Jusos Kiel

Aus SPD Geschichtswerkstatt
Logo der Jusos Kiel, 2016

Die Jusos Kiel sind eine Gliederung im Kreisverband Kiel. Sie wirken auch im Juso-Landesverband mit. Sie stellten seit Gründung des Bundeslandes Schleswig-Holstein mehrere Juso-Landesvorsitzende, darunter Jochen Steffen.

Früheres Logo der Jusos Kiel, 2014
Früheres Logo der Jusos Kiel, 2013

Vorstand

Hauptartikel: Jusos Kiel - Kreisvorstände Die Kieler Jusos haben traditionell keine Vorsitzenden, sondern arbeiten mit einem gleichberechtigtem Vorstandskollektiv. Dessen Mitglieder wählen aus ihrer Mitte eine Kreisgeschäftsführerin oder einen Kreisgeschäftsführer. Dieselbe Regelung gilt übrigens für die örtliche Juso-Hochschulgruppe.

Die erste Jahreshauptversammlung unter Pandemie-Beschränkungen fand am 5. Juni 2021 online auf Zoom statt. Die Abstimmungen wurden mit votesUP durchgeführt. Zur trotz allem notwendigen Urnenwahl für den Juso-Kreisvorstand wurden die Delegierten am 6. Juni ins Walter-Damm-Haus gebeten, um ihre Stimmen unter Einhaltung aller juristischen und Hygieneregeln persönlich abzugeben.

Selbstverständnis

Die Jusos Kiel bezeichnen sich selbst als strömungsfrei. Sie verfolgen im allgemeinen einen eher pragmatischen Kurs. Ihre Beschlüsse der letzten Jahre können in der Beschlussdatenbank eingesehen werden. Ihr Selbstverständnis ist in Statt eines Manifestes. Kieler Fußnoten zum Juso-Selbstverständnis[1] dargelegt, das 1993, 2002 und zuletzt 2012 im Rotkielchen veröffentlicht wurde.

Auch das alte Lied Die Arbeiter von Wien gibt einen Eindruck:

Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt.
Wir sind der Sämann, die Saat und das Feld.
Wir sind der Schnitter der kommenden Mahd.
Wir sind die Zukunft und wir sind die Tat.

So flieg, du flammende, du rote Fahne,
Voran dem Wege, den wir zieh'n.
Wir sind der Zukunft getreue Kämpfer,
Wir sind die Arbeiter von Wien.
(T: Fritz Brügel, M: Roter Armeemarsch (1920)).

Der Refrain soll schon 1927 in der Kinderrepublik Seekamp abgewandelt worden sein zu "So flieg, du flammende, du rote Fahne, voran dem Weg zu unserm Ziel. Wir sind der Zukunft getreue Kämpfer. Wir sind die Arbeiter von Kiel."[2]

Struktur

In Kiel ist die einzige Juso-Ebene zur Zeit die Kreisebene. Die Wahl des Juso-Kreisvorstandes findet stets als Vollversammlung statt.

Zeitweilig gab es vom Vorstand eingesetzte Arbeitskreise zu verschiedenen Themen, so z.B. 1994 "Soziales", 2012 "Bildung" und "Aktiv gegen Rechts", 2015 "Geflüchtete". Zwischen der Leitung des "AK Soziales" und dem Kreisvorstand entwickelte sich eine Kontroverse über die Arbeitsweise und die Einladung von Gästen - der AK musste auf Weisung des Kreisvorstandes den Referenten Thomas Westphal wieder ausladen.

Untergliederungen in den Ortsvereinen gibt es nicht. Versuche einzelner Gruppen, diese einzurichten, wurden zumindest in den letzten Jahrzehnten stets verhindert.

So gab es um 2010 herum in Friedrichsort Bestrebungen, eine Orts-AG zu gründen, von denen der Kreisvorstand nur zufällig erfuhr. Zusätzlich führte zu Verstimmungen, dass die Jusos Rendsburg-Eckernförde die AG ihrem Kreisverband angliedern wollten. Nach Gesprächen mit dem dortigen Vorsitzenden fand dieses Vorhaben ein Ende.

Mitte der 1990er Jahre versuchten Zugezogene, die sich der Strömung der Juso-Linken (Stamokap) zuordneten, Juso-Ortsgruppen in Gaarden und Elmschenhagen einzurichten, allerdings ohne Erfolg.

