändern an der Attraktivität der Idee der Sozialdemokratie.
"Maßnahmen gegen die Bewegung spornten unsere Genossen in einzelnen Orten zur größten Kraftentfaltung an. Altona, Neumünster und Kiel standen im Mittelpunkt der Abwehrbewegung. Als das Ausnahmegesetz 1890 fiel, da stand auch in Schleswig-Holstein die Bewegung stärker wie je zuvor da."[5]
Auf dem Parteitag in Halle vom 12.-18. Oktober 1890 gab die SAP sich ein neues Organisationsstatut, und sie nahm ihren endgültigen Namen an: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD).
Wilhelminismus
Aber auch danach behinderten staatliche Organe die Arbeit von Sozialdemokratie oder Gewerkschaften weiterhin nach Kräften und schikanierten ihre Anhänger. Die rechtliche Ausgrenzung wurde aufgehoben, die gesellschaftliche Ausgrenzung blieb noch lange Zeit bestehen - mit nachhaltigen Auswirkungen auf das Verhältnis der Betroffenen zum Staat. In dieser Zeit bildete sich die sozialdemokratische Arbeiterkultur: Sozialdemokratische Zeitungen wurden gegründet, weil die Sichtweise der Arbeiter in der bürgerlichen Presse nicht vorkam. In bürgerlichen Vereinen waren Arbeiter als Mitglieder nicht gern gesehen; deshalb gründeten sie eigene Arbeitersportvereine, Arbeiterkultureinrichtungen wie die Freie Volksbühne Kiel oder den Kieler Chor-Verein. Eine der beeindruckendsten Schöpfungen der Arbeiterkultur waren die Konsumvereine.
Frauen durften sich bis 1908 überhaupt nicht organisieren. Einige mutige Schleswig-Holsteinerinnen wurden trotzdem politisch aktiv - Luise Zietz war eine der ersten weiblichen Agitatorinnen und gehörte ab 1908 als erste Frau dem Parteivorstand an. Alma Wartenberg war später als einzige Frau Mitglied des schleswig-holsteinischen Provinziallandtages.
Das "Verbindungsverbot" untersagte noch bis 1899 die Gründung überregionaler politischer Zusammenschlüsse. Deswegen gab es bis 1891 keine landesweite Parteiorganisation. Die SPD setzte auf eine Doppelstrategie: Auf lokaler Ebene waren politische Vereine erlaubt, deshalb gründeten sich nach 1890 vermehrt Ortsvereine. Überregional sicherten Abgeordnete und Vertrauenspersonen den Zusammenhalt der Partei.[6] Ein Provinzial-Parteitag wählte 1891 eine dreiköpfige Agitationskommission (die schon vorher im Geheimen bestanden hatte) mit Heinrich Lienau als 1. Vorsitzenden - die erste landesweite sozialdemokratische Organisation in Schleswig-Holstein. Mehr war bis zur Aufhebung des Verbindungsverbots nicht möglich.
Gründung der Bezirksorganisation
1904 begann Eduard Adler aus Kiel die Diskussion über die Reorganisation des bisherigen "Agitationsbezirks". 1905 wurden mit einer Organisationsreform zeitgemäße Strukturen eingeführt, die Parteiorganisation in Bezirke eingeteilt. 1905/06 trennte sich Schleswig-Holstein von Hamburg und gründete einen eigenen Bezirksverband: Die lokale Ebene bildeten die Ortsvereine. Als zweite Ebene gab es die Wahlkreisvereine in den zehn schleswig-holsteinischen Reichstagswahlkreisen (damals noch ohne Lübeck). Darüber hinaus wurde der Bezirksverband Schleswig-Holstein gegründet, der 1906 Friedrich Bartels zu seinem Vorsitzenden wählte.[7] Damit machte sich Schleswig-Holstein von der Hamburger Organisation unabhängig. Ab 1912/13 nannte sich die Agitationskommission Bezirksvorstand. Am 1. November 1913 wurde Heinrich Kürbis zum Bezirksvorsitzenden gewählt.[8]
Die Zeit des Wilhelminismus war gesellschaftlich auch durch die Rüstungs- und Flottenpolitik von Kaiser Wilhelm II. geprägt. Die Sozialdemokratie setzte sich dagegen für eine Friedenspolitik ein.[9]
Der Erste Weltkrieg
In den Tagen nach der Mobilmachung zum Ersten Weltkrieg 1914 berief die SPD Schleswig-Holstein einen Bezirksparteitag ein. Die Entschließungen des Tages zeigten den Weitblick der Delegierten:
"Die Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein hat gemeinsam mit der deutschen Gesamtpartei und den anderen Parteien in Europa ihr Bestes getan, um den drohenden Weltkrieg zu verhindern und eine friedliche politische Entwicklung der Völker zu Wohlfahrt und Freiheit zu sichern. Wir stellen fest, daß unsere Partei keine Schuld an dem Verderben trifft, das da über die Welt ziehen will; die Verhältnisse dieser kapitalistischen Zeit und deren Konsequenzen waren stärker als die Arbeit unserer Millionen und der Friedenswille mancher Regierenden."[10]
Doch als zwei Tage später die Reichstagsfraktion den von der Regierung beantragten Kriegskrediten zustimmte, stand der Bezirk zunächst an ihrer Seite. Erst nach und nach brach hier, wie überall im Reich, der im Gegenzug vereinbarte "Burgfrieden" (der von den Herrschenden nie eingehalten worden war). Ab 1916 wuchs die innerparteiliche Kritik. Im März 1917 kam es dann zur Abspaltung der Unabhängigen SPD (USPD). Ihre Hochburgen in Schleswig-Holstein wurden Kiel, Bordesholm, Altona, Flensburg, Schleswig und Eckernförde.[11]
Arbeiter- und Matrosenaufstand
→ Hauptartikel: Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstand Mit der Verschlechterung der Versorgungslage und dem immer sinnloser werdenden Sterben an der Front wuchs der Widerstand in der Bevölkerung. Ab Januar 1918 kam es vermehrt zu Streiks, im November 1918 dann zum Kieler Arbeiter- und Matrosenaufstand. Mit Unterstützung von Gewerkschaften, SPD und USPD breitete er sich binnen Tagen über das Reich aus, wurde zur Novemberrevolution, die dem Kaiserreich ein Ende setzte.
Weimarer Republik
Im November 1918 wurde Heinrich Kürbis Beigeordneter beim Oberpräsidenten und im März 1919 selbst Oberpräsident. Daher übernahm am 29. Januar 1919 Karl Alps aus Itzehoe provisorisch den Bezirksvorsitz. Ihm folgte spätestens 1921 Willy Verdieck, der das Amt bis zum erneuten Verbot der Partei 1933 ausfüllte.
"Die schleswig-holsteinische SPD zeichnete sich [während der Weimarer Republik] nicht nur durch vergleichsweise gute Wahlergebnisse aus, sondern auch durch eine hohe personelle Kontinuität [...] der Bezirksorganisationsspitze."[12]
Reichspräsident Friedrich Ebert sagte in einer Ansprache vor Sozialdemokraten am 4. September 1922 in Kiel:
"Es war nicht nur meine Auffassung, sondern auch die der gesamten Parteileitung, insbesondere unserer Alten, Bebel, Singer, daß die Parteibewegung in Schleswig-Holstein eine der besten deutschen Bezirke ist, nicht nur ihrem Umfang und ihrer straffen, in sich gefestigten Organisation nach, sondern auch nach der ganzen geistigen Einstellung der Parteibewegung in Schleswig-Holstein. Es ist hier theoretisch und praktisch immer eine sehr intensive Schulung der Parteigenossen erfolgt und damit sehr früh den staatspolitischen Notwendigkeiten bei der hiesigen Parteigenossenschaft der Weg bereitet worden ... So war es möglich, daß in all den Stürmen ... die Parteiorganisation immer in sich geschlossen und gefestigt blieb und daß sie eine Reihe von Leuten hervorgebracht hat, die auch unseren Pflichten und Aufgaben im staatlichen Leben gerecht zu werden verstanden."[13]
Der Erfolg der Weimarer Republik hing nach Meinung der SPD auch davon ab, wie gut es gelänge, die Verwaltung zu demokratisieren. Da Sozialdemokraten der Weg in die Verwaltung bislang auf vielfache Art schwer gemacht worden war, gab es wenig Erfahrung und Vorbilder. Abhilfe sollte in Schleswig-Holstein unter anderem die Arbeitervolkshochschule schaffen[14], die aber erst 1928 eröffnet werden konnte und im Februar 1933 von den Nazis geschlossen wurde.
Die Reste der seit 1920 zerfallenden USPD kehrten auf dem Parteitag von 1922 bis auf einige wenige Köpfe in die SPD zurück. Der größere Teil hatte sich schon 1920 der mittlerweile gegründete KPD angeschlossen.