In den 1970ern, als die Mitgliederzahlen am höchsten waren, gab es in einzelnen Ortsvereinen durchaus Juso-Gruppen , so z.B. in Holtenau[3] oder Friedrichsort[4].

Auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit gründeten sich sofort wieder Juso-Gruppen aus einzelnen Ortsvereinen, etwa beim Ortsverein Kiel-Süd die Juso-Gruppe Wilhelm Spiegel.[5]

Schulen

Seit 1970 gab es eine kreisweite "Projektgruppe Schule", die bis Ende der 70er Jahre kontinuierlich aktiv war und jeweils eine/n Leiter/in wählte, der oder die auch presserechtlich verantwortlich war. Zu diesen zählten u.a.Thomas Göbell, Helmut Färber, Jürgen Weber und Christiane Ulke. In den Jahren von 1972 - 1974 bildete die PG Schule der Jusos eine Fraktion in dem von den "Roten Zellen" dominierten Kieler Stadtschülerrat - einer selbstorganisierten Schülervertretung der Kieler Gymnasien und Beruflichen Schulen. Vorstandsmitglied des Stadtschülerrates war in den Jahren der Jungsozialist Carsten Schlüter. 1972 wurde Thomas Göbell zum Landesschulsprecher der Gymnasien gewählt. Da sich die Landesschülervertretung zu einem Serviceunternehmen mit wirtschaftlichen Risiken entwickelte (eigene Druckerei etc), kam es zu Konflikten mit den Kieler Jusos, die die Entpolitisierung der LSV kritisierten. 1975 ist eine "Basisgruppe" am Ernst-Barlach-Gymnasium belegt, vermutlich gab es auch an weiteren Schulen entsprechende Gruppen.

In den 90ern gab es eine stadtweite Schülergruppe, die sich mit bildungspolitischen Themen befasste und auch die Zeitung Taschenkrebs herausgab. Leiter war u.a. Jörn Warnecke.

Hochschulen

Der Text nimmt Bezug auf ein Zitat des AfD-Politikers Meuthen

An der Uni Kiel existiert seit den 1970er Jahren eine Juso-Hochschulgruppe (HSG). Die Hochschulgruppen sind rechtliche Mischwesen, die an der Hochschule anerkannte HSGen sind und gleichzeitig Projektgruppen der Juso-Landesverbände. Das Verhältnis zwischen HSG und KV wechselte öfter in allen Bereichen, von sehr eng bis stark angespannt. 2009 und 2010 existierte an der Fachhochschule Kiel eine Juso-HSG mit dem Namen Förde-Jusos, die stark durch den Kreisverband Kiel unterstützt wurde.

1945/46 gründeten Jochen Steffen und sein ehemaliger Mitschüler Hans-Gottfried Schadow den Kieler Zweig des damals noch SPD-nahen Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS).

Presse

Die Kieler Jusos geben seit mehr als 40 Jahren ihre Zeitschrift Rotkielchen heraus. Zur Zeit erscheint sie zweimal jährlich. In den Heften kritisieren die Redakteure auch regelmäßig die eigene Partei.

Früher gab es für verbandsinterne Informationen das Heft Rote Grütze.[6] In der Universitätsbibliothek Kiel ist eine Veröffentlichung Information für die Jahre 1964-66 vorhanden sowie für 1969-70 das Werkblatt.

In den 1990er Jahren gab es zudem für SchülerInnen den Taschenkrebs.

Geschichte

Die Kieler Jusos können auch auf eine Geschichte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik zurückblicken.

Die Jungsozialisten umfassten die 18-(später 20-) bis 25-Jährigen, die als Teil der Partei organisiert waren. Die Jüngeren ab 14 Jahren gehörten der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) an, einem eigenständigen Verband. Für die noch Jüngeren gab es Angebote durch die Kinderfreunde.

Zu den "Ahnen" der heutigen Jusos gehören somit sowohl die Jungsozialisten, gewissermaßen die "Ur-Jusos", als auch die SAJ, weswegen beide Teil der Geschichte der Kieler Jusos sind.

Kaiserreich

Hervorgegangen war die Jugendbewegung aus Lehrlingsvereinen, die ab 1904 im ganzen Kaiserreich entstanden. Im Frühjahr 1907 gründete sich in Kiel der erste Arbeiterjugendverein, der wegen des strengen preußischen Vereinsgesetzes freilich offiziell unpolitisch sein musste und den Namen Freie Jugendorganisation an der Kieler Förde trug.[7] Bestand er anfangs nur aus 7 Mitgliedern, wuchs die Zahl bald auf 170. Weihnachten 1910 wurde sein Jugendheim in Gaarden eingeweiht.[8]

1912 gründeten August Rathmann, Andreas Gayk und andere zur Umgehung des Verbots der Mitgliedschaft von Jugendlichen in politischen Vereinen den unverfänglich benannten "Kieler Turn- und Wanderclub von 1912". Er übernahm, als die "Freie Turnerschaft an der Kieler Förde" tatsächlich für "politisch" erklärt wurde, deren Kinder- und Jugendabteilungen.[9] Unklar ist, ob mit der Neugründung die Auflösung der "Freien Jugendorganisation an der Kieler Förde" verbunden war.

Weimarer Republik

Die "Freie Jugendorganisation" war Mitglied im Verband der Arbeiterjugendvereine Deutschlands (VAJV). 1919 nahm sie den Namen "Arbeiter-Jugend Kiel" an, bevor sie 1922 zur Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ Kiel) wurde.

Nach der Novemberrevolution bildeten sich an vielen Orten Gruppen von Jungsozialisten, die 1920 in die Parteiorganisation eingegliedert wurden. In ihnen hatten SPD-Mitglieder, aber auch Nichtmitglieder, im Alter von 18 (seit 1927: 20) bis 25 Jahren die Möglichkeit, aktiv zu werden.

Das Selbstverständnis dieser Gruppen wird deutlich an den durch die Jugendbewegung beeinflussten Leitsätzen einer Tagung in Kiel am Neujahrstag 1921: Die den Arbeiterjugendvereinen entwachsenen Parteigenossen können ihrer ganzen seelischen Einstellung nach nicht ohne weiteres den Schritt zur allgemeinen Arbeiterbewegung machen, denn diese ist [...] so einseitig verstandesmäßig und materialistisch gerichtet, daß sie die in der Jugend vorhandenen irrationalen Regungen nicht befriedigen kann."[10]

"Die Kieler Jungsozialisten galten in der Auseinandersetzung zwischen "rechten Hofgeismarern" und marxistischen "linken Hannoveranern" als Stützpunkt der Hofgeismarer. Der Kieler August Rathmann gehörte dem informellen Vorstand an und gab das Organ Schriften zur Zeit heraus. Hermann Heller, der eigentliche Theoretiker des Kreises, hatte bis 1921 in Kiel Staatsrecht gelehrt. Den Hofgeismarern nahestehend war auch der Kieler Rechtsprofessor Gustav Radbruch, der sich intensiv um die Bildung der Arbeiterjugend bemühte.
Bei vielen ältere Genossen, die Neuerungen - ob von links oder rechts - skeptisch gegenüberstanden, gab es eine abwartende Haltung. Dies mag auch durch den z.T. polemisch vorgetragenen Erneuerungsanspruch und durch den "jugendbewegten" Lebensstil der "jungen Generation" [...] bedingt gewesen sein. Immerhin konnte sich bei der Wahl des Kieler Parteisekretärs 1928 mit Ernst Tessloff der Kandidat der "jüngeren Generation" durchsetzen. Für eine gewisse Offenheit der Parteiführung spricht, dass Dr. Gustav Warburg, ein profilierter Hofgeismarer, als Redakteur bei der Volkszeitung eingestellt wurde. Der aus den Kieler Jungsozialisten hervorgegangene Karl Meitmann wurde Unterbezirkssekretär."[11]

Der Anstoß zur Kinderfreundearbeit war in Schleswig-Holstein von den Kieler Jungsozialisten ausgegangen, die mit einem Volksfest die Kinder in den Mittelpunkt der Maifeier von 1921 stellten.[12] Von drei Gruppen im Jahr 1922 wuchs die Bewegung in Schleswig-Holstein auf 44 Gruppen mit 3000 Falken und 300 Helfern im Jahr 1931.[13]

"Am 24. November 1926 vereinten sich alle sozialistischen Jugendorganisationen Kiels zu einem "Sozialistischen Jugendkartell", das eine gemeinsame Bildungsarbeit leistete, mit öffentlichen Versammlungen der Jugend hervortrat und im Rahmen der Gesamtbewegung der Sozialisten auch mit Aufmärschen und Fackelzügen den Demonstrationen den Schwung der Jugend gab. Bedeutend war der Einsatz des Jugendkartells zur Sammlung "Ferien für Arbeiterkinder!" und der Aktion "Alles für das Kind!". [14]

Die Jungsozialisten wurden 1931 durch die SPD aufgelöst.