Da vermutlich das Gewerkschaftshaus für die wachsende Organisation nicht mehr genügend Raum bot, musste der Bezirksverband ausweichen. Karl Rickers, damals in der Sozialistischen Arbeiterjugend, erinnert sich an Besuche bei seinem Jugendsekretär:
"[Wilhelm Kuklinskis] Büro lag in der Flämischen Straße in der Kieler Altstadt, als eines der etwa fünf oder sechs Büroräume des SPD-Bezirks; der Ortsverein Kiel der SPD residierte hingegen im angestammten Gewerkschaftshaus. Der Bezirksverband aber hatte Räume in einem der alten, dunklen Häuser aus der Barock- oder Nachbarockzeit gemietet, die es damals noch gab. Es ging durch ein altes Treppenhaus in engem Viereck nach oben. Wir wußten, daß hier alle Parteisekretäre ihre Büros hatten, z.B. Theodor Werner, der die Gemeindepolitik und gleichzeitig die Parteikasse betreute - vielleicht auch war letzteres in den Händen von Andratzke (sic!).[15]
Als Reaktion auf die zahlreichen politischen Morde, Putsch- und Aufstandsversuche in den Anfangsjahren der Weimarer Republik wurde 1924 das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gegründet. Überall formierten sich Ortsgruppen, vorwiegend aus Sozialdemokraten, die auch notfalls mit Gegenwehr gegen ihre gewaltbereiten Feinde die Demokratie schützen wollten.
Vom 31. Mai bis 5. Juni 1931 fand in Leipzig der SPD-Parteitag statt. Für Schleswig-Holstein nahmen als Delegierte teil Karl Andritzke, Louis Biester, August Blume, Friedrich Böttcher, Karl Bugdahn, Paul Dölz, Emma Drewanz, Friedrich Hansen, Richard Hansen, Heinrich Hauschildt, Toni Jensen, Walter Lamp'l, Karl Langebeck, Max Schmidt, Wilhelm Schweizer, Willy Verdieck und Grete Wöhrmann.[16] Niemand ahnte, dass dies der letzte reichsweite Parteitag sein würde; der nächste war die Reichskonferenz von Wennigsen am 5./6. Oktober 1945 im drastisch verkleinerten und faktisch schon geteilten Deutschland.
Gegen Ende der Weimarer Republik kam es immer häufiger zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Nazis, aber auch mit Kommunisten. Es gab Tote. So wurden 1932 in Harrislee der Sozialdemokrat Julius Zehr von einem SA-Mann erschossen, in Eckernförde die Landarbeiter Hinrich Junge und Johann Buhs bei einem Überfall auf das Gewerkschaftshaus ermordet. In Lübeck geriet Julius Leber im Februar 1933 in eine Auseinandersetzung, in der in Notwehr einer seiner Begleiter einen SA-Mann erstach. In den braunen Hochburgen wie Eutin und Kaltenkirchen litten die Genossen unter Dauerterror. Sie waren in einen Abwehrkampf verwickelt, sahen die Erfolge der Nazis, deren Vorgehen und ahnten, was sie erwartete, wenn die Nazis an die Macht kommen sollten.
Nationalsozialismus
→ Hauptartikel: Widerstand in der NS-Zeit
Am 22. Juni 1933 wurde die SPD von den Nationalsozialisten verboten. Vielerorts wurden Parteifahnen und Unterlagen vergraben oder - wie beim Ortsverein Schleswig - eingemauert, damit man sie später wieder hervorholen und dort weitermachen konnte, wo die Arbeit unterbrochen worden war.
Eine Reihe von Mitgliedern aus Schleswig-Holstein floh ins Ausland - am bekanntesten dürfte Willy Brandt (damals schon zur SAP gewechselt) sein, weitere waren Lisa und Richard Hansen, Franz Osterroth, Willy Busch und Hans E. Hansen. Andere, wie Frieda und Andreas Gayk oder Anne und Niels Brodersen, zogen nach Berlin, um in der Anonymität der Großstadt unterzutauchen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten Widerstand zu leisten. Auch in der Provinz organisierten Sozialdemokraten in dieser Zeit Widerstand, ebenso wie Kommunisten und viele Konservative und religiöse Menschen. Die schleswig-holsteinischen Genossen hielten engen Kontakt zu den nach Skandinavien Emigrierten.