Am 17. Mai 1933 löste sich auch die Sozialistische Arbeiterjugend in Schleswig-Holstein durch einen Beschluss des Bezirksvorstandes auf. Man wollte so dem Verbot durch die Nazis zuvorkommen.[15]

Wiedergründung

Landesweit erfolgte die Wieder- bzw. Neugründung der "Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten in der SPD" (JS) 1946. In Anbetracht der Tatsache, dass die SPD Schleswig-Holstein wesentlich von Kielern geprägt war, kann eine etwa zeitgleiche Gründung in Kiel angenommen werden. Die Jusos etablierten sich als einziger Jugendverband innerhalb der SPD. In ihm organisieren sich SozialdemokratInnen vom 14. bis zum 30., später 35. Lebensjahr.

Parteinah, aber nicht zur Partei gehörend, sind die "Falken", die aus SAJ und Kinderfreunden entstanden waren und sich ebenfalls nach der Nazizeit wiedergründeten.

Anfangs war die "Jugendarbeit" noch sehr eng an den SPD-Kreisvorstand angebunden. Der Wiedergründungsparteitag 1945 bestimmte den 33-jährigen Hermann Köster zum Leiter der Jugendarbeit. 1948 benennt das Protokoll Wolfgang Harder als "Leiter der Jüngerenarbeit", 1949 dann Jochen Steffen, 1950 Inge Westphal und als Vertreter der Falken Hermann Thurow (bis 1954). Ab 1951 werden dann "Vertreter der Jungsozialisten" gewählt, zuerst Gerd Richter, ab 1953 Hans-Georg Ehmke, ab 1957 (wieder als "Leiter der Jüngerenarbeit") Siegfried Weiße, ab 1959 Ragnar Lethi, ab 1962 sind die Protokolle unvollständig, 1964 werden Hans-Gert Klingemann und Axel Lüdersen aufgeführt, 1966 Herbert Schütt und Friedrich Büßen. Vertreter der Falken sind 1955-56 Dieter Beth, 1957-60 Hans Wind, 1961 Erich Freese.[16]

1960er & 1970er Jahre

Maikundgebung der Jusos 1970

Auch schon in den 1960er Jahren waren die Jusos ein wesentlicher Faktor in den Wahlkämpfen. Damals wurden in einer Scheune am Sukoring im Ortsverein Suchsdorf die Plakate geklebt. Dann ging es mit Lieferwagen zum Aufhängen in das Stadtgebiet, wobei das Fahrzeugdach statt einer Leiter genutzt werden konnte. Die Fahrzeuge parkten im Hof des Walter-Damm-Hauses. Mit dabei waren u.a. Heinz Dammers, Claus Möller, Friedrich Büßen.

In der Landeskonferenz 1967 unterlag der Kreisvorsitzende Herbert Schütt[17] bei der Wahl zum Landesvorsitzenden gegen Eckart Kuhlwein. Mitglied im Landesvorstand wurde Norbert Gansel. Dieselbe Versammlung beschloss den Namenswechsel von "JS" zu "Jusos".

Nach der Linkswende setzten die Jusos zunehmend auf Provokation und öffentlichkeitswirksame Aktionen, mit denen auf Missstände hingewiesen werden sollte, auch in Kiel.

"Gegen den Mangel an 'Folgeeinrichtungen' in Neubaugebieten - vom Sportplatz bis zur Sandkiste - starteten Jusos in Kiel, Lübeck, Eutin und Pinneberg eine Aktion 'Kinder - lauft auf den Rasen'. Auf einem gelben Flugblatt des Juso-Landesvorstandes hieß es: 'Spielt Fußball drauf und Verstecken hinter den Sträuchern.' Über den Neue-Heimat-Rasen des Kieler Neubau-Stadtteils Nettenhof[!] liefen Kinder mit roten Fahnen. Die "Neue Heimat" gab darauf die Rasenflächen ihrer Anlagen in ganz Schleswig-Holstein für Kinderspiele frei."[18]
Play-In der Jusos in Mettenhof, 1970
Juso-Bundesvorsitzende Heidemarie Wieczorek-Zeul (2. v.r.) besucht das Wohnlager Solomit in Neumühlen-Dietrichsdorf, 1975

Am 29. September 1971 wurde die Initiative Kieler Wohnlager gegründet, die sich für die Auflösung der Kieler Obdachlosen- und Flüchtlingslager und die Unterbringung der Bewohner in normalen Wohnungen einsetzte. Gründungsmitglieder waren auch zahlreiche Jusos, die Versammlungsleitung übernahm Norbert Gansel. Weiter wird vermerkt: "Herr Köhler von den Jungsozialisten Friedrichsort berichtete von der Arbeit mit den Jugendlichen im Grüffkamp. Dort würden zweimal wöchentlich Gruppenabende und Schularbeitenhilfen angeboten."[19] Bevor die eigentliche Arbeit im Lager beginnen konnte, musste in sechsmonatiger Arbeit zunächst das Vertrauen der dort Lebenden gewonnen werden.[20]

"Vor und nach der Gründung der IKW arbeiteten eine Reihe von Gruppen in den Kieler Obdachlosenlagern. Im November 1969 war z.B. die Projektgruppe Brauner Berg (Grüffkamp 111) von Kieler Jungsozialisten gegründet worden. Die Jungsozialisten wollten mit einer Doppelstrategie die Lösung anstehender Probleme in dem Obdachlosenlager sowohl auf Verwaltungs- als auch auf politischer Ebene durch die Mobilisierung und Motivierung der Lagerbewohner herbeiführen."[21] Weiter heißt es bei Carstens: "Die Arbeit der IKW hatte auf der politische Ebene zunehmend Erfolge zu verzeichnen. Ein Parteitag der Kieler SPD beschloß, alle Lager - bis auf eines - aufzulösen. Später verabschiedete die Ratsversammlung einen Kreisentwicklungsplan, der die Formulierung "Auflösung aller Kieler Lager" enthielt. 1975 waren bis auf die "Notunterkunft Solomit" in der Tat alle übrigen Lager aufgelöst."[22]

Auch in den renommierten Marie-Christian-Heimen in Kiel prangerten die Jusos einen unangemessenen Umgang mit den oft jugendlichen BewohnerInnen an.[23]

Und auch die Kulturpolitik blieb nicht ungeschoren. Die Schauspielerin Rosemarie Kilian berichtet in ihren Erinnerungen:

"Ein junger Mann, der zu den Jusos gehörte, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, in den Ortsvereinen der SPD seine - ich drücke es höflich aus - Bedenken gegen das Vorhandensein des Kieler Theaters anzumelden. Das richtete sich verstärkt gegen die Oper. Ich folgte ihm von Ortsverein zu Ortsverein und von Emotionen hingerissen ereiferte ich mich im Einsatz für unsere Bühnen."[24]
Norbert Gansel, 1972

1972 wurde der Kieler Jungsozialist Norbert Gansel mit 31 Jahren erstmals zum Bundestagsabgeordneten für Kiel gewählt.

In der hochpolitisierten Zeit der 1970er Jahre kam es auch zur Gründung von Juso-Gruppen an Schulen. So beschloss die Schulkonferenz des Ernst-Barlach-Gymnasiums am 3. November 1975 "die Zulassung der Schüler-Union und einer Basisgruppe der Jungsozialisten nach Vorlage ihrer Satzungen. Beide Gruppen [dürfen] für sich an der Schule werben." [25] "Flugblätter wurden im Sekretariat auf Matrizen der Vervielfältigungsmaschine [...] gedruckt und es wurde demonstriert - gegen Atomkraftwerke, für einen kommunistischen Lehrer."[26] Dies widerlegt den damaligen Sprecher der Kieler Schüler-Union, der im SPIEGEL behauptete: "Jusos und Judos sind bei uns fast vollständig tot."[27]

1973 mietete der Juso-Kreisverband die erste Etage des Hauses Sophienblatt 32 und eröffnete dort den "Juso-Club". Das Haus lag gegenüber dem Hauptbahnhof zentral in der Stadt (heute der südliche Teil des Sophienhofes). Da es zum Sanierungsgebiet Südliche Innenstadt gehörte und mittelfristig zum Abriß vorgesehen war, konnten die Jusos es günstig von der Stadt mieten. In der geräumigen Altbauetage waren Büroräume, eine Redaktionsraum für die Zeitung Rotkielchen und ein großér Versammlungs- und Partyraum vorhanden. Hier fanden von 1973 bis zum Abriss Anfang der 1980er Jahre die Mitgliederversammlungen der Jusos und viele öffentliche Veranstaltungen sowie die Sitzungen der Juso-Gremien statt. Zeitweise war der Juso-Club mehrmals in der Woche und am Wochenende als Treffpunkt geöffnet.