Viele wurden von den Nazis umgebracht. Zahlreiche bekannte Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wurden nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler 1944 im Rahmen der "Aktion Gewitter" verhaftet und in Konzentrationslager gesteckt. Das berühmteste Beispiel eines schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten im Widerstand ist wohl der Lübecker Julius Leber. Bei seiner Aburteilung vor dem Volksgerichtshofs sagte er:
"Für eine so gute und gerechte Sache ist der Einsatz des eigenen Lebens der angemessene Preis. Wir haben getan, was in unserer Macht stand."
Andere blieben und versuchten, unter der Gewaltherrschaft zu überleben. Wer zum Kriegsdienst eingezogen wurde und ihn überlebte, kam danach oft in Gefangenschaft. Erst nach ihrer Freilassung konnten etwa Walter Damm oder Hans Schröder die SPD in Schleswig-Holstein wieder mit aufbauen.
Literatur
→ Hauptartikel: Literatur zur Geschichte der Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein Nur wenig Literatur beschäftigt sich mit der Geschichte des Landesverbands insgesamt:
- Danker, Uwe: Die Geburt der Doppelstrategie in der "Roten Hochburg". Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein 1863-1918, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 21-62
- Martens, Holger: Die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Schleswig-Holstein 1945 - 1959 (2 Bde., Malente 1998), ISBN 3993862248 (liefert trotz des Titels viele Informationen über die Zeit der Weimarer Republik)
- Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963])
- Paetau, Rainer: Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925 (Neumünster 1988)
- Rüdel, Holger: Ein schwieriger Start. Zur Frühgeschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 77-85
- Schulte, Rolf / Weber, Jürgen: Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) in Schleswig-Holstein, in: Demokratische Geschichte, 3(1988), S. 307-317
- Unterlagen des Bezirksvorstands wurden zu Beginn der NS-Diktatur beschlagnahmt und befinden sich heute im Bestand des Landesarchivs Abt. 384.1[17]
Links
Quellen
- ↑ SPD-Ortsverein Elmshorn: 100 Jahre SPD-Ortsverein Elmshorn (Elmshorn 1963)
- ↑ Danker, Uwe: Die Geburt der Doppelstrategie in der "Roten Hochburg" - Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein 1863-1918, in: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 31
- ↑ Osterroth, Franz: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Ein geschichtlicher Überblick (Kiel o. J. [1963]), Seite 6f
- ↑ Die Partei in Schleswig-Holstein, in: Sozialdemokratischer Parteitag Kiel 1927 (Nachdruck Kiel o.O.u.J.)
- ↑ Die Partei in Schleswig-Holstein, in: Sozialdemokratischer Parteitag Kiel 1927 (Nachdruck Kiel o.O.u.J.)
- ↑ Martens, S. 24
- ↑ Martens, S. 24
- ↑ Paetau, Rainer: Konfrontation oder Kooperation. Arbeiterbewegung und bürgerliche Gesellschaft im ländlichen Schleswig-Holstein und in der Industriestadt Kiel zwischen 1900 und 1925 (Neumünster 1988), S. 508
- ↑ Brecour, Wilhelm: Die Sozialdemokratische Partei in Kiel. Ihre geschichtliche Entwicklung (Kiel o. J. [1932]) (Neudruck in Zur Geschichte der Kieler Arbeiterbewegung, Kiel 1983), Seite I-71
- ↑ Osterroth, S. 54
- ↑ Osterroth, S. 56
- ↑ Martens, S. 25
- ↑ Zitiert nach: Osterroth, S. 3
- ↑ Jacobsen, Jens-Christian (1988) 'Der Stolz der Gesamtpartei?' Die SPD Schleswig-Holstein 1918-1933. In: Demokratische Geschichte 3(1988), S. 211
- ↑ Rickers, Karl: Erlebte Weimarer Republik. Erinnerungen eines Kielers aus den Jahren zwischen 1918 und 1933. In: Paetau, Rainer / Rüdel, Holger (Hrsg.): Arbeiter und Arbeiterbewegung in Schleswig-Holstein im 19. und 20. Jahrhundert (Neumünster 1987) ISBN 3-529-02913-0, S. 351
- ↑ Martens, Geschichte, S. 239
- ↑ Schreiben 395/2016 des Leitenden Archivdirektors Prof. Dr. Dr. Rainer Hering an den SPD-Landesverband, Ralf Stegner, vom 10.2.2016