Neben dem wöchentlich tagenden Kreisvorstand gab es von Juli 1972 bis Ende 1976 einen "Kreisrat der Kieler Jusos". In diesen entsandten, analog dem Kreisausschuss auf Parteiebene, alle Stadtteilgruppen bzw. Projektgruppen ihre Vertreter. Das Gremium verstand sich auch als Kontrollinstanz der Vorstandsarbeit. In dem ersten Tätigkeitsbericht heißt es:" Zum Zeitpunkt seiner Tätigkeitsaufnahme (10.7.72) waren 9 Projektgruppen (Lehrlinge, Schüler, Theorie, Rotkielchen, Stadtsanierung, Umweltschutz, Olympia, Jugendpolitik und Jusoclub) sowie 5 Ortsbasisgruppen (West, E'hagen, Hassee, Gaarden/Ellerbek und Friedrichsort/Brauner Berg) im Kreisrat vertreten." [28] Ende 1976 löste sich der Kreisrat auf, da die Zahl der regelmäßig tagenden Gruppen für zu gering erachtet wurde. Vorsitzende des Kreisrates waren 1972-1973 Harald Hagemann, 1973-1974 Karlheinz Thimm und 1974-1976 Meike Wille von der Juso-Gruppe Wik. Diese war zu der Zeit die einzige Stadtteilgruppe der Jusos. An regelmäßig agierenden Projektgruppen (PG) der Jusos gab es neben der PG Schule (s.o.) noch die Redaktion des Rotkielchen, die "PG Club", die Veranstaltungen organisierte, die "PG Fachhochschule" und die "PG Wachstum", die sich an der Diskussion über einen neuen Wachstumsbegriff beteiligte. Ausgangspunkt der Arbeit war ein Seminar der Kieler Jusos mit Udo Ernst Simonis. Außerdem gab es bis Anfang der 80er Jahre eine "PG Ausländische Arbeitnehmer", die sich später formal aus dem Juso-Verband herauslöste und zum eigenständigen e.V. wurde, auch wenn weiterhin Jusos dort mitarbeiteten. Daneben gar es einige Projektgruppen, die nur unregelmäßig oder zeitlich begrenzt arbeiteten. Dazu zählte u.a. eine "PG Lehrlinge", die später in "PG Betriebsarbeit" umbenannt" wurde. In diesem Bereich konnten die Jusos nur sehr sporadisch Aktive gewinnen. 1975 wurde eine "PG Bundeswehr gegründet, die etwa 2 Jahre existierte und den Versuch unternahm, Wehrpflichtige anzusprechen. Dabei wurde ein einem Konzeptpapier zur Friedens- Sicherheits- und Militärpolitik gearbeitet. Ausgehend von Kiel wurde auch eine Landesarbeitsgruppe FSM-Politik der Jusos gegründet.

80er & 90er Jahre

1993 forderten die Kieler Jusos den Rücktritt von Willi Piecyk vom SPD-Landesvorsitz wegen seines schlechten Umgangs mit der Schubladenaffäre. Dies führte zu intensiven Verstimmungen im Verhältnis zum Landesvorstand und auch zu Problemen in der gemeinsamen Nutzung des Walter-Damm-Hauses.

Seit 1994 fanden wiederholt im Sommer Juso-Garten-Feten bei Janneke Hess in Hasseldieksdamm statt.

Nach den "Erdrutsch"-Verlusten (Minus 12%) bei der Kommunalwahl 1994 forderte die Jahreshauptversammlung der Jusos den SPD-Kreisvorstand auf, zum Parteitag am 22. April 1994 seine Ämter zur Verfügung zu stellen.

Im Februar 1995 forderten die Jusos die Abwahl von Oberbürgermeister Otto Kelling, da dieser nicht fähig sei, "seinen Sachverstand mit politischem Denken, Dialog- und Führungsfähigkeit zu verbinden".[29]

1995 unterstützten die Jusos Jürgen Weber, der sich in der Nominierung des Landtagskandidaten gegen den Abgeordneten Gert Börnsen durchsetzte. Die Jusos hatten gemeinsam u.a. mit Norbert Gansel und Hans-Peter Bartels maximale Transparenz und Aufarbeitung der Schubladenaffäre gefordert. Gert Börnsen vertrat eine gegensätzliche Position.

1997 gelang die Nominierung des langjährigen Kieler Jusos Hans-Peter Bartels zum Bundestagskandidaten. Der Juso-Kreisvorstand unterstützte ihn und hatte die Mitglieder um ihre Stimme für ihn auf der Nominierung am 8. November 1997 gebeten.

21. Jahrhundert

2012 unterstützten die Jusos Susanne Gaschke in der Nominierung zur OB-Kandidatin.

Der Kreisparteitag 2015 beschloss auf Antrag der Jusos, dass künftig keine vertraulichen Nebenabsprachen mehr zu Kooperationsverträgen getroffen werden dürften. Ende 2014 hatte Susanne Gaschke nach ihrem Rücktritt die Absprachen zum Kooperationsvertrag von 2008 zwischen SPD, Grünen und SSW öffentlich gemacht.

Am 9. April 2016 organisierten die Jusos gemeinsam mit zahlreichen anderen linken Jugendverbänden im Bündnis "Kein ParkPlatz für Nationalismus" eine Demonstration gegen den Auftritt der Deutschrock-Band Frei.Wild in der Kieler Sparkassenarena (Ostseehalle).

Am 14. April 2016 entschied die Mitgliederversammlung, bei der Nominierung für die Landtagskandidatur in Kiel-Nord Gesine Stück zu unterstützen. Ihr Mitbewerber Torsten Albig lehnte die Teilnahme an einer gemeinsamen Vorstellung ab.

Kommunalpolitik

Zahlreiche Jusos engagierten sich im Laufe der Zeit in kommunalen Ehrenämtern; der Verband stellte verschiedene kommunalpolitische Forderungen auf. Jüngere Forderungen findet man in der Beschlussdatenbank.

Kommunalwahl 2013

Zur Kommunalwahl 2013 traten gleich vier Jusos als Direktkandidat_innen an: Melanie Klein, Benjamin Raschke, Mathias Rekasch und Lisa Yilmaz. Benni Raschke und Lisa Yilmaz wurden in die Ratsversammlung gewählt. Weitere traten auf Listenplätzen an. Auch in Ortsbeiräten und als bürgerliche Ausschussmitglieder engagierte sich mehr als ein Dutzend Jusos.[30] Zentrale, aber nicht umgesetzte Juso-Forderung war die Einführung eines umlagefinanzierten ÖPNV-Tickets für Schüler_innen analog zum Semesterticket. 2015 wurde zum ersten Mal ein Kinder- und Jugendbeirat gewählt, den die Jusos bereits seit langem gefordert hatten.

Kommunalwahl 2018

Im Vorfeld der Kommunalwahl 2018 wurden in den 25 Kieler Wahlkreisen 11 Jusos aufgestellt, was eine beeindruckende Erneuerung darstellt. Unter den ersten 10 Listenplätzen waren 6 Jusos. Außerdem wurde mit WorldCafes und Mitgliederversammlungen ein Jugendwahlprogramm mit dem Titel "Unsere Stadt der Zukunft gestalten" erarbeitet, dessen Forderungen an das Kommunalwahlprogramm der Kieler SPD gestellt wurden. Am Ende gelang 7 Kandidierenden unter 35 Jahren der Sprung in die Ratsversammlung, wodurch die Fraktion zu etwa 40% aus Jusos bestand.

Mitgliederentwicklung

Laut den vorliegenden Rechenschaftsberichten.

Jahr Gesamt wbl. (in %) unter 22 über 29
2019 390 102 (26%) 26 162
2018 467 114 (24%) 59 161
2017 388 94 (24%) 38 138
2016 347 83 (24%) 41 112
2015 353 85 (24%) 45 119
2014 354 98 (27%) 43 109
2013 365 102 (28%) 44 115
2012 372 108 (29%) 48 114
2011 342 114 (33%) 40 110
2010 360 113 (31%)
2009 311 96 (31%) 25 68
2008 306 (26% neu) 100 (32%) 28 124
2007 260 80 (31%) 14 72
2006 320
2000 411
1998 477 127 (26,6%) 14 72

Links

Einzelnachweise

  1. Rotkielchen 42/2, S. 34-35
  2. Nach Mitteilung von Rosa Wallbaum, die mit 12 Jahren an der Kinderrepublik teilnahm. Das vermutlich im Juli 1927 entstandene Lied wurde wohl von den teilnehmenden Jugendlichen aus Österreich in die Kinderrepublik gebracht.
  3. Juso-Ortsgruppe Holtenau gegründet, Kieler Nachrichten, 17.12.1970
  4. Mitteilung des Genossen Heino Scharunge, der dort aktiv war.
  5. Nach Mitteilung des Genossen Karl Molkenthien, der dort aktiv war, in einem Filminterview mit Birgit Hansen und John Sanger aus den 1990er Jahren.
  6. Rotkielchen 42/2, S. 4
  7. Eine Sekundärquelle nennt 1905 als Gründungsjahr. Die genaue Darstellung bei Osterroth, S. 51, spricht aber für 1907.
  8. Franz Osterroth: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein, S. 51 f.
  9. August Rathmann: Ein Arbeiterleben. Erinnerungen an Weimar und danach (Wuppertal 1983), S. 13
  10. Jens-Christian Jacobsen: "Der Stolz der Gesamtpartei"? Die SPD Schleswig-Holsteins 1918-1933, Demokratische Geschichte 3(1988), S. 233 f.
  11. Jens-Christian Jacobsen: "Der Stolz der Gesamtpartei"? Die SPD Schleswig-Holsteins 1918-1933, Demokratische Geschichte 3(1988), S. 234
  12. Jens-Christian Jacobsen: "Der Stolz der Gesamtpartei"? Die SPD Schleswig-Holsteins 1918-1933, Demokratische Geschichte 3(1988), S. 236
  13. Osterroth, S. 85.
  14. Osterroth, S. 83
  15. Franz Osterroth: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein, S. 110 f.
  16. Zusammensetzung der Vorstände bis 1949 nach: Arbeitskreis "Demokratische Geschichte" (Hrsg.): Wir sind das Bauvolk. Kiel 1945 bis 1950 (Kiel 1985)
  17. Möglicherweise derselbe, der 1970 im Alter von 36 Jahren mit den Stimmen von SPD und FDP Bürgermeister von Nortorf wurde.
  18. JUSOS / SPD: Sozusagen die Macht, DER SPIEGEL, 1.3.1971
  19. Gründungsprotokoll, zit. in Uwe Carstens: Die Initiative Kieler Wohnlager (IKW), Demokratische Geschichte 8(1993), S. 328
  20. Matthias Kniesz: Obdachlose am Braunen Berg. Ein Projekt der Jungsozialisten in Kiel. In: Volker Mauersberger (Hrsg.): Wie links dürfen Jusos sein? Vom Bürgerschreck zur Bürgerinitiative (Reinbek 1974), S. ?
  21. Uwe Carstens: Die Initiative Kieler Wohnlager (IKW), Demokratische Geschichte 8(1993), S. 335 ff.
  22. Uwe Carstens: Die Initiative Kieler Wohnlager (IKW), Demokratische Geschichte 8(1993), S. 341
  23. Rainer Burchardt: Pflegeheim in Kiel. Vorwürfe gegen Mutter Obi, DIE ZEIT, 4.1.1974
  24. Rosemarie Kilian: Revolutionskind. Erinnerungen an Leben und Bühne 1919-1999 (Berlin 2003), S. 293
  25. Ursula Oehring: Ernst-Barlach-Gymnasium. Jahrbuch 2015/2016, S. 6
  26. Ute Seidel: Ernst-Barlach-Gymnasium. Jahrbuch 2015/2016, S. 9
  27. Jugend '76: "Lieber Gott, mach mich krumm", DER SPIEGEL, 5.4.1976
  28. Bericht über die Tätigkeit des Kreisrats der Jusos vom Sommer 1972 bis Februar 1973. Privatarchiv Jürgen Weber
  29. ?
  30. http://www.jusos-kiel.de/uber-uns/aktiv-fuer-unsere-stadt